Weihnachtspredigt 2023

Liebe Geschwister im Glauben,

die Welt scheint aus den Fugen zu geraten, das bislang Zusammengefügte auseinander zu brechen, vieles ist im Zerfall begriffen, und, was noch viel schlimmer ist, dass große Lebensbereiche völlig unkontrollierbar werden:

Die Kriege in der Ukraine und in Israel und Palästina und an so vielen anderen Orten dieser Welt und die Gefahr, dass aus diesen Kriegen Flächenbrände werden.

Das drohende Auseinanderfallen unserer demokratischen Gesellschaft, das Erstarken von Populismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus vor unseren Augen und der Eindruck, dass jedes Bemühen, diese Entwicklung einzudämmen, sie eher noch zu fördern scheint.

Die Flucht von so vielen Menschen aus der Not in ihrer Heimat und die Überforderung derer, die versuchen, eine Antwort auf die damit verbundenen drängenden Fragen zu finden.

Die Ausbeutung der Natur und die beginnende Klimakatastrophe sowie die Erfahrung, dass auch alle globalen Reaktionen darauf eine Heilung der Schöpfung wohl nicht mehr ermöglichen werden.

Die Herausforderung der Armut so vieler Menschen in unserer Gesellschaft, gerade von Kindern und vielen Älteren, und die Herausforderung der materiellen, geistigen und sozialen Armut vieler Familien, zumal derer, die in schwierigen Lebenssituationen sind.

Da sind auch die großen Spannungen in unserer Kirche zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen mit ihren je eigenen theologischen und kirchenpolitischen Prägungen und die Unsicherheit darüber, wie wir die Botschaft des Evangeliums heute in unserer Gesellschaft verkünden können und sollen, die Schwächen der Kirche, ihre Skandale und strukturellen Fragen mit allen ihren Konsequenzen.

Da steht zuletzt jede und jeder von uns mit ihren und seinen ganz eigenen persönlichen Problemen, Herausforderung und Überforderungen, und immer mehr Menschen erfahren, dass vieles scheitert und im Zerfall und Auflösung begriffen und immer weniger da ist, das zusammenhält, versöhnt und solidarisch verbindet.

Immer mehr spüren wir, dass Mitte und Maß in unserer Gesellschaft in unserer Kirche und in unserem, persönlichen Leben verloren gegangen zu sein scheinen oder ihnen keine Bedeutung mehr zugemessen wird und dass daher gangbare Lösungswege und mögliche Perspektiven verstellt sind.

In dieser Gemengelage feiern wir Weihnachten. Auch wenn derzeit nicht viel dafürspricht, Weihnachtszeit ist Hoffnungszeit. Christus ist geboren, er ist Maß und Mitte, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit und Kraftquelle für die Welt und Weltgeschichte. Auch wenn die Krippenbauer, wie ich es in einem Zeitungsartikel gelesen haben, beklagen, dass kaum noch Krippen auf Weihnachtsmärkten gekauft werden, sondern dass es nur noch um Glühwein und Bratwurst geht, spürt man dennoch den Wunsch nach Leben, Licht und Frieden.

Haben wir früher etwas verteidigt, das wir bewahren wollten, so „verteidigen wir jetzt etwas, das verschwunden ist und nicht wiederkommen wird". Wenn selbst die Jungen, denen die Zukunft gehört, sich „letzte Generation" nennen und um ihre / unsere Zukunft kämpfen, dann müssen wirklich alle Alarmglocken schrillen.

Da klingt es im wahrsten Sinne des Wortes anachronistisch, aus der Zeit gefallen, wenn in diesen Weihnachtstagen wieder jene zarte Melodie eines alten Kirchenliedes angestimmt wird, das im Bild der Natur vom Wiederaufleben des Lebens spricht, „mitten in kaltem Winter": dass da Hoffnung aufkeimt, etwas aufbricht, was nicht einmal zu erhoffen war. Das Lied besingt, dass da, wo vorher offensichtlich alles abgestorben war, ein „Ros entsprungen" ist.

Die Botschaft ist eindeutig: Neues Leben ist möglich, nicht weil wir es schaffen, sondern weil Gott Heil schafft. Er schafft Neues auch da wo es gar nicht danach aussieht, denn so ist die Botschaft des Propheten Jesaja: wenn Gott sogar aus einem Baumstumpf neues Leben erwachsen kann, da lässt Gott sich auch nicht von unserer Gleichgültigkeit und Unempfänglichkeit abhalten, uns Menschen Hoffnung und Zukunft zuzusprechen.

Weihnachtszeit ist Hoffnungszeit. Es mag naiv erscheinen angesichts all der Krisen, jenes Lied der Hoffnung anzustimmen: Gott hat bereits die Initiative ergriffen und den Lauf der Welt verändert, und er wird ihn verändern, wo immer Menschen empfänglich sind für seinen Geist. Da wachsen uns die Kräfte zu, wie wir sie aus uns selbst nicht schaffen können. Die Kraft der Intuition, die verstehen lässt, woher uns Hoffnung und Zukunft kommt; die Kraft der Erkenntnis, wo sich Perspektiven zum Guten und neue Wege für eine bessere Welt auftun;

Die Kraft der Inspiration, die uns erkennen lässt, wo und wie wir, zwar mit kleiner Kraft die Zukunft gestalten können.

Man mag uns belächeln, wenn wir jenes Lied „es ist ein Ros entsprungen" von dem neu aufkeimenden Leben anstimmen, aber unser Glauben sagt uns, dass dann Weihnachten ist, weil Gott einen neuen Anfang setzt.

So lassen Sie uns gemeinsam ins Licht schauen, die Liebe zeigen und das Leben feiern

Amen

Michael Hammerschmidt 24.12.2023