Die Vergesslichkeit der Erinnerung

Zitate

aus dem Buch: Tiemo Rainer Peters: Bewahren und Bewähren. Historische und politische Theologie im Anschluss an Thomas von Aquin; Matthias Grünewaldf Verlag: 2015, ISBN 978-3-7867-3042-2

Hier Zitate von Seite 33 – 39. Ganz wenige Zitate sind nicht von T.R.Peters sondern von ihm zitierte Autoren. Wichtig für diese Auswahl ist der Inhalt.

Erinnerungs-Kultur: eine Aktualisierung von 2024 für politisch interessierte, engagierte Eltern dieses preiswerte Buch 10 €: „Ehrfurcht vor Gott : Über das wichtigste Bildungsziel einer modernen Gesellschaft“ von Klaus Zierer, Thomas Gottfried im Verlag Waxmann: Münster, New York; 120 Seiten. Hier ohne Zitate. Nun zu T.R. Peters: Zitate:

 

Erinnerungen können heilsam sein, manchmal sind sie destruktiv oder auch heikel. Sie wollen gepflegt und geschärft werden, aber durch nichts lassen sie sich erzwingen oder künstlich wach halten.

Wie können zurückliegende Ereignisse ermittelt und vermittelt werden, ohne dass sich die Erinnerung daran gleichsam selbst in den Rücken fällt und ihre eigene Auslöschung betreibt? Wie muss speziell die Vergegenwärtigung der jüngsten deutschen Vergangenheit beschaffen sein und welche Pädagogik und Politik können ihr an die Seite treten, damit diese Geschichte kollektiven Leidens wo nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar (Adorno), nicht wie jede andere irgendwann „hinter uns“ liegt und nicht mehr schmerzt. … Warum soll sie überhaupt noch schmerzen und nicht der abschließenden Sichtung und Bewertung der Historiographie übergeben werden, ohne die jetzt Lebenden weiter zu beschweren?

Erinnerung = soziales Gedächtnis.

...das Verlorene, das immer neu verloren zu gehen droht, dem Mahlstand der Gewohnheit und des Vergessens abzutrotzen – durch Erinnerung. Nicht durch eine memoria, die von außen zu mobilisieren wäre, sondern durch ein tief im Menschen arbeitendes Vermögen, ...eine unwillentliche Erinnerung...

Das Erinnerungsvermögen: ein Grundstoff jedes Denkens. Die Vernunft ist Gedächtnis bestimmt, noch bevor sie darüber nachdenkt. Aber sie hat darüber nachzudenken, wenn sie vernünftig bleiben will.

Man muss die Resultate dere Erfahrungen anderer übernehmen und sich erweitern um das, was sie gesehen haben und wir nicht.

Es ist unmöglich, die Wahrheit von sich selbe zu empfangen.

Wir sind Erben in dem, was wir sind und im Entdecken des Vergangenen emdeckt sich Verborgenes unserer selbst.Die Tradition weigert sich, der kleinen und arroganten Oligarchie derer, die einfach zufällig auf Erden wandeln, sich zu unterwerfen.

Erinnerung ist ein komplexes Geschehen.

Es gibt einen Grad von Schlaflosigkeit, von Wiederkäuen, von historischem Sinn, bei dem das Lebendige zu Schaden kommt und zugrunde geht, sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Kultur. Die Erinnerung ist also ebenso unverzichtbar für das Denken, wie es problematisch ist, wenn dieses gar nicht mehr selber denkt, sondern bloß wiederholt, was andere ihm vorgesagt haben.

Die Vorstellung, man könne in der Erinnerung Vergangenes bleibend und unangreifbar bewahren, ist trügerisch. Die Erinnerung bleibt im Akt des Erinnerns oder Gedenkens nicht, was es ist, es verändert sich. Es wird modifiziert, umgeschrieben und insgesamt destabilisiert, vor allem, wenn mehrere Generationen daran „arbeiten“.

Erinnerung als Verantwortung.

Das Auschwitz-Gedächtnis, wie es in der Öffentlichkeit, den Schulen und Bildungseinrichtungen gepflegt wird, droht zur „Gedenk-Religion“ zu werden, weil die Trauer oft nur eingesetzt und inszeniert wird, um den feierlichen Rahmen des Gedenkens zu unterstreichen. Die Erinnerung wäre lediglich der gesellschaftlichen Correctness bzw. dem Curriculum geschuldet, nicht dem persönlichen Erschrecken darüber, vielleicht selber in die Geschichte des Grauens verstrickt zu sein.

Nicht Betrachtung kann das Ziel des Gedenkens sein, sondern Verwandlung, das heißt die Übernahme von Verantwortung für die eigene Geschichte.

Die durch Hitler beherrschte deutsche und europäische Geschichtsphase muss nicht nur ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen, sie muss dort auch noch einmal in die eigene Verantwortung übernommen werden.

Verantwortung wird nicht nur durch ein gegenwärtiges, aktuelles Geschehen ausgelöst, sondern auch durch ein potentielles, das noch nicht existiert sondern jetzt schon unser Engagement verlangt, damit es gar nicht erst geschieht. Wie die Zukunft, können auch, wie sich zeigte, vergangene Ereignisse Fragen an uns richten und heute noch verpflichten.

Der Mensch ist nicht nur für das verantwortlich, was er selber tut, sondern auch für das, was nach ihm geschehen kann oder vor ihm geschah.

… eine Kultur des reflektierten Selbstmisstrauens...

Erinnerung und Identität

Im Mittelpunkt allen Gedenkens steht nicht der Gedenktag, die monumentale Gedenkstätte, der zum Nachdenken gekommene, über sich selbst, sein Erbe, sein Eigenstes nachdenklich gewordene und erschrockene Mensch. Dessen Wurzeln liegen in der Familie, der klassischen Bildung, im christlichen Humanismus, der Mündigkeits-Tradition der Aufklärung, der religiösen und nachreligiösen Kultur. Aber letztlich ist das ganze religiöse, humanistische und kulturelle Erbe umsonst, wenn es nicht persönlich, sondern nur für die Schule, die Universität oder für die Kirche angeeignet wird.

Man kann die Weisheit nicht fertig übernehmen, man muss sie selbst entdecken auf einem Weg, den keiner für uns gehen und keiner uns ersparen kann, denn sie besteht in einer bestimmten Sicht der Dinge. Schon bei Thomas von Aquin war es der je einmalige, selbstverantwortliche Mensch, der dem sittlichen Handeln seine Stimmigkeit verleiht.

Dein Empfinden ist deine höchste Aktivität. (Meister Eckhart)

Den echten, jetzt noch schmerzenden Schmerz über die Vergangenheit gibt es nur dort, wo sich das Individuum mit seinen eigenen Bedürfnissen und Emotionen beim Erinnern wieder erkennt.

Was die Christen und die christlichen Kirchen betrifft, so wird man sie nur ernst nehmen, wenn sie ihr Glaubensbekenntnis mit einem Schuldbekenntnis verbinden, dass auch ihr Gedächtnis unvollständig und ungenau gewesen ist, weil sie vergessen hatten, dass Jesus Jude war. Betrachteten sie jedoch ihre eigene deutsche Christentumsgeschichte als „negatives Eigentum“, wären sie wichtige Partner im schwierigen Prozess des kollektiven Gedenkens. Sie könnten helfen, gerade wegen ihrer einzigartigen Erinnerungs- und Erzählkultur, Spielräume zu schaffen, die sowohl der Verständigung, wie auch der Prävention dienen, nicht zuletzt dem humanitären Engagement. Kreative Zonen zwischen Glauben und Weltverantwortung, Spiritualität und sozialem Handeln.

(„Erzählkultur“: die Bibel des Alten und Neuen Testaments, des Alten und Neuen Volkes Gottes; „Spielräume“ = Lebensräume)

 

Zur Aktualisierung der Erinnerungs-Kultur ist sinnvoll ihr Wahr-Nehmen zum Beispiel auf unserer Homepage Freienohler.de: Geschichtstexte…: Mit Brauchtum und Bräuchen len…; Frau, Frauen in Freienohl: Kapitel 23: unsere Hiltruper Ordensschwestern Sr. Marialdis, Sr. Wilburgis…; Unser Zusammenleben mit unseren jüdischen Familien. Konkret und praktisch: Friedhofs-Visite plus Pflege auf dem Alten Friedhof und dem Waldfriedhof; in Sundern-Westenfeld zum Grab von unserem Pfarrer Werner Gerold, verstorben 2001, unser Pfarrer von 1983 bis 2000 und zum Friedhof in Oeventrop zu den Gräbern unserer Hiltruper Schwestern.

Heinrich Pasternak, aktualisiert September 2024.