Das Katersiepen

von Heinrich Pasternak

Das Katersiepen - wo der ist? Schon falsch. Es heißt: das Siepen.

Das Katersiepen. Das Haus vor der hohen Eiche ist das alte Haus der Familie Hatzig. Das Haus wurde im 2. Weltkrieg durch Bomben zerstört.
 
Wo das Katersiepen genau anfängt?
Oberhalb des Alten Wegs, noch höher: oberhalb der Bergmecke, vielleicht noch höher. Jedenfalls weist der zweite Wortteil `mecke` auf ziemlich feuchten Untergrund hin. Dann wurde das Siepen, das sich inzwischen gebildet hatte: ein beständig fließendes Quellwasser kanalisiert. Wo der kleine Bach weiter fließt, zeigt das Straßenschild: jenseits der Hauptstraße, zwischen dem alten Haus Hatzig und dem ehemaligen Schwesternhaus (davor Koßmann, danach Antik-Lohmann, jetzt Familie C. Wattison). Eigentlich ist das auch keine richtige Straße, wegen des Gefälles von 21 Prozent; darum auch kein Bürgersteig, nicht mal ein Handlauf.

Als das Siepen nur ein ganz schmaler Pfad war, ohne Häuser, da durfte, musste der Junge Dietmar Hatzig die häusliche Milchkuh aus dem Stall des elterlichen Hauses Rocholl-Hatzig (jetzt Hauptstr. 42) über das Katersiepen hinunter am Strick festgehalten auf die Weide treiben. Da, wo der Weg das Siepen kreuzte, ein eisernes Rost das Überqueren erleichterte, für den Menschen, aber nicht für die Kuh, die war vom Plätscher-Geräusch verunsichert und wollte nicht auf die andere Seite. Die tierpädagogischen Maßnahmen des 10-Jährigen waren nicht immer ein Kinderspiel.

Warum nun Katersiepen?

Es gibt mehrere Deutungen. Welche die zutreffende ist, weiß nur der Erfinder. Aber der ist noch unbekannt. Der hoch geachtete Freienohler Heimatforscher Lehrer Konrektor Franz Kroh wird es nicht sein. Denn diesen Katersiepen gab es vor seiner Freienohler Zeit schon. Dafür spricht auch eine erste Deutung:

Die alte Schützenhalle Freienohl erbaut 1890. Entstand hier der Begriff "Katersiepen"?
 
Unten im Ruhrtal, hinter der Langelbrücke, links hinter der Linnebornschen Brücke, und dann gut 50 Meter weiter zwischen dem Linnebornschen Graben und der Ruhr, steht rechts am Langelweg das Gebäude, das nach außen hin noch genau so aussieht wie eine sauerländische Schützenhalle; inzwischen arbeitet darin auch die hochmoderne Computer-Firma Warensortiment PCE und auf der anderen Wegseite die hochspezialisierte Chemie-Firma Bredt-Galvanik. Es war die Schützenhalle. Gebaut 1890. In ihr ging es am jährlichen Schützenfest hoch her.

Das Schützenfest wurde hier unter den Eichen schon Jahre vorher gefeiert. Danach, spät in der Nacht oder ganz früh am Morgen, mussten die bis zuletzt feiernden Schützen auch nach Hause, nach oben ins Dorf.

Manche mussten mit dem allerersten oder auch zweiten Zug zur Arbeit nach Arnsberg, nach Neheim, nach Hüsten. Und die sollen „mit einem Kater“ gegangen sein. Dieser Deutung gemäß das Siepen hinauf, das Katersiepen. Aber ob DIE Schützen wirklich diesen schmalen Padweg zwischen Siepen und Hecken, auch wenn es schon etwas hell wurde, hinauf ins Dorf zogen, ist unpraktisch; freilich nicht für die vom Alten Weg oder für die da neu gebauten von der „Chaussee“. Die meisten erreichten ihr Zuhause sicher und trockenen Fußes über die Kaiserwiese und die Hügel-Straße. Und vor allem: die Redeweise mit dem Kater hat nichts mit dem männlichen Tier zur Katze zu tun. Die Redeweise entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in deutschen Universitätsstädten unter Studenten und war eine Eindeutschung und Verstümmelung des ursprünglich altgriechischen Worts „kattárrh“. Damit ist gemeint ein schlechtes Befinden nach übermäßigem Alkoholgenuss UND zu kurzem Schlaf. Aber dieser Schlaf lag ja für diese Schützen noch gar nicht vor. Und ob die Freienohler Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts – ohne Tageszeitung, Radio, Fernsehen, Internet – schon etwas von diesem ganz speziellen Kater der Studenten gewusst hatten? Zu kurzer Schlaf vor den Vorlesungen. Eher nicht.

 Das Katersiepen. Aufgenommen von der Wiese hinter dem Haus Hatzig

Zur zweiten Deutung. auch aus dem Alt-Griechischen. Da gibt es das Verbum „katarhéin“ (das erste a wird kurz gesprochen, die Endsilbe wird betont), auf deutsch: herab fließen. Das passt? Nein. Das im Alt-Griechischen erste „a“ wird kurz gesprochen; aber das „a“ im Freienohler Katersiepen nie, sondern immer lang gesprochen. Das ist keine Laut-Klauberei. Dieses sprachgeschichtlich doch nicht zutreffende Angebot stammt von Hans Bahlow, aus seinem Buch „Deutschlands älteste Fluss und Ortsnamen“ (Hamburg, 1962). Interessant ist: in seinem nachfolgendem Buch „Deutschlands geographische Namenwelt“ (Klostermann, Frankfurt, 1965) erscheint diese Griechisch-Lösung nicht mehr. Und welcher Freienohler hat um 1910 – 1915 das Wort Katersiepen mit seinem Wissen aus seiner Studentenzeit in Verbindung mit dem Alt-Griechischen geprägt? Denn seit diesen Jahren gibt es für dieses Siepen den Namen Katersiepen. Heutige Großeltern kennen das Wort Katersiepen von ihren Großeltern.

Das Katersiepen, vorne der Garten der Familie Hatzig, hinten das Haus der Familie Kramer


Eine dritte Deutung: Katersiepen weist hin auf eine Kate, einen Stall oder auf ein ganz schlichtes, bescheidenes Wohnhaus (in anderen Gegenden Häuslerwohnung genannt), unten vor der Langelbrücke, dicht am Siepen auf der Kaiserwiese. Das kann nicht sein. Denn ein solches Haus, ein solcher Stall wäre in den vorhandenen, einsehbaren Katasterkarten eingezeichnet und für die Errichtung hätte eine Baugenehmigung vorliegen müssen wie für alle Häuser an der Kaiserwiese. Akten-Einsicht lässt nicht auf eine Kate kommen.

Es gibt noch eine vierte Deutung, wohl die Lösung. Die steht m Bericht des Landrats in Arnsberg am 15. Mai 1903 über die „Ruhrschau“. Die „Ruhrschau“ ist die jährliche Kontrolle, Besichtigung des Ruhr-Verlaufs, der Ruhr-Uferwiesen, der Schutzmaßnahmen vor oder nach Überflutungen; darum erst im Mai oder Juni. Der Landrat wird begleitet von Fachleuten seiner Behörde, vom Amtmann und vom Bürgermeister, Ratsmitgliedern und vor allem den Besitzern der Ufer-Wiesen.
Aus dem Protokoll: „Die am linken Ufer belegene (gelegene) Wiese von Becker gnt. Kaiser (daher Kaiserwiese) und der Langelbrücke, der neuen Ruhrbrücke, ist durch das Abfallwasser des Wehrs in Folge der Wehr-Anlage stark gefährdet (Abfall-Wasser ist herab fließendes, „ab-fallendes“ Wasser, ist kein Schmutz-Wasser!). Wo jetzt die Wiese ist, war früher teilweise ein Loch. Abhilfe ist möglich durch Anhöhung der zum Wehr gehörigen Fachbau-Verlängerung auf der linken Flussseite...“ (AA 1673)

Die alte Ruhrbrücke

Das ist längst geschehen – und anzuschauen. Jenes Loch freilich und das so vorhandene mehr oder weniger „stehende“ Wasser, sumpfige Gelände können durchaus etwas mit dem Wort / Wortteil „kater“ oder „kat“ zu tun haben: dabei kann auf den Rückgriff ins Altgriechische verzichtet werden. Denn der schon zitierte Hans Bahlow gibt einen Tipp: in einem Lexikon die Wörter mit den Vorsilben „Kat-“ oder „Ket-“ aufzuschlagen. Und wenn man dann noch weiß, dass im Erscheinungsbild dieser Orte: nasser, feuchter Grund, Sumpf und ähnliches sichtbar wird, dann lässt sich verstehen, warum das Katersiepen genau so heißt.

Allerdings: wer kam Anfang des 20. Jahrhunderts in Freienohl auf diesen Gedanken?

Bericht: Heinrich Pasternak
Fotos 1, 3, 4 und 5: Dietmar Hatzig, Freienohl
Foto 2: Karl-Heinz Kordel