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Fürsorge + Seelsorge der Hiltruper Missionsschwestern mit Freienohler Behinderten vor und im Nazi-Regime, einerseits, - andererseits Freienohler durch narzisstischen Machtmissbrauch verletzt durch Sterilisation, ermordet durch: Grauer Bus, Euthanasie T 4, Gastod und RIF
Einleitung
Zum ersten Einblick in die damalige Situation ist der zweite Teil der Überschrift für heutzutage 15-, 30-, 45-, 60-jährige Freienohler kaum vorstellbar.
Manche können meinen: Sterilisation, Unfruchtbarmachung, Euthanasie T 4, Grauer Bus, Gastod und RIF kamen doch für Freienohler nicht vor. Also zusehen.
Oder stopp! Wer Krankheiten, Kranksein, Kranke, ausgerechnet diese Kranken, Behinderten, Gehandicapten und diese Freienohler in diesen Familien nicht wahrnehmen möchte, nicht daran und nicht an sie erinnert werden möchte, der lese bitte nicht weiter.
Oder doch: „Leiden sind Lehren.“ So der griechische Dichter Äsop im 6. Jh. v. C.
Und: „Geschichte ist der Humus für die Zukunft.“ Hanna Barbara Gerl-Falkowitz, 2010.
Bei dieser Textfassung wird bis auf ganz wenige Ausnahmen Akten-Material aus dem Archiv Freienohl vom Stadtarchiv Meschede im Alten Amtshaus in Freienohl benutzt.
Damit wird auch sichtbar: wenigstens einige Freienohler wussten offiziell, amtlich, wenn auch „streng vertraulich“ (so bei Akten-Überschrift) von diesen grauenhaften Ereignissen. Und „unter der Oberfläche“ hatten die Leid tragenden Freienohler eine ungefähre Ahnung davon. Freilich auch aktenkundig ist beständig die Fürsorge+Seelsorge der bei uns in Freienohl lebenden Hiltruper Missionsschwestern. Darum gehört dies in den ersten Teil der Haupt-Überschrift.
Auch nach gründlichem Akten-Auskundschaften und Akten-Lesen ist nicht ganz und gar, nicht hundertprozentig aktenkundig genau formuliert, wer durch diesen narzisstischen Machtmissbrauch des Nazi-Regimes ermordet oder sterilisiert worden ist. Es kann auch sein, - das ist aber nicht nachweisbar -, dass gleich nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmte Akten entfernt worden sind, - auch aus nicht mit boshafter Absicht. Aber: Leidtragende gab und gibt es auch heute noch.
Das aufgezwungene Leid tragen zu können, dabei half die Fürsorge + Seelsorge der Hiltruper Ordensschwestern im Alten Schwesternhaus in Freienohl und in Verbindung mit dem Schwesternhaus in Oeventrop und in Verbindung mit dem Mutterhaus in Hiltrup selbst. Bei diesen Ordensschwestern ist wichtig: Fürsorge und Seelsorge sind eine untrennbare Einheit; dafür steht das Plus-Zeichen. Selbstverständlich: Seelsorge ist qualitativ etwas anderes und auch mehr als psychologische Beratung. Warum und weshalb, das lässt sich wohl nur erleben, hoffentlich auch wahrnehmen beim Lesen dieses Textes. Diese Einheit „Fürsorge+Seelsorge“ haben länger als im ganzen 20. Jahrhundert unsere – so dürfen wir dankbar sagen – Hiltruper Schwestern geleistet. Nach ihrem Ordensnamen, den sie anstatt ihres Taufnamens und Nachnamens und für ihr neues Leben tragen, kürzen sie sich ab mit MSC, auf deutsch: Missionarinnen, Missionsschwestern des Heiligsten Herzens Jesu.
Die benutzten Akten und Bücher können im Stadtarchiv Meschede im Alten Amtshaus Freienohl gelesen werden.
Die Vokabel „Narzisstischer Machtmissbrauch“ ist seit ein paar Jahren psychologische Fachsprache; darum wird das Adjektiv häufig groß geschrieben. Die Quelle:
Otto F. Kernberg (mit 31 weiteren Autoren): Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie; Schattauer V. Stuttgart, New York, 766 Seiten, 13 Abb., 19 Tab., € 39,95; ISBN 1397837945224115
Otto F. Kernberg: Wut und Hass. Über die Bedeutung von Aggression bei Persönlichkeitsstörungen und sexuellen Perversionen; Klett-Cotta V., Stuttgart, 390 S., ISBN 3-608-91743-8.
Internet: www.psychosoziale-gesundheit.net : Volker Faust: Macht und Machtmissbrauch aus psychologischer Sicht.
Narziss ist in der Mythologie der Mann, der Mensch, der sich in einem Wasserspiegel bewundert, der in sich selbst verliebt ist, der sich von anderen umworben fühlt, voll arroganten Stolz, die anderen nicht als wahr nimmt, oft mit einer Lanze in der Hand zum Zerstören, Töten, Morden.
Angemerkt seien die Wort-Ableitungen: Narzissmus, narzisstisch, Narzisst.
Erster Zeit-Einblick: eine Zeittafel
zur Geschichte des Nazi-Regimes, ausgewählt für den narzisstischen Machtmissbrauch, vereinfacht gleich am Anfang die Einblicke, die Hintergründe; nicht ausdrücklich auf Freienohl bezogen.
1933
30.1.: Adolf Hitler wird Reichskanzler
28.2.: Verordnung zum Schutz von Volk und Staat
24.3.: Ermächtigungsgesetz für Adolf Hitler
3.5.: Anerkennung der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) durch Hitler
10.5.: Gründung der Deutschen Arbeitsfront
14.7.: Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GVeN), in Kraft getreten 1.1.1934
27.7.: Reichsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschlands (NSV, Innere Mission / IM, DCV = Deutscher Caritas Verein, DRK = Deutsches Rote Kreuz (damit Unselbstständigkeit von IM, DCV, DRK u.ä.m.)
13.9.: Eröffnung des ersten NS-Winterhilfswerks (Einschränkung kirchl. Spenden)
28.11.: Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“, KdF (NS-Propaganda-Benutzung)
1.12.: Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat
1934
28.2.: Hilfswerk „Mutter und Kind“
1.3.: Aufruf zum ersten Reichsberufswettkampf
24.3.: Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschlands (unter Leitung der
NSV, Führerprinzip)
3.7.: Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (NS bestimmt Gesundheit)
2.8.: Tod Hindenburgs; Hitler vereinigt als „Führer und Reichskanzler“ die Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten auf seine Person
24.10.: Deutsche Arbeitsfront wird Einheitsorganisation
5.11.: Sammlungsgesetz (unterwirft jede öffentlich durchgeführte Spendenaktion staatlicher Genehmigung und behördlicher Aufsicht)
1935
18.1.: Dritte Verordnung über den vorläufigen Aufbau des deutschen Handwerks (macht selbstständigen Handwerksbetrieb von der Meisterprüfung abhängig)
30.1.: Deutsche Gemeindeordnung (Verankerung des Führerprinzips in der kommunalen Selbstverwaltung)
26.6.: Reicharbeitsdienstpflicht. - Gesetz zur Änderung des GVeN (u.a. Abtreibung bis 6. Schwangerschaftsmonat erlaubt)
15.9.: Nürnberger Rassengesetze (Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre)
18.10.: Ehegesundheitsgesetz
1936
25.6.: Vereinbarung der Deutschen Zentrale für freie Jugendwohlfahrt bezüglich offene Jugendhilfe (von der NSV zur Zurückdrängung der konfessionellen Verbände in der offenen Jugendhilfe benutzt)
1.12.: Hitlerjugend wird Staatsjugend (DJ = Deutsche Jugend: Jungen bis 14 J.,HJ ab 14 J., BDM = Bund Deutscher Mädchen). - Gesetz über das Winterhilfswerk (die konfess. Jugendverbände gehen in den Untergrund, verkleinern sich)
1937
14.3.: Enzyklika Papst Pius X!.: „Mit brennender Sorge“ (Original in deutscher Sprache; üblich ist sonst Latein als kirchliche Amtssprache)
23.5.: Arbeitsgemeinschaft der nichtkonfessionellen Anstalten für Körperbehinderte (zeigt mehr als Interesse der NSV an Fragen der Körperbehindertenfürsorge)
14.12.: Erlass des Innenministeriums zur Festnahme asozialer Personen und ihrer Einweisung in KZ (Konzentrationslager).
1938
13.3.: Anschluss Österreichs
13.6.: Aktion „Arbeitsscheu Reich“ (reichsweite Polizei-Razzia)
9.11.: Reichspogromnacht (sogen. „Reichskristallnacht“)
21.12.: Einbeziehung der Handwerker in die Rentenversicherung (Handwerker-Versicherungsgesetz)
1939
30.1.: Hitler „prophezeit“ „Vernichtung der jüdischen Rasse“
1.2.: Gesetz zur Änderung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (formalrechtliche Gleichschaltung der Jugendämter)
25.3.: Jugenddienstpflicht (regelt verpflichtenden Einsatz zur und der DJ / Deutsche Jugend u. HJ / Hitler.Jugend mit 10 J.)
18.8.: Erlass über Meldepflicht geistig bzw. körperlich behinderter Neugeborener („Kinder-Euthanasie“- insgesamt über 5.000 Ermordete)
Juli / August: Vorbereitung der Aktion T 4 zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ („Erwachsenen-Euthanasie“) (Zentrale:Berlin, Tiergartenstraße 4 = T 4; „Aktion“, um das Wort Euthanasie zu vermeiden, um den Sprachgebrauch zu verkürzen)
31.8.: Verordnung, wonach Zwangssterilisationen nur noch bei „besonders großer Fortpflanzungsgefahr“ vorgenommen werden sollten (führt in der Praxis zu einem tendenziellen Sterilisationsstopp aufgrund der kirchl. Verkündigungen). Bis zu 400 000 Menschen wurden ab 1934 zwangssterelisiert und mehr als 200 000 Menschen in Heim- und Pflegeanstalten ermordet.
1.9.: Angriff auf Polen - Beginn des Zweiten Weltkrieges
12.10.: Erste Juden-Deportationen aus Österreich und der Tschechoslowakei
Oktober: „Euthanasie-Befehl“ Hitlers (auf 1.9. zurückdatiert)
1940
Januar: erste Ermordungen von Patienten im Rahmen der Aktion T 4
Juli: „Sonderaktion“ im Rahmen von T 4: Tötung jüdischer Anstaltsinsassen ohne vorherige Begutachtung (ca. 1.000 Ermordete)
9.7.: Evangelische Denkschrift gegen Tötung „lebensunwerten Lebens“ (Autor: Paul Gerhard Braune)
1941
April: Beginn der Aktion 14 f 13 (Häftlingsselektionen, ca. 10.000 – 20.000 Ermordete)
22.6.: Deutscher Angriff auf UdSSR („Unternehmen Barbarossa“)
24.7.: Einbeziehung der Rentner in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung (damit ihre behördliche Einbeziehung in den „Luftschutz“ bei Bomben-Angriffen)
28.7.: Strafantrag von Bischof von Galen (Münster) gegen Mord an Geisteskranken
31.7.: „Endlösung“ der Judenfrage konzipiert
3.8.: Predigt von Bischof von Galen in der Lambertikirche zu Münster gegen die Krankenmorde (wird nach dem Krieg zur Belohnung: Kardinal)
24.8.: Einstellung T 4 („Euthanasie-Stopp“, bis dahin etwa 70.000 Ermordete). Weil sich in der Bevölkerung zunehmend Unruhe verbreitete. Die Busse: die „Grauen Busse“, die „Mordkisten“ erregten Aufsehen.
3.10.: Zwangsarbeit für Juden im Reich
14.10.: Erste Deportationsbefehle für Juden aus dem „Altreich“
Ende November: Beginn der „wilden Euthanasie“ (bis Kriegsende ca. 20.000 – 30.000 Ermordete)
1942
20.1.: Wannsee-Konferenz über Deportation und Ausrottung der europäischen Juden („Endlösung“)
16.3.: KZ werden dem SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt unterstellt
Anfang Juni: Beginn der Massenvergasungen in Auschwitz.
Nach Abbruch der „Aktion T 4“ starben Menschen durch systematische Vernachlassigung, durch Hunger, durch Gift in „Kinderfachabteilungen“.
1943
18.2.: Goebbels: „totaler Krieg“
19.8.: „Dekalog-Hirtenbrief“ der deutschen (kath.) Bischöfe
1944
6.6.: Landung der Alliierten in der Normandie
20.7.: Misslungenes Attentat des Offiziers von Stauffenberg auf Hitler
25.9.: Erlass über die Bildung des Volkssturms (erst am 18.10. bekannt gegeben)
Ende Oktober: Letzte Vergasungen in Auschwitz
26.11.: Himmler befiehlt Zerstörung der Krematorien in Auschwitz
1945
30.4.: Selbstmord Hitlers
7.5.: Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands in Reims
8.5.: Wiederholung der Unterzeichnung in Berlin-Karlshorst
5.6.: Alliierte übernehmen in Deutschland oberste Regierungsgewalt
Quelle: Josefs-Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Zwischen Fürsorge und NS-Ideologie, S. 127 ff mit zusätzlichen Anmerkungen.
Aktenkundige, auch politisch orientierte Einblicke in Freienohl
in den Jahren 1935 -1937
Die Reihenfolge im Text richtet sich zumeist nach den angegebenen Akten (AA), um dieses und jenes vielleicht Gekürztes oder Ausgelassenes privat zu ergänzen.
Akte AA 1091: Armen- und Wohltätigkeitsanstalten, Unterstützungen 1935 (bis 1948):
Am 6.12.1935 schreibt der Freienohler Bürgermeister an die Landesversicherungsanstalt Westfalen zu Münster:
„In der rund 2 500 Seelen zählenden Gemeinde Freienohl befindet sich ein von einer als Kinderhortnerin staatlich geprüften Ordensschwester geleiteter Kindergarten. Die Unterrichtserlaubnis ist seitens der Regierung zu Arnsberg erteilt. Träger der Einrichtung ist die Kirchengemeinde Freienohl. 90 Prozent der Bevölkerung von Freienohl besteht aus Industriearbeitern, welche, da keine Industrie am Orte besteht, ihren Verdienst auswärts suchen müssen. Freienohl hat eine Jahre lange Arbeitslosigkeit durchgemacht, welche weit über dem Reichsdurchschnitt lag. Politische Gemeinde und Kirchengemeinde sind daher sehr leistungsschwach. Der Kindergarten, dessen Einrichtung den Richtlinien des Landesjugendamtes entspricht, wird täglich von rund 100 Kindern besucht. Die Eltern dieser Kinder sind aber vielfach nicht in der Lage, das geringe Schulgeld zahlen zu können. Deshalb befindet sich die Leitung des Kindergartens in einer bedrängten Lage. Zur Zeit ist der Anstrich... Es fehlt daher...“ - Die Geld-Bitte und entsprechende Fortsetzung wird hier abgebrochen.
Akte AA 1090: Kinderbeihilfen für kinderreiche Familien: 1935 – 1939. Hier aus Arnsberg vom 23.3.1937 ein „Erbbiologischer Fragebogen über Anträge auf Gewährung von Kinderbeihilfen: Name und Wohnort des Haushaltungsvorstandes, Antragstellers... Dann linke Seiten-Hälfte: 3 Fragen; rechte Seiten-Hälfte: Antworten. - Die Fragen: (1) Sind in der Familie des Genannten Fälle von Erbschäden beobachtet worden? Welche und bei wem? (Erbschäden sind: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, manisch depressives Irresein, erbliche Fallsucht, erblicher Veitstanz, erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, schwere körperliche Missbildung oder schwerer Alkoholismus.) (2) Sind sonstige körperliche oder geistige Leiden oder Abnormitäten in der Familie vorgekommen? Evtl. welche und bei wem? Zu achten ist auf das Vorkommen von Krämpfen, Verkrüppelungen, Zuckerkrankheit, Tuberkulose, Rauschgiftsucht, Selbstmord, Zuchthaus wegen Sittlichkeitsverbrechens u.a.m. (Als Personenkreis kommt in Frage: Großeltern beiderseits, Eltern, Geschwister der Eltern und deren Kinder, eigene Geschwister.) (3) ist die Bestellung eines Pflegers nötig? Wer wird als solcher vorgeschlagen?“ Anmerkung: die Angaben in nicht Kursiv-Klammern sind aktenkundig.
An diesem Termin vom „Erbbiologischen Fragebogen“ war in Freienohl wahrscheinlich der 21. März 1937 mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. noch nicht (so) bekannt; dazu siehe weiter unten.
Ab hier werden aktenkundige Freienohler Namen zitiert, deren Angehörige jetzt noch leben: Wer historisch, geschichtlich korrekt denkend, bedachtsam und geruhsam, empathisch und fair weiterlesen möchte: bitte! Wer meckern, laut oder leise tuscheln, sich lustig machen möchte: höre bitte auf zu lesen! Höflichkeit bleibt Höflichkeit!
„Streng vertraulich!“
Akte AA 1090: Politisches Führungszeugnis: Formular, Antrag auf Kinderbeihilfe: „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Gauleitung Westfalen Süd. Arnsberg, 22.9.1937. Politisches Führungszeugnis Darüber handschriftlich: Persönlich! Streng vertraulich! Franz Raulf, Arbeiter, Freienohl, Alter Weg 103 - Vorgedruckt: Oben Genannter bietet nach den bisherigen Feststellungen nicht (unterstrichen und mit Abstand geschrieben) die Gewähr, sich für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen. Begründung: (Maschine geschrieben) Franz Raulf war im November 1918 einer der Hauptmacher der SPD. Als er bei der SPD nicht vorwärts kam, ging er zum Zentrum (damals die Partei „der“ Katholiken). Hier unterstützte er seinen Bruder Wilhelm Raulf, der Vorsitzender der Zentrumspartei war. Raulf ist ein verschlossener Charakter, der heute seine Denkungsart nicht merken lässt. - Heil Hitler! Dr. Teipel Kreisleiter“
Akte AA 1090: Am 11.9.1939: Antrag wie oben, von Arnsberg an Freienohl, nur ohne „Politisches Führungszeugnis“ und ohne das oben Vorgedruckte: „Oben Genannter... einzusetzen. Begründung“. Dann: „Antrag des Kaufmanns Adolf Toenne, Freienohl, Krumme Str. 52, auf Gewährung der einmaligen und laufenden Kinderbeihilfe. Unter Bezugnahme auf die oben genannte Anfrage teile ich Ihnen mit, dass ich die politische Beurteilung aus dem Jahre 1938 über Toenne noch voll und ganz aufrecht erhalte; denn derselbe hat bis jetzt noch nicht bewiesen, dass er den nationalsozialistischen Staat bejaht. Der Antrag ist zunächst wieder auf 1 Jahr zurückzustellen. - Heil Hitler! Unterschrift nicht lesbar.
Noch ein früherer Einblick: Im Jahr 1929
Die wenigen Freienohler, die im Alten Amtshaus arbeiteten, die einlaufende Post aktenkundig machten (für das Freienohler Archiv heutzutage) haben auch diesen Ausschnitt aus der Rede von Adolf Hitler auf dem Nürnberger Parteitag gelesen: „Wenn in Deutschland jährlich eine Million Kinder geboren und gleichzeitig 700 000 bis 800 000 der Schwächsten beseitigt werden, wäre das im Endergebnis eine Kräftesteigerung.“ -
Erste deutliche Zeichen für den narzisstischen Machtmissbrauch des Nazi-Regimes.
Die meisten Freienohler werden diese Rede nicht gekannt, nicht wahr genommen haben.
Wahrscheinlich nicht zu lesen oder nicht zu hören bekamen diese Rede die Hiltruper Ordensschwestern, die 100 Meter weiter im Alten Schwesternhaus an der Hauptstraße lebten und oben im ersten Stock in ihrer Kapelle beteten und in Freienohl ihre ordensspezifische Fürsorge+Seelsorge leisteten.
Mit dieser Arbeit waren von ihrer Ordens-Provinz-Leitung in Hiltrup bei Münster betraut; in Klammern stehen die aktenkundigen Daten ihrer Tätigkeit und die Aktennummer:
Sr. Ubalda MSC geb Therese Scholand (7.2.1929, 1930; AA 1748);
Sr. Xaveris MSC, geb. Maria Geueke am 15.5.1896 in Werpe / Meschede, am 9.9.1930 von Kierdorf / Euskirchen nach Freienohl, am 25.8.1932 von Freienohl nach Hiltrup;(3.10.1930, AA 1103; 1931, AA 1748);
Sr. Burcharda MSC, geb. Josefa Kremer; in Freienohl von Mai 1935 bis April 1937; (26.9.1933, 26.11.1933, AA 1748; 18.2.1935, AA 1806; 21.6.1935, AA 1106; 6,7,1935, AA 1806: 27.5.1936; 4.9.1936; 14.4.1937):
Sr. Irmfrieda MSC geb. Hedwig Pies (5.9.1933, AA 1748; 14.7.1934: AA 1806).
Es ziemt sich aus Dankbarkeit, ihre Namen zu unterstreichen!
Mit diesen Fürsorge+Seelsorge-Schwestern im Hiltruper Schwesternhaus in Oeventrop bestand aktenkundiger Kontakt: Sr. Bonifatia MSC : 1.3.1936: AA 1806 (auch vor 1936). - Mit Sr. Lidwina MSC geb. Jakob am 12.02.1902 in Hilkerde, vom 19.2.1931 bis zum 7.10.1933 in Oventrop. - Mit Sr. Antonia MSC geb. Simon am 30.3.1895 in Büren, von 1933 von Dormagen nach Oeventrop. - Sr. Katharina MSC geb. Stettner am 14.10.1908 in Müdesbach, vom 12.2.1932 von Hiltrup nach Oeventrop, am 23.10.1932 nach Oeventrop.
Im Freienohhler Konvent der Hiltruper Schwestern lebten noch mehr Mitschwestern, die freilich andere Aufgaben hatten.
Ob in den Jahren 1929 bis 1937 die Fürsorge+Seelsorge der Hiltruper Schwestern in Freienohl durch das NS-Regime - etwa durch Mitglieder der NSDAP (National-Sozialistischen-Deutschen-Arbeiter-Partei) in Freienohl – behindert worden ist, ist nicht aktenkundig, vielleicht wohlweislich. - Die entscheidenden Gesetze des NS-Regimes gab es erst später: 1933, 1934, 1935, 1939 (s.u. und s.o. Zeit-Tafel).
Die Überschriften der Akten mit ihren Jahres-Angaben im Freienohler Archiv umfassen den Inhalt der Krankenfürsorge. In den sogen. „Generalakten“ sind gesammelt die Erlasse „von oben“, von Berlin, Münster, Arnsberg. In den anderen Akten sind die kranken Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen mit Namen und einigen Daten aufgelistet; manchmal steht auch die Fürsorge leistende Ordensschwester dabei. Selbstverständlich sind für Freienohl die den Kranken umgebende Familie und die Nachbarn. Nicht unwichtig ist die damals anders gewichtete Benennung. Also: Fürsorge und Anstaltspflege der Geisteskranken, Idioten, Epileptiker, Blinden und Taubstummen, Krüppel-Fürsorge. Und: die NS-Bewertungen: arisch / nicht-arisch, lebensunwert taucht hier noch nicht auf.
Die ins Kinderheim auf der Nordseeinsel Norderney zur Erholung geschickten Freienohler Kinder, für 10 oder 14 Tage, auch für 3 Wochen, sind in den Akten namentlich aufgeführt, hier nicht. Um das – so sagte man damals – Verschicktwerden kümmerten sich vor allem auch unsere Hiltruper Schwestern. Die Reisebegleitung wurde von der Bürgermeisterei organisiert.
Als Nebenbemerkung ein Fahrplan von 1934: Ab Norderney mit Sonderdampfer: 9.00 Uhr; ab Norddeich mit Kindersonderzug (nicht nur Freienohler Kinder): 10.48 Uhr; an Hamm 15.34 Uhr; ab Hamm mit E 184: 16.34 Uhr; an Schwerte 17.06 Uhr; ab Schwerte mit P 617: 17.32 Uhr; an Fröndenberg 17.55 Uhr; an Neheim-Hüsten 18.28 Uhr; an Arnsberg 18.41 Uhr; von Arnsberg nach Freienohl auch mit PKW. - Ein Fahrplan von 1936: Ab Bahnhof Freienohl 7.38 Uhr; ab Arnsberg 7.48 Uhr; ab Neheim -Hüsten 7.56 Uhr; ab Fröndenberg 8.19 Uhr; an Schwerte 8.35 Uhr; an Hamm 9.22 Uhr; ab Hamm Kiz 2007: 10.23 Uhr; an Norderney 16.00 Uhr. - Erwähnenswert: für die Hinfahrt sind alle Kinder namentlich genannt. Für die Rückfahrt nicht. „Man sagt“, nach 1935, 1936 seien „aus gesundheitlichen Gründen“ nicht mehr alle Kinder zurück gekommen. Die Freienohler Sterbelisten geben dazu keine korrekte Auskunft. Und – für den Zähler der Kur-Kinder im Laufe der Jahre – nach 1935 fahren deutlich weniger Kinder zur Kur, als ob Eltern und Fürsorgeschwestern im Zusammenhang mit dem NS-Regime Verdacht hatten... Zur Erinnerung: den Zweiten Weltkrieg mit seinen Bomben-Angriffen gab es noch nicht.
Aktenkundig sind diese Freienohler Behinderten
und damit die Fürsorge+Seelsorge der Ordensschwestern:
In der Textfassung ist bei der inhaltlichen Reihenfolge das zitierte Nacheinander der Akten maßgeblich.
Freienohler Behinderte
Eine Akte von 1903 (AA 2191): zwei Listen, ohne Namen: „Verkrüppelte“ in diesen Gemeinden: Altenhellefeld, Breitenbruch, Dinschede, Freienohl, Grevenstein, Hellefeld, Herblinghausen, Linnepe, Meinkenbracht, Rumbeck, Uentrop, Visbeck, Westenfeld. Hier nachfolgen nur Freienohl.
Die erste Liste: Verkrüppelte unter 16 Jahre:
Alter in Jahren: unter 2 J. = 1; 6 -7 J. = 1; 12 – 13 J. = 1; zusammen = 3. Geschlecht: männlich = 2; weiblich = 1. Konfession: evangelisch = 0; katholisch = 3: israelitisch = 0; andersgl. = 0. Geistig: gesund = 3; nicht gesund = 0. Unterricht: noch nicht schulpflichtig = 1; Schulunterricht = 2; besonderer Unterricht = 0; kein Unterricht = 0. Ursachen: angeboren = 2; Rachitis = 0; Skrofulose = 0; andere Krankheiten = 1; Unfall = 0; Ursache unbekannt = 0. Art der Verkrüppelung: fehlt Arm oder Hand = 0; fehlt Bein oder Fuß = 0; fehlt mehr als 1 Glied = 0.
Die zweite Liste: Verkrüppelte über 16 Jahre:
Geschlecht: männlich = 4; weiblich = 8; zusammen = 12. Konfession: evangelisch = 0; katholisch = 12; israelitisch = 0; andersgläubig = 0. Geistig: gesund = 12; nicht gesund = 0. Unterricht: 12 (nicht weiter differenziert). Ursachen: angeboren = 9; Rachitis = 0; Skrofulose = 1; andere Krankheiten, Überanstrengung = 0; Unfall = 1; Krieg = 0; Ursache unbekannt = 1. Art der Verkrüppelung: fehlt Arm oder Hand = 0; fehlt Bein oder Fuß = 0; fehlt mehr als ein Glied = 0; Arm oder Hand verstümmelt oder verkrüppelt = 1; Bein oder Fuß verstümmelt oder verkrüppelt = 4; mehr als ein Glied verstümmelt oder verkrüppelt = 1; Glieder steif oder verkürzt oder beides = 1; Verkrümmungen = 5.
Einwohnerzahlen von Freienohl: 1895 = 1529; 1903 = 1767; 1905 = 1832.
1903: Hausväter: ev. = 0; kath. = 309; jüd. = 3.
1903: schulpflichtige Kinder: ev. = 0; kath. = 398; jüd. = 2.
Akten 1103 und 1104: 1897 – 1951: Taubstumme, Blinde, Krüppel im Amt Freienohl; V=Vater;Abschrift-Beginn 1.2.1922; hier nur aus der Gemeinde Freienohl:
Einleitend: Beschluss der Freienohler Politiker: Gemeinde-Versammlung vom 1. Juli 1927, TOP 2: „Die hiesigen Ordensschwestern erhalten für die Ausübung der ambulanten Krankenpflege vom 1.4.1927 ab eine jährliche Entschädigung von 400 RM.“ (AA 1070)
Feldmann, Mathilde, Krüppel, geb. 20.10.1896 in Freienohl.
Klauke, Emil, Krüppel, geb. 16.8.1893 in Freienohl.
Kerstholt, Maria,Krüppelkind, geb. 28.2.1908, V: Karl Kerstholt; doppelte Verrenkung des Hüftgelenks.
Latzer, Elisabeth, geb. 22.11.1908 in Freienohl, V: Franz Latzer; paralytischer Klumpfuß, im Josefs-Haus in Lipperode; Familie Latzer (21.3.1924): 7 Kinder von 5 bis 20 J.; V ist Heizer in der Zellstoff-Fabrik in Wildshausen; V kann monatlich 5 RM für seine Tochter Elisabeth bezahlen; Ehefrau seit 2 ½ Jahren kränklich u. Bettlägerig; Sohn Josef 20 J., Handlanger; Sohn Franz 19 J., erwerbslos; Tochter 17 J., besorgt den Haushalt; Tochter, letzten Ostern aus der Schule entlassen, seither zu Hause; Tochter 13 J.; Tochter 10 J. schulpflichtig.
Kordel, Käthe, Krüppelleiden, Kinderlähmung, orthopäd. Schuhe ärztlich empfohlen.
Klemm, Elisabeth, geb. 8.4.1908 in Freienohl, V: Franz Klemm, Freienohl Nr. 98 (alte Hausnummer), Alte Wiese; am 13.8.1908 (!) überfahren mit einem schweren Lastwagen: linken Arm verloren, 10 cm langer Stumpf ist vorhanden; nach der Schulzeit zunächst arbeitslos, dann Schreibmaschine und Stenographie gelernt (einhändig); seit September 1923 als Bürogehilfin an der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Freienohl; benötigt nach ärztlichem Attest einen künstlichen Carnes-Arm, notwendig, um ein Schiefwachsen zu verhindern, dafür werden Beschaffungskosten beantragt; die Eltern leisten einen Beitrag, auch die (polit.) Gemeinde Freienohl; die Behörden in Münster, Landeshauptmann und Wohlfahrtsamt Arnsberg lehnen einen Beitrag ab; am 21.8.1924 gewährt Arnsberg einen Zuschuss von 150 RM, Gesamtkosten 192 RM; Lieferung des Arms 1.12.1924.
Klauke, Maria aus Freienohl, V : Josef Klauke; Maria ist am 10.9.1926 in die Elisabeth-Klinik in Bigge als Krüppelkind aufgenommen worden; beide Hohlfüße; Sehnenverpflanzung; am 12.1.1928 als geheilt entlassen (s.u.; hier wegen Akten-Inhalt).
Koßmann, Heinrich, Krüppelkind, geb. 6.8.1926 in Freienohl, beiderseitige Klumpfüße, V : Heinrich Koßmann, Freienohl Nr. 166, Alter Weg; 6 Kinder; V beantragt am 12.10.1926 Fahrgeld usw. nach Münster, um dort sein Kind in der Hüffer-Klinik behandeln zu lassen aufgrund des ärztl. Gutachtens von Dr. Dehen, Freienohl, und von Dr. Boergershausen, Arnsberg; Gemeindebeschluss vom 22.11.1926: ein Drittel der Kosten übernimmt die Gemeinde; der Landesverband, Abt. Krüppel-Fürsorge in Münster: am 30.12.1926: die Behandlung soll in Bigge durchgeführt werden in der Elisabeth-Klinik des Josefshauses; Einlieferung bis spätestens 26.2.1927; sie erfolgt am 24.2.1927.
Beule, Josef, Krüppelkind, geb. 18.1.1923 in Freienohl; V : Schneidermeister Karl Beule; am 23.2.1927: erhält 1 Paar Schuhe, angefertigt vom Schuhmachermeister Feldmann in Freienohl , bezahlt von der Gemeinde: 46 RM (s.u.; hier wegen Akten-Inhalt).
Koßmann, Kind Hubert, in Freienohl, V : Fritz Koßmann; das Kind bedarf wegen Verbrennungen der operativen Behandlung in Bigge, so Dr. Dehen am 16.5.1927; Hubert war nicht in Bigge, sondern in Arnsberg zur Behandlung; am 25.9.1927 wieder zu Hause: „Bis auf weiteres bedarf der Pflegling sorgfältiger Überwachung durch die örtliche Fürsorgestelle. Das Kind ist geheilt.“
Klauke, Maria, Krüppelkind, Freienohl, Tochter des Maurers Josef Klauke, wird am 31.3.1928 aus der Schule entlassen; zur Berufsausbildung sollte sie in eine Anstalt; Münster schreibt am 22.2.1928, dass eine Unterbringung z. Zt. nicht möglich ist, „da sämtliche Krüppel-Heime bis auf weiteres voll belegt sind. Es empfiehlt sich deshalb um die Beschaffung einer Lehrstelle in der Heimat bemüht zu sein, zumal das Leiden des Mädchens nicht so schwerwiegender Art ist, dass unbedingt Anstalts-Ausbildung erfolgen muss. Zur Zahlung einer Beihilfe eventuell bereit.“ Der Landesfürsorge verband, Krüppelfürsorge, am 20.3.1928: Maria Klauke kann sofort im Josefshaus in Lipperode aufgenommen werden, bis spätestens 30.3.1928. Vater Klauke hat am 6.6.1928 seine Tochter wieder aus der Anstalt nach Hause geholt, weil er angeblich eine Lehrstelle bei einer Meisterin Fräulein Feldmann in Freienohl gefunden hat. So Münster. - Heimweh?
Das Gesundheitsamt Arnsberg lässt zum 18.10.1928 um 17 ¼ Uhr im Hotel zur Krim in Arnsberg, Altermarkt-Straße zur gesetzlich vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchung die im Kreis lebenden Krüppel mit ihrer Fürsorgerin kommen. Hier nur aus Freienohl aufgeführt: Katharina Kordel, Tochter von Theodor Kordel; Heinrich Koßmann, Sohn von Heinrich Koßmann; Hubert Koßmann, Sohn von Fritz Koßmann; Maria Klauke, Tochter von Josef Klauke; Josef Beule, Sohn von Karl Beule.
Am 18.10.1928 notiert Fürsorgeschwester Bonifatia MSC von der Krüppeluntersuchung (hier nur Freienohl): Hubert Koßmann: die Verbrennung ist ausgeheilt. Josef Beule: muss in Bigge Schuhe machen lassen.
Der Kreiswohlfahrtsverband, das Fürsorgeamt Arnsberg am 29.5.1929 an die Gemeinden: „Der Kreis beabsichtigt, sämtlichen völlig Erblindeten einen Radioapparat zu bewilligen. Fehlanzeige ist erforderlich.“
Die Fürsorgeschwestern Sr. Ubalda MSC und Sr. Xaveris MSC notieren zum Kind Josef Beule: geb. 18.1.1923 in Freienohl; Vater Karl Beule, geb. 15.8.1873 in Förde, Schneider, verheiratet, aus zweiter Ehe mit Berta geb. Montag; 5 Kinder: Hildegard geb. 20.7.1920, Karl geb. 24.12.1921, Werner geb. 15.9.1926, Paula geb. 14.5.1927; wohnt zur Miete Bettenhelle Nr. 204; außerordentlich geringes Einkommen; kleine Aufbesserung durch das Amt des Kirchenschweizers und durch Zeitungaustragen; einziger Sohn aus erster Ehe arbeitet bei der Reichswehr und ist zur Unterstützung seines Vaters nicht in der Lage. Das Kind Josef soll zur Behandlung, Aufnahme in Bigge dort bis zum 21.6.1929 erscheinen. Erste Anzeichen im 1. Lebensjahr am linken Fuß starke Klumpfußbildung. - Am 19.9.1929 ist dort die Behandlung nach Operation abgeschlossen; eine gute Fußstellung ist erzielt worden. - 1932: Vater Beule erhält laufend Unterstützung von der Gemeinde.
Zur Krüppel-Untersuchung in Arnsberg am 14.11.1930 um 17.45 Uhr begleitet aus Freienohl Fürsorgeschwester Sr. Xaveris MSC : Katharina Kordel, Paul Hecking, Josef Beule.
Am 3.10.1930: Fürsorgerin Sr. Xaveris MSC hält fest:
Paul Hecking: pathologische Hüftverrenkung: vorläufig ist keine weitere Behandlung notwendig. (s.u.: 4.8.1933)
Friedrich Bräutigam nimmt regelmäßig Lebertran und wird massiert; ein Antrag zur Unterbringung in Bigge ist gestellt (s.u.; hier wegen Akten-Inhalt).
Klauke, Hildegard, geb. 13.5.1923 in Freienohl (Text vom 27.3.1926!), Vater Ewald Klauke, Freienohl, Hildegard leichter Schiefhals, ist seit 15.4.1926 im Krüppel-Heim in Bigge, Elisabeth-Klinik; V ist Notstandsarbeiter und kann keinen Beitrag leisten; bei der Vorstellung des Kindes in Bigge hat die Ärztin Dr. Hachez das Kind sofort behalten zur ärztlichen Behandlung; das Kind wird am 2.10.1926 als geheilt entlassen, trägt vorläufig einen Kopfhalter zur Verhütung eines Rückfalls; das Kind wird vom 6.4. - 1.5.1927 in Bigge noch einmal behandelt; auch am 27.8.1927: es sei aber möglich, dass eine stationäre Behandlung später nochmals notwendig ist
Aus der Akte 1103 wird in der vorliegenden Reihenfolge abgeschrieben.
Am 9.6.1928 schreibt Fürsorgerin Sr. Ubalda MSC an den Kreismedizinalrat Dr. Börgershausen in Arnsberg. Das Kind Hildegard Klauke, Tochter der Eheleute (neue Wortwahl!) Ewald Klauke, in Freienohl Nr. 233, Mittelstraße, ist taubstumm.
Am 17.8.1928: Dr. Dehen: Hildegard Klauke ist wegen Tuberkulose der Halswirbelsäule und tuberkulosen Mittelohrkattarhs mit hochgradiger Schwerhörigkeit nicht schulfähig. Eine Unterbringung in eine Schwerhörigen-Schule wird weiterhin in Betracht zu ziehen sein.
Ihre Eltern: Ewald Klauke, Erdarbeiter, und Josefa geb. Krick zu Freienohl; ohne jedes Vermögen; Mutter Josefa ist 1926 gestorben an Tuberkulose; ihre Heirat mit 24 Jahren, seine Heirat mit 21 Jahren: sie sind nicht blutsverwandt. Kind Hildegard geboren mit 25 Jahren der Mutter.
Münster, am 5.11.1928: „Die Taubheit von Hildegard ist im ersten Lebensjahr im Anschluss an einen beiderseitigen Mittelohrkattarh bemerkbar geworden mit Tuberkulose der Halswirbelsäule. Vielleicht ist es zweckmäßig, dass das Kind vor der Aufnahme in eine Taubstummenanstalt eine Heilstättenbehandlung mitmacht.“
Medizinalrat Dr. Börgershausen in Arnsberg empfiehlt eine Sol-Badekur in einem Kinder-Krankenhaus.
Am 20.12.1928: die Gemeinde Freienohl beteiligt sich bei den Kosten.
Münster, am 15.10.1929: Die Schulpflicht des Kindes Hildegard Klauke beginnt Ostern 1930. Es wird beabsichtigt, Hildegard in die Provinzial-Taubstummen-Anstalt in Büren zu überweisen.
Am 24.4.1930: Hildegard ist in Büren aufgenommen. In Büren ist sie am 7.1.1931 gestorben. Zweite Heirat des Vaters. Hier Akte 1107, ab dem Jahr 1932:
Hildegard Klauke: geb. 13.5.1923 in Freienohl; Eltern: Ewald Klauke, erste Ehe mit Josefa Krick, gest. 1926; zweite Heirat: mit Wilhelmine geb. Dohle. Geschwister von Hildegard: Elisabeth geb. 10.1.1922; Werner geb. 13.5.1923 (Zwilling von Hildegard? In der Akte so nicht notiert); aus zweiter Ehe: Ferdinand geb. 26.4.1927; Heinz geb. 12.10.1929; Hugo geb. 27.10.1931; Friedrich geb. 27.8.1933.
Zum Kind Heinrich Koßmann: 4 Jahre jung. Am 1.7.1930: der Vater ist seit längerer Zeit krank, er wird z. Zt. von der öffentlichen Fürsorge unterstützt und kann zu den entstandenen Kosten keinen Beitrag leisten. Das Kind Heinrich Koßmann kann sofort, spätestens bis zum 17.10.1930 in der Elisabeth-Klinik in Bigge aufgenommen werden. Am 23.12.1930 wird er zur ambulanten Behandlung (Weihnachten!) beurlaubt; am 31.12.1930 wieder aufgenommen.
Freienohl, am 13.1.1931: Friedrich Bräutigam, geb 3.6.1921 in Freienohl, Bergstr. 14; Volksschüler. Art des Leidens: schief gewachsen; Ursache: Skrofulose. - Eltern: Fritz Bräutigam, Freienohl, Mutter: Anna geb. Lenze; Geschwister: Werner Bräutigam, geb. 3.6.1926. - Vater hat bei der Reichsbahn am 9.3.1929 einen Unfall erlitten; lange Zeit völlig erwerbsunfähig; etwas Holzhandel. Familie kann die Behandlung von Friedrich B. nicht unterstützen; er soll, muss zur Korrektur einer Schulter nach Bigge; Überführung dorthin am 26.2.1931. - Am 20.3.1931 zur ambulanten Behandlung beurlaubt. - Am 24.4.1931: Friedrich B. Nimmt regelmäßig an den Turnübungen teil. Eine Kräftigung der Rücken-Muskeln ist bereits erreicht. Stationäre Behandlung ist vorläufig noch notwendig. - Am 31.5.1931 nach Behandlung aus Bigge entlassen; bedarf weiterhin sorgfältiger Überwachung.
Aufforderung am 16.6.1931: Die Untersuchung seitens des Amtsarztes ist am 16.7.1931 um 17.30 Uhr im Rathaus Arnsberg für (hier nur Freienohler genannt): Katharina Kordel, Josef Beule, Friedrich Bräutigam, Karl Kremer.
Am 31.12.1929: Karl Kremer, geb. 18.9.1913 in Freienohl, Stuhlbauer-Lehrling, leidet an Tuberkulose des rechten Fußes. Zur klinischen Behandlung im St. Josef-Stift in Sendenhorst; Eintreffen bis zum 28.1.1930; ist erfolgt. Vor einigen Wochen ist ein Gipsverband angelegt worden. Bei weiteren Fortschritten der Heilung kann in etwa vier Wochen eine Hülse angefertigt und der Patient beurlaubt werden. Geschieht am 16.12.1930. In 2 Monaten Bericht nach Sendenhorst. - Am 9.3.1931: Karl Kremer kann gut laufen, hat nur leichten Druck der Einlagen an der Außenseite. - Zum 22.6.1931 Bestellung zur Nachuntersuchung nach Sendenhorst. - Am 26.6.1931: Karl Kremer wird aus Sendenhorst als geheilt entlassen. - Am 31.7.1931: er erhält zur Überwachung ein Heft zum Eintragen. - Am 30.10.1932: „abgeheilter“ (d.h.: geheilter) Tuberculsoe-Fuß; keine weitere Behandlung.
Am 13.12.1931: Katharina Kordel, geb. 2.11.1916, Tochter des Maurers Theodor Kordel. Der Vater ist nicht geneigt (Zeit üblicher Stil, keine moralische Wertung), für seine Tochter eine weitere Behandlung zu genehmigen. - Gründe, Einzelheiten der Behinderung sind nicht aktenkundig.
Es folgt – weiterhin Akte 1104 – die Auflistung zumeist schwachsinniger Behinderter in besonderer Fürsorge und auch mit Ortsangabe Anstaltspflege; die Jahreszahlen weisen auf den aktenkundigen Befund hin. Hier sind nur die erste und letzte aktenkundige Jahreszahl genannt. In der „Zwischenzeit“ können, müssen die Betreffenden nicht in der Anstalts-Pflege gelebt haben.
Wichtig ist auch für das Thema dieses Kapitels die dankbare Erinnerung an die Vorgängerinnen der oben namentlich genannten Hiltruper Ordensschwestern; sie waren die Fürsorgerinnen+Seelsorgerinnen unserer Freienohler Behinderten!
Die Akte 1104 beginnt mit dem Jahr 1897.
Heinrich Düring, Marsberg, 1897, 1898, Dorsten: Maria Lindenhof 1899, 1916
Maria Feldmann, Marsberg,1897,1943
Christina Spindeldreher, Marsberg,1897, 1899, 1913
Maria Mester, Büren, 1897
Wilhelmine Kehsler, Marsberg, 1897, 1899,
Theresia Pöttgen, Eickelborn, 1898
Adam Mester, Büren, 1898,, 1899, 1913
Maria Kehsler, verheir. Johann Kehsler, Münster, 1903, 1911
Margaretha Göckeler, Eickelborn, 1910, 1923, 1943 (Siehe „Armen-Pflege; 4.6.1910“)
Friedrich Neise, Warstein, 1911
Friedrich Kehsler, Marsberg, 1911, 1912
Johanna Schrage, geb. 15.7.1906; 1913
Hubert Klasmeier, geb. 15.5.1909; seit 1919 in Marsberg, 1931
Maria Schulte, 1921, 1923
Johannes Stirnberg, 1923, 1930
Hubertus Stirnberg, geb. 13.11.1914, V = Heinrich Stirnberg, Bahnwärter, Bergstr. 87, Marsberg, 1922, 1943
Elisabeth Klauke, geb. 5.11.1897; Warstein 1923, 1943
Theresia Koßmann, Warstein, 1923,1930
Elisabeth Latzer, 1924
Maria Klauke, 1925
Heinrich Stirnberg, 1927, 1931
Maria Spieler, 1927, 1943
Hildegard Klauke, 1927
Heinrich Koßmann, 1927
Joseph Klauke, geb. 22.3.1922, V = Heinrich Klauke, Pflasterer, Mittelstr., 1929,1930
Hubert Pieper, geb. 8.6.1922, V = Josef Pieper, Schachtmeister, Bettenhelle, 1929, 1930
Theresia Kerstholt, geb. 1.11.1918, V = August Kerstholt, Holzarbeiter, Hauptstr., 1929
Johanna Klauke, geb. 13.8.1917, V = Heinrich Klauke, 1929
Ludwig Pieper, geb. 2.3.1916, V = Josef Pieper, 1929
Johannes Trompetter, geb. 19.1.1917, StiefV = Franz Gerasch, Breiter Weg, 1929
Maria Eickhoff, geb. 25.10.1915, V = Fritz Eickhoff, Fabrikarbeiter, Hinter den Höfen, 1929
Antonia Feldmann, geb. 5.7.1918, V = Adolf Feldmann, Schreinermeister, Am Hügel, 1929, 1930
Paula Geihsler, geb. 4.4.1917, V = Theodor Geihsler, Bettenhelle, 1929
Norbert Stirnberg, geb. 20.3.1919, Vater = Heinrich Stirnberg, 1929, 1930
Johanna Mester, geb. 6.1.1922, V = Adam Mester, Fabrikarbeiter, Krumme Str., 1930
Hedwig Molitor, geb. 20.6.1924, V = August Molitor, Waldarbeiter, Rümmecke, 1930
Maria Storm, 1930, 1950
Hubert Neise, 1930, 1943
Franziska Demmel, 1930, 1946
Josef Schwarzfärber, 1930, 1950
Ursula Margarete Hellmann, geb. 22.9.1943, blind und taubstumm... Hier in der Liste aufgenommen, weil dieses Kind vom NS-Regime nicht wahrgenommen werden konnte, dank …?
Zwischenbemerkung: In der Akte 1105 geht es um die Errichtung einer Provinzial-Irren-Anstalt bei Freienohl in der Bremke im Jahr 1902; die kam nicht zustande.
Die nächste Akte 1106 umfasst die Jahre 1932 – 1938.
Unbedingt notwendig ist an dieser Zeit-Stelle die
inhaltliche Bekanntmachung mit der NS-Gesetzgebung!
Erinnert sei an den Auszug der Rede von Adolf Hitler im Jahr 1929, - siehe oben.
Am 14. Juli 1933 verkündet Adolf Hitler das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das tritt in Kraft am 1. Januar 1934.
Ausschnitte sind hier zitiert:
§ 1 (1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. (2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher Missbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet. … § 3 Die Unfruchtbarmachung können auch beantragen 1. der beamtete Arzt, 2. für die Insassen einer Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt oder einer Strafanstalt der Anstaltsleiter... § 7 (1) Das Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht ist nicht öffentlich. … (www.documentArchiv.de)
Auch hier sei daran erinnert: Weil diese amtlichen Texte in den Freienohler Archiv-Akten gewiss einige Amtsträger kannten, ist auch möglich, dass sich manche Inhalte in der Gemeinde herumgesprochen haben. Gemeint sind diese Akten: 1106, 1805, 1806.
Selbstverständlich gab es für die Freienohler auch andere Quellen.
Für die Lebens-Praxis ist – auszugsweise - dieser Runderlass vom 3.10.1934 konkret:
„Der Kreisarzt wird von Fall zu Fall zu prüfen haben, ob es zweckmäßiger ist, den Unfruchtbarzumachenden (neue Vokabel!) zur Untersuchung zu sich zu bestellen oder die Untersuchung an dessen Wohnort vorzunehmen. Eine Untersuchung am Wohnort des Unfruchtbarzumachenden bietet den Vorteil, dass der Kreisarzt dann vielfach auch die Familienangehörigen des zu Untersuchenden kennenlernt und dabei von ihnen Eindrücke gewinnen und Auskünfte erhalten kann, die ebenso wie etwaige Auskünfte des Arbeitgebers, der Arbeitsgenossen usw. des Unfruchtbarzumachenden für die Bildung seines ärztlichen Urteils von Bedeutung sind...“
Für den folgenden Auszug ist das kleine Wörtchen „arisch“ wichtig. Ein vor allem in der NS-Zeit wichtiger rassenkundlicher Wortgebrauch; hier sei nur stichwortartig notiert: die Deutschen sind Arier, arisch, - die Juden, Sinti und Roma nicht.
Aus den „Richtlinien“ vom „Reichsbund der Körperbehinderten (R,B.K.) e.V.“, 1935:
„Grundsätzliches. Der R.B.K. Ist die Gemeinschaft aller arischen Körperbehinderten. Zu ihm gehören alle von Geburt, durch Krankheit, durch außergeburtliche Verletzung oder sonstige Unfälle körperlich Behinderten... Nicht zu den Körperbehinderten zählen die geistig Anormalen, auch wenn bei ihnen eine Behinderung im Sinne dieser Richtlinien vorliegt... Der R.B.K. baut seine Arbeit ausschließlich auf nationalsozialistischen Grundsätzen auf... Eine konfessionelle Betätigung treibt der R.B.K. nicht...“
Hierzu gehört das „Blutschutzgesetz“ als Bestandteil der „Nürnberger Gesetze“: „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15.9.1935. Aus der Einleitung:
„Durchdrungen von der Erkenntnis, dass die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes ist, und beseelt von dem unbeugsamen Willen, die Deutsche Nation für alle Zukunft zu sichern, hat der Reichstag einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: § 1 (1) Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sind verboten. Trotzdem geschlossene Ehen sind nichtig, auch wenn sie zur Umgehung dieses Gesetzes im Ausland geschlossen sind... § 2 Außerehelicher Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist verboten. § 3 Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt nicht beschäftigen...“ (www.documentArchiv.de)
Auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1935 kündigte Adolf Hitler gegenüber dem Reichsärzteführer Gerhard Wagner an, dass er die „unheilbar Geisteskranken zu beseitigen“ sucht und zwar spätestens im Falle eines künftigen Krieges. Wegen innen- und außenpolitisch vermuteter Schwierigkeiten wurde mit der Ausführung eines „Euthanasie“-Programms jedoch gezögert.
Mai 1936: Auszug: Kostentragung nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom „Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge“ Frankfurt / M.:
„A. Gruppen und Arten der gesetzlich zulässigen ärztlichen Eingriffe. I. a) Unfruchtbarmachung; b) Schwangerschaftsunterbrechung (eine S...unterbrechung ist möglich?). II. … b) Entfernung der Keimdrüsen, Entmannung; c) Tötung eines in der Geburt befindlichen Kindes...“
Der Palmsonntag, 21. März 1937 gehört hierher:
Papst Pius XI. lässt seine deutsch abgefasste Enzyklika „Mit brennender Sorge“
von allen deutschen Kanzeln, mehr als 11.500, weil auch in den Krankenhäusern und Klöstern, verkünden. Der Text ist nahezu vollständig verfasst worden vom Kardinal und Erzbischof von München und Freising Michael von Faulhaber, ergänzt vom Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. Dieser Text wurde zunächst vollständig handschriftlich angefertigt, um seine Geheimhaltung zu garantieren. - Leicht zu finden und zu lesen im Internet: 28 Seiten; auch weitere Kommentare, Texte: Rene Schlott, Spiegel-Online 2012; www.vatican.va usw.
Aber der „Dekalog-Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 19.8.1943 kam viel zu spät und war viel zu allgemein gehalten; Zitat: „Tötung ist in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: an schuld- und wehrlosen Geistes-Schwachen und -Kranken, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an erblich Belasteten und lebensuntüchtigen Neugeborenen, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- und Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung.“
Ein Beispiel für „zu spät“ und zur Überleitung; (www.gelsenzentrum.de). Wegen der Ordensschwestern, wenn auch nicht aus Freienohl, wurde dieser Abschnitt aus der reichhaltigen Literatur ausgewählt: „Vom Jugendamt wurden den Armen Schulschwestern des Kinderheims Breslau-Ohlewiesen – mitten im Zweiten Weltkrieg – zwei Zigeunerkinder zugewiesen, ein Mädchen, Maria, und ein Säugling. Von beiden Kindern waren den Schwestern die Eltern nicht bekannt. Es war im Januar 1943, als plötzlich vier Männer der Gestapo im Kinderheim erschienen und die beiden Kinder zu sehen wünschten. Sr. Hyacintha ging mit der kleinen, knapp 10-jährigen Maria ins Sprechzimmer des Klosters und fragte unterwegs, ob das Kind wüsste, wohin es jetzt ginge. Die Antwort des Kindes: „In den Himmel“. Sr. Hyacintha war zunächst verblüfft, später erschüttert. Als sie mit dem Kind ins Sprechzimmer kam, hieß es gleich, sie seien gekommen, das Mädchen abzuholen. Als Sr. Hyacintha dem Kind Wäsche und Kleider einpacken wollte, lehnten die Männer das ab, das sei nicht notwendig, und nahmen das Kind weg. Den Säugling holten sie aus seinem Bettchen mit der Bemerkung, Wäsche und dergleichen sei nicht notwendig. Lange standen die Ordensschwestern unter dem Schock des Geschehens, das sich plötzlich ohne Voranmeldung und rasch abwickelte. Von den Kindern haben die Schwestern nie mehr etwas gehört.“
Selbstverständliche Fortsetzung der Fürsorge+Seelsorge
unserer Hiltruper Missionsschwestern in Freienohl
Wer sich vor allem bei diesem sensiblen Thema zunächst und ganz konkret für den einen und anderen umsorgten Kranken, Behinderten, um sein mögliches Schicksal, vielleicht aus seiner eigenen Familie, Verwandtschaft, Nachbarschaft interessiert, der wird sich nicht an der eigenartigen Reihenfolge der Namen-Nennung stören.
Manchem wird die undurchsichtig erscheinende Reihenfolge der Jahreszahlen fragwürdig vorkommen. Das hängt zusammen mit den Titeln, Überschriften der einzeln Akten im Freienohler Archiv. Darum sind hier nachfolgend die benutzten Akten (abgekürzt AA) in ihrer nummerierten Reihenfolge aufgelistet: AA Nummer, Titel, Jahreszahlen:
AA 1800: Ansteckende Krankheiten im Amtsbezirk: 1901 – 1948
AA 1802: Sanitätskolonnen im Amtsbezirk: 1930 – 1949
AA 1803: Gesundheitspflege, Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten: 1931 – 1935
AA 1804: Gesundheitspflege, Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten: 1931 – 1951
AA 1805: Generalakte: Verhütung von erbkrankem Nachwuchs: 1934 – 1941
AA 1806: Verhütung von erbkrankem Nachwuchs: 1934 – 1946
AA 1807: Das staatliche Gesundheitsamt: 1935 – 1943
AA 1808: Gesundheitspflege, Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten: 1935 – 1948
AA 1809: Generalakte: Gesundheitspflege Maßregeln gegen anst. Krankh. 1935 – 1951
AA 1090: Kinderbeihilfen für kinderreiche Familien: 1935 – 1939
AA 1091: Armen- und Wohltätigkeitsanstalten, Unterstützungen: 1935 – 1948
AA 1100: Generalakte: Fürsorge- und Anstaltspflege der Geisteskranken...: 1879 - 1951
AA 1102: Geisteskranke, Idioten, Epileptiker: 1897 - 1932
AA 1103: Taubstumme, Blinde, Krüppel: 1897 – 1932
AA 1104: Fürsorge und Anstaltspflege der Geisteskranken, Idioten...:1897 - 1949
AA 1106: Taubstumme, Blinde, Krüppel: 1932 – 1938
AA 1107: Geisteskranke, Idioten, Epileptiker: 1932 – 1940
AA 1108: Taubstumme, Blinde, Krüppel: 1937 – 1951
AA 1109: Geisteskranke, Idioten, Epileptiker: 1940 – 1951
Pfarrarchiv A 29: Abschnitt: Nazizeit und Zusammenbruch: ohne Befund zu T 4.
Daten aus den Akten 1106 während der Jahre 1932 – 1938 im Freienohler Archiv.
Am 30.10.1932: die Freienohler mit ihren Eltern aus der Liste zur Krüppel-Untersuchung:
Heinrich Koßmann - Katharina Kordel - Paul Hecking - Friedrich Bräutigam - Karl Kremer. - Weitere Personal-Daten siehe oben und unten.
Johanna Kückenhoff
Am 9.12.1932 erscheint der Invalide Anton Kückenhoff, Alte Wiese Nr. 126, auf dem Amt in Freienohl und trägt vor:
„Ich bin 67 Jahre alt, seit längeren Jahren verwitwet, habe 9 Kinder, und zwar:
Maria, 37 Jahre alt, ist mit dem Schneider Paul Schröder in Freienohl verheiratet und hat 5 Kinder im Alter von 2 – 12 Jahren;
Paula, 35 Jahre alt, ist mit dem Straßenarbeiter Wilhelm Köster verheiratet; Kinder sind nicht vorhanden; Köster war in den letzten Jahren längere Zeit arbeitslos;
Antonia, 34 Jahre alt, verheiratet mit dem Telegraphenaufseher Johann Hömberg in Gelsenkirchen, hat ein Kind im Alter von 5 Jahren;
Agnes, 31 Jahre alt, verheiratet mit einem seit 4 Jahren kranken Waldarbeiter und wohnt in Osterwald; es sind 3 Kinder im Alter von 4 – 9 Jahren vorhanden;
Theresia, 30 Jahre alt, verheiratet mit einem arbeitslosen Eisengießer in Gelsenkirchen; es ist 1 Kind im Alter von 4 Jahren vorhanden;
Elisabeth, 28 Jahre alt, befindet sich ohne Lohn bei Verwandten;
Johanna, 26 Jahre alt, ist völlig erblindet;
Auguste, 24 Jahre alt, führt den Haushalt;
Anton, 22 Jahre alt, ist als Holzarbeiter beschäftigt und hat nur ein geringes Einkommen.
Ich besitze ein kleines, altes, reparaturbedürftiges Haus und 1 ½ Morgen Weide. Hinzu gepachtet habe ich 3 Morgen Acker. An Pacht muss ich jährlich 70 RM zahlen. An Vieh halte ich 1 Kuh und 2 Schweine. Meine monatliche Invalidenrente beläuft sich auf 43,80 RM. - Bei der (der)zeitigen allgemein anerkannten ungünstigen Lage der Landwirtschaft, den hohen Reparatur- und Werbungskosten sowie Steuern und Abgaben ist aus Haus- und Grundbesitz sowie aus der Viehhaltung ein Reinertrag nicht zu erzielen.
Meine Tochter Johanna hat im Alter von 4 Jahren durch einen unglücklichen Steinwurf eines anderen Kindes das rechte Auge verloren und die Sehkraft des linken Auges hat immer mehr nachgelassen, sodass heute eine völlige Erblindung besteht. Die Tochter erfordert ständige Wartung und Pflege und bildet eine große Last für unsere Familie. Wenn diese Tochter nicht in unserem Haushalt mit viel Liebe und Sorgfalt gepflegt würde, müsste sie in einer Blindenanstalt Aufnahme finden.
Im Laufe der letzten Jahre ist mir durch die Pflege und Wartung sowie die wiederholten Behandlungen ein besonderer Kostenaufwand entstanden. Ich bin aber bereit, meine Tochter weiterhin in unserer Familie zu verpflegen, wenn mir hierzu eine Beihilfe des Blindenvereins gezahlt wird. Falls mir eine solche Beihilfe nicht bewilligt wird, bin ich gezwungen, einen Antrag auf Unterbringung in eine Blindenanstalt zu stellen.
gez. Anton Kückenhoff
gez. Pütz, Verwaltungs-Anwärter
Aus Münster am 20.12.1932 vom Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Landesfürsorgeverband Abteilung Blinden- und Taubstummen-Fürsorge, nach Arnsberg und dann weiter nach Freienohl:
„... die Pflegebedürftigkeit...offenbar darin begründet, dass die Blinde bisher für die Ausübung eines geeigneten Berufes nicht befähigt worden ist. Trotz des vorgerückten Alters der Kückenhoff erscheint mir daher ihre baldige Unterbringung in einer Blindenanstalt zum Zweck der Berufsausbildung dringend geboten. Eine Ausbildung zu einem eigenem Erwerb wird zur Verhinderung einer späteren dauernden Unterstützung durch die öffentliche Fürsorge mit der vor allem im Ableben des Vaters gerechnet werden muss, für notwendig gehalten. Der Mangel einer geeigneten Ausbildung zeigt sich hier besonders... Für die Gewährung von Pflegebeihilfen für Blinde, die sich in häuslicher Pflege befinden, stehen dem Landesfürsorgeverband Mittel nicht zur Verfügung...“ -
In Freienohl auf dem Amt am 23.1.1933 erscheint auf Vorladung der Invalide Anton Kückenhoff und trägt vor: „Mit der Unterbringung meiner Tochter in eine Blindenanstalt bin ich wie auch meine Tochter nicht einverstanden. Meine Tochter ist 26 Jahre alt und kommt für eine Berufsausbildung nicht mehr in Frage. Ich bitte nochmals, mir für meine Tochter eine Pflegegeldbeihilfe zu bewilligen. Sollte eine Beihilfe nicht in Frage kommen, ziehe ich meinen Antrag hiermit zurück. gez. Anton Kückenhoff“ -
Das Amt Freienohl schreibt an den Westfälischen Blindenverein in Dortmund:
Am 5.8.1933 u.a.: „...Die Bewilligung einer laufenden Beihilfe wird sehr dringend und besonders warm (unterstrichen) befürwortet. - i.V. Amtsbeigeordneter Kückenhoff“
Am 23.8.1933 u.a.: „... Eine Unterstützung der Erblindeten aus der öffentlichen Fürsorge ist z. Zt. nicht möglich, da das in der Familie vorhandene Gesamteinkommen den Richtsatz des Bezirksfürsorgeverbandes übersteigt...“
Die Hiltruper Ordensschwester Sr. Irmfrieda MSC, Fürsorge-Schwester in Freienohl, schreibt am 5.9.1933 an das Amt Freienohl – handschriftlich:
„Bezüglich der Bitte, um nähere Auskunft über die erblindete Johanna Kückenhoff teile ich mit: Die Erblindete hat bis zu zwölf Jahren die Volksschule besucht. Dann musste sie wegen mangelnder Sehkraft des einen Auges aussetzen. Während der Schulzeit konnte sie den Anforderungen, die an die normalen Schüler ihres Alters gestellt wurden, nachkommen. Es ist also eine Anormalität nicht vorhanden. - Die Erblindete blieb dann bis jetzt im elterlichen Hause. Da ihr die Blindenschrift, sowie eine technische Fertigkeit fehlt, ist sie zur Untätigkeit verurteilt. Eine Ausbildung ist für das körperliche und geistige Wohl der Blinden notwendig. Wäre eine solche in Gelsenkirchen möglich, könnte die Blinde bei ihrer dort verheirateten Schwester wohnen. Augenblicklich ist sie gesundheitlich nicht in der Lage, sich einer Ausbildung zu widmen. - Sr. Irmfrieda“ -
Aus dem Blinden-, Alten- und Erholungsheim in Meschede ist dieser Brief vom 21.9.1933 datiert: „Sehr geehrtes Fräulein Kückenhoff! Durch das Amt Freienohl erhielten wir über Ihre Verhältnisse Auskunft. Wie uns unter anderem mitgeteilt wird, sind Sie gern bereit, noch etwas zu lernen. Damit Sie sich mit den Hilfsmitteln vertraut machen können, möchten wir empfehlen, dass Sie einen mehr wöchentlichen Aufenthalt in unserem Blinden-, Alten- und Erholungsheim in Meschede nehmen. Die Kosten hierfür werden von uns erstattet. Teilen Sie uns bitte mit, wann es Ihnen möglich ist, zu reisen. Über das Heim selbst geben Ihnen beiliegende Druckschriften Auskunft. Sie können allein reisen, da in Meschede für Sie entsprechend gesorgt wird, vorausgesetzt, dass Sie nicht bettlägerich sind. - Hochachtungsvoll“ -
Am 15.1.1935 steht Johanna Kückenhoff, blind, in einer Freienohler Liste, sich im Amt einzufinden.
Weitere Daten von Johanna Kückenhoff sind nicht aktenkundig.
Am 3.7.1933 sind mit ihren Elte4rn und der Fürsorgeschwester zur Krüppel-Untersuchung in Arnsberg, mit angefügten Bemerkungen (ausreichend wohl nur für die Ordensschwester und Eltern): Heinrich Koßmann: orthopädische Schuhe, vorläufig abwarten; - Katharina Kordel - Friedrich Bräutigam: geheilt; - Karl Kremer - Margarete Beilmann: sie ist in der Berufsausbildung zur Näherin bei den Hiltruper Schwestern in Freienohl; dieses teilt mit Ehepaar Franz Beilage - Josefine geb. Düring, Freienohl Nr. 308 - Walter Schwefer: O-Beine, keine Maßnahmen; - Waltraud Lehmenkühler: Senkfüße, Massage.
Berichte zwischen 5.5.1931 und 3.3.1934 zu Katharina Kordel: geb. 2.12.1916. Vater: Theodor Kordel, Freienohl Nr. 299. - Katharina: im 1. Lebensjahr Kinderlähmung, rechtes Bein verkrüppelt. Nach der Volksschule: von 1931 – 1934 bei den Hiltruper Ordensschwestern im Alten Schwesternhaus Berufsausbildung als Näherin; Vater Kordel ist nicht in der Lage, für die Berufsausbildung finanziell zu sorgen, er erhält monatlich 10 RM vom Landesfürsorgeverband, Krüppelfürsorge in Münster; am 3.3.1934 ist die Lehre als Weißnäherin erfolgreich beendet, so ihre Lehrerin Sr. Adalberta MSC, sie empfiehlt ein weiteres Fortbildungsjahr; die Beihilfe-Stelle in Münster ist einverstanden und gewährt die Beihilfe. - Daten zur Familie: Vater Theodor Kordel geb. 11.3.1877; noch 8 lebende Kinder (Jahreszahlen von 1931): Paula, 28 J., verheir.: Waldarbeiter Karl Koßmann, 1 Kind 9 J.. - Gertrud, 26 J., verheir. Schlosser Adolf Felten, Freienohl, 1 Kind 1 ¼ J. - Johanna, 23 J., verheir. Walzer Franz Broichhaus, Rönkhausen, arbeitslos, 2 kleine Kinder. - Egbert, 21 J., Arbeiter, arbeitslos. - Hulda, 19 J., Fabrikarbeiterin in Arnsberg, hat einen so geringen Verdienst, mit dem sie sich nicht allein unterhalten kann. - Fritz, 17 J., Fabrikarbeiter Glashütte Oeventrop, geringer Verdienst. - Katharina … - Hubert, 11 J., Volksschule.
Am 18.7.1934 sind mit ihren Eltern und der Fürsorgeschwester zur Krüppel-Untersuchung in Arnsberg: Heinrich Koßmann - Katharina Kordel - Friedrich Bräutigam.
Zusammenfassung mehrerer Berichte; hier vom 7.9.1934: Anna Pöttgen; geb. 6.11.1911; beide Eltern sind verstorben; Mündel von Wirt Hugo Humpert, Freienohl. - Seit Anfang Dezember 1926 wohnt Anna Pöttgen in Balve; sie ist dort als Lehrmädchen bei der Firma Hill beschäftigt (15 J.). „Am 26.5.1927 verunglückt sie auf dem Bahnhof in Balve, indem ihre beiden Beine abgefahren wurden durch die Eisenbahn.“ - Für die ersten 26 Wochen ist die Krankenkasse aufgekommen. Der Landesfürsorgeverband in Münster ist bereit zur Fürsorge; 25.1.1928. Münster beantragt am 16.5.1928 die Einlieferung in eine Heilanstalt; „Balve lehnt die Erstattung der Kosten ab, da die Kosten hier nicht entstanden sind“. Zunächst wohnte sie bei ihrem Bruder Heinrich Pöttgen in Freienohl, Am Hügel Nr. 91; der ist verheiratet und hat 5 Kinder. - Am 2.7.1928: Anna wird im Vinzenz-Krüppel-Heim in Aachen-Siegel aufgenommen. Ausbildung als Näherin; gelingt wohl nicht, denn Münster am 13.12.1928: Anna Pöttgen soll sobald wie möglich der Handelsschule (Ausbildung Bürodienst) des Antoniushauses in Hochheim zugeführt werden; Aufnahme am 30.1.1929. - (Bis 20.12.1933.) - Für die Aufnahme in Aachen bittet Freienohl das Kreis-Wohlfahrtsamt „um 56,31 RM für Kleidung (Mantel usw.). - Aus Hochheim: „Gesund. Körpergewicht 70 kg. Anna Pöttgen wird ausgebildet in Buchführung. Führung und Leistungen: gut. Nach der Ausbildung mögliche Aufnahme in einem der Häuser der Josefsgesellschaft. - Hochheim, 8.7.1931: „Anna Pöttgen ist für 4 Wochen in den Heimatort Freienohl beurlaubt. Oberin Sr. Mamerta.“ - Hochheim , 1.2.1932: „Anna Pöttgen hat ihr praktisches Jahr beschlossen und damit die Lehre beendet. Sie konnte zu einer leistungsfähigen Bürokraft ausgebildet werden.“ - Seit dem 21.2.1934 arbeitet sie bei der Amtsverwaltung in Freienohl als Bürogehilfin. - Am 28.2.1934: Sie erhält eine „Gnadenunterstützung“ vom Generaldirektor der Deutschen Reichsbahngesellschaft über 400 RM für einen „Selbstfahrer“, wenn die Landesfürsorge an die Gemeinde die Summe von 430 RM zahlt. Gesamtsumme des Selbstfahrers: 830 RM. - Freienohl am 7.9.1934: Der Wagen ist ordnungsmäßig geliefert durch das Kreiswohlfahrtsamt. Anna Pöttgen ist nunmehr bei der NSV-Freienohl beschäftigt. (NationalSozialistische Volkswohlfahrt)
Zwischendurch zur Erinnerung: ausgelassen werden die regelmäßigen Stellen, d.h. die Namen-Nennungen der Hiltruper Missionsschwestern aus dem Freienohler Schwesternhaus, in denen sie sich um die oben und unten genannten Kranken, Behinderten in ihrer Fürsorge+Seelsorge gekümmert haben; dazu gehört auch die Begleitung nach Arnsberg und in die anderen Einrichtungen
Am 3.7.1934 notiert der Freienohler Arzt Dr. Dehen: Josef Geißler, geb. 9.6.1897 in Freienohl; Schwer-Erwerbsbeschädigter, 60 %; wohnt Adolf Hitler Str. 57; ledig; Beschädigung infolge Spinaler Kinderlähmung, Atrophie der linken Extremitäten mit Klumpfuß. - Rente wird nicht bezogen; erhält wöchentlich Zusatz (?) Gelegenheitsarbeiter. Seit 1928 mit kurzen Unterbrechungen arbeitslos. Geeignete Arbeit ist trotz Bemühungen nicht zu erlangen. - Am 15.10.1934 hat Josef Geißler in Neheim, Firma C. F. Plesser, Metallwarenfabrik, eine Arbeit gefunden.
Wieder – 1934 – die jährliche Krüppelkinder-Untersuchung in Arnsberg für Heinrich Koßmann, Bettenhelle 336; beiderseits Klumpfuß; 1926 in Bigge behandelt; in 1 Jahr eventuelle neue Korrektur.
Körperbehinderte (neu auftauchendes Wort!) am 17.1.1935; Untersuchung in Arnsberg:
Anna Pöttgen: beide Beine bis unterm Knie. - Elisabeth Latzer: Fuß verkrüppelt. - Ehefrau Johann Volpert: Beine verkrüppelt. - Paul Hecking: Hüftgelenkentzündung. - Josef Beule: linker Klumpfuß. - Johanna Kückenhoff: blind. - Kaspar Bornemann: geb. 24.9.1900 in Visbeck, wohnt in Freienohl, Rümmecke 301; Schlosserlehre; erblindet mit 18 Jahren: Unfall; nach der Erblindung Ausbildung zum Stuhlflechten, darin nicht tätig; verheiratet mit Ehefrau Käthe geb. Lunkock, geb. 26.4.1898 in Gütersloh; er wird von seiner Ehefrau geführt. - Käthe (Katharina) Kordel: Beine verkrüppelt. - Johannes Berkemeyer: 1 Bein steif. - Karl Kerstholt: Verlust eines Beins. - Heinrich Koßmann: Klumpfuß.
Arnsberg, am 25.1.1935, der Landrat veröffentlicht die Bekanntmachung zur Beschulung (Schulpflicht) blinder und taubstummer Kinder. Hier ausgelassen.
Freienohl, am 21.6.1935: der Bürgermeister übergibt Fürsorgerin Sr. Burcharda MSC ein Schreiben aus Dortmund „zur Überwachung des Kindes: Krüppelmeldung: Lora Frese, geb. 31.12.1927; Vater: Alfred Frese, Auktionator, Freienohl, Bergstr. 123 (alte Haus-Nr.) bei Familie Wiberg wohnt das Kind; Krüppelleiden: Crura vara. (Grätschbeine)
Anfrage an Katharina Kordel (s.o. 1931) vom Wohlfahrtsverband in Münster am 26.6.1935: „Hat sie inzwischen Arbeit gefunden? Warum hat sie keine Gehilfinnen-Prüfung abgelegt?“ - Polizist Gertz antwortet nach seiner Befragung am 12.7.1935: „Sie wurde im elterlichen Haus benötigt und hat für die Gehilfinnen-Prüfung keine Zeit gehabt.“
Zu Paul Hecking, geb. 14.4.1914 in Freienohl (s.o. 17.1.1935):
Am 4.8.1933: Paul Hecking ist Buchbinder in der Hüfferstiftung in Münster. Informiert weiter: er ist dort auch in der Behandlung: linksseitige angeborene Hüftgelenk-Verrenkung; geht am Stock. - Am 24.8.1933: ist als Buchbinder beschäftigt bei Anton Muesmann in Arnsberg. - Hüfferstift, 13.9.1933: Die Länge der Anstaltsbehandlung von Paul kann noch nicht festgestellt werden. - Hüfferstift, 6.10.1933: Paul erhält 1 Woche Heimaturlaub mit ambulanter Behandlung und Überwachung durch Fürsorgerin Sr. Burcharda MSC. - Am 7.4.1934, Hüfferstift: Paul erhält am 26.3.1934 sechs Wochen Heimaturlaub mit ambulanter Behandlung. - Hüfferstift, 4.2.1936: Paul Hecking ist am 16.1.1936 aus der ambulanten Behandlung als gebessert entlassen worden. - Zwischendurch am 24.8.1934:
Der Vater Johann Hecking, Invalide, er kann die Unkosten für Paul im Hüfferstift in Münster nicht bezahlen. Seine Altersrente wird im nächsten Jahr gekürzt, da der jüngste Sohn dann 16 Jahre alt wird. Sein Vieh: 1 Kuh, 2 Schweine. Verheiratet mit Regina geb. Wiepen. Ihre Kinder: Johannes, 26 J., Schreiner, verheiratet. Heinz, 24 J., Schneider, längere Zeit arbeitslos, gerade selbstständig. Josef, 21 J., Stellmacher, bei einem Bauern beschäftigt. Emil, Schneider-Lehrling in Arnsberg, erhält keinerlei Lohn, die tägliche Eisenbahn-Hin- und Rückfahrt sind hohe Kosten.
Am 4.11.1935: aus der Liste der Krüppelkinder, die mit ihren Eltern und der Fürsorgerin, - hier aus Freienohl –, nach Arnsberg kommen sollen: Heinrich Koßmann, - Katharina Kordel, - Friedrich Bräutigam.
In den Akten liegt an dieser Stelle der schon oben knapp zitierte Text: „Reichsbund der Körperbehinderten (R.B.K.) e.V. - Richtlinien“. Oben war wichtig aus „1. Grundsätzliches“ das Stichwort: „arisch“. Hier jetzt:
„5. Beseitigung von Körperbehinderung:
Der R.B.K. erstrebt die Früherfassung Körperbehinderter und ihre Zuleitung zu geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung oder Milderung der Körperbehinderung. Die eigenen Erfahrungen der R.B.K.- Kameraden sollen dabei den Eltern körperbehinderter Kinder und den Körperbehinderten selbst dienstbar gemacht werden. Elternschaft und Körperbehinderte haben die Verpflichtung, solche Maßnahmen durchführen zu lassen, weil Körperbehinderung nicht Privatsache ist, sondern weil die Volksgemeinschaft fordern muss, dass die Behinderung möglichst beseitigt oder aber weitgehendst gebessert wird... Heimbehandlung hat dann zu erfolgen, wenn die Schwere der Behinderung oder die zu erwartenden Ausfälle an Erziehung und Beschulung sie erfordern.“
Liste vom 8.6.1936 der in Freienohl vorhandenen Körperbehinderten: Elisabeth Latzer: Fuß verkrüppelt. - Ehefrau Johann Volpert: Beine verkrüppelt. - Paul Hecking: Hüftgelenkentzündung. - Josef Beule: Beine verkrüppelt. - Katharina Kordel: Beine verkrüppelt. - Heinrich Koßmann: Klumpfuß.
Helmut Becker, geb. am 30.1.1935 in Freienohl. Eltern: Josef Becker, Erdarbeiter, verheir. mit Maria geb. Wienecke; wohnen in Freienohl, Adolf Hitler Straße 194. - Arzt Dr. Dehen informiert am 13.2.1935: „Helmut: angeborener doppelseitiger Klumpfuß; Behandlung vielleicht einige Tage in Bigge. Paul hat zwei Geschwister. Die Eltern sind nicht blutsverwandt; keine Gebrechen bei Vorfahren und Geschwistern.“ - Münster informiert Arnsberg am 30.12.1935: Eine Anstaltsbehandlung ist nicht notwendig. - Am 31.1.1936 teilt Fürsorgepflegerin Sr. Burcharda MSC mit, dass Beinschienen angeschafft werden; Kostenerstattung von der Krankenkasse; die Eltern sind arbeitslos. Voraussichtlich wird eine vollständige Genesung der Füße eintreten.
Auf der Liste der Stotterer in Freienohl, Dezember 1937, stehen: Friedrich Grewe, geb. 25.2.1930 in Freienohl. - Georg Becker, geb. 22.1.1927 in Freienohl. - Hugo Düring, geb. 17.7.1926.
Ende der Akte AA 1106, Ende Jahr 1937.
Akte AA 1090: Kinder-Beihilfe
1937: Liste nur der Antragsteller mit 4 Kindern auf Kinder-Beihilfe; hier keine Angabe über Behinderung, und: es gab in Freienohl noch mehr Familien mit 4 und mehr Kindern:
Karl Beule, Adolf Hitler Straße / Klemens Feldmann, Adolf Hitler Straße / Kuno Humpert, Rümmecke 352 / Adam Kerstholt, Bettenhelle 314 / Paul Lehmenkühler, Düringstraße / Friedrich Schneider, Rümmecke / Otto Schilling, Am Hügel 320 / Anton Stirnberg, Ohl 314 / Philipp Trompetter, Mühlenberg / Hans Ullmann, Kumpstr. 147. Summe: 10.
Akte AA 1107: Jahre 1932 – 1940: Geisteskranke...
Ehefrau Maria Antonie Schwer, geb. Heimann, geb. 5.8.1876; sie ist die zweite Ehefrau von Heinrich Schwer, Bauunternehmer in Freienohl Nr. 158, geb. 26.6.1874 in Freienohl; 1. Ehefrau gest. 1922; 2. Mal verheir. 1923. Kinder: Luise, geb. 27.10.1902, verheir. mit Wirt Hans Köster. - Josef, geb. 7.7.1904, Schreiner. - Heinrich, geb. 2.2.1906, Restaurant in Holland. - Berta, geb. 20.12.1907, führt z. Zt. den Haushalt. - Konstantin, geb. 15.11.1909, Konditor-Gehilfe in Hamborn. - Helene, geb. 21.3.1911, führt den Haushalt bei ihrem Bruder Heinrich in Holland. Geisteskrank: Maria Antonie am 6.9.1929 Aufnahme in der Heianstalt Warstein, später Bad Driburg. (Der Name Schwer wird in Freienohl meistens: Schweer geschrieben.)
Bei der folgenden Anna Kracht, geb. 17.8.1892 aus Meinkenbracht, - zum Amt Freienohl gehörig, also nicht zur Gemeinde Freienohl -, geht es deswegen hier nicht um diese Geisteskranke, 4 einzelne Akten liegen vor, sondern es geht darum, die Fürsorge+Seelsorge der Ordensschwester Sr. Burcharda MSC wahrzunehmen, 2 Texte von ihr sind aktenkundig, einmal mit ihrer eigenhändigen Unterschrift, und dass sie auch in Meinkenbracht gewesen war; wie sie dahin gekommen ist, das ist nicht aktenkundig, ganz zu Fuß gewiss nicht.
An das Amt Freienohl (am 26.9.1933) zurückgereicht: „Gelegentlich meines Besuches am 25. des Monats bei der Familie Kracht in Meinkenbracht erklärten die Eheleute, es sei unmöglich, die Anna Kracht dauernd im Hause zu behalten. Wegen der vielen Feldarbeit müssten sie oft den ganzen Tag mit Ausnahme der kleinen Mittagspause die Kranke allein lassen. Jeden Morgen und Abend muss Frau Kracht sich mit dem Transport der Kranken abquälen, da die enge Treppe die Hilfe einer zweiten Person nicht zulässt. Das Bett unten einzurichten, geht nicht, weil die Kranke dann nachts allein wäre. Diese selbst drängt beständig darauf, in einem Krankenhaus oder einer Pflegeanstalt untergebracht zu werden. Das erste kommt wohl kaum in Frage, wenigstens nach dem Bericht der Heilanstalt Warstein (in einem Extra-Text lehnt die das ab und begründet das auch). Falls auch eine Unterbringung in einem Pflegeheim nicht ermöglicht werden kann, müsste der Familie eine Pflegebeihilfe gewährt werden, da sie bei den eigenen bescheidenen Verhältnissen nicht für die kleine Rente allein den Aufwand für die Kranke tragen kann. Mit Rücksicht auf die Kinder (unterstrichen) wäre die Unterbringung in einem Pflegeheim das Beste. - Schw. Burcharda“
Freienohl, den 29.10.1933: Antrag um Gewährung einer Pflegebeihilfe für Frl. Anna Kracht, Meinkenbracht: „Die Genannte befindet sich seit ihrer Entlassung aus der Heilanstalt in Warstein, die am 5.9.1933 erfolgte, in der Familie ihres Bruders Fritz Kracht. Eine Unterbringung in einem Krankenhaus oder Pflegeheim wird ärztlicherseits abgeraten. Da aber die Familie Kracht sich in sehr dürftigen Verhältnissen befindet, ist es ihr nicht möglich, für die Rente allein, die 16 RM monatlich beträgt, die Kranke zu pflegen. Frau Fritz Kracht muss manche Arbeit, die sie sonst selbst machen könnte, andern überlassen, da die Kranke nicht immer tagsüber allein bleiben kann. Auch fehlen die notwendigen Wäsche- und Kleidungsstücke, da die Kranke vierzehn Jahre im Bett zugebracht hat. Die Familie Kracht bittet mich, einen Antrag um Gewährung einer Pflegebeihilfe zu stellen und möchte ich diesen hiermit befürworten. gez. Fürsorgerin Schw. Burcharda“
Datenliste von 1934:
Maria Storm, geb. 29.9.1900 in Freienohl; gewöhnlicher Aufenthalt in Warstein, Geisteskranke; ihre Eltern. Fritz Storm, verheir. Elisabeth geb. Stratmeier, tot.
Hubert Stirnberg: geb. 13.11.1914 in Freienohl. Eltern: Heinrich Stirnberg, verheir. Anna geb. Arens. Geschwister von Hubert: Anton geb. 7.6.1913; Georg geb. 27.5.1916; Norbert geb. 20.3.1919; Heinz geb. 2.7.1927.
Hubert: geistesschwach seit Geburt. Gewöhnlicher Aufenthalt: Marsberg.
Am 28. September 1922, Gem.-Versammlung TOP 4: Die Kosten für die Unterbringung des geistesschwachen Hubert Stirnberg werden in gesetzlicher Höhe übernommen. (AA 417)
Aufgelistete Anstalts-Pflegekosten (hier ohne die Beträge) von 1927 bis September 1938, weiter nicht. Aufnahme-Blatt in Marsberg am 27.9.1937. - Auf der Rückseite davon und „auf dem Kopf“, also ganz unten, wieder handschriftlich: „Hubert Stirnberg ist verstorben.“ Mit dem Datum: „Freienohl, 10.2.1942“. Das ist nicht das Sterbedatum!
Dazu die AA 1806 vom Oberkreisdirektor zu Arnsberg nach Freienohl vom 4.7.1946 (!): „Vertraulich! (im Original unterstrichen): Auszugsweise Abschrift:
Betrifft: Schädigung oder Umbringung von Menschen durch die Nazis. Verfügung vom 26.6.1946. - 1. Dem Vernehmen nach sind aus auswärtigen Heilanstalten aus dem hiesigen Amtsbezirk 6 Personen (Idioten und Geisteskranke) ausgemerzt und eingeäschert worden. (In diesem Text werden nur 2 aufgeführt: Friedrich Köhler aus Uentrop; - hier ausgelassen und:) Der am 13.11.1914 zu Freienohl geborene idiotische Hubert Stirnberg wurde seinerzeit im St. Johannes-Stift in Niedermarsberg untergebracht und befand sich nacheinander in den Anstalten zu Warstein, Weilmünster und Hadamar. Abschriften der Mitteilungen der Anstalten zu Weilmünster und Hadamar sind beigefügt. (Hier in AA 1806 nicht vorhanden.)... 5. Für die vorstehenden Maßnahmen (Sterilisierung, Unfruchtbarmachung) waren teils erbgesundheitliche, teils politische Gründe maßgebend...“
Letztes im Original unterstrichenes Wort dieses Textes: Vertraulich!
Bei den unten angegebenen Daten: „10.2.1942“ und für Hubert Stirnberg , Marsberg, galt wohl Hadamar noch nicht.
Hier bei Hubert Stirnberg, zuletzt Marsberg; ferner bei Margarethe Göckeler, zuletzt Eickelborn; ferner bei Maria Feldmann, zuletzt Warstein: drei verschiedene Orte mit derselben handgeschriebenen - nicht Maschine geschriebenen - Notiz und mit demselben Datum, ohne Unterschrift, ohne Kürzel: der jeweilige Name des Behinderten, dann „Freienohl, 10.2.1942“. Das ist also nicht der Sterbetermin!
Josef Lichte, geb. geb. 2.8.1899 in Freienohl. Beruf: Schlosser, gute Ausbildung. Ärztliches Zeugnis vom 16.8.1932: Enzephalitis, seit 1826, nicht heilbar; bedarf besonderer Pflege tagsüber und nachts. Sein Schwager Theodor Zacharias, Freienohl, Alter Weg Nr. 169 kann die Pflege nicht mehr leisten.
Akten-Datum: 2.10.1934: Heinrich Weber, geb. 14.10.1898 in Freienohl. Beruf: Schreiner. 6 Wochen in der Lungenheilanstalt Lippspringe. Geisteskrank. Verheiratet mit Elisabeth geb. Hoppe; Hausfrau. 4 Kinder im Alter von 4 Monaten bis 12 Jahre: Anneliese geb. 20.10.1912; Johanna geb. 14.7.1925; Klemens geb. 11.7.1927; Meinolf geb. 12.5.1934. -
Am 2.10.1934: Dr. Dehen: Vorgeschichte der Krankheit: Neurastheniker; seines Vaters Schwester war in einer Heilanstalt; seine Mutter: Tuberkulose; verschiedene ihrer Geschwister sind an Tuberkulose gestorben. - Seit Wochen Klagen über Herz- und Brustbeschwerden. Schwächlich. Keine körperlichen Erkrankungen. Seit 3 Tagen traurig, ängstlich, Sinnestäuschungen, ohne Schlaf, unreinlich, Selbstmordgedanken. Pflegebedürftig für eine Anstalt.
Noch am selben Tag: 2.10.1934: in Warstein eingeliefert auf Anordnung des Arztes Dr. Dehen.
Warstein am 27.3.1935: Der Schreiner Weber bedarf noch längere Zeit als Geisteskranker der Heilanstalt in Warstein.
Am 10.7.1935 als „endgültig gebessert entlassen. Diagnose: Schizophrenie; fürchtete seine Hinrichtung (!); zeitweise depressiv gehemmt; allmähliche Beruhigung.“
Fritz Honekamp, geb. 7.11.1913 in Winterberg, wohnt in Freienohl, Rümmecke Nr.317; Arbeit in der Ziegelei C.u.H. Rocholl, Freienohl. Verheiratet mit Katharina geb. Lefarth. - Aufnahme in Warstein am 15.7.1937: Schizophrenie.
Am 22.10.1938 als gebessert entlassen.
Kind Maria Eigemeier, kindlicher Veitstanz.
Am 4.7.1938: Dr. Dehen: „Das Kind bedarf fachärztlicher Untersuchung, Behandlung in Warstein.“ - Die Freienohler Gesundheitspflegerin (offizieller Titel) Fräulein Else Kleine notiert am 2.11.1938: Die Pflegemutter (!?) gibt an: Die Krankheit des Kindes hat sich aufgrund der Behandlung von Dr. Dehen wesentlich gebessert. - Am 17.3.1939: Frl. Kleine: „Eine weitere Behandlung ist nicht mehr notwendig.“
Sie hat das NS-Regime überlebt. Berta Heckmann, geb. 28.2.1898 in Freienohl; geisteskrank; kann von ihrem Bruder Karl Heckmann, Krummestr. 168, nicht mehr gepflegt werden. Am 18.10.1940 kann Berta Heckmann nach Warstein zur Pflege geschickt werden. Am 22.11.1940 teilt ihr Bruder Karl Heckmann mit, sie braucht nicht nach Warstein; ihr Zustand hat sich gebessert. Gründe sind nicht aktenkundig. Im Jahr 1942 befindet sie sich in Warstein. Danach war sie wieder in Freienohl. Ihr Vormund war Franz Geißler, Bergstr. 9. - Nach der NS-Zeit! Am 20.11.1946 notiert Dr. Breuckmann: „Berta Heckmann ist völlig hilflos und dauernd bettlägerig, gereizt, weinerlich, stark depressiv.“ Am 5.12.1946 war sie nach Warstein gekommen. In Freienohl ist als Krankenschwester tätig die Hiltruper Ordensschwester Sr. Hermelda MSC (aktenkundig: 16.12.1946). Am 3.1.1947 ist Berta Heckmann in Warstein verstorben.
Im Rechnungsjahr 1937 werden für die Anstalten für die Geisteskranken aus Freienohl die Beiträge überwiesen (die Orte sind nicht genannt; die Beträge sind hier ausgelassen):
Stirnberg (ohne Vorname), Maria Storm, Maria Spieler, Josef Lichte, Fritz Honekamp, Maria Hachmann. - Dieselben auch 1938, dazu noch: Resi Rocholl, Maria Kaulmann.
Maria Spieler, geb. 4.2.1899 in Freienohl. - Am 18.2.1926 in Warstein (mehr ist da nicht aktenkundig). - Am 19.3.1927 wird in Münster ihre jährliche Invalidenrente anerkannt. Im April und Mai 1928 beim Landwirt Franz Calamis in Berge als Helferin. Am 25.10.1928 schreibt Calamis an ihren Vormund Johannes Kemper, Pflasterer, Freienohl Nr. 331, er „hat kein Dienstverhältnis mehr mit ihr“. Kemper bitte ihn, „sie vorläufig noch zu behalten; das Unterbringungsverfahren seitens Freienohl schwebe“. Ihr Pfleger Josef (Johannes? Oder Wechsel?) Kemper informiert: Der uneheliche Sohn der Maria Spieler befindet sich im Waisenhaus in Menden: Josef Spieler, geb. 20.4.1921, Beruf Dreher. - Am 5.1.1940 werden ihre beiden Grundstücke versteigert: Ackergrundstück im Langel: 25 ar, an Ernst Linneborn. Waldgrundstück auf der Feibe, 1,64 ar. Versteigerer Julius Helnerus, Freienohl, Mittelstr. 114. - Am 11.9.1941 ist Maria Spieler in der Landesheilanstalt Eichberg / Erbach verstorben; wie: ist nicht aktenkundig.
Ende der Akte AA 1107: im Jahr 1941.
Akte AA 1108: 1937... Taubstumme, Blinde...
Im Jahr 1938 Aufforderung zur Krüppel-Beratung von Arnsberg zum Amt Freienohl an die Eltern, Fürsorgeschwester, Gesundheitspflegerin (hier aus der Gemeinde Freienohl):
Hilde Hömberg, geb. 25.4.1922, Freienohl, Mittelstr. 22; Vater verstorben. Rundrücken.
Im Jahr 1939 zur Krüppel-Beratung:
Alfons Becker, geb. 16.4.1937, Freienohl, Rotbusch 293; angeborener Klumpfuß rechts.
Helmut Becker, geb. 30.1.1935, Freienohl, Rümmecke 194; angeborener Klumpfuß; s.o.
Resi Rocholl, geb. 9.2.1928, Freienohl, Alter Weg 176, Versteifung linkes Kniegelenk.
Hannelore Klute, geb. 19.2.1936, Freienohl, Breiter Weg 130 a, Spina bifida.
Im Jahr 1940 zur Krüppel-Beratung: eingetragen nur Helmut Becker.
Im Jahr 1942 zur Krüppel.Beratung:
Renate Wolf, geb. 24.7.1931, Freienohl, Düringstr. 70, Rundrücken. - Theresia Rocholl: s.o. - Hilde Hömberg, s.o. - Walter Humpert, geb. 21.3.1932, Freienohl, Rumbecker Str. 2; Kniegelenk rechts; noch in Bigge in Behandlung.
Im Jahr 1943 zur Krüppel-Beratung:
Alfons Becker, s.o. - Irmhild …?.mann, geb. 28.5.1942, Freienohl, Rümmecke 317 a, Knick-Plattfüße. - Renate Wolf, s.o. - Emma Stirnberg, geb. 12.6.1925, Freienohl, Mittelstr. 27, tiefsitzende rechtskonverse Linnbalskoliose.
Akte AA 1108: mit dem Jahr 1943 abgebrochen; reicht bis 1947.
Beginn Akte AA 1109: mit dem Jahr 1940... Geisteskranke...:
Sophia Geißler, geb. 10.12.1921 (1927) in Freienohl; Eltern: August Geißler, geb. 23.4.1899, Maurer, Ehefrau Josefine geb. Böll; Adolf Hitler Str. 57; epileptische Angstanfälle, Krampfanfälle. - Arzt-Untersuchung von Dr. Dehen am 10.5.1938: Mit dem 6. Lebensjahr epileptische Angstanfälle; gütig, freundlich; Empfehlung an die Eltern für ihre Tochter: zur Untersuchung in Warstein und in eine Anstalt zur Berufsausbildung.
Josef Becker, geb. 1.11.1899 in Wennemen, Eisenbahn-Betriebsassistent, wohnt in Freienohl, Bahnhofstr. 289; verheiratet. - Antrag vom 3.7.1941: zur Aufnahme in Nervenklinik Münster; seit Weihnachten 1940 plötzliche Stimmungstrübungen, Überforderung durch den steigenden Bahnverkehr: Kopfschmerzen; sonst keine Auffälligkeiten. - Josef Becker ist am 2.12.1941 aus der Psychiatrischen Klinik entlassen und ist z. Zt. beschäftigt bei der Güterabfertigung in Neheim.
Maria Kaulmann, geb. 23.8.1904 in Freienohl; geisteskrank. - Wird am 11.6.1937 von Warstein ins Elisabeth-Haus Hörste, Büren überwiesen; am 15.6.1937 von Hörste nach Warstein. Am 12.8.1937 als gebessert aus Warstein entlassen. Am 15.10.1938 wieder in Heilanstalt. (Ort ist nicht aktenkundig) Am 14.10.1939 als gebessert entlassen.
Margarethe Göckeler: Ein Lebens-Ab-Lauf wie bei Hubert Stirnberg!
Geb. 18.10. 1880 in Freienohl Hilfsbedürftige. - In AA 1104: Pflegegeld nach Eickelborn in den Jahren: 1909, 1910, 1911, 1913, 1915, 1916, 1917, 1918, 1919, 1921, 1922, 1923, 1924,1925, 1927, 1929, 1943. Als „Hilfsbedürftige“ am 18.6.1929 aus der Heilanstalt Eickelborn bei Lippstadt in Familienpflege gegeben. Familienpflege, wenn kein Heimat-Name, - Ort angegeben ist, zumeist im Ort der Heil-Anstalt mit Bezahlung der betreffenden Familie, die auch in der Akte nicht notiert ist. Aufgrund der Literatur ist diese Familienpflege ein Schutz vor bekannt gewordener „Verlegung“, „Entführung“ und Tötung des Behinderten. Siehe unten. Buchauszug: Post-Stapel. Nach „Beruhigung“ bezüglich einer „Verlegung“ wieder Rückkehr in die Anstalt. - Am 30.8.1929 aus der Familienpflege in die Anstalt in Eickelborn zurückgenommen. - Am 17.10.1935 aus der Anstalt Eickelborn in Familienpflege gegeben bei Familie Mattenklotz in Eickelborn. - Am 17.8.1937 aus der Familienpflege, Familie Mattenklotz, in die Anstalt Eickelnorn zurückgebracht. - Am 27.7.1938 aus der Anstalt in Familienpflege. - Zwischendurch in Anstalt. - Am 24.3.1939 aus der Anstalt in Familienpflege. - Am 3.4.1939 aus Familienpflege in Anstalt zurück. -
Aktennotiz, handschriftlich, nicht Maschine geschrieben: „Margarethe Göckeler ist verstorben.“ - Akten-Datum in Freienohl: 10.2.1942. Dies ist nicht das Sterbedatum!
Maria Feldmann: Ein Lebens-Ab-Lauf wie bei Margarethe Göckeler und wie bei Hubert Stirnberg!
Geb. 31.1.1874 in Freienohl. Eltern tot. Bruder Josef Feldmann wohnt in Freienohl, ist aber nicht unterhaltspflichtig. - Maria Feldmann ist geisteskrank. Gewöhnlicher Aufenthaltsort: Heilanstalt Warstein. - (Ende AA 1107; AA 1104, AA 1109: AA 414: Protokollbuch der Gemeinde-Versammlung. 31. Oktober 1904 TOP 2)
Am 20.5.1897 von Freienohl in die Irren-Anstalt Marsberg. - Am 8.6.1898 in Marsberg. - Am 22.6.1899 in Marsberg. - Am 11.6.1900 in Marsberg; ebenfalls Pflegegeld überwiesen in den Jahren: 1901,1902, 1903, 1905, 1906, 1907 bis 1925, 1927, 1929, 1943 (ähnlich Margarethe Göckeler! - Die fehlenden Jahre können Akten-Ausfall bedeuten.)
Am 13.12.1937 aus Familienpflege genommen in Heilanstalt Warstein.
Genau wie bei Margarethe Göckeler: Aktennotiz, handschriftliche, nicht Maschine geschrieben: „Maria Feldmann ist verstorben.“ - Akten-Datum in Freienohl wie bei Margarethe Göckeler: 10.2.1942. Das ist nicht das Sterbedatum.
Hubert Neise, ist am 28.4.1943 in der Heilanstalt Warstein gestorben. - AA 1108
Hans Günter Montag, geb. 10.5.1940 in Freienohl; Eltern: Thomas Montag, verheir. Alma geb. Molitor, Bettenhelle 330. Krankheit: Idiotie.
Am 10.12.1942 aus dem ärztlichen Gutachten von Dr. Fresen: „Ausgesprochene Idiotie bei mangelnder Statik. Das Kind kann weder sitzen noch stehen. Daneben besteht Neigung zu exudativer Diathese. Erbkrankheit. Familie angeblich frei von Lues oder Tbc. Der Kindesvater ist der leibliche Vater der Kindesmutter.“
Am 19.1.1943, Freienohl: „Vater bezieht Kriegsbesoldung. Das Kindergeld wird abgeführt an das Kinderheim in Paderborn, in dem 3 Kinder untergebracht sind... seine Schwiegermutter, die das jüngste Kind in Pflege hat...“
Am 15.4.1943 bittet der Landrat in Arnsberg den Freienohler Amtsbürgermeister um die genaue Adresse des Obergefreiten Montag, „damit ich mich mit ihm oder seinem Truppenteil über die endgültige Kostenregelung ins Benehmen setzen kann.“ (heutzutage: ins Einvernehmen...)
Bericht der Fürsorgepraktikantin Schwester Maria Schmidt (keine Ordensschwester; nur
Stichworte): „Von Freienohl nach Hagen – abgeholt aus dem Krankenhaus Hagen – überführt nach Aplerbeck – von Aplerbeck nach Freienohl. - Hans Günter Montag ist am 18.6.1943 in Dortmund-Aplerbeck gestorben.“
Datum dieser Akte AA 1108 in Freienohl: 9.11.1943.
Nicht aktenkundig ist, ob der Vater und, oder die Mutter beim Sterben, bei der Beerdigung ihres Kindes dabei waren. Oder Aktion T 4?
Siehe Wikipedia: Dortmund-Aplerbeck: Zweiter Weltkrieg.
Elisabeth Klauke, geb. 5.11.1897 in Freienohl; verheiratet mit Josef Klauke.
Am 4.6.1930, in Verbindung mit dem Gespräch mit der Mutter aus dem Arztbericht von Dr. Dehen: „Bis zum 21. Lebensjahr körperliche und geistige Entwicklung gut, normal. Bis 17. Lebensjahr zu Hause; dann 4 Jahre Dienstmädchen; 1919 Ausbleiben der Monats-Regel, mehrere Monate. Kopfschmerzen, Prickeln. 1920 plötzlich Tobsuchtsanfall. Sehr mager; Husten; Auswurf; öfters Blut-Spucken. Tuberkulose der rechten Lunge. Rückblickend von 1930: etwas läppisch, lacht unmotiviert, Affekte schwankend; alle 3 – 4 Wochen Angstzustände, Schreien, Toben, bei Fremden liebenswürdig, bei Angehörigen ungezogen. Häusliche Pflege genügt.“
Ihr Bruder Josef Klauke am 8.5.1930: Textlich ähnlich wie bei Dr. Dehen. „Elisabeth war mal in Warstein.“
Fürsorgerin Sr. Ubalda MSC am 7.6.1930: „Elisabeth Klauke müsste unbedingt in eine Anstalt; aber - meint ihr Bruder Josef – wegen der 80-jährigen Mutter sollte sie zu Hause bleiben. Bei scharfen Verweisen vom Bruder und von mir reagiert Elisabeth einigermaßen beherrscht.“
Arnsberg und Freienohl bestätigen: vom 1.10.1930 bis 31.3.1931 (auch schon vorher) erhält Elisabeth Klauke Pflegebeihilfe; die Pflege leistet ihr Bruder Josef.
Am 4.9.1932, Freienohl: Das Befinden von Elisabeth Klauke hat sich verschlechtert.
Am 29.9.1932, Freienohl: Im Haus leben …?... Kinder (Fragezeichen im Originaltext), fünf davon unter 14 Jahre. Pflegebeihilfe wird immer weiter bezahlt.
Am 28.2.1937 (Zeit-Abstand!), Freienohl: Polizist Gertz berichtet: „Elisabeth Klauke befindet sich im Anna-Katharinen-Stift in Carthaus (Karthaus) bei Dülmen.“
Zur Familie vom Bruder Josef Klauke, Auf dem Hahn, Maurer; 9 Personen: Ehepaar und 7 Kinder im Alter von 21 bis 7 Jahren: Tochter Maria, 21 J., selbstständige Näherin, lebt im elterlichen Haushalt; Sohn Josef, 19 J., Schneidergeselle;Sohn Friedrich, Fabrik-Lehrling; 4 Kinder schulpflichtig; 1 Kuh, 2 Schweine.
Auszugsweise aus dem ärztlichen Gutachten vom 10.9.1939 vom Anna-Katharinen-Stift, Carthaus: „Elisabeth Klauke ist anstaltspflegebedürftig wegen Gemeingefährlichkeit; Selbstmordgefahr: ja; springt plötzlich auf und schlägt auf ihre Umgebung. Vor kurzem versuchte sie mit einem Messer auf andere loszugehen.“ - Keine weiteren Berichte in der Akte.
Arnsberg an Freienohl am 22.1.1944: „Elisabeth Klauke ist am 20.12.1943 verstorben.“ - Angeblich im Anna-Katharinen-Stift.
Jahresabrechnung zur Fürsorge der Geisteskranken für 1942 und 24.7.1943: hier nur aus der Gemeinde Freienohl: Franziska Demmel - Maria Heckmann (nur 1942) - Elisabeth Klauke - Hans Günter Montag (nur 1942) - Hubert Neise - Maria Storm - Olga Bornemann - Josef Schwarzfärber (seit 12.5.1943 in Eickelborn).
Akten-Lesung AA 1109 mit September 1945, abgebrochen nach dem Ende des Nazi-Regimes.
Genannt seien als Lebende, wenn auch Geisteskranke, nur mit ihrem Akten-Datum: Anna Pöttgen, geb. 26.6.1900; 4.7.1945. - Olga Bornemann geb. Neise, geb. 29.10.1893; 1945. - Franziska Demmel, geb. 23.6.1904; gestorben am 19.9.1945.
Bei den folgenden Auszügen aus der Akte AA 1804: Gesundheitspflege, Maßnahmen gegen ansteckende Krankheiten,... ist heutzutage (2010) nicht bekannt, was die Eltern fühlten und dachten, wenn sie ihr Kind „allein“ ließen, zur Kur, zur KLV (Kinder-Land-Verschickung), - was sie wussten von den oben nur skizzierten NS-Gesetzen, hier im Abschnitt: Bekanntmachung mit der NS-Gesetzgebung.
Wer besaß zuverlässiges, korrektes Wissen über Tuberkulose, Lupus erythematodes usw? Die Hiltruper Ordensschwestern mit ihrer Fürsorge+Seelsorge und die Gesundheitspflegerin Fräulein Else Kleine in der Gemeinde und im Amt Freienohl haben sich nicht nur um die Kranken gekümmet, sondern auch um die Eltern und um diejenigen, von denen sie um Rat gebeten wurden!
Tuberkulose. Für Anita Koßmann, geb. 10.4.1934, beantragte Gesundheitspflegerin Frl. Kleine am 5.10.1940 eine Erholungskur. Vom 5.11.1940 bis 13.12.1940 kam Anita nach Rheine in die Kinderkuranstalt Sonnenschein. - Ihre Familie: Vater Heinrich Koßmann, Schreiner, Freienohl, Bettenhelle 336, arbeitet bei der Wehrmacht; die Mutter war vor 2 Jahren (1938) gestorben; 10 Kinder, 5 leben im elterlichen Haushalt.
Tuberkulose. Für Annemarie Babilon zur Kur vom 8.11.1940 – 13.12.1940 nach Bad Oeynhausen. Vater: Fritz Babilon in Freienohl, Kerstholtsgasse, Schreiner bei Firma Klinkmann in Hüsten.
Tuberkulose. Für Therese Köss, geb. 12.6.1936 in Freienohl, zur Kur vom 8.11.1940 – 13.12.1940 nach Bad Oeynhausen. Vater Aloys Köss, Freienohl, Adolf Hitler Straße.
Lupus erythematodes. Für Berta Becker geb. Rocholl, geb. 12.10.1871 in Freienohl, Krumme Straße 113, bei der Untersuchung in Arnsberg am 15.8.1939 am „Lupus-Tag“ „keine Herde mehr“. Auch nicht 1940.
Lupus erythematodes. Margot Volpert, geb. 21.12.1932 in Freienohl; Vater Johann Volpert, Voßecke 5, 5-köpfige Familie. Zur Kur: 31.10.1939 – 22.11.1939 in Lippspringe; am 6.1.1940 – 30.1.1940 stationär im Krankenhaus (keine Ortsangabe); am 24.3.1940 Kur in Lippspringe.
Zur Kur: 24.3.1940 (keine Ortsangabe): Kinder Ruth Becker, geb. 6..?. 1931, und Helga Becker, geb. 6.12.1932 in Freienohl, Töchter von Josef Becker, Bettenhelle, Fabrik-Arbeiter bei Feldmühle in Arnsberg.
Am 11.10.1940: Für seine Tochter Resi Rocholl zahlt die Krüppel-Fürsorge die Behandlungskosten in der Klinik in Bigge vom 4.1.1940 bis 6.4.1940. Vater Maurer Karl Rocholl, geb. 30.9.1898, Alter Weg.
Am 24.11.1942 wird aus Arnsberg für den Schüler Klaus Dehen, Freienohl, die Kinderlandverschickung, Münster, Albert-Leo-Schlageter-Straße bezahlt.
Am 18.1.1943 wird aus Arnsberg für das Kind Adolf Walter, Freienohl, bezahlt : Kinderkurheim Haus Sonnenschein in Rheine, 19.2.1943 – 30.3.1943.
Am 19.7.1944 notiert in Freienohl die Gesundheitspflegerin Körngen: „Zur Kinder-Erholungsfürsorge: In Anbetracht der augenblicklichen Verhältnisse lassen die Eltern die Kinder nur in den dringendsten Fällen von zu Hause fort.“ - Ein Zeit-Vergleich mit den Bomben-Angriffen auf deutsche Städte, auf, über Freienohl, (Firma Honsel in Meschede) ist sinnvoll.
Am 17.2.1945 notiert das Amt Freienohl: „Nachdem der Kraftwagen des Unternehmers Zacharias zu Freienohl mit einem Holzgenerator versehen ist, können die Kranken-Fahrten jetzt wieder dauernd von Zacharias ausgeführt werden.“
Akte AA 1804 abgebrochen zum 22.6.1945 wegen Ende des Nazi-Regimes, des Zweiten Weltkriegs Mai 1945.
Akten-Einblicke sind auch Politik-Einblicke
Akte AA 1805: „Generalakten betreffend Verhütung erbkranken Nachwuchses“. - „Generalakten“ enthalten Sammlungen – oft in Auszügen – von Gesetzen, Vorschriften, Erlassen... von „ganz oben“ (Berlin) bis nach „ganz unten“ (Arnsberg, Freienohl). 1934 – 1942.
Die folgende Auswahl und dann auch wieder nur auszugsweise möchte für heutzutage mit dem „Gedankengut“ und der entsprechenden Praxis von damals bekannt machen. Ob alle Freienohler darüber informiert waren, ist nicht bekannt.
Verhütung erbkranken Nachwuchses, RdErl. v. (Runderlass vom) 27.2.1934 – „Unter Bezug auf die RdErl. v. 13. und 18.1.1934 … zur Beachtung und weiteren Veranlassung. (2) … Der Begriff der „geschlossenen Anstalt“ im Sinne des Gesetzes v.14.7.1933 ist durch die Ausführungen des nachstehenden Rundschreibens in dem Sinne klargestellt, dass in erster Linie die Verhütung der Fortpflanzung durch ausreichende Maßnahmen sichergestellt sein muss. Für die Entlassung von an sich nicht mehr behandlungsbedürftigen oder überhaupt nur zu vorübergehender Behandlung einer Anstalt überwiesenen Kranken muss die Feststellung maßgebend sein, ob es sich um Erbkranke im Sinne des Ges. v. 14.7.1933 handelt und ob bei diesen die Gefahr der Erzeugung von Nachkommenschaft als gegeben anzusehen ist. Treffen diese Voraussetzungen zu, so muss der Kranke gemäß (hier ausgelassen)... auch gegen seinen oder seiner Angehörigen Willen in der Anstalt zurück behalten werden...“
Schwangerschaftsunterbrechung aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, RdErl. v. 29.7.1935...- Ob der oft vorkommende fehlerhafte Wortgebrauch politisch verharmlosen soll?
Schweigepflicht bei Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses,
Auszug aus dem Min.Bl.... vom 5.6.1935... 31.5.1935...: „(1) Nach dem § 15 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses … sind die an dem Verfahren oder an der Durchführung des chirurgischen Eingriffs beteiligten Personen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Wer der Schweigepflicht unbefragt zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft...“
Am 1.7.1935: abgemahnt wird streng vertrauliche Behandlung, wenn nach der Unfruchtbarmachung Krankheit ähnliche Erscheinungen auftreten in Mit-, Nach-Behandlung anderer Ärzte...
Am 15.8.1935: Arnsberg verlangt bis 15.9.1935 Bericht über Fälle von Nachbehandlung. Streng vertraulich. - Antwort aus Freienohl am 6.9.1935: „Fehlanzeige“.
Am 15.4.1935: Preußische Geheime Staatspolizei – Dortmund: „...Ich ersuche in Zukunft, lediglich die Haltung der kirchlichen Kreise gegenüber dem Sterilisationsgesetz zu beobachten und über etwa vorkommende besondere Fälle zu berichten … an den Reg. Präs. In Arnsberg. Am 15.5.1936 in Freienohl: Gesehen – Pütz“. - Solche Berichte sind nicht aktenkundig.
Am 30.6.1936: Volksgesundheit. Krankenanstalten zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses... Diejenigen Anstalten, die für den Eingriff beim Manne in Frage kommen, sind mit einem „M“ gekennzeichnet; die Anstalten zur Vornahme der Unfruchtbarmachungen und Schwangerschaftunterbrechungen (!) bei Frauen mit einem „F“ gekennzeichnet.... Im Reg.Bezirk Arnsberg insgesamt 35... u.a. Städtisches Krankenhaus Arnsberg: M, Bochum F, Eickelborn M F, Aplerbeck M, Marsberg M, Soest M, Hamm M F, Iserlohn M F“ (hier ausgewählt: die nahe gelegenen).
Am 2.1.1942 taucht in einem Schreiben aus Berlin vom Reichssicherheitshauptamt die ungewohnte Vokabel auf: „… Vorbeugungsmaßnahmen gegen Entmannte...“
Wieder zu Freienohlern
Am Schluss der Akte AA 1805 ist listenmäßig aufgeführt, was üblicherweise nicht in einer Generalakte steht: Namen, Datum und erstattete Fahrt-Kosten von Unfruchtbarmachungen vom Amt Freienohl, hier nur Gemeinde Freienohl: „Richard Neise, 11.10.1935; Elisabeth Vernholz, 24.4.1936; Sophia Geißler, 2.2.1937.“ - Zwischendurch ist notiert: „Nach Arnsberg hin mit einer Begleitung zu Fuß; zurück nach Freienohl mit der Bahn.“ Verständlich. Was andere Reisende wohl gedacht, gesagt haben?
Am 19.7.1939 ist die Ehefrau Herta Langenbach aus Freienohl, Ruhrufer 203, geb. 11.9.1913 „...zur Untersuchung aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Arnsberg nach der Aufforderung vorgeführt worden – polizeilich“.
Ende der Akte AA 1805 im Jahr 1942.
Akte AA 1806: Titel: Spezial-Akten : Verhütung erbkranken Nachwuchses. August 1934 bis November 1946.
Am 6.7.1934 wendet sich der Freienohler Bürgermeister an den – dafür zuständigen – Kreismedizinalrat Dr. Mahr in Arnsberg: „Der hier Bergstr. Nr. 5 wohnende Invalide Johann Volpert leidet an tuberkulöser Nierenentzündung. Die Ehefrau Maria, geb. Kerstholt ist verkrüppelt. Sie hat bereits zweimal geboren... Die Gemeinde Freienohl hat angeregt, ob nicht eine Unfruchtbarmachung der Eheleute Volpert in Betracht kommt. Ich bitte um Prüfung des Falles und Stellungnahme.“ - Fortsetzung: Auswahl des Briefwechsels.
Am 18.7.1934: Fürsorgeschwester Sr. Irmfrieda MSC: „... Das Krüppelleiden der Ehefrau Volpert ist die Folge einer Hüftgelenkverrenkung.“
Am 27.11.1934: Fürsorgeschwester Sr. Irmfrieda MSC: „...Die Mutter von Frau Volpert gibt an, dass sie wegen dem Krüppelleiden ihrer Tochter die Krüppelberatung in Anspruch genommen habe. Und zwar einmal in Neheim und zweimal in Arnsberg. Weitere Belege habe ich nicht. Sr. Irmfrieda“
In der Korrespondenz wird sie angeschrieben: „An die ehrwürdige Fürsorgeschwester Irmfrieda zu Freienohl“
Am 30.11.1934: vom Freienohler Amtsbürgermeister ein Verzeichnis der Untersuchungen betref. Verhütung erbkranken Nachwuchses. Hier nur aus der Gemeinde Freienohl; manchmal mit der Alten Hausnummer (Nr....) und Beruf:
Josef Bruder, Arbeiter, und Ehefrau. - Josef Bauerdick und Ehefrau. - Adam Beckmann und Ehefrau, Nr. 157. - Emil Brandenburg und Ehefrau. - Franz Beckmann und Ehefrau, Nr. 157. - Wilhelm Carl und Ehefrau. - Heinrich Dröger, Arbeiter, und Ehefrau. - Heinz Eggenstein und Ehefrau, Nr. 138. - Paul Eickelmann und Ehefrau, Nr. 231. - Josef Figge, Häusler, und Ehefrau. - Anton Folle, Arbeiter, und Ehefrau. - Wilhelm Feldmann und Ehefrau, Nr. 252. - Alfons Figge und Ehefrau, Nr. 88. - Margarethe Göckeler, in cAnstaltsbehandlung in Eickelborn. - Gustav Gebhard und Ehefrau, Nr. 262. - Emil Gerke und Ehefrau, Nr. 272. - Otto Hesse, Arbeiter, und Ehefrau. - Anton Honekamp und Ehefrau. - Josef Honekamp, Arbeiter, und Ehefrau. - Paul Hecking, befand sich in Krüppel-Heilbehandlung in Münster. - Franz Hardebusch und Ehefrau. - Josef Heckmann und Ehefrau. - Josef Helnerus und Ehefrau. - Gustav Klemm und Ehefrau.-
Kaspar Kaulmann und Ehefrau. - Kaspar Korte, Schneider, und Ehefrau. - Ewald Köhs und Ehefrau. - Elisabeth Klauke. - Maria Kaulmann, Heilanstalt Mariental, später nach Eickelborn. - Franz Krick und Ehefrau, Nr. 321. - Theodor Korte und Ehefrau, Nr. 89. -
Otto Koßmann und Ehefrau, Nr. 170. - Johannes Köster und Ehefrau, Nr. 122. - Josef Maatz und Ehefrau, Nr. 296. - Johann Mündelein und Ehefrau, Nr. 39. - Emil Molitor und Ehefrau, Nr. 330. - Josef Latzer und Ehefrau. - Hans Neise, Friseur, und Ehefrau. -
Georg Neise, Arbeiter, und Ehefrau. - Paul Neise und Ehefrau, Nr. 304. - Josef Peetz, Kassierer, und Ehefrau. - Norbert Pöttgen und Ehefrau, Nr. 73. - Franz Pelka und Ehefrau, Nr. 64. - Johann Rebbe, Arbeiter, und Ehefrau. - Theodor Ruhrmann und Ehefrau. - Josef Schnapp, Arbeiter, und Ehefrau. - Josef Schulte, Arbeiter, und Ehefrau. - Franz Stirnberg und Ehefrau. - Maria Spieler, in der Heilanstalt Warstein in Behandlung. - Hubert Stirnberg, in der Heilanstalt Marsberg in Behandlung. - Maria Storm, in der Heilanstalt Warstein in Behandlung. - Rudolf Schwefer, im Krüppel-Heim Bigge in Behandlung. - Josef Trompetter und Ehefrau. - Josef Weber, Schreiner, und Ehefrau. - Ernst Wiesemann und Ehefrau. - Ehefrau Albert Geißler, Nr. 266. - Heinrich Schaper (?) und Ehefrau, Nr. 65.
Summe: 47 Ehepaare, 6 Frauen, 3 Männer. Ob nur die Untersuchung stattfand, ist nicht aktenkundig. - Männer wurden zumeist im Arnsberger Marien-Hospital sterilisiert; Frauen in Warstein. Siehe oben: 30.6.1936: Volksgesundheit... Zum Arnsberger Marien-Hospital wird berichtet: Bei Sterilisationen verließen die Ordensschwestern-Krankenschwestern den Operationsraum und die Nicht-Ordensschwestern übernahmen die OP-Assistenz, - wie selbstverständlich. Die Ärzte wussten, dass die Ordensschwestern die Sterilisation ablehnten, - womit nicht gemeint ist, dass die Nicht-Ordensschwestern die Sterilisation bejahten.
Am 14.8.1934 schreibt der Regierungspräsident in Arnsberg im Auftrag des Ministeriums des Innern in Berlin an die Bürgermeister im Betreff Verhütung erbkranken Nachwuchses: „...ersuche ich die Anlage eines alphabetischen Verzeichnisses in Angriff zu nehmen, in welchem namentlich aufgezeichnet ist, über welche Personen Ihres Bezirkes und an welcher Stelle Untersuchungsergebnisse aufbewahrt werden, die geeignet sind, spätere Untersuchungen abzukürzen und zu erleichtern...“
Eine solche Liste ist nicht aktenkundig. Mit welchen Gedanken, Hintergedanken, Vor-Informationen dieser Text – und ähnliche Texte – im Amt Freienohl, nicht nur vom Bürgermeister, gelesen, aufgenommen wurde, ist nicht aktenkundig. Es können andere Einfälle, Erfahrungen als heutzutage gewesen sein.
Am 6.7.1935: Das Staatliche Gesundheitsamt Arnsberg an das Amt Freienohl, an den Bürgermeister, an die Ehrwürdigen Fürsorgeschwestern Burcharda in Freienohl und Bonifatia in Oeventrop: „Streng vertraulich! Es ist beabsichtigt, demnächst die Unfruchtbarmachung folgender Personen zu beantragen...“ - Hier sind keine Namen aus Freienohl genannt.
Am 6.8.1935 fordert Landrat Teipel in Arnsberg im Einvernehmen mit dem Kreismedizinalrat Dr. Mahr ein Verzeichnis zur Verhütung erbkranken Nachwuchses an. „In Betracht kommt folgender Personenkreis: Schwachsinnige, Geisteskranke, Epileptiker, Taubstumme, erblich Blinde, Krüppel und Trinker.“
Am 25.11.1935 folgt dieses Verzeichnis vom Amt Freienohl, hier nur aus der Gemeinde Freienoh, hier geboren: (Das Wort „asozial“ ist Fachausdruck; hatte nicht die gegenwärtige - 2010 - moralische Bewertung.)
Johann Eigemeier, geb. 27.5.1889, z.Zt. in Benninghausen.
Johannes Schwefer, geb. 12.9.1920, Vater ist Paul Schwefer.
Elisabeth Klauke (Auf dem Hahn), geb. 8.11.1897, asozial geisteskrank.
Friedrich Honekamp, geb. 9.7.1870, Invalide, in Winterberg.
Adam Mester, geb. 26.8.1886, Fabrikarbeiter, taubstumm, Schwachsinn, nicht asozial.
Johannes Mester, geb. 6.1.1922, Vater ist Adam Mester: Mittelstr. 200, Epileptiker.
Hilde Bracht, geb. 30.4.1912, Adolf Hitler Str. 3, angeborener Schwachsinn.
Elli Korte, geb. 15.11.1915, Hausangestellte, Schizophrenie, nicht asozial Vater August K.
Hedwig Molitor, geb. 20.8.1924.
Richard Neise, geb. 1.8.1905, Arbeiter, Kump 253, erbliche Fallsucht.
Heinrich Weber, geb. 17.2.1901, Arbeiter, Alte Wiese 93, angeborener Schwachsinn.
Wilhelm Kehr, geb. 11.6.1891, asozial.
Paula Geißler, geb. 4.5.1917, Vater ist Wilhelm Geißler.
Elisabeth Vernholz, geb. 1.7.1917, Vater ist Aloys Vernholz.
Hanni Feldmann, geb. 18.2.1932, Vater ist Uhrmacher Johannes Feldmann.
Franz Klute, geb. 13.8.1929 an der Ruhr (?), Vater ist Hugo Klute, Schlosser.
Josef Höhmann, geb. 15.12.1880, Invalide, Schwachsinn.
Heinz Stirnberg, geb. 2.7.1924, Krüppel, Vater ist Heinrich Stirnberg, Bergstr. 87.
Heinrich Schwarzfärber, geb. 3.3.1900, Arbeiter, nicht asozial.
Josef Schwarzfärber, geb. 3.3.1900, Arbeiter, asozial.
August Geißler, geb. 23.4.1889, taubstumm, nicht asozial.
Sophie Geißler, geb. 26.6.1927, Krüppel, Vater ist August Geißler.
Heinrich Weber, geb. 16.1.1895, geisteskrank; hinzugefügt: erledigt.
August Pöttgen, geb. 28.7.1901, Bergstr. 134, angeborener Schwachsinn.
Elisabeth Pöttgen, geb. 4.1.1899.
Josef Geißler, geb. 9.6.1897, Arbeiter, Adolf Hitler Str. 57.
Josef Beule, geb. 18.1.1923, Vater ist Karl Beule, Adolf Hitler Str.
Alois Klute, geb. 29.8.1906, Fabrikarbeiter, Adolf Hitler Str. 257.
Käthe Klute, geb. 23.7.1912, Krumme Str. 50, ohne Beruf.
Frau (!) Heinrich Schwer, geb. 6.9.1876 Driburg, Bahnhofstr.158, Hausfrau, geisteskrank.
Summe: 30 Freienohler, 19 Männer, 11 Frauen.
Am 4.9.1935 schreibt Medizinalrat Dr. Mahr aus Arnsberg an den Freienohler Bürgermeister: „Ich bitte, die Fürsorgerin in Freienohl darauf hinzuweisen, dass in ihren Berichten keine Äußerung erwünscht ist, ob sie eine Unfruchtbarmachung für angebracht hält oder nicht. Die Entscheidung hierüber wird von der hierfür zuständigen Stelle getroffen.“ - Am Rand steht handschriftlich: „Gesehen Schw. B.“ - Sicher Sr. Burcharda MSC. - Wie dieser Hinweis damals „politisch“ zu gewichten war, ist nicht aktenkundig. Das Wort „Gesehen“ ist – auch allein genommen – nur Behörden-Sprache, bedeutet keine Wertung.
Am 18.2.1936 schreibt das Staatliche Gesundheitsamt Arnsberg an das Amt Freienohl: „Streng vertraulich! Es ist beabsichtigt, demnächst die Unfruchtbarmachung folgender Personen zu beantragen.“ - Hier nur aus der Gemeinde Freienohl; und: hier ist nur von der Absicht der Unfruchtbarmachung die Rede. - 4 Freienohler: 2 Männer, 2 Frauen.
„Josef Höhmann, Breiter Weg 146, geb. 15.8.1880, Schwachsinn.
Elisabeth Klauke, Auf dem Hahn 191, geb. 8.11.1897, Circulär. - Verheiratet mit Josef Klauke.
Norbert Stirnberg, Bergstr. 87 (Vater: Heinrich St. ist Reichsbahnbeamter und lehnt die Kosten der Unfruchtbarmachung ab), geb. 20.3.1919, Schwachsinn.
Elisabeth Vernholz (Vater: Alois), Am Rotbusch 324, geb. 1.7.1917, Schwachsinn.
Ich bitte für jede Personen einen Einzelbericht der Fürsorgerin einzuziehen, ob in der Familie und Verwandtschaft Fälle derselben oder anderer Erbkrankheiten bekannt sind. Der Bericht soll sich auch über den moralischen und sozialen Wert des betreffenden Kranken und seiner Familie äußern. … Der Bericht soll gefertigt werden, ohne dass die Fürsorgerin in die betreffende Familie hineingeht.... gez. Dr. Mahr“
„Abdruck zur Kenntnis mit dem Ersuchen um Beifügung der Berichte bis zum 1.3.1936. - An Ehrw. Fürsorgeschwester Burcharda - Der Amtsbürgermeister i.A. …“ (nicht lesbar) – Der Brief, etwa als Entwurf, ist nicht aktenkundig.
Am 22.4.1936, Arnsberg: Ladung an Heinrich Weber, geb. 17.2.1901, Alte Wiese 93, in Begleitung seines Elternteils (!) am Samstag, 25.4.1936 um 11.50 Uhr, Arnsberg, Gesundheitsamt, Wedinghauserstraße. Heinrich Weber ist da 35 Jahre alt. - Dr. Mahr antwortet: „Heinrich Weber ist erschienen, er wurde von seiner Schwester begleitet.“ - Nicht aktenkundig ist, ob ein Elternteil noch lebt. Nicht aktenkundig ist, ob die Unfruchtbarmachung vorgenommen worden ist oder nicht.
Am 7.5.1936; ein Schreiben wie oben am 18.2.1936; nur bezogen auf u.a. Sophia Geißler und Elli Korte; am Schluss des Briefes von Dr. Mahr steht: „Unerwünscht ist eine Stellungnahme der Fürsorgerin (ohne Name), ob sie die Unfruchtbarmachung für angebracht hält oder nicht, darüber liegt die Entscheidung anderen Stellen ob.“
Am 4.9.1936, Arnsberg: Norbert Stirnberg wird aufgefordert, sich in das Städtische Krankenhaus zwecks Unfruchtbarmachung zu begeben. Weil er mittellos ist, soll das Staatliche Gesundheitsamt die Krankenhauskosten übernehmen. - Wieder s.o.: 22.4.1936.
Am 14.4.1937: Sophia Geißler, geb. 26.6.1927, Vater: August Geißler, soll zur Feststellung einer Erbkrankheit für 6 Wochen in die Provinzial-Heilanstalt nach Warstein. Kosten entstehen nicht. - Freienohl: am 12.7.1937: Sophia Geißler ist von ihrer Mutter aus Warstein wiedergeholt worden. Die Kosten für die Rückfahrt sind erstattet worden. - Ein Befund ist hier nicht aktenkundig. Sophia Geißler war da 10 Jahre jung.
Am 5.10.1938 fragt der Freienohler Amtsbürgermeister in Arnsberg nach, „ob die Führung eines derartigen Verzeichnisses (s.o. am 30.11.1934) hier in Freienohl noch weiterhin für erforderlich gehalten wird“. - Am 13.10.1938 antwortet Arnsberg, Staatliches Gesundheitsamt: „nicht nötig“.
Lichtblicke kurz vor dem Ende
Akte AA 1807: Das staatliche Gesundheitsamt: 1935 – 1943: Zwei Auszüge:
Am 3.7.1936 erhält die Fürsorgeschwester Sr. Burcharda MSC vom Freienohler Amtsbürgermeister „reine Fahrt-Kosten“ überwiesen: 106,45 Reichsmark Reisekosten für den Monat Juni 1936; für den Monat Juli 1936: 88,16 Reichsmark. - Die Beträge an Sr. Bonifatia MSC in Oeventrop sind hier nicht notiert. Im Vergleich mit oben stehenden Daten lässt sich leicht vorstellen: das waren Fürsorge+Seelsorge-Reisen.
Zur in Freienohl viele Jahre arbeitenden Gesundheitspflegerin Fräulein Else Kleine:
Sie wird immer wieder genannt in den Akten zum Hauptthema und (z.B. AA 1748) zur Organisation, Vor- und Nachbereitung der Reisen, des Aufenthalts der Freienohler Kinder ins Kinderheim Norderney.
Am 6.4.1943: Der Amtsbürgermeister Freienohl an das Staatliche Gesundheitsamt Arnsberg: „Dem Vernehmen nach soll die seit längeren Jahren in Freienohl nach Arnsberg versetzt werden. Die Tatsache ist außerordentlich bedauerlich. Frl. Kleine hat sich im Laufe der Zeit mit Fleiß und viel Geschick in die gesundheitspflegerische Arbeit eingelebt und ist dieselbe mit den einzelnen Familienverhältnissen in dem räumlich weit ausgedehnten Amtsbezirk mit 13 Gemeinden und über 10 000 Einwohnern bestens vertraut. Mit einer Versetzung würde zweifellos eine Benachteiligung der einschlägigen Arbeiten verbunden sein, denn eine noch so gute Nachfolgerin wird Jahre gebrauchen, bis sie voll und ganz mit den einzelnen Familienverhältnissen vertraut geworden ist. Insbesondere ist eine derartige Änderung jetzt während der Kriegszeit nicht angebracht...“
Arnsberg antwortet am 8.4.1943: „...Es lässt sich leider nicht vermeiden.... Frl. Kleine wird die Stelle als leitende Gesundheitspflegerin wahrzunehmen haben, für die sie sowohl dem Dienstalter nach als auch den übrigen erforderlichen Eigenschaften die einzig in Betracht kommende ist...“
Eine ehrfürchtige und dankbare tiefe Verbeugung
Für unsere Hiltruper Missionsschwestern ist für ihre Fürsorge+Seelsorge gerade in diesen Jahren ein so auszeichnender Text (wie für Frl. Kleine) leider, leider, leider nicht aktenkundig. Die folgende Captatio benevolentiae ist nicht aktenkundig; sie stammt aus der Jetztzeit: 2010. Freilich: deutlich ist immer schon die durch das Plus-Zeichen verbundene Einheit von Fürsorge+Seelsorge, bei unseren Hiltruper Ordensschwestern mehr als eine spirituelle Qualität.
Die Namenspatrone unserer Hiltruper Missionsschwestern kennzeichnen ihre Fürsorge+Seelsorge-Qualitäten: Der Hl. Burchard war ein großer Kinderfreund (passt bestens zu Sr. Burcharda), 1028-1088, Namenstag 7.4. - Der Hl. Ubald wollte aus Bescheidenheit kein Bischof werden, aber der Papst erwählte ihn doch zum Bischof von Gubbio; abgebildet wird er mit einem fliehenden Teufel (passt bestens zu Sr. Ubalda in der Nazi-Zeit), 1080-1160; Namenstag 16.5. - Der Hl. Franz Xaver, der große Jesuiten-Pater (die Jesuiten heißen wegen ihrer Abkürzung SJ : die „Schlauen Jungs“ ) kam als Missionar weit bis nach China; 1506-1552; Namenstag 3.12., (passt bestens zu Sr. Xaveris, ihre Fürsorge+Seelsorge reichte weit ins Herz der Freienohler). - Die Hl. Irmfrieda gründete ein Frauenkloster (passt bestens für Sr. Irmfrieda für das Sich-Auskennen mit Gesunden und Kranken im Zusammenleben), gest. 735; Namenstag 19.10. - Hl. Bonifatius, Apostel der Deutschen (passt bestens zu Sr. Bonifatia, sie hat manchen Deutschen vorgelebt, wie der richtige Weg zu gehen ist), 672-754, Namenstag 5.6.
Die Akten AA 1808, AA 1809, AA 1810 aus dem Bereich der Gesundheitspflege sind für das Hauptthema ohne Befund.
Freienohler Akten nach dem Ende
Die Akte AA 1806 enthält von 1938 bis 1946 keine für Freienohl gewichtigen Einzelakten, nur bis 1940 ganz wenige und schon bekannte Rund-Erlasse. Aber:
Am 21.6.1946 (!) : Arnsberg: „Der Regierungspräsident an alle Stadt-, Kreis- u. Gemeinde-Verwaltungen des Regierungsbezirks Arnsberg: Vertraulich! (unterstrichen): Die Militär-Regierung verlangt bis zum 10. Juli 1946 Bericht über alle Vorgänge und Fälle, in denen Menschen aus folgenden Gründen Schaden zugefügt worden ist oder aber die von den Nazis umgebracht wurden: (1) Es sind alle Personen zu benennen, die durch Vergasung oder Injektionen getötet wurden. (2) Personen, an denen medizinische oder andere Experimente ohne ihre Zustimmung vorgenommen wurden. (3) Personen, die durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt oder getötet worden sind. (4) Personen, die gegen ihren Willen oder den ihrer Angehörigen sterilisiert worden sind. (5) Es ist nach Möglichkeit anzugeben, ob für die vorstehenden (oben stehenden) Maßnahmen rassische, religiöse oder politische Gründe maßgebend waren. (6) Die Feststellungen sind möglichst in diskreter Weise zu tätigen, jedoch durch ein eingehendes Protokoll von Angehörigen oder sonstigen Zeugen festzulegen. (7) Etwaige frühere behördliche Anweisungen, besonders auch höherer Dienststellen dazu, sind den Ermittlungsakten beizufügen.“
Glücklicherweise sind solche Texte im Archiv Freienohl im Stadtarchiv Meschede geblieben. Wahrscheinlich wussten Freienohler, dass Arnsberg diese Texte auch besitzt.
Und ganz am Schluss von AA 1806:
„Betrifft: Schädigung oder Umbringung von Menschen durch die Nazis; Verfügung vom 26.6.1946, Arnsberg: Vertraulich! An Freienohl am 4.7.1946: Dem Vernehmen nach sind aus den auswärtigen Heilanstalten aus dem hiesigen Amtsbezirk 6 Personen (Idioten und Geisteskranke) ausgemerzt und eingeäschert worden. - Der am 17.5.1925 geborene idiotische Friedrich Köhler aus Uentrop... Die Asche wurde der Familie Köhler übersandt (hier gekürzt). - Der am 13.11.1914 zu Freienohl geborene idiotische Hubert Stirnberg wurde seiner Zeit im St. Johannes-Stift in Niedermarsberg untergebracht und befand sich nacheinander in den Anstalten zu Warstein, Weilmünster und Hadamr. Abschriften der Mitteilungen der Anstalten zu Weilnünster und Hadamar sind beigefügt. - Die sind nicht vorhanden im Archiv Freienohl. - Über die 4 anderen Geisteskranken haben die Angehörigen ähnliche Nachrichten von den Anstalten bekommen. - Diese Namen und Akten befinden sich nicht im Archiv Freienohl.
Quellen, Informationen
zum jetztzeitigen Wortgebrauch: Narzisstischer Machtmissbrauch,
zum damaligen Wortgebrauch: Verlegung, Grauer Bus, Euthanasie T 4, Gastod, RIF;
dieser Wortgebrauch kam in den Freienohler Akten nicht vor.
„Narzisstischer Machtmissbrauch“; dieser psychologische Fachbegriff wurde geprägt vom höchst angesehenen Otto F. Kernberg (siehe ganz oben).
Zum gründlichen Gedenken soll hier dieser Wortgebrauch deutlich gemacht werden: die benutzte Literatur, aus ihr ist abgeschrieben:
Bernd Walter: Psychiatrie und Gesellschaft in der Moderne. Geisteskrankenfürsorge in der Provinz Westfalen zwischen Kaiserreich und NS-Regime. Forschungen zur Regional-Geschichte, 16, Paderborn 1996, Seiten 1046. ISBN 3506795880 - Stadtarchiv Arnsberg, Signatur: Archiv-Bibliothek G1c 286. - Zitiert: (Walter, Seiten-Zahl)
Ulrich Wagener (Hg.): Das Erzbistum Paderborn in der Zeit des Nationalsozialismus. Beiträge zur regionalen Kirchengeschichte 1933-1945, Bonifatius V. Paderborn, 1993, ISBN 3-87088-756-7, Hier: Werner Tröster: „Die ganze Front stand voller Neugieriger, die aber lautlos zusahen“, S. 333 ff. - Zitiert: (Wagener, Seiten-Zahl)
Werner Tröster: Suttrop – Dorpke. Zur Geschichte des Westfälischen Landeskrankenhauses Warstein, 1980, hier S. 119-131: „Euthanasie“ an Warsteiner Patienten. (Anmerkung: wegen desselben Autors: fast textgleich wie in U. Wagener...)
Die Literatur-Angabe innerhalb des abgeschriebenen Texts wird darin ausgelassen.
Josefs-Gesellschaft e. V. (Hrsg.): Zwischen Fürsorge und NS-Ideologie, dialogverlag Münster, ISBN 3-933144-38-8
Diese Bücher sind im Stadtarchiv Meschede einsehbar.
Internet: Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, Berlin; Ausstellung: „erfasst, verfolgt, vernichtet“.
Auszüge aus dieser Literatur:
Auf dem „Parteitag der Freiheit“
(Wagener, 335)...19.-16.1935 äußerte Hitler...seine Absicht, die „Euthanasie“ durchzuführen. Doch für Friedenszeiten fürchtete Hitler Widerstand in der Bevölkerung, und so wartete er bis zum September 1939, bis er in seiner Kanzlei...davon unterrichtete, dass Geisteskranke bestimmter Art in ganz Deutschland zur Tötung vorgesehen sein. Ein Teil der anwesenden Ärzte sagte die Mitarbeit bei dieser Euthanasie-Aktion zu, andere lehnten jede Beteiligung grundsätzlich ab. Tatsächlich hatten die Vorbereitungen zur „Euthanasie“ im Dritten Reich aber bereits 1936/37 auch in Form von Verlegungen Kranker begonnen. Ende Oktober 1939 nach dem Polenfeldzug hielt Hitler die Zeit für günstig und unterzeichnete folgenden Führererlass, den er auf den 1.9.1939 zurückdatierte: „Reichsleiter...und...sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu benennender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann. Adolf Hitler.“...
Zum Glück – manchmal – Post von Ordensschwestern
(Wagener, 347) Als in der Warsteiner Heilanstalt der wahre Grund der Verlegungen nach und nach ersichtlich wurde, setzte eine hektische Tätigkeit verschiedener Kreise ein mit dem Ziel, Patienten vor der Verlegung zu bewahren. Zahlreiche Briefe wurden den Angehörigen gefährdeter Patienten geschrieben, die mit der bevorstehenden Verlegung ihrer Familienangehörigen Mitteilung machten. Die Pfarrer, Ärzte, Pfleger und Schwestern ergriffen die Initiative. Einige dieser Briefe sind in Durchschrift erhalten. Mit fast gleichlautenden Sätzen heißt es stets, „dass die Möglichkeit besteht, dass N.N. in eine weit entfernte Anstalt verlegt wird, sodass unter Umständen keine Möglichkeit mehr besteht, sie/ihn wiederzusehen oder nach Hause zu holen.“ Sr. M. Thiatildis, damals Oberin (der Vinzentinerinnen) der Heilanstalt, bekundet, sie habe selbst etwa 100 solcher Briefe geschrieben, und zwar mit Billigung Dr. Petermanns... Als die Schwestern dem... Dr. S. eines Sonntagsabends einen Stapel solcher Benachrichtigungskarten in Bleistifthöhe bis zu 20 cm zeigten, veranlasste der ...Dr.S., weil er die Aufgabe dieser Kartenmenge an einem Ort und damit im Bereich einer Postanstalt für gefährlich hielt, dass eine der Schwestern eine Rundreise durch verschiedene Orte der Umgebung von Warstein antrat und die Postkarten so in mehreren kleinen Portionen in Postkästen verschiedenen Ortes einwarf... Die Ordensschwestern brachten auch Kranke in den Häusern ihrer Mitschwestern unter... Sr. Oberin Thiatildis hat dafür gesorgt, dass eine größere – zahlenmäßig nicht mehr feststellbare – Anzahl Kranker, die auf den Verlegungslisten standen, in konfessionelle Anstalten (katholische Krankenhäuser Lippstadt, Paderborn, Rüthen und Hagen) untergebracht wurden.
Vom damaligen katholischen Anstaltspfarrer Dr. Lorenz Pieper sei aus ausführlichen Abschnitten in dem Wagener-Buch nur dieser kleine Ausschnitt aus den Texten und Predigt-Texten von Pieper zitiert (Wagener, 348): „Das Homicidium greift frevelhaft ein in die Hoheitsrechte Gottes, der allein Herr über Leben und Tod ist, und dessen besonderes Eigentum, Diener und Ebenbild der Mensch ist...“
Die öffentlichen Reaktionen, Reden, Predigten deutscher katholischer Bischöfe, z.B. vom Bischof von Limburg (in der Nähe von Hadamar), vom Bischof von Münster Clemens August Graf von Galen, vom Paderborner Erzbischof Dr. Lorenz Jaeger sind nachlesbar in mehreren Veröffentlichungen.
Siehe auch oben den Abschnitt „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI.
„Aktion T 4“ und „Verlegung“
(Wagener, 337) … Sofort nach dem Führererlass fingen die Vorbereitungen zur Durchführung der „Euthanasie“ an, die bald einfach „Aktion“ genannt wurde. Drei Tarnorganisationen wurden eigens für die „Aktion“ geschaffen:
a) Die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“, die mittels Fragebögen die Kranken für die „Aktion“ ermittelte (siehe ganz oben: 23.3.1937: Erbbiologischer Fragebogen). Anhand der Fragebögen begutachteten drei Gutachter die Kranken, die diese persönlich nicht kannten, und wenn sie sich für die „Verlegung“ in eine „Euthanasie“-Anstalt aussprachen, empfahl ein Obergutachter diese Verlegung. Der Reichsminister des Inneren ordnete sodann die Verlegung der Kranken „im Rahmen planwirtschaftlicher Maßnahmen“ an.
b) Die „Gemeinnützige Krankentransport-Gesellschaft m.b.H.“. Sie hatte die „Verlegung“ der Kranken durchzuführen, die in Reichsbahn-Sonderzügen bzw. Sonderwaggons oder in Omnibussen, deren Fenster verhängt waren, durchgeführt wurden. Ziel der „Verlegung“ war in der Regel eine Durchgangsanstalt, wo die Kranken vielfach nur wenige Tage verblieben und dann in die Tötungsanstalt überwiesen wurden... Weder die Betroffenen noch ihre Angehörigen wurden vor eine Entscheidung gestellt.
c) Der „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“. Dieser Ausschuss betrieb die Tötung missgestalteter und geistig behinderter Kinder.
Die Berliner „Euthanasie“-Zentrale weitete sich aus und bezog im April 1940 eine Villa in Berlin-Charlottenburg, Tiergartenstraße 4; von da an nannte sich die Aktion „T 4“ oder „Aktion T 4“ oder auch einfach „Aktion“...
Patienten-„Verlegungen“ aus der Provinzial-Heilanstalt Warstein
(Wagener, 338... 361) Zur Erinnerung: Patienten und Juden sind Menschen.
Am 20.9.1940: 17 Juden nach Wunstorf (5 Männer, 12 Frauen).
Am 27.6.1941:253 nach Herborn. - 11.7.1941: 78 nach Weilmünster. - 14.7.1941: 78 nach Weilmünster. - 17.7.1941: 75 nach Weilmünster. - 22.7.1941: 72 nach Weilmünster. - 24.7.1941: 81 nach Eichberg. - 28.7.1941: 78 nach Eichberg. - 31.7.1941: 71 nach Eichberg. - 4.8.1941: 76 nach Eichberg. - 14.8.1941: 58 nach Eichberg. - 26.7.1943: 640 nach Weilmünster, Gießen, Hadamar und Pfafferode.
Im Jahr 1943 klagte eine (unbekannt gebliebene) Ordensschwester in ihrem Zeugenbericht an den Paderborner Erzbischof Dr. Lorenz Jaeger: „Die ganze Front stand voller Neugieriger, die aber lautlos zusahen. Es bleibt die Frage: Was wusste die deutsche Bevölkerung von der Euthanasie?... Ich erinnere mich deutlich, wie wir als Kinder die Kriegsseife, – Schwimmseife -, einander vorhielten und nach der Bedeutung der über oder unter der Registernummer auf der Seife eingegrabenen Buchstaben „RIF“ fragten. Hinter vorgehaltener Hand sagten wir: „Ruhe in Frieden“, eine deutliche Anspielung, die Seife sei aus menschlichem Fett hergestellt; eine Anspielung, die wir Kinder in ihrer Konsequenz nicht verstanden. Nun existiert ein „Rezept zur Herstellung von Seife aus Fettresten“ vom Anatomischen Institut der Medizinischen Akademie Danzig vom 15.2.1944, das in dem Sammelband „Medizin im Nationalsozialismus“ als „Rezept zur Herstellung von Seife aus (menschlichen) Fettresten“ deklariert ist...“ - Soweit die Ordensschwester. - Zu diesem Thema äußerte sich 1987 eine Zeitzeugin aus Warstein-Belecke wie folgt: „Nein, das heißt anders: „Reines Idioten-Fett“ Wir wohnten damals direkt an der Bahn und sahen immer die Züge bzw. die Wagen an den Zügen, in denen die Kranken aus Warstein abtransportiert wurden.“
„Beobachtungs-“ oder „Zwischenanstalten“ waren Eichberg, Weilmünster und Herborn.
Wer an diese Orte kommt, mag dort zu Gedenkminuten verweilen.
Der „Graue Bus“
Vorbemerkung: Soviel ist noch in Erinnerung: von Freienohl aus oder durch Freienohl gab es keinen „Grauen Bus“, erst ab Warstein oder aus Dortmund...
(Wagener, 340) … Öfter in der Woche kommen Autobusse mit einer größeren Zahl Opfer in Hadamar an. Schulkinder der Umgebung kennen diesen Wagen und reden: „Da kommt wieder die Mordkiste!“ - Nach der Ankunft solcher Wagen beobachteten dann die Hadamarer Bürger den aus dem Schlot aufsteigenden Rauch und sind von dem ständigen Gedanken an die armen Opfer erschüttert, zumal wenn sie je nach der Windrichtung durch die widerlichen Düfte belästigt werden. Die Wirkung der hier getätigten Grundsätze ist: Kinder, einander beschimpfend, tun Äußerungen: „Du bist nicht recht gescheit, du kommst nach Hadamar in den Backofen!“ Bei alten Leuten hört man die Worte: „Ja in kein staatliches Krankenhaus! Nach den Schwachsinnigen kommen die Alten als unnütze Esser an die Reihe!“
In der „Kinderfachabteilung“ kein Gas, sondern eine Spritze
(Walter, 695)...In Dortmund-Aplerbeck... Die Pflegerin hatte die 15 – 20 Kinder zu füttern, zu wickeln und zu waschen, die Reinigung der Räume zu überwachen und die Bettwäsche zu wechseln. Die Versorgung der Kinder war offenbar normal. Die Kinder wurden in der Regel 3 – 4 Monate beobachtet, bevor ein abschließender Bericht nach Berlin ging. Während der Beobachtungszeit fand keine spezielle Behandlung gegen die angeborenen Leiden statt; wissenschaftliche Untersuchungen oder irgendwelche Experimente wurden nicht vorgenommen. Auch in den Krankenakten finden sich keine Hinweise auf derartige Handlungen. Traf die „Behandlungsermächtigung“ aus Berlin ein, erhielt die Schwester U. (keine Ordensschwester) die Anweisung, das Kind zu „beseitigen“. Die Tötung erfolgte durch Überdosen der Medikamente Veronal oder Luminal, die den Kindern in aufgelöster Form eingeflößt wurden. Meistens geschah das um die Mittagszeit, sodass die Kinder bis abends verstarben. Trat der Tod nach der Tabletteneingabe nicht ein, so half der Arzt mit seiner Spritze nach. Die Leichen der Kinder wurden zum überwiegenden Teil auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt. Zu Weihnachten 1941 zahlte der „Reichsausschuss“ an (den Arzt) Sengenhoff für seine Dienste eine „Gratifikation“ von 400 RM.
Eine andere Pflegerin berichtet über zwei ungewöhnliche Todesfälle: „Anlässlich eines Bombenangriffs in den Nachtstunden wurden von uns Pflegerinnen sämtliche Kinder in die Kellerräume gebracht. Die etwas älteren Kinder halfen uns beim Runtertragen von Decken, Kissen und ähnlichen Dingen der Station. So auch diese beiden 11 Jahre alten Mädchen, deren Namen mir heute nicht mehr erinnerlich sind. Nachdem der Fliegerangriff vorüber war, wurden die Kinder wieder nach oben gebracht und wieder in ihre Betten gelegt. Am darauf folgenden Morgen gelang es mir nicht, die beiden besagten Mädchen zu wecken. Ich hatte den Eindruck, dass sie sehr fest schliefen. Als ich am gleichen Abend gegen 19 Uhr meinen Nachtdienst wieder aufnahm, stellte ich fest, dass die besagten Mädchen nicht mehr da waren und andere Kinder in den Betten lagen. Als ich nach dem Verbleib der beiden Mädchen fragte, wurde mir gesagt, dass sie verstorben seien.“
Gastod
(Walter, 737) ...Waren in Hadamar Tötungskapazitäten frei, fuhren morgens zwei bis drei GEKRAT-Busse und der Transportleiter mit seinem PKW in eine der „Zwischenanstalten“, um anhand der Transportlisten weitere Opfer abzuholen. Jedem Bus waren zwei Pflegerinnen oder Pfleger als Aufsichtspersonen zugeteilt. Nach Aussagen des Pflegepersonals reagierten die Kranken auf die erneute Verladung unterschiedlich, mit Teilnahmslosigkeit, Trauer oder Angst. Aufgrund der geringen Distanz zwischen den Anstalten erreichten die „Grauen Busse“ schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit ihren Bestimmungsort und fuhren in eine Holzgarage, die hinter dem „Neubau“ der Anstalt Hadamar errichtet worden war. Von dort führte das Begleitpersonal die Opfer durch einen Schleusengang und Vorflur in den Warte- und Auskleideraum im Erdgeschoss des rechten Flügels. (in Walter, S. 338, 340 sind Abbildungen) Dort wurden sie entkleidet und dem Tötungsarzt vorgeführt...(einer) schilderte den Ablauf der Untersuchungen folgendermaßen: „Die Omnibusse waren meist mit Gleichgeschlechtlichen beladen, die kamen rein und wurden ausgezogen und weitergeführt zum Photographieren, dann dem Bürobeamten vorgeführt, der die Identifizierung vornahm. Das Photographieren geschah aus dokumentarischen Gründen, natürlich auch aus wissenschaftlichen Gründen. Wissenschaftlich ist eigentlich zu viel gesagt. Ohne die Fälle näher zu erläutern, war es vielleicht nur, um eine Sammlung von Bildern der Geisteskranken zu haben. Sie wurden gemessen, gewogen. Sie gingen an dem Bürobeamten vorbei, der festzustellen hatte, ob die in der Krankengeschichte und auf der Photokopie angegebenen Daten stimmen. Fragliche Fälle, die der Bürobeamte nicht ohne weiteres entscheiden konnte, übergab er mir dann...Ich habe die Krankengeschichten durchgeblättert, die Photokopie dabei gehabt, habe die betrachtet, die Symptome, die Diagnose usw. überprüft.“ Diese „Untersuchung“ dauerte pro Patient ein bis zwei Minuten... Es wurden nur wenige Zurückstellungen wegen Kriegsbeschädigung, Schwangerschaft oder der Staatsangehörigkeit vorgenommen. War diese oberflächliche Registrierungs- und Identifizierungsprozedur abgeschlossen, mussten die Kranken einen alten Militärmantel überziehen. Danach führte sie das Pflegepersonal über eine Treppe in den Keller, wo sie von anderem Personal übernommen wurden. Der Zugang in die Gaskammer erfolgte über einen Vorraum. Die Gaskammer mit einer Fläche von etwa 14 Quadratmeter besaß neben dem Zugang vom Vorraum aus noch eine zweite luftdicht zu verschließende Tür zu einem Nebenraum, in dem die Gasflaschen standen und über den die Leichen in den Verbrennungsraum geschafft wurden. Entlang der Wände verlief in etwa ein Meter Höhe eine perforierte Rohrleitung, die mit den Gasflaschen im Nebenraum verbunden war. Durch sie konnte das tödliche Kohlenmonoxyd-Gas in den Raum geleitet werden. Zur Tarnung waren an der Decke Brauseköpfe wie in einem Duschraum angebracht. Die Entlüftung des Raumes erfolgte über einen Ventilator. In der Nähe der Gaskammer stand ein Sezierraum mit zwei Seziertischen zur Verfügung. Für den Loren-Transport der Leichen zu den zwei Krematorien waren im Kellerboden Gleise verlegt. Nachdem die Pfleger die Kranken in die Gaskammer getrieben hatten und die Türen verschlossen waren, drehte der im Nebenraum stehende Arzt den Gashahn auf. Das Gas strömte in den Raum und tötete die Kranken innerhalb weniger Minuten. Dieser Vergasungsprozess konnte von außen durch eine Glasscheibe beobachtet werden. Auf Nachfrage erklärte ein Pfleger im Hadamar-Prozess: „Ja, ich sah einmal durch das Guckloch. Es war ein schauriger Anblick, wenn die Kranken nach und nach zusammensackten und durcheinander fielen. Ich werde den Anblick nie mehr verlieren oder vergessen.“ - Nach der Ermordung war es die Aufgabe der sogenannten „Brenner“ oder „Desinfektoren“, die Leichen mit Hilfe der Transportloren zu den Verbrennungsöfen zu fahren und dort zu verbrennen. Goldzähne wurden den Opfern zuvor heraus gebrochen; einigen entnahmen die Ärzte das Gehirn „zu wissenschaftlichen Zwecken“...Währenddessen erledigte die Verwaltungsabteilung mit der Erstellung der Sterbeurkunden und Trostbriefe und mit dem Versand der Urnen in bürokratischer Manier die „Sterbefall-Abwicklung“. - Durch den Abbruch der „Aktion T 4“ blieb vielen westfälischen Kranken und Behinderten das grausame Ende in der Gaskammer erspart...
(Wagener, 341) ...Auf vielfachem Protest kirchlicher Vertreter und auf Berichte von Behörden und Gerichtsstellen und unter dem Druck der öffentlichen Meinung gab Hitler im August 1941 in seinem Hauptquartier mündlich den Befehl, die „Euthanasie“Aktion sei abzustoppen... Doch in Hadamar, Eichberg und Weilmünster ging die „wilde Euthanasie“ bis Kriegsende weiter (1945). Die Zahl der allein in Hadamar wild euthanasierten Menschen wird auf über 4 000 geschätzt. - Die Gräberfelder in Hadamar, auf denen 1941 die Asche der Verbrannten und später die Leichen der Ermordeten in Massengräbern bestattet wurden, sind zu einer würdigen Gedenkstätte ausgestattet. Ein Obelisk trägt die Aufschrift: „Mensch, achte den Menschen“.
Sein Fest der 10 000sten Leiche feiert Narzisstischer Machtmissbrauch
(Wagener, 341) Hadamar, 1941: ...Es steht aber fest, dass anlässlich der 10 000sten Leiche eine abscheuliche „Feier“ gehalten wurde. Zeugen berichteten: „... Dr. Berner (erklärte) bei dem gemeinschaftlichen Mittagstisch, es würde heute die 10 000ste Leiche verbrannt werden, hierzu habe sich das gesamte Personal einzufinden. Wir versammelten uns dann gegen Abend auf dem Flur im rechten Flügel, wo jeder eine Flasche Bier empfing und von wo aus es dann in den Keller ging. Dort war auf einer Bahre ein nackter männlicher Toter mit einem großen Wasserkopf aufgebahrt.Auf Vorhalt erklärte ich mit Bestimmtheit, dass es ein wirklich Toter und keine Papierleiche war. Der Tote wurde von den Brennern auf eine Art Trog gelegt und in den Verbrennungsofen geschoben. Hierzu hielt Märkle, der sich nach Art eines Geistlichen zurechtgemacht hatte, eine Leichenpredigt.“ Eine Augenzeugin berichtete: „Es wurde auch Musik gemacht“. Ein anderer Augenzeuge: „...es war damals eine Mordssauferei... diese Trinkerei artete darin aus, dass ein Umzug durch das ganze Gelände gemacht wurde.“
Ein ganz, ganz,ganz anderes Gedenken wird möglich sein vor unserem Amtshaus mit dem Gedenkstein und drinnen mit der Gedenktafel!
Heinrich Pasternak, Juli 2012, April 2014, Oktober 2024.