Heinrich Repke-Kreuzweg-Beten mit der „Plötzensee-Liturgie“ und mit Hilfe der „Christologie nach Auschwitz“

Mit dem Hintergrund:
Heinrich-Repke-Kreuzweg in der St. Nikolaus-Pfarrkirche Freienohl, gemalt zu Beginn des Nationalsozialistischen Regimes 1929-1933; deutlich Sichtbares gegen das NS-Regime.
Papst Pius XI.: Enzyklika „Mit brennender Sorge“, 1937.
Mit den Predigt-Ausschnitten bei der Plötzensee-Liturgie vom Dominikaner P. Dr. Karl Meyer OP, Hamburg und mit Zitaten aus der „Christologie nach Auschwitz“ vom Dominikener P. Dr. Tiemo Rainer Peters OP, Hamburg; 1982-2013.
 
Die Plötzensee-Liturgie
Jährlich am 20. Juli feiern Christen, katholische und evangelische, Priester und Pastoren, Juden und andere gemeinsam die katholische Eucharistie und das evangelische Abendmahl im Plötzensee-Henker-Schuppen, weil in ihm evangelische und katholische Geistliche mit wirklich geheimnisvoller Absicht des Nazi-Regimes gemeinsam erhängt worden sind. Für diesen einzigartigen Gottesdienst hatte der damalige Bischof von Berlin Joachim Meisner seine besondere Erlaubnis geradezu selbstverständlich gegeben. -
 
Dazu eine Vorgeschichte, zitiert aus einer Predigt in Bochum am 29.6.2014 von Dr. phil. Antje Vollmer (geb. 1943; evangelische Pastorin; 1994-2005 Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages; ...Wikipedia): „Die Verurteilten hatten nur noch wenige Stunden zu leben. Sie hatten einen letzten gemeinsamen Wunsch: Die Geschwister Sophie und Hans Scholl, beide evangelisch, und ihr Freund Christoph Probst, katholisch, baten darum, zusammen ein letztes gemeinsames Abendmahl feiern zu dürfen. Es wurde ihnen nicht erlaubt. Die Zurückweisung dieses Wunsches kam dieses Mal nicht von staatlicher Seite, sondern von den kirchlichen Würdenträgern. Katholiken und Protestanten durften auch in der Todes-Zelle nicht gemeinsam zum Tisch des Herrn. … Selbst in diesem Raum, in dem der Henker keinen Unterschied mehr machte zwischen den Verurteilten, bleibt die unüberwindliche Grenze bestehen bei der gemeinsamen Gedenkfeier für die Opfer der Schergen, darf der Zugang zum Tisch des Herrn nicht gemeinsam wahrgenommen werden. Grenzgänger sind gefragt, mutige Menschen, die solchen Grenzziehungen nicht länger gehorchen. Im Todestrakt von Dachau, bei den Freunden Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst war es ein unbekannter Helfer des Henkers oder der Gestapo, der den Dreien eine letzte gemeinsame Zigarette anbot als Zeichen ihres gemeinsamen Bundes und Schicksals... Leonardo Boff, der große lateinamerikanische Befreiungs-Theologe hat das das „Sakrament der letzten Zigarette“ genannt... „Wacht und betet, auf dass ihr bei Anfechtung nicht fallt!“ sagt Jesus im Garten Gethsemane zu seinen Jüngern...Er ist allein. Darum braucht er seine Jünger... Er braucht sie, um weiter darauf zu vertrauen, dass sein Opfertod einen Sinn hat, mit dem er bezeugen wird, dass das Reich Gottes den Armen, den Verlierern und den Verlorenen dieser Welt gilt, und dass es die größten religiösen und politischen Mächte dieser Welt durch Gewaltlosigkeit überwinden wird... Das genau war die Geburtsstunde des Christentums: Bleiben unter dem Kreuz...“
 
Dieses Kreuzweg-Beten mit der Plötzensee-Liturgie
ist schon wegen zeitlicher Überbeanspruchung auch ohne den Heinrich-Repke-Kreuzweg sinnvoll und ohne das Mitlesen der Abschnitte der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI. im Freienohler Flyer zum Heinrich-Repke-Kreuzweg.
Vertiefend, ergänzend oder zuvorkommend sind mit Hilfe des Internets:
(1.) „Plötzensee-Liturgie“.
(2.) Die Predigten von P. Dr. Karl Meyer OP: „Dominikaner in Hamburg“; und gesondert im Internet die in den Predigten genannten Namen.
(3.) Zur „Christologie nach Auschwitz“ von P. Dr. Tiemo Rainer Peters OP das Buch von Jürgen Manemann, Johann Baptist Metz (Hrsgb.): Christologie nach Auschwitz, Lit-Verlag Münster 1998.
(4.) „www.antje-vollmer.de“ : ihre Predigt in Bochum am 29.6.2014.
 
Vorschlag zur Gebets-Praxis, auch für eine Gruppe
In aller Stille, ohne Vorbeter 3, 4 Stationen gehen. - Sich hinsetzen. - Die 3, 4 Stationen selber lesen oder der Gruppe vorlesen, langsam, mit Pausen. Selbstgewählte Kürzungen mögen auch sinnvoll sein. - Zum Schluss kann ein Gedanken-Austausch sinnvoll sein. - Das Vater-unser mit dem Kreuzzeichen.
 
Ein Vor-Gang – vielleicht ganz privat, ganz allein
mit Ausschnitten aus der „Christologie nach Auschwitz“.
Was Auschwitz war und immer noch bedeutet, gilt als bekannt.
„Christologie“, ein theologischer Fachausdruck meint das christliche Glaubensgut über Jesus Christus, hier zugespitzt, konzentriert durch Auschwitz mit all seinem Drum und Dran: Christsein – Judentum – NS-Regime.
Aus den „10 Thesen zu einer Christologie nach Auschwitz“ sind hier Ausschnitte zitiert, die zu den Kreuzweg-Stationen passen können. Etwa die Hälfte der Text-Menge. Verbindende Gedanken, Worte, Sätze zwischen der Kreuzweg-Station und den 10 Thesen sind ausgespart. (Die Zahl in Klammern gibt die Nummer der These an. Kursiv: T.R.Peters)
 
Die Kreuzweg-Stationen mit Ausschnitten der „Christologie nach Auschwitz“
 
Erste Station: Jesus wird zum Tod verurteilt
„Jede Christologie nach Auschwitz muss über ihren Anti-Judaismus nachdenken, muss also insofern auch immer politische Theologie sein. Sie muss mitbedenken, dass aus theologischen Sätzen politische Wirkungen entstehen können und entstanden sind.“  (3) - Christologie, theologische Sätze = das Glaubensgut der Christen über Jesus Christus.
 
Zweite Station: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
„Das Christentum ist von einer tödlichen Krankheit befallen und muss sich besonders seit Auschwitz stets zweierlei vergegenwärtigen: dass es die theologischen und religiösen Stereotypen des Antijudaismus geliefert und entschieden zu wenig Solidarität aufgeboten hat, an der Seite der Juden, an der Seite der Opfer. Dies ist, um es noch pointierter zu sagen, sein – des Christentums – Orthodoxieproblem diesseits der Rechtgläubigkeit.“ (1) -
Orthodoxieproblem = Problem der Rechtgläubigkeit, des korrekt christlichen Glaubens.
 
Dritte Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
„Gott sollte zwar im Glauben Israels dem Menschen ganz nahe sein, er sollte vor allem den Niedrigen, den Kleinen und Armen nahe sein, aber er sollte sich niemals mit ihnen vermischen dürfen. Wenn Israel etwas deutlich gemacht hat, dann die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch. Es wird in unserer Christologie darauf ankommen, dieses deutlich zu machen. Der Mensch ist vermenschlicht, nicht vergöttlicht worden! Dies ist der erste christologische Satz, und er bringt uns in die Nähe zum Judentum. Jede diesbezügliche Abweichung oder Verundeutlichung bringt uns in Gegensatz zu ihm.“ (5)
 
Vierte Station: Jesus begegnet seiner Mutter
„Die Christologie nach Auschwitz will ursprünglich nichts anderes, als den Gott Israels zu verdeutlichen, ihn nicht zu widerrufen, sondern zu erläutern. Dieses muss im Mittelpunkt einer Christologie nach Auschwitz stehen.“ (4)
 
Fünfte Station: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
„So sehr wir Christen verwiesen sind auf das jüdische Moment unserer Tradition – wir wüssten sonst nicht, woher wir kommen und wer wir sind -, so sehr schulden wir dem jüdischen Gesprächspartner eine Christologie... Wir können nicht in dem Augenblick, da sich die christologische Aussage vor Auschwitz schwertut, ja manchmal regelrecht blamiert, diese verstecken oder zurückziehen. Wir sollten versuchen, eine kritische Christologie im Angesicht des Grauens von Auschwitz zu formulieren – im Gespräch mit den Juden, die darauf einen Anspruch haben.“ (2.)
 
Sechste Station: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
„Das Judentum, die Rabbinen, die jüdischen Theologen verfügen nicht eigentlich über eine spekulative Theologie wie die Christen... Das jüdische Denken ist eher narrativ, es erzählt, aber es definiert nicht. … So spricht das Judentum von der „Einwohnung“ Gottes, niemals von der „Menschwerdung“ Gottes. Chalcedon, das große Konzil der jungen Kirche (451) hat ja genau an dieser Stelle etwas festgehalten, was wir heute noch verdeutlichen müssen; dass die göttliche und die menschliche Natur in Christus nicht etwas verschmilzt, vielmehr sind in der einen Personen beide Naturen unvermischt und ungetrennt versammelt... Wehe hier wird zu schnell identifiziert oder zu schnell getrennt. Beides führt unweigerlich in eine antijüdische Häresie.“ (6)
 
Siebte Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuzweg
„Elli Wiesel hat einmal gesagt, nicht das Judentum, sondern das Christentum sei in Auschwitz gestorben... Über Auschwitz hinaus nur zusammen mit den Juden...Wir sind religiös und theologisch in Legitimations- und Begründungsnöten und haben jeden Grund zur auftrumpfenden komparativen Attitüde verloren.“ (1)
 
Achte Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen
„Auschwitz kann nicht verstanden werden, durch keine noch so gute Philosophie.... Selbst  wenn es stimmt, dass wir Philosophie benötigen, um eine Christologie nach Auschwitz auszuarbeiten, so wird kein Denken ausreichen, um die Katastrophe zu verstehen.“ (8)
 
Neunte Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
„Dolf Sternberger, der große Politologe und Philosoph, hat gesagt, wer Auschwitz verstehen wollte, müsse darüber den Verstand verlieren. … Deshalb wird es allemal um eine Philosophie gehen, die Auschwitz in seiner Furchtbarkeit aufdeckt, statt es spekulativ zu verarbeiten oder gar einzuordnen.“ (8)
 
Zehnte Station: Jesus wird seiner Kleider beraubt
„Wenn jegliche Christologie sich aus dem Bewusstsein speist, dass in Jesus Christus etwas definitiv von Gott her geschehen ist und dass dies zuletzt durch die Auferstehung  bestätigt wurde; wenn es gleichzeitig stimmt, dass die ersten Jünger an eine Auferstehung  dieses Jesus von Nazareth nur haben glauben können, - aufgrund einer These von Edward Schillebeeckx -, indem sie so etwas wie eine Umkehr-Erfahrung machen, wissend, vor dem Kreuz gescheitert zu sein und nun der Vergebung durch Gott zu bedürfen, dann ist die Christologie vom Ursprung her eine praktische Wissenschaft.“ (10)
 
Elfte Station: Jesus wird ans Kreuz genagelt
„...eine Überlegung von Eberhard Jüngel,...dass selbst der Gott Israels denkbar bleiben müsse. Auch deshalb, weil alle theologische wie auch christologische Kraft darauf verwendet werden muss, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, dass nicht Mentalitäten kultiviert und theologisch gestärkt werden, für die Auschwitz wieder möglich wäre. Wir benötigen den Glauben und das Denken, Theologie und Philosophie.“ (7)
 
Zwölfte Station: Jesus stirbt am Kreuz
„Auschwitz kann nicht verstanden werden, durch keine noch so gute Philosophie.“ (8)
 
Dreizehnte Station: Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt
„Auschwitz kann auch christologisch nicht „verstanden“ werden... Jede zu frühe christologische Deutung vergreift sich. Statt Auschwitz christologisch zu deuten und theologisch zu überhöhen, muss es (Auschwitz) in Christus, den auferstandenen Gekreuzigten, in seiner Abgründigkeit geschützt werden – um der Opfer willen.“ (9)
 
Vierzehnte Station: Jesus wird ins Grab gelegt
„Die Christologie nach Auschwitz als eine praktische Wissenschaft dient keinem anderen Zweck, als in die Nachfolge, in die Umkehrbewegung einzuladen und das Unglaubliche lebbar zu machen. Eine nur spekulative Christologie, die nicht letztlich einlädt und hinführt in die Nachfolge und in die Umkehr zum Kreuz, wäre für mich nicht nur unbiblisch, sondern nach Auschwitz eigentlich unmöglich.“ (10)
 
 
Das Kreuzweg-Beten mit der Plötzensee-Liturgie
 
Vorbemerkung: Die Zitate aus der Plötzensee-Liturgie beziehen sich ursprünglich nicht auf die zugeordnete Kreuzweg-Station. Die Zitate sind Predigt-Auszüge der gemeinsamen Eucharistie- und Abendmahls-Feier. Sie können, mögen zu der Kreuzweg-Station passen. Die Zahl in Klammern ist die Jahreszahl der Predigt. Kursiv: K. Meyer OP.
 
Erste Station: Jesus wird zum Tod verurteilt
Die Grundlage dieser Predigt ist das Gleichnis Jesu vom Sämann, der „aufs Feld ging, um zu säen...Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach... Der große Dominikaner-Mystiker Johannes Tauler (gest. 1361) hat einmal gesagt, dass ein Mensch wohl 30 dicke grässliche Häute wie Bärenhäute über seine Seele haben könne, sodass er nicht in den Grund seiner Seele kommen kann. - Es gibt Worte, die gegeben, angeboten, geschenkt werden: der Name, das Du, das Ja-Wort, die Zusage, die Verheißung, das Wort der Vergebung, das Wort des Trostes. Solche Worte haben ihre offene Wahrheit von dem her, der redet, und sie umgreifen zudem meine Wahrheit, der ich angesprochen bin, sie rufen Resonanz in meiner Seele hervor, sie rufen den Grund meiner Seele an, rufen mich über mich hinaus, führen mich tiefer in mein Geheimnis ein, rufen neues Leben hervor. Wer solche Worte erfahren hat, kann die Dinge und Ereignisse der Welt auf neue Weise ordnen, er kann die Geister unterscheiden. … Mehr als jeder andere Mensch war Jesus von Nazareth ein rechter Boden für das gute Wort, der Ort der Wahrheit. … Bei aller wachsenden Ablehnung hielt er an dem guten Wort seines Vaters im Himmel fest, hielt er die Zusage Gottes für wichtiger als die Absage der Menschen. Da er die Zusage Gottes in sich trug, schwieg er vor Pilatus. Sie wollten ihn ausschalten und töten. Aber da bricht aus seiner Tiefe die Fülle des Lebens auf, die Gott schenken will. Neues Leben, Auferstehung wird kundgemacht. … In Gottes Namen nimmt dieses letzte, unübertreffbar gute Wort Gottes nun seinen Lauf.So steht es in einem Flugblatt der „Weißen Rose“ vom Februar 1943: „Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den einzigen Gott hingewiesen hatten und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten.“ ...Professor Kurt Huber schrieb zusammen mit seinen jungen Freunden der „Weißen Rose“: „Im Namen der deutschen Jugend fordern wir von Adolf Hitler die persönliche Freiheit, das höchste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in aller erbärmlichster Form betrogen hat. HJ, SS und SA haben uns in den fruchtbarsten Bildungsjahren unseres Lebens zu uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren versucht. „Weltanschauliche Schulung“ hieß die verächtliche Methode, das aufkeimende Selbstdenken und Selbstwerden in einem Nebel leerer Phrasen zu ersticken.“  Professor Kurt Huber wurde am 13.7.1943 im Gefängnis München-Stadelheim enthauptet. … Das Wort von Gott als den Sinn des Lebens, vom Leben als Geschenk, von Recht und Gerechtigkeit für alle, auf welchen Boden fällt die Aussaat heute? ...Als Beispiel unseren Umgang mit den Kindern und Jugendlichen: Dulden wir es nicht auch, dass die Seelen unserer Kinder zugedeckt werden mit stereotypen Bildern der Medien, so dass die eigenen Bilder der Seele nicht mehr aufsteigen können, mit den stereotypen Weisen der Musik-Industrie, so dass ihre eigene Weise nicht mehr zum Klingen kommt? Verstellen wir ihnen damit nicht den Weg zu ihrer eigenen Persönlichkeit? Nehmen wir ihnen die Sehnsucht nach dem Großen durch die Befriedigung tausend kleiner Wünsche? Wieviel Lebensersatz geben wir ihnen anstatt Leben? Was tun wir mit den „fruchtbarsten Bildungsjahren“, von denen die „Weiße Rose schrieb? Jesus erneuert heute unter uns seine Zusage: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben, und zwar in Fülle.“  (1988)
 
Zweite Station: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern
Aus dem Matthäus-Evangelium: Jesus ging in die Synagoge. Die verdorrte Hand eines Mannes heilte er. Am Sabbat.  „Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen.“ Was war für ihren Beschluss maßgebend? Maßgebend war, dass Jesus den entscheidenden Maßstab setzte, keinen Menschen zugrunde gehen zu lassen, weil er so wertvoll ist. Jesus hat die Sache auf den Punkt gebracht. Seine Gegner überschreite  für ein Tier selbst die strengsten religiösen Gesetze am Sabbat. Ein Schaf, das ihnen in die Grube fällt, holen sie auch am Sabbat heraus. Und Jesus findet: Das ist in Ordnung. Aber Jesus nimmt als Beispiel ein Schaf und sagt damit: Faktisch tut der Mensch so etwas für ein Nutz-Tier. Der Mensch ist aber letztlich nie ein Nutz-Mensch. Wenn die Hilfe für einen Menschen in Not also nicht seinem eigenen Nutzen dient, dann fragt der Mensch sofort: Bin ich denn der Hüter meines Bruders? Dann interessiert er sich wenig dafür, ob der andere lebt oder zugrunde geht. Dann findet er schnell edle und gar religiöse Vorwände für sein Nichthandeln. … Jesus steht an der Stelle Gottes. … Jesus steht an der Stelle des Menschen und hütet seinen Bruder. Dadurch packt er an das Gewissen. Dadurch deckt er den schlimmen Hintergrund des guten Scheins, im religiös umkleideten Vorwurf gegen ihn, das mörderische Desinteresse des Menschen am anderen Menschen auf. … Die totalitären Regime unseres und des letzten Jahrhunderts haben mit ihren technischen Möglichkeiten zur Manipulierung der Meinungen und zur Überwachung von Abweichlern den Wert des Menschen am perfektesten in Frage gestellt und untergraben nd sich um das Leben des einzelnen Menschen wenig geschert. … Eine Weise auf SEINEM Weg zum Sieg des Rechts war der Kampf seiner Zeugen gegen Hitler. Alle, die damals Hüter ihrer Brüder und Schwestern sein wollten und wurden, sind eingezeichnet in die Gestalt des Gerechten. … Jesus Christus ist Gottes Vermächtnis für die ganze Menschheit. … Zu den „Schwestern“ der Hingerichteten gehören auch die am Leben gebliebenen Ehefrauen; so ein letztes Wort von Josef Wirmer, das er stellvertretend für viele, die hier in Plötzensee und anderswo gelitten haben, uns sagt: „Wenn ihr einst nach dem Sturm dieser Zeit wieder in Frieden lebt, dann hebt gelegentlich mal das Glas und denkt an mich!“ … Jetzt feiern wir Eucharistie – Danksagung, Plötzensee-Liturgie.“ - (1991) - Josef Wirmer: geb. 1901 Warburg; Gymnasium Marianum, Jurist; 1944 erhängt in Plötzensee.
 
Dritte Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz
Grundlage dieser Predigt ist das Markus-Evangelium (12,18-27): Jesus diskutiert mit den Sadduzäern, einer Art Regierungspartei, die die Auferstehung der Toten ablehnen, -  „ein Schlüsseltext, mit dem wir die Tür in unsere Zukunft durchschreiten können. .. Was kann Hoffnung von Gott her geben? … Die Sadduzäer erinnern sich an ein Gesetz des Mose, in dem der Fortgang der Sippe, das Fortleben in den Kindern, das Bestehen des Namens als ein hoher Wert erscheint,...als höchster äußerster Wert im Namen Gottes. Was soll Jesus zu dieser „Theologie der Stabilität“ sagen? Soll er zugeben, dass die Sadduzäer Recht haben? Jesus tut das Gegenteil. Er hält diesen Leuten, die wahrlich die Bibel studiert haben, vor, dass sie die Schriften nicht kennen, noch die Macht Gottes. Die Macht Gottes. Das ist der springende Punkt. Jesus kennt die Macht Gottes. Er hat sich Gott überlassen. Er hat ihm geglaubt, dass er wirklich jetzt helfen wolle, im jeweils ankommenden Augenblick. Er hat sich Gott als Handlanger angeboten. Und so sind unter seiner Hand erstaunliche Dinge passiert... Dieser Gott, der sich damals nannte: „Ich bin der Ich-bin-für-euch-da“, erweist sich durch Jesus als gegenwärtig und für die Menschen eintretend. Wenn dieser Gott, der jetzt so mächtig handelt, sich als Gott Abrahams – eines sogenannten Toten – bezeichnet, dann bedeutet das auch, dass Abraham lebt. Jesus nimmt sein Leben deshalb immer von Gott an. … Immer wieder haben sich Menschen in die Nachfolge Jesu begeben. Sie haben – auf sein Wort hin – bei keinem Vorzeichen der Hoffnung Halt gemacht, sondern haben immer der größeren Macht Gottes in der Gemeinschaft mit Jesus vertraut. Nicht die Familie war der Sicherungspunkt, nicht der Name, nicht die Sippe, nicht das Volk, nicht die Heimat, nicht die jeweils öffentlich gerühmte Tugend, nicht die eigenen Taten, von denen sie nicht wissen konnten, ob sie jemals öffentlich anerkannt werden würden. … Wie werden wir dahin kommen?“ - (1982)
 
Vierte Station: Jesus begegnet seiner Mutter
Das Matthäus-Evangelium (12,46-50): „Als Jesus mit den Leuten redete, standen seine Mutter und seine Brüder vor dem Haus... Und so weiter. … Am Anfang möchte ich, - der Prediger -, an zwei apokalyptische Geschehnisse erinnern, die … Jahre her sind und denen wir gedenken: Anfang 1943 Stalingrad und Ende Juli da „Unternehmen Gomorrha“ der Alliierten über Hamburg, das erste Erleben des totalen Krieges ...Schrecklich die große Zahl der Opfer! Aber schon vorher waren zu Viele Opfer des Systems geworden, andere hatten ihr Leben und ihre Freiheit schon bewusst geopfert.... Mit dem 20. Juli 1944 begann dann das letzte Kapitel der Apokalypse, das letzte Aufdecken von Recht und Unrecht.... zu offenkundigen... leuchtenden Zeugen für Gott...Jesus Christus. Denn er baut sein Reich der Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe nicht auf Macht, sondern auf Zeugen auf. Mit ihnen allen sind wir heute vereint. - Das Evangelium spricht ns von der Familie... Die Familie ist Gottes Ursprungsgabe für die Menschen...Die Heilige Schrift sagt auch: Die Familie ist nicht das letzte Kriterium unseres Handelns... Bei Jesus finden wir den Eingriff Gottes in die Familie noch einmal überdeutlich... Die christliche Frömmigkeit kennt das Votiv-Bild: Jesu Abschied von seiner Mutter... Sie gibt ihn frei... steht unter dem Kreuz... Nicht nur einzelne Menschen sind berufen, die christliche Gemeinde versteht sich als „ekklesia“, als die Herausgerufene... Wie so etwas in unserem Jahrhundert mit seinen ideologischen und diktatorischen Systemen aussieht, haben uns die Zeugen des Widerstandes gegen Hitler gezeigt... Letzte Bergung des Lebens kann kein Mensch leisten. Letzte Bergung...ist bei Gott... - Die Denkweisen der Zeit färben immer mehr ab, Schlagworte, geworden aus Halbwahrheiten, durchwirken unsere Denkweisen... Wo sind die Quellen unseres Denkens?... Woher holen wir uns Trost, Freude und Kraft für unser Leben?... Sind wir noch fähig, Ort für Gottes Geist zu sein, der in kritischen Situationen aus Menschen spricht, die das Wort nicht mehr haben?...was vor Gott, der ein Freund des Lebens aller Menschen ist, heute „ansteht“. … Die Familie wird Gottes eigentlicher Raum, wenn sie – im Geiste Gottes – zur „ekklesia“ wird, wenn sie sich auf die Spur der Herausgerufenen begibt... Maria steht unter dem Kreuz.“ - (1993)
 
Fünfte Station: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen
Aus dem Tagesevangelium: „Die Pharisäer gingen hinaus und fassten den Beschluss, Jesus umzubringen. Als Jesus das erfuhr, ging er von dort weg...“ - Der Mensch, in der Evolution hinausgewachsen aus der unscheinbarsten Materie, ist fähig und unfähig zum Rechten und Guten.Wir verfehlen das, von dem wir wissen, dass es sein soll, und geraten in Schuld. Wir können es aber nicht aushalten, schuldig zu sein... Diktaturen beherrschen die Methode. … Die Medien sind dann bemüht, öffentliche Enthüllungs-Plattformen zu sein. … Doch hat der Mensch eine Ahnung, dass es einen besseren Weg gibt, mit der Brüchigkeit des Menschen produktiv umzugehen. Wir können mehr und mehr die Abgründigkeit des Bösen begreifen, vor allem aber die die Bosheit weit überragende Macht der Liebe Gottes, die in eine neue Zukunft führt. … Der Psalm-Beter: „Unsere Schuld ist zu groß für uns, du wirst sie vergeben.“ … Die ganze Gerechtigkeit ist, dass der, der es kann, die Sünde der Welt auf sich nimmt und sie aus der Welt herausträgt. Die ganze Gerechtigkeit ist, dass der, der es kann, die ganze Ehrlosigkeit trägt, die der Schand-Tot am Kreuz bedeutet. Verflucht sein, ausgeschlossen sein von Gott und Menschen. So ist er ganz unten in der Menschheit. Jeder noch so Schuldige steht über ihm, kann auf ihn zurückfallen. Dieser Weg führt selbst ihn vor die äußerste Frage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und doch ist er sicher, dass er genau dann der geliebte Sohn des Vaters ist. - In diese Lebenslinie sind viele große Menschen eingetreten. … Dietrich Bonhoeffer: „Wer ich auch bin. Du kennst mich. Dein bin ich, o Gott.“ … Hitlers Gerichtshöfe bescheinigten ihren Gegnern häufig Ehrlosigkeit und verurteilten sie deswegen zum Tod durch den Strang und dauerhaften Ehrverlust. Damit wollten sie sie im Kern zerstören. Sie haben sie aber nur dicht zu Jesus gestellt, und viele haben diesen Platz demütig angenommen. -  Hier im Kreuzweg geht Simon von Cyrene mit, hilft Jesus. -  Eine neue Generation geht in eine neue Freiheit. Neuland ist zu beackern. Die Taten und Worte von Menschen, die offen oder verborgen aus dem Geist Jesu Christi zur zur Hingabe fähig waren, wollen Gegenwart werden. Auch heute kommen junge Menschen aus gesellschaftlichen Zusammenhängen, die dem Menschen nicht nur dienlich sind. So braucht es Wachsen und Gestaltwandel:  Hineinwachsen in das Recht, in ein der Zukunft dienendes Zueinander von Persönlichkeitsrecht und Gemeinwohl-Verpflichtung.  Hineinwachsen in unseren Kirchen in den Sinn dafür, dass die EINHEIT notwendig ist für ein glaubwürdiges Zeugnis, dass der Glaube an Jesus Christus für die Evolution der Menschheit einmalig hilfreich ist. Der Herr gebe es!“ - (2013)
 
Sechste Station: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch
Aus dem Matthäus-Evangelium (Mt 12,9-21): „Jesus ging in die Synagoge der Pharisäer … am Sabbat... Jesus heilte die Hand eines Mannes... Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten den Entschluss, Jesus umzubringen. Als Jesus das erfuhr, ging er von dort weg... Auf diese Weise sollte sich erfüllen, was durch den Propheten Jesaia gesagt worden ist: „Seht, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ - Veronika, die auf unserem Freienohler Heinrich-Repke-Kreuzweg in ihrem Gesicht, mit ihrer nichtjüdischen Frisur aussieht wie BDM-Mädchen (aus der NS-Zeit: Bund Deutscher Mädchen) reicht Jesus das Schweißtuch.
Was soll tun? Das ist eine Grundlage des Menschen... Die Quellen unserer Handlungen sind tiefer als theoretische Prinzipien. In unseren Handlungen ahmen wir die Vorbilder nach und gewinnen darin Sicherheit. Wir schöpfen Kraft aus der lebendigen Gemeinschaft mit unseren Eltern und Familien und unseren tieferen Ursprüngen. - Für uns Christen ist Jesus Christus das Vorbild, seine Nähe ist unsere letzte Kraftquelle. - An dem natürlichen Verhalten der Menschen zu den Tieren nun zeigt Jesus den Sachverhalt auf: An den Tieren übt der Mensch „Barmherzigkeit“, eine Barmherzigkeit aus dem sicheren Gefühl der Überlegenheit, eine Barmherzigkeit als versteckte Wahrnehmung der eigenen Interessen. Jesus stellt das Mitleid mit der armen Kreatur in die Mitte, gesteht seinen Gegnern ein von Natur aus mitleidiges Herz zu und kommt erst dann auf den springenden Punkt: Und wie viel mehr wert ist ein Mensch als ein Schaf?! Ihm muss man sofort Gutes tun. Und damit setzt er all die 'edlen' Argumente für die Heiligkeit des Sabbats schachmatt, die Gott nicht entsprechen, die Argumente, die ein Desinteresse am Menschen im Namen Gottes erlauben und es am Tag des Herrn geradezu garantieren. Jesus heilt den Menschen aus der Souveränität der Liebe Gottes sofort... Da Jesus so handelt und so unabwendbar bei ihnen ist, merken die Menschen: hier geht es um sie selbst. Darum wird Jesus, der stille,der an den Rand geht, die Mitte und das Ziel der Herzen... Veronika, - hier auf dem Freienohler Heinrich-Repke-Kreuzweg – hat Jesus gesehen, ein-gesehen, gehandelt. -  Viele haben das getan, bekannte und unbekannte Christen. Heute, - hier in Plötzensee -, unter diesem Galgen, schauen wir auf die Christen aus dem Widerstand gegen Adolf Hitler, die hier ihr Leben lassen mussten, aber auch auf die anderen...Alle sind sie verschieden, und die Spielarten der Nachfolge sind verschieden... Auch der andere Zug der Nachfolge ist ihnen eigen: Man darf Gott nicht im Wege stehen mit seinem Eigenwillen, mit kurzatmigen Perspektiven, die nur zu oberflächlichen Ordnungen führen, ohne dass die Herzen bekehrt werden, man muss Gottes Wegen nachspüren und alle Dinge zum Guten zu lenken versuchen... Wir heute stehen in anderen Zusammenhängen, in anderen Entscheidungen als im Dritten Reich. Was ist für uns zu tun? Auch für uns gibt es keine Rezepte. Jeder hat seinen eigenen Weg.... Wie unendlich wertvoll ist dieser Mensch, der mir gerade begegnet, vor Gott! Dafür bedarf es der Vorbereitungen: Lernen, an den Rand zu treten, am Rande zu stehen, so dass die Sache Gottes Vorrang hat, sich an den Rand stellen zu lassen... Nur in dieser Geistes-Gegenwart offenbart sich jedem der Ort und die Zeit, da er in Gottes Namen in die Mitte zu treten und im Wege zu stehen hat.“.. Veronika stand am Rand und dann im Weg. - (1985)
 
Siebte Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz
Hierher, jetzt ausgerechnet dieser Predigt-Auszug, dieses Jesus-Wort (Mt 11,28-30): „Kommt alle zu mir, die ihr euch müht und unter Lasten stöhnt. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, weil ich sanft bin und demütig von Herzen, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“ ...Alibi-Verhalten und Selbstbetrug gehen heute auf Stelzen. … Unsere Ehe-Männer und Väter – katholisch und evangelisch – haben hier gemeinsam ihr Leben gelassen. Und wir feiern hier nicht zusammen. Es ist ja ein Skandal. Und dann lese ich – der Prediger – in der neuen Enzyklika „Ut unum sint – Über die Einheit der Kirche“ von Papst Johannes Paul II. (vom 25. Mai 1995, diese Predigt ist vom 20. Juli 1995!): „Das mutige Zeugnis so vieler Märtyrer unseres Jahrhunderts, die auch anderen nicht in voller Gemeinschaft der katholischen Kirche befindlichen Kirchen … angehören, erinnert uns an die Verpflichtung … zur Einheit anzunehmen und in die Tat umzusetzen...“ … Der Papst sieht, dass die real zwischen unseren Kirchen gegebene Gemeinschaft im Märtyrertod unserer gemeinsamen Zeugen bereits vollkommen ist... Er sagt: „Diese Allgegenwart der Heiligen ist Zeichen und Beweis für den Sieg Gottes über die Kräfte des Bösen, die die Menschheit spalten.“ - Diejenigen, die den Skandal unserer Trennung spüren und aussprechen, weisen mit dem rechten Glaubenssinn auf die Würde dieses Ortes hin. Wir stehen hier in Plötzensee an einem Platz, wo Christus im Heiligen Geist ein Tor für die Einheit im Glauben aufgestoßen hat....Lassen wir uns heute durch die Erinnerung an das Letzte Abendmahl Jesu von Peter Graf Yorck von Wartenburg (geb. 1904, evangelisch, Jurist, Kreisauer Kreis, erhängt: 8.8.1944 in Berlin Plötzensee) die Frage stellen: „Was tun wir für die Einheit, damit die Welt glaube?“...Jesus: „Kommt zu mir alle, die ihr euch müht und unter Lasten stöhnt...“ (Mt 11,28-30) Man muss in der Tat Schritte gehen, um in Hörweite dieser zärtlichen Einladung zu kommen. Er selbst mache uns dafür behände und hellhörig!“ - (1995)
 
Achte Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen
Über die Gefahren des Gedenkens. Matthäus-Evangelium: 23,29-31: Jesus: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr Heuchler!...“  Was ist Heuchelei? Sie ist unwahrhaftiges Verhalten. Und dieses unwahrhaftige Verhalten braucht nicht einmal bewusst zu sein. Es kann sich um eine Unwissenheit des Herzens handeln, durch die man überhaupt nicht mehr hinter die Verlogenheit seines Handelns kommt. Die Pharisäer möchten ja gute Menschen sein, sie empfinden Abscheu vor dem Verhalten ihrer Voreltern, sie können es nicht begreifen, wie so etwas geschehen konnte. Sie weisen es weit von sich, je so etwas zu tun. - Es ist auch in uns ein tiefes Gefühl dafür da, dass das Dritte Reich eine Epoche der Unmenschlichkeit war, und alle unsere besten Kräfte erheben sich, wenn jemand auch für unsere Tage solches als möglich ansehen sollte. Dieser Wunsch führt aber leicht dazu, dass wir immer mehr einem Unschuldswahn erliegen... Es ist nicht einfach, gute menschliche Wege zu gehen. Es ist nicht einfach, die Wege Gottes zu gehen und in der Nachfolge Jesu zu stehen. - Wir müssen uns fragen: Sind wir dieser Männer und Frauen würdig, die hier in Plötzensee und anderswo hingerichtet worden sind?“  -  (1983)
 
Neunte Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz
Jesus im Matthäus-Evangelium (11,28): „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“  Ich – nicht nur der Prediger, auch ich, hier und jetzt, und Jesus  - schaue um mich. Viele Menschen tragen schwere Lasten. Die Welt ist ein Meer voller Not. Viele haben den Boden unter den Füßen verloren... Bei allen äußeren Bedrohungen liegt die eigentliche Not und Unsicherheit doch im menschlichen Herzen. Der Mensch ist an den Rand des Nichts gebaut. Denn er ist aus dem Nichts geschaffen und hat keinen bleibenden Grund in sich. „Es wird alles wieder gut!“ Mütter haben dieses göttliche Un-Wissen. Dieses Un-Wissen hatte auch Jesus von Nazareth. Und wir dürfen die bleibende Botschaft verkünden von diesem Menschen, der das Geheimnis des Menschen aufgedeckt hat. Wir können nicht richtig über ihn reden, wenn wir nicht sagen: Er ist das ewige Geheimnis des Empfangens, er ist der ewige Sohn. Und so wohnt Gott mit seiner ganzen Fülle in ihm. Er hat alle Not und Verlassenheit erfahren und konnte doch an Gott festhalten... Er hat die Treue des ewigen Vaters bis in den Tod bezeugt. So lebt er als wahrer Mensch nun ein für alle Mal aus Gottes lebendiger Fülle. Deswegen kann er sagen: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid... Das ist kein Weg der Macht, kein Weg zum Übermenschentum, sondern der Weg der Wahrheit und der demütigen Liebe...Der Weg lässt sich in herzlicher Verbindung mit Jesus und aus dem Geist, den ER schenkt, gehen. Viele Beispiele aus der Geschichte führen uns das immer vor Augen. Zu ihnen gehören die Menschen, die uns am Gedenktag des 20. Juli nahe verbunden sind... Das aus Christi Kraft getröstete Leiden baut Gottes Reich weltweit auf. Der Gründer von Salem Curt Hahn lässt sich unter dem Eindruck des 20. Juli taufen. „Es sei ihm klar geworden, dass ihr Christus-Glaube unseren Männern die Kraft gab zum Einsatz ihres Lebens und zur Neuordnung im Widerstand.“ (Barbara von Haeften, Ehefrau von Hans Bernd von Haeften, erhängt in Plötzensee)  … Was ist für uns zu tun?...An unserer Stelle der Weltgeschichte dem Leben Raum schaffen, dem Leben in Fülle aus Jesus Christus. Vorsorge treffen, damit in schweren Zeiten die Quellen der Kraft sprudeln können. Und so können wir uns und die kommenden Generationen in die Reihe der fünf Kinder der Familie von Haeften stellen, über die es heißt: „Lasst die Kinder viel auswendig lernen an Bibeltexten und Liedern, damit sie es einmal in der Not im Herzen tragen...“ … Herr Jesus Christus, Du hast das Ende verwandelt zum Anfang neuen Lebens! Kyrie eleison!“ - (2006)
 
Zehnte Station:  Jesus wird seiner Kleider beraubt
„Der Apostel Paulus sitzt im Gefängnis und erwartet seinen Tod. Er schreibt an die Christen in Kolossae (1, 24-28): „Ich freue mich in den Leiden... Für den den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“... Jetzt – in Plötzensee im Henker-Schuppen – wurde das Geheimnis seinen Heiligen offenbart: Gott wollte ihnen zeigen … Christus ist unter euch, er ist die Hoffnung auf Herrlichkeit... Warum ist „Christus ist unter euch“ ein so großer Schatz, der Paulus sogar in der Armut der Gefängniszelle vor Augen steht? „Gott ist jetzt für alle Menschen da!“ ist seine Botschaft. Paulus hat die Grenzen des jüdischen Volkes gesprengt und die Gemeinde Jesu durch die Kraft des Geistes in anderen Völkern eingewurzelt... Diese Botschaft stürzt nämlich so viele Vorurteile um, sie greift den vielgestaltigen Egoismus der Menschen so an und ruft so viele Widerstände hervor, dass sein – des Paulus - diesseitiges Leben daran aufgezehrt wird, dass ihm das Recht auf Leben abgesprochen wird. Er ist in die lebendige und beglückende Gemeinschaft Jesu eingetreten, aber auch in sein Schicksal. Das bedeutet, solange er in dieser Welt lebt, auch Leiden... „Das Unvollendete aber will mehr als Bewahrer, mehr als Erinnerer, es will Aufnehmende , es will Gehorsame, es will Fortsetzende.“ So hat Albrecht Goes einmal zu diesem Anlass des 20. Juli 1944 gesagt (ev. Pastor, auch als Gefängnis-Seelsorger)... „Für eine so gute und gerechte Sache ist das Opfer des Lebens der gerechte Preis.“ So Julius Leber, geb. 1891, SPD-Politiker, gehängt: 5.1.1945 im Henker-Schuppen Plötzensee. … Gehen ihre Schicksale spurlos an uns vorüber?... Gewiss wird die Gesellschaft immer komplizierter, und der richtige Weg ist schwer zu finden, aber gerade deswegen ist der Geschmack für das Gute nötig – und der entsteht aus vielen rechten Einzelentscheidungen, und seien sie noch so klein... Wir beklagen, dass die jungen Leute zwar beunruhigt sind über die gefährlichen Entwicklungen der Welt, dass sie aber wenig Kraft zu konstantem Handeln und dauerhaften Entscheidungen aufbringen. Große Worte erweisen sich als nur auswendig gelernt und nicht im Herzen verankert.... Und wie steht es mit uns Christen? ...Das Christentum erscheint in Europa als und gewöhnlich... Viel ist von uns Christen in der Öffentlichkeit einzubringen. Der Grundwasserspiegel der Liebe zum Leben muss dringend angehoben werden... Das erfordert Zeit und damit den Mut, in unserem Lebens-Ablauf Prioritäten zu setzen und anders zu sein, als die öffentliche Meinung es uns vorschreiben möchte. Gott gebe uns dazu die rechte Erkenntnis und seine Kraft!“ - (1986)
 
Elfte Station: Jesus wird ans Kreuz genagelt
„Was gesät wird, geht auf.“ Dieses Zitat aus dem Matthäus-Evangelium (Mt 13) und die Einleitung scheint nicht zur Elften Kreuzweg-Station zu passen. Aber:  „Information steht heutzutage hoch im Kurs. Wenn man zu den „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ gehört, dann ist man wer. Information ist sachlich und gut, scheint ein unschuldiges Wort zu sein. „Information“ hat aber doch Interessen. Es sagt: ich soll in Form gebracht werden. Damit werde ich vereinnahmt. Dieses Ziel wird gern kaschiert als Angebot, von Diktatoren als Dienst an der Volksaufklärung gepriesen. Die Welt ist eben nicht ein Feld aller möglicher kompatibler Informationen, sondern ein Kampffeld zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Wahrheit und Lüge, zwischen Tod und Leben. Beide Pole umgeben sich mit einer eigenen Kultur. Gegen die Kultur des Negativen die Rede als moralische Beschwörung einzusetzen, ist verbreitet, fruchtet aber nur wenig. Um das Negative zu überwinden, braucht es mehr. Wort und Rede sind von Natur aus Äußerung. Das Innere wird nach außen gegeben. Wahre Rede bleibt nicht neutral, wird Zusage, teilt Leben mit, äußert das Herz für die Schwachen, ja wird sogar zur Entäußerung dessen, der spricht. Sie ist Aufstand gegen Unrecht und Lüge, ist Eingabe von Leben in den Machtbereich des Todes, in dem schwarz als weiß gepriesen und weiß als schwarz bemängelt wird. So ist gutes Wort und wahre Rede immer auch Widerstand. Wer kann sich so äußern und entäußern? Derjenige, der durch seine Äußerungen sein Wesen nicht veräußert oder auf trügerische Hoffnung setzt. Wer kann das ertragen? Einer kann es: Jesus von Nazareth. Jesus sagt nicht nur: „eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben gibt für seine Feinde“. Er handelt so. Er bleibt mit seinem Wort zusammen. … Der Geist weht, wo er will, auch weit darüber hinaus. Der Erfahrungsraum, dem wir heute hier in Plötzensee besonders verbunden sind, ist die Nazi-Diktatur.
Als mit der Entfernung der Juden aus der universitären Welt auch Edith Stein (geb. 1891) aus dem Deutschen Institut für Pädagogik herausgeworfen wird, geht sie ins Kloster, in den Kölner Karmel, sie wird Schwester Theresia Benedicta vom Kreuz.  Es scheint, als verlässt sie die Welt... Ausgestoßen aus der Nazi-Welt geht Edith Stein ihren Weg mit Jesus umso mehr mit ihrem Volk „welteinwärts und weltabwärts“ (Peter Wust), sie endet ihr diesseitiges Leben nackt mit anderen zusammengepfercht in einer Gaskammer in Auschwitz-Birkenau: weltunten....Die katholische Kirche ehrt sie als Patronin... Fundament  Europas...
Auch ein Mädchen – namenlos -, das mit über eintausend anderen Kindern zur Erschießung in einen Wald bei Bjelaja-Zerkow geführt wurde (bei Kiew), hat der Kultur widerstanden, dass man Kinder „entsorgen“ darf. Es nahm auf dem Weg zur Mordstätte die Hand des neben ihm gehenden SS-Sturmführers Paul Häfner. Häfner hat später vor Gericht diese Szene geschildert, da er sie nicht mehr loswerden konnte. In einem zugetrampelten und erstorbenen Gewissen bricht das Kind die Frage aus: Was tust du hier? Bist du nicht berufen, Vater und Beschützer der Kinder zu sein? - (pdf: Der Spiegel 41/1967)  -  Die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung....Auf welchen Boden fällt die Saat bei uns? Ist es ein zugetrampeltes, zugewuchertes, steiniges Feld, oder ist es ein wohl bereitetes Feld? Davon wird das Maß an Menschlichkeit abhängen, mit dem wir und unsere Kinder und Kindeskinder leben dürfen. Christus sei auch in uns mächtig.  (2005)
 
Zwölfte Station: Jesus stirbt am Kreuz
„Wir feiern hier … Jesu ureigenen Tod. Das war nicht ein Unglücksfall, ein ihm, Jesus, widerwillig abgenötigter Tod, sondern ein freiwillig für die Menschen angenommener Tod, ein Tod für uns, ein geteiltes und verschenktes Leben. Sein Tod war nicht ein ins Nichts hinein verschenktes Leben, sondern Jesus hat den Tod immer als Hingang zum Vater verstanden. Er ist auf ihn zugegangen mit der Hoffnung auf ein neues Leben. Wir erinnern uns auch derer, die unter dem Kreuz standen und mit Jesu Tod alles verloren. Es waren fast nur Frauen. Sie haben nach seinem Tod nicht von ihm gelassen – und durften als erste erfahren, dass er lebt. Wir feiern hier unter diesen Haken – im Henker-Schuppen – den in Christus eingeschriebenen Tod von Männern und Frauen für uns. Wir gedenken derer, die man hier und anderswo aufgehängt und ermordet hat. Wir gedenken hier des lebendigen Mitsterbens von Eltern mit ihren Kindern, von Eheleuten mit ihren Männern, von Töchtern und Söhnen mit ihren Vätern. Die Wunden und Narben bleiben, die schmerzen, aber im Lichte der Auferstehung Jesu Christi leuchten auch sie. Möge aus unserer Teilnahme am Opfer Christi – und am Mit-Opfer seiner Zeugen – Sinn für rechtes Reden und Denken, Geist und Mut für rechtes Handeln und Segen für die Zukunft … der Menschheit erwachsen.“  -  (1993)
 
Dreizehnte Station: Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt
Gott wird sich nicht scheuen, sich vor kommenden Generationen auch als der Gott des Alfred Delp, der Gott des Dietrich Bonhoeffer, der Gott des Helmuth James Graf von Moltke, christlicher, jüdischer und vieler anderer mehr zu bezeichnen. Er ist nicht ein Gott von Toten,sondern von Lebenden! Dieses Zeugnis muss weitergegeben werden! ...Ich soll selbst in bescheidenen Anfängen der Macht Gottes mehr glauben als den Zeichen der Fürsorge Gottes, die ich schon verstehe. Und ich soll das Leben, das ich empfangen habe, den Menschen weitergeben, die noch nichts von Gottes Trost verstehen, weil ihnen die einfachste Sicherheit mangelt – glaubend, dass neues Leben, Gottes Leben, in mir nachströmt. Und die, die Leid trugen um die Trümmer Deutschlands durch das Nazi-Regime, die ihr Leben für dieses Volk aufs Spiel setzten, brauchen wir keine Sorge zu tragen. Gott ist ein Gott von Lebenden! Ihr Zeugnis aber vor und in Auschwitz und den anderen Mordstätten leite uns an, wenn unser Widerstand gefragt ist, unseren Widerstand zu wagen, - weil Gott immer Leben genug für uns hat. - (1982)
 
Vierzehnte Station: Jesus wird ins Grab gelegt
Unser Beten beginnt mit dem Johannes-Evangelium (12,24-25): „Jesus zu seinen Jüngern: Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht... bis ins ewige Leben.“  Die Geschichte derer, die im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt worden waren, sollte nach dem Willen der Machthaber ein für alle Mal beendet sein. Ihre Namen wurden für immer ehrlos erklärt. Sie wurden in Schande gehenkt, ihre Leichen verbrannt und die Asche in die Felder gestreut. - Aber Asche in der Hand der Mächtigen kann Weizen in der Hand Gottes sein. … Jetzt, heute, eine lange Zeit, in der gute Saat bei fruchtbarem Boden heranreifen kann; aber auch eine Zeit, in der das Saatkorn zertreten werden und verloren gehen kann. ... Jüngere wussten mit dem Datum: 20. Juli, Berlin-Plötzensee nichts zu verbinden... Gott wird die Saat zu seiner Zeit wachsen lassen, das ist richtig. Aber für unser Schicksal und das des deutschen Volkes ist es nicht unwichtig, ob wir Gottes gutes Ackerland (1 Kor 3,9) sind, auf dem Frucht wächst oder nicht. Wir müssen uns kritischen Fragen stellen: Nehmen wir uns Zeit, über die Würde des Menschen nachzudenken, den Gott als Wesen mit Leib und Seele geschaffen hat?...Denken wir nach über die Freiheit eines Christenmenschen, über die Freiheit in den Ordnungen Gottes, oder verwechseln auch wir Freiheit mit Freiheiten, die ich mir herausnehme und die des anderen – des Einzelnen wie anderer Völker – Unfreiheit verursachen? ...Machen wir einen Anfang damit, Gott als den zu jeder Stunde tragenden Grund unseres Lebens anzunehmen und zu ehren? Haben wir Zeit, in Anbetung vor ihm zu stehen, vor ihm zu verstummen, auf ihn zu hören, um – wo immer es gefordert ist – ihm und seinen heiligen Willen die Ehre zu geben?... Jesus Christus ist der Anführer auf diesem Weg. Er beschenkt uns auch – jetzt. - (1984)
 
Zusammenstellung der oben angegebenen Texte, Literatur:
Heinrich Pasternak, 12 Seiten