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„Armenwesen“, „Armensachen“: Nichts für Neugierige! Nichts zum Naserümpfen! Nur kühle Akten bei Selbstverständlichkeiten für zukunftsoffenes Zusammenleben!
Wer sich beim Lesen dieses Kapitels bei diesem oder jenem Namen doch dem Naserümpfen nähert, denke knapp 2000 Jahre zurück, da sagt und praktiziert Jesus von Nazareth: „Selig die Barmherzigen!“
Vorbemerkungen: Bei der Zusammenstellung der zahlreichen Daten wurden aus dem Freienohler Archiv im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein diese Akten benutzt: 402, 1034, 1036,1045, 1048,1060,1061,1063, 1065, 1070,1075,1079,1080,1081,1092,1093, 1094, 1095, 1099, 1102, 1104, 1105, 143, 2178, 2242. Ferner: Einwohnerlisten / Volkszählungen mit der Aufzählung der Familienangehörigen, des Berufs,des Lebensalters, der Angestellten. Verstorbenenlisten zumeist aus dem Pfarr-Archiv; Trauungsregister: St. Nikolaus-Pfarrei Freienohl. - Selbstverständlich war eine Auswahl sinnvoll: Freienohler, bei denen das Zusammenleben in der Familie, mit der Nachbarschaft, mit den Behörden und deren Zugehörigen, mit Vereinen, mit der Kirche (der katholische Pfarrer gehörte zum „Armen-Vorstand“ und der Rendant, der Kassenwart Bracht, war evangelischer Christ), und die Freienohler jüdischen Kaufleute leisteten selbstverständlich ihre Beiträge - Nicht bei jedem Textabschnitt sind alle Quellen angegeben. - Manchmal werden die Namen oder auch nur die Nachnamen bei einigen „Armensachen“ nicht genannt, damit vor allem die Notlage, die Hilfe, das Zusammenleben wahrgenommen wird und nicht zuerst die zugehörige Familie. Im Stadtarchiv Meschede, Amtsarchiv Freienohl, in Grevenstein sind die Namen einsehbar.
Zu berücksichtigen sei der Stil und die Daten-Auswahl des Verfassers, eines Buiterlings.
„Ein Engel auf Erden“ ist Bernardina Rocholl geb. Engel jedenfalls für gut 2 Monate
So heißt die Überschrift der ersten Archiv-Akte „Armenwesen“ (AA 1034). Die Akte beginnt im Jahr 1829. Sie beinhaltet „Die Unterbringung, Erziehung und Verpflegung verwaister Kinder“ im Amtsbezirk Freienohl. Dazu gehören 1859 diese Gemeinden: Freienohl, Altenhellefeld, Dinschede, Grevenstein, Hellefeld, Herblinghausen, Meinkenbracht, Rumbeck, Visbeck, Westenfeld, Linnepe, Uentrop. (Olpe, Frenkhausen gehören mit Calle nach Meschede.)
Die nun referierte Praxis Nächstenliebe, Familien-Zusammengehörigkeit, Nachbarschaftshilfe war nicht nur hier in Freienohl üblich. Hier in diesem Gesamt-Kapitel geht es darum, die selbstverständliche Arbeit und Leistung der Frauen, der Mütter deutlich zu machen.
Für Freienohl beginnt die Akte:
Am 12. März 1840: Dieser Antrag an den „Armen-Vorstand“ wird hier ziemlich wörtlich übernommen. Der Vorstand setzt sich zusammen aus dem Bürgermeister oder, und Amtmann, dem Pfarrer der St. Nikolaus-Pfarrgemeinde, einigen gewählten Beigeordneten; alle unterschreiben am Schluss das Antrags-Protokoll; manchmal wird der Antrag auch vom Gemeinderat bearbeitet. Also: „Zwischen dem Armenvorstand und der Ehefrau des Johannes Rocholl dahier (= hier aus Freienohl) wurde heute folgender Kontrakt geschlossen. 1. Die Ehefrau des Johannes Rocholl nimmt die am 24. und 26. Februar geborenen Zwillings-Knaben der vor 3 Monaten gestorbenen Ehefrau des Joseph Rocholl dahier in Pflege und verpflichtet sich, sich der Kinder mit solcher Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt ihres Unterhalts als auch ihrer Reinlichkeit und sonstigen Wartung in jeder Beziehung anzunehmen, wie ein solches von einer rechtschaffenen und gewissenhaften Mutter bei ihren eigenen Kindern geschieht und Religion und Staat allen Eltern gebietet. - 2. Die Ehefrau Rocholl erhält dafür aus der hiesigen Armen-Kasse das notwendige Geld. (Der genannte Geldbetrag wird hier ausgelassen, weil der Wert innerhalb des angegebenen Zeitraums wohl nicht ermessen werden kann.) - 3. Die Ehefrau Johannes Rocholl unterwirft sich (der damals übliche Wortgebrauch meint heutzutage: ist damit einverstanden) und sie ist einverstanden mit der steten Kontrolle der Kinder durch den Armen-Vorstand. Falls sie wider Erwarten ihrer übernommen Verpflichtung nicht genügend nachkommen sollte, hat der Armen-Vorstand das Recht, die Kinder sofort wegzunehmen und anderswo in Pflege zu geben. Selbstredend hört dann das Anrecht augenblicklich auf. - 4. Andernfalls muss der Aufhebung dieses Vertrags eine wöchentliche Kündigung, welche beiderseits vorbehalten wird, vorhergehen. - 5. Sollte der Armenvorstand Gelegenheit finden, die Kinder für eine geringere Geldsumme in gleich guter Pflege unterzubringen und die Ehefrau Rocholl sich bereit finden lassen, für denselben minderen Beitrag die Kinder ferner zu behalten, so soll auch sie vorzugsweise berücksichtigt und ihr die Kinder belassen werden. - 6. Die höhere Genehmigung dieses Kontraktes behält sich der Armen-Vorstand ausdrücklich vor.“ - Unterschrieben von: Ehefrau Rocholl; der Armen-Vorstand: Pfarrer Sporkmann, Bürgermeister Alberts. Am 29. März 1840 in Arnsberg vom Landrat von Lilien.
Am Rand des Blattes steht diese Anmerkung des Bürgermeisters Alberts: Am 9. Mai ist ein Kind (Franz Rocholl, 2 Monate) gestorben, am (25.) 26. Mai ist das andere Kind Georg Rocjoll, 3 Monate) gestorben. Die Bezahlung endete am 29. Mai 1840. (AA 1034)
Die Familien-Zusammenhänge werden deutlicher mit diesen Register-Daten:
Die Lebensalter-Daten – LA - beziehen sich auf das Jahr 1840.
Ehepaar Johannes (Joes) Rocholl, LA 39, Maurer und Bernardina geb. Engel, LA 24: Heirat 30.01.1831. Ihre Kinder: Kaspar, LA 9, 1846 Maurer-Lehrbursche; Marianne, LA 6; Georg, Franz, diese beiden sind die angenommenen Zwillinge; Justine, LA 1. - Einwohnerliste 1846: Alte Haus-Nr. 116a, Chaussee / Hauptstraße.
Ehepaar Joseph Rocholl, Tagelöhner, LA 44 und Beatrix geb. Mestermann, LA ..., : Heirat 10.02.1825 Joseph Schäfer gnt. Rocholl mit Beatrix Mestermann aus Hirschberg; Ehefrau Beatrix gestorben zwischen 24. Februar und 20. März 1840; im Sterberegister sind Tag und Monat nicht eingetragen; aber: sie „hinterlässt 6 minderjährige Kinder“; Sterberegister: gest. 09.05.1840 Franz Rocholl, LA 2 Monate; gest. 25.05.1840 Georg Rocholl; Söhne des Tagelöhners, Witwers Joseph Rocholl. 1846: ihre / seine Kinder: Theresia LA 10; Florentine LA 16, Magd. - 1846: Alte Haus-Nr. 86b, Bergstraße, a: Flinkerbusch.
Der Armen-Vorstand bestand damals nur aus Männern: Amtmann von Lilien (von der Regierung Arnsberg eingesetzt), Pfarrer Sporkmann, Bürgermeister Alberts (Albers) (oder Gemeinde-Vorsteher), Gemeinde-Beigeordnete.
Für unheilbar Schwachsinnige
Am 1. Juli 1829 gibt der Landrat Thüsing in Arnsberg den Ämtern und Gemeinden bekannt: „Die Irren-Anstalt Marsberg soll erweitert werden, dass auch in Zukunft die unheilbar Schwachsinnigen aufgenommen werden können.“ (AA 1093)
Armen-Fürsorge aus einem anderen Blickwinkel
Der Arnsberger Landrat Thüsing leitet am 20. Oktober 1829 ein Schreiben der Königlichen Regierung des Innern an Arnsberg vom 17. Oktober 1829 an die Ämter weiter und die weiter an die Gemeinden, in Freienohl an Bürgermeister Feldmann (es folgt ein wundersamer Satzbau!): „Die durch Ungunst der Witterung so überaus verzögerten, überall erschwerten, in manchen Gemeinden – wie zu besorgen – untunlich werdende Bestellung der Wintersaat lässt eine sehr beschränkte Aussaat, jedenfalls spärliche nächste Ernte und in deren Folge hohe Fruchtpreise mit ziemlicher Gewissheit erwarten.
Es wird daher an der Zeit sein, die Armen-Verwaltungen überall darauf aufmerksam zu machen, wie wohltätig es sein wird, bei Zeiten Brot-Korn, auch Kartoffeln aufzuspeichern, um damit in der kommenden Not ihren Pflegebefohlenen aushelfen zu können. Die Armen-Verwaltungen sind hiernach anzuweisen, mit dem Beifügen die richtig erachteten Aufkäufe unter der Hand zu bewirken, um nicht unnötig die Preise zu steigern.“ (AA 1075)
Orkan und „citissime“!
Am 30. Dezember 1836 erwartet der Arnsberger Landrat von Lilien „citissime“ (schleunigst) Antwort, ob der Orkan vom 29. Dezember 1836 in den Gemeinden Schäden angerichtet hat und welche, „auch an Kirchen, Türmen und städtische Gebäude sind nicht ausgeschlossen. Mit Beihilfen muss sofort begonnen werden.“ Mitten im Winter! Freienohl meldete: „Es gab keine Schäden.“
„Nähere Erläuterung“ für das Zusammenleben in der Marsberger Anstalt
Am 15. Januar 1837 gibt der Oberpräsident der Provinz Westfalen Freiherr von Vincke in Münster eine „nähere Erklärung hinsichtlich des Pflegschaftsgeldes seitens eines Amtes, einer Gemeinde heraus; daraus auszugsweise: „Zu zahlen ist auch 1. für absolut arme Kranke, welche in die Irren-Anstalt aufgenommen werden und welche nicht im Stande sind, weder aus eigenem Vermögen irgendetwas zu den Verpflegungs-Kosten zu zahlen, noch zur Zahlung verpflichtete und fähige Verwandte haben, wo mithin die Verpflegungs-Kosten aus Armen- oder Gemeinde-Kassen erfolgen müssen, sind aus diesen nur 25 Reichstaler (jährlich) zu zahlen. 2. Für zahlungsfähige Kranke: 50 Reichstaler jährlich. Zu 1. und 2.: Sie erhalten Beköstigung am normalen Tisch, ärztliche Behandlung, Medikamente, Wäsche; zu 1.: vollständige Bekleidung; zu 2.:selbstversorgend (Familie, Angehörige); bei Todesfällen keine Beerdigungskosten. Es gibt noch die 3. Gruppe, die mehr zahlen, die „Zahlungsfähigen“: Beköstigung am „ersten Tisch, ein besser möbliertes Zimmer, Benutzung des gemeinschaftlichen Unterhaltungszimmers und der Unterhaltungsmittel“ (die sind inhaltlich nicht angegeben; auch nicht die inhaltliche Bedeutung für „erster Tisch“; dafür gibt es andere Literatur). (AA 1093)
Brot-Not und Hilfe aus dem Militär-Magazin
Am 1. Juli 1843 gibt der Landrat in Arnsberg bekannt. „Zur Linderung der sich an vielen Orten gezeigten Brot-Not wird durch Mitteilung des Herrn Ober-Präsidenten (Münster) aus dem Militär-Magazin in Wesel eine Quantität Roggen-Mehl zu dem Preise von … pro Scheffel … an bedürftige Gemeinden abgegeben, Das Mehl muss in Wesel abgeholt werden und es sind die zur Verpackung erforderlichen Tonnen und Säcke mit zur Stelle zu bringen, Die Abgabe geschieht gegen sofortige Bar-Zahlung; jedoch kann, wenn die Mittel nicht gleich zu beschaffen sind, ein Kredit bis zum 1. Dezember gegen einen von mir beglaubigten Revers bewilligt werden...“ Es folgen noch einige Einzelheiten. - Der Freienohler Bürgermeister Alberts teilt mit, am 28. Juli 1843, dass ihm „von Meschede abgeholfen worden“ ist.
Ähnliche Hilfsaktionen fanden statt im März 1847 (AA 395); im Mai 1852 mit Bürgermeister Devivere, im Oktober 1855 und 1856 mit Bürgermeister Thüsing, mit Amtsverweser Boese 1858. (AA 1075)
Bedenklicher Kartoffel-Zustand
Am 24. September 1845 schreibt der Landrat in Arnsberg an den Freienohler Amtmann von Devivere und „die erste Anzeige erwarte ich unfehlbar am 3. künftigen Monats“: „Der bedenkliche Zustand der Kartoffeln lässt befürchten, dass die Preise anderer Lebensmittel in einer Weise steigen werden, dass die ärmere Volksklasse sie nicht aufbringen kann. Von der höheren Behörde ist daher der Wunsch ausgesprochen, dass zur Beseitigung des Übels Lokal-Vereine (Orts-Vereine) sich bilden mögen, deren Aufgabe es ist, Lebensmittel, besonders solche, welche dem Verderben nicht leicht unterworfen sind, als Erbsen, Bohnen, Buchweizen, Graupen, Hafergrütze anzukaufen und der ärmeren bedürftigen Volksklasse entweder gegen Zahlung eines für diese erschwinglichen Preises oder den Umständen nach ganz unentgeldlich (im Original mit „d“!) zu überlassen. Die Vereine werden aber auch durch Belehrung und Rat dafür wirken können, dass mit den im laufenden Jahr gewonnenen Lebensmitteln sparsam gewirtschaftet wird, was sich zur menschlichen Nahrung eignet. Das Königliche Ober-Präsidium beabsichtigt, Kartoffeln in anderen Provinzen, wo solche gut geraten sind, in bedeutenden Quantitäten ankaufen zu lassen...“ Der Schluss steht am Anfang dieses Textes. (AA 1079)
Von der Hilfe mit Saat-Kartoffeln bis zu Kartoffel-Brennereien
und Zeit üblich: der Vorname der Witwe, der Ehefrau wird nicht genannt!
Am 11. März 1846 stehen in einem Verzeichnis die dürftigen Freienohler Grundbesitzer, denen „zur Anschaffung von Saat-Kartoffel Hilfe gewährt wird“: Ferdinand Wrede, Witwe Heinrich Köster, Witwe Ferdinand Stirnberg, Johannes Korte, Klute gnt. Lammers, Margaretha Hömberg, Witwe Ferdinand Heinemann, Johann Vohs, Witwe Caspar Flinkerbusch, Witwe Franz Flinkerbusch, Witwe Franz Becker, Witwe Anton Höhmann, Witwe Franz Rocholl, Witwe Johann Kückenhoff, Ludwig Feldmann, Bernard Humpert. „Es gab 6 weitere Bedürftige.“ Ohne genannte Namen.
Am 10. März kauft die Gemeinde Freienohl aus Soest preiswert zur Verfügung gestelltes Saatgut: 40 Scheffel Roggen, 20 Scheffel Gerste. (1 Scheffel = 2,22,hl; 1 hl = 100 Liter)
Am 19. Juni 1846 stehen in einer Liste Freienohler Hilfsbedürftiger 32 Namen.
Am 12. Dezember 1846 möchte der Landrat von Lilien vom Amtmann von Devivere „zur Erledigung innerhalb 8 Tagen“ wissen, „wo und welche Branntwein-Brennereien, Korn-Brennereien und Kartoffel-Brennereien bestehen?“ - Amtmann Devivere notiert: „Anzuzeigen, dass in meinem Amts-Bezirk sich keine Branntwein-Brennereien vorfinden.“ - (AA 1079) Irgendwo und irgendwann ist mal gehört worden: In Freienohl konnte im 19. Jahrhundert jeder Schnaps brennen.
Ein Auszug aus dem „Amtsblatt Arnsberg“ vom 9, Januar 1847: „...der unglücklichste Misswuchs...erlebt haben...mit Gottes Hilfe... Dem ungeachtet fordert aber der heutige Stand der Roggen-Preise auf das Dringendste, alles anzuwenden, um einem Zustand vorzubeugen, der, wenn er auch in eine wirkliche Hungersnot nicht ausarten wird, doch für die ärmeren Volksklassen, welche einen noch höheren Preis für ihr erstes und unentbehrlichstes Lebensbedürfnis, für ihr tägliche Brot, nicht zu erschwingen vermögen, die betrübendsten (!) Folgen haben könnte. Es ist deshalb die Pflicht jedes Ehrenmannes, vornehmlich aber des Beamten, dessen Beruf ihn mit dem Volke in unmittelbare Berührung bringt, und ihm die Vorsorge für den hilfsbedürftigen Teil desselben zur strengsten Gewissenssache macht, mit Rat und Tat dahin zu wirken und zu streben, dass solchen Extremen vorgebeugt werde..., mit aller zu Gebote stehenden Kraft, für die Abwendung eines wirklichen Notstandes zu wirken...“ Dann werden konkrete Maßnahmen bis hin zu den Amtsmännern und Bürgermeistern eingefordert. (AA 1079)
Teure Zeit in Freienohl
Die Freienohler Gemeinde-Versammlung, bestehend aus dem Amtmann und Gemeinde-Vorsitzenden von Devivere + 5 Gemeinde-Verordneten, protokolliert am 17. März 1847: „Die Einsassen (Einwohner) hiesiger Gemeinde befinden sich meistenteils dürftig, durch die seit vorigem Jahr schon eingetretene Teuerung in einer höchst bedrängten Lage, indem keiner der Einsassen über seinen Bedarf, selbst nicht in günstigen Jahren Getreide gewinnt, sämtliche Einsassen vielmehr aus anderen Gegenden Getreide anzukaufen genötigt sind. Zudem gebe es bei dieser teuren Zeit sehr wenige Gelegenheit, wodurch die hiesigen Einsassen, welche meistenteils aus Tagelöhnern bestehen, sich einen Tagelohn verdienen können...“ (AA 1079)
Am selben Tag, am 17. März 1847, erreicht ein Brief vom Kreis Arnsberg das Amt Freienohl: „Den dürftigen Gemeinden wird ein unverzinslicher Geld-Vorschuss gewährt“. Die Gemeinde Freienohl erhält einen solchen von 100 Talern; ähnlich die anderen Gemeinden im Amt: Dinschede, Rumbeck, Breitenbruch, Grevenstein, Herblinghausen. -
Vom 18. Mai 1847 liegt eine Liste vor: 52 namentlich eingetragene bedürftige Freienohler Einsassen erhalten die angegebene Menge von Saat-Kartoffeln. Fuhrlohn erhalten: Schulte zu Ensthofe und Johann Kückenhoff gnt. Frohnenmann.
Vom 13. Juli 1847: eine Liste der in Freienohl verteilten Brote: 100 Namen „Haushaltsvorstände“: Nachname, Vorname, Stand / Beruf, Personen-Anzahl über und unter 16 Jahren und die Anzahl der Brote. Das Geld für die Brote hatte das Gemeinde-Amt vorher Beantragen können und erhalten. - Die anderen zum Amt Freienohl gehörenden Gemeinden erhalten entsprechende Hilfen. (AA 1079)
Keine Kartoffeln essen! - Gilt nicht für Freienohl
Im „Arnsberger Wochenblatt“ vom Samstag, den 15. Mai 1847, 28. Jahrgang, Nr. 20, steht eine „Bekanntmachung des Königlichen Landratamtes“: „Nach einem Artikel aus Berlin vom 30. April in der ersten Beilage zur Nr. 105 des Westfälischen Merkurs hat der Präsident des Königl. Landes-Ökonomie-Collegiums, Herr Dr. von Beckdorf, darauf hingewiesen, wie es wesentlich zur Linderung des jetzigen allgemeinen Notstands gereichen würde, wenn jeder aus den mittleren und höheren Klassen der Gesellschaft, mit einem Wort jeder, dem es seine Verhältnisse gestatten, sich bis zur nächsten Ernte verpflichte, kein Roggen-Brot und keine Kartoffeln zu genießen, sondern seine Nahrung in Weizen-Brot, Fleisch, Fisch, Mehlspeisen, Eiern usw. und in den bald zu erwartenden jungen Gemüsen zu suchen, indem hierdurch ein bedeutendes Quantum von Roggen und Kartoffeln zur Disposition der Ärmeren, und zwar zu mäßigen erschwingbaren Preisen gestellt werden, und die von den Wohlhabenderen erheischte (erreichte) Lebensweise ihnen wohl nicht teurer zu stehen kommen würde. Es ist berechnet worden, dass, wenn von den im ganzen Staat wohnenden 3.200 000 Familien, mit Rücksicht auf deren durchschnittlichen jährlichen Gesamtbedarf an Roggen und Kartoffeln, nur der zehnte Teil, also 320 000 Familien auf den Vorschlag eingehen und bis zur nächsten keinen Roggen und keine Kartoffeln gebrauchen, sich an Ersparnis ein Quantum von 1.200 000 Scheffel Roggen und von 4.000 000 Scheffel Kartoffeln herausstellen würde....“ (AA 1079)
Hilfe „über Arnsberg“
Im Oktober 1847 erhält Freienohl „über Arnsberg“: 90 3/5 Scheffel Roggen; entsprechend die anderen Gemeinden im Amtsbezirk.
Hilfe für Kinder
„Am 3. Juli 1848 erschien auf dem Amt die Witwe Johann Korte hier (d.h. aus Freienohl) und trug vor: Außer den 2 kleinen mir selbst zugehörigen Kindern von 2 resp. (bzw.) 6 Jahren alt besitze ich zur Zeit noch 3 Stiefkinder bei mir und zwar 1. ein 22-jähriges blindes und deshalb arbeitsunfähiges Mädchen; 2. ein 11-jähriges noch schulpflichtiges Mädchen; 3. einen 8-jährigen schulpflichtigen Knaben. Meine zwei leiblichen Kinder will ich, so sauer es mir auch wird, selbst ernähren. Dieses geht aber wegen der drei Stiefkinder auch beim besten Willen nicht ferner mehr an. Es ist eine reine Unmöglichkeit, wie jeder, der meine ärmliche Lage kennt, einsehen kann und muss. Es wird daher nicht mehr übrig bleiben, als diese drei Kinder irgend draußen unter zu bringen. Ich bin auch wohl geneigt, sie bei mir zu behalten, wenn ich dafür eine Vergütung von jährlich 15 Taler pro Kind, wofür ich sie kleiden und beköstigen will, erhalte. Zu einem geringeren Betrage kann ich sie aber nicht ferner mehr bei mir behalten und bitte deshalb, das Weitere nach Möglichkeit zu veranlassen, damit ich die Kinder los werde, oder die angegebene Vergütung bewilligt erhalte.“ Es folgen 3 Kreuze und: „Handzeichen der Witwe Johann Korte“; ferner die Unterschrift des Sekretärs und die des Amtmanns Devivere.
Einschub aus dem Trauungsregister und Sterberegister zum tieferen Sich-Einfühlen-Können: Der Tagelöhner und Holzhauer Johann Korte stirbt am 24. Dezember 1847 (Heiligabend!), 51 Jahre, er hinterlässt Ehefrau Theresa Stahl(er) und die Kinder: (1847) Elisabeth, 22 J., Florentine / Dina 11 J., Friedrich 8 J., Franz 6 J., Johann 2 J. - Geheiratet hatte er (1.) am 12. Februar 1824 Elisabeth Franziska Kihsler. Sie starb am 7. Januar 1840. Er heiratete 2. am 6. Juni 1840: Maria Theresia Stahler aus Mittelberge, Pfarrei Calle. - Ihr Wohnhaus: Alte Haus-Nr. 48 b. - Tochter Elisabeth Korte stirbt am 11. Dezember 1857, 32 J. - Witwe Maria Theresia Stahl stirbt am 17. Januar 1874. -
Am 15. Juli 1848 beschließt die Armen-Sitzung: Die 22 jährige blinde Stieftochter soll sie zu Hause „belassen“; sie soll enteignet werden; ihr Unterhalt wird bezahlt (die Geld-Beträge werden hier ausgelassen, weil die wohl nicht korrekt eingeschätzt werden können). Pfarrer Sporkmann, der Mitglied der Armen-Sitzung ist, bemüht sich, die beiden anderen Kinder (Florentine/Dina und Friedrich) im Dorf unterzubringen, bis zur nächsten Sitzung. Am 24. Oktober 1848. Das ist Pfarrer Sporkmann nicht gelungen. „Beschlossen wurde, die Kinder erst einmal bis Ende des Jahres bei der Witwe Korte zu belassen und sie entsprechend zu bezahlen, die Kinder danach aber doch geeignet unterzubringen.“ - Ob das gelungen ist, steht nicht in den Akten. - In einer Liste um Geld-Bitten für Brennholz, Kleidung, Schuhe, Miete am 10. Dezember 1850 an die Armen-Kasse steht auch die Witwe Korte. Weiteres ist nicht aktenkundig. (AA 1045)
Roggen-Anlieferung und Schulden-Erlass
Vom August 1848 liegen Namens-Verzeichnisse vor über von der Landesregierung finanziell bezuschusste Roggen-Anlieferungen; zunächst eine Liste mit 53 Namen, danach eine 87 Namen.
Im Oktober 1848 werden in der Gemeinde Freienohl etwa 10 Anträge eingereicht mit der Bitte um Schulden-Erlass: wegen Armut können ausgeliehene Gelder nicht rückerstattet werden. Zumeist sind die Bitten von Witwen mit 3 bis 7 Kindern. - Ähnlich aus Nachbargemeinden im Amt Freienohl.
Am 15. Dezember 1848 schreibt Amtmann von Devivere an den Landrat von Lilien in Arnsberg, dass von manchen Eingesessenen (Einwohner) der Gemeinden – ebenso von der Gemeinde Freienohl - die ausgeliehenen Gelder nicht zurückgezahlt werden können. Der Landrat antwortet „diplomatisch“, dass „die Wieder-Einziehung der einzelnen Reste im Wege der Administration-Execution zulässig erscheint“. - Das Wörtchen „erscheint“ gibt eine Lösung an: da steht nichts von „Zwang“ und „müssen“. (AA 1079)
Bitten konkret
Am 11. November 1848 bittet auf dem Amt die Witwe Bernhard Humpert für sich und ihre 8-jährige schulpflichtige Tochter Florentine um je 1 Paar Schuhe und für den kommenden Winter um Brennholz. Die Bitte wird erfüllt. (AA 1045)
Zur Familien-Situation. Der Tagelöhner Bernhard Humpert ist am 9. Oktober 1846, 58 Jahre alt, gestorben, er hinterlässt die Ehefrau Maria Ursula geb. Rocholl und vier minderjährige Kinder. Am 15. August 1825 haben Bernhard Humpert und Ursula Rocholl geheiratet. - Aus den Einwohnerlisten: Vom 4. Dezember 1846 (AA 2170): Alte Haus-Nr. 142: Ursula Humpert, Witwe, Tagelöhnerin, 48 J., Tochter Maria Franziska Humpert, 13 J.; Tochter Florentine Humpert, 6 J. - Vom 3. Dezember 1849 (AA 2172): Ursula Humpert, Witwe, Tagelöhnerin, 50 J.; Tochter Marianne Humpert, Magd, 24 J.; Tochter Florentine Humpert 9 J.; Tochter von Marianne Humpert: Maria Humpert 1 J. Die Beiden waren gewiss ins elterliche Haus zurückgekehrt.
Am 23. November 1848: Franz Schwarzfärber bittet den Armen-Vorstand energisch, ihm das notwendige Geld für sein Pflegekind, den Waisen Anton Wrede auszuhändigen. - Das wird wenige Tage später geregelt.
Beruf und Familien-Zusammenhänge machen die energische Bitte verständlich:
Franz Schwarzferber (Schwarzfärber) ist Ackersmann und Holzhauer; am 28. Mai 1842 verheiratet mit Elisabeth geb. Helnerus. In der Einwohnerliste von 1849 (!) er 30, sie 43 Jahre alt. Ihr Sohn Franz ist 7 Jahre alt, der Schüler Anton Wrede 10 Jahre.
Ferdinand Wrede heiratet am 7. Juli 1838 Brigitta-Elisabeth geb. Stirnberg. Die Trauzeugen Lehrer Leismann und Ehefrau Sahse sind keine unbedeutenden. Elisabeth geb. Stirnberg stirbt am 25. September 1842 mit 33 Jahren; sie hinterlässt ihren Ehemann Ferdinand und 3 Kinder. Am 17. Februar 1842 stirbt Ferdinand Wrede, Tagelöhner, mit 43 Jahren; er hinterlässt 1 großjährigen Sohn und 2 minderjährige Kinder. Die Todesursachen des Ehepaares sind nicht aktenkundig.
Am 16. Juni 1852 hat sich für Anton Wrede, jetzt also 13, 14 Jahre alt, die Lebenssituation geändert: Seine Pflegeeltern sind nicht mehr Familie Franz Schwarzfärber; Gründe sind nicht aktenkundig. Jemand anders ist sein Pflegevater. Aufgrund der Beanstandung des Polizeidieners Kaulmann muss Anton Wrede diesen Pflegevater verlassen. Aus der Akte: Das Kind hatte 6 Hemden; 1 Hemd hat es beim Wechsel mitbekommen; 5 Hemden sind beim alten Pflegevater geblieben, der wollte sie nicht übergeben, trotz des Angehens des Polizeidieners.“ Der Armen-Vorstand klärt die peinliche Situation; wie, ist nicht aktenkundig. (AA 1034)
Arnsberger Steuerkasse unnachgiebig
Am 19. Juli 1849: Der Landrat in Arnsberg gestattet, wo die Gemeinde von einzelnen Schuldnern das Geld nicht eintreiben kann, da soll die Gemeinde-Kasse den Betrag übernehmen. Aber am 15. September 1849 schreibt die Steuerkasse des Landrats: „Eine Nachweisung über die geschehenen Ablieferungen ist am 3. kommenden Monats unfehlbar einzureichen.“ - Am 3. Oktober 1849 antwortet Freienohl: „Die Rendanten können noch nicht alles überweisen, sie sind zur Zeit noch stark mit der Einziehung der bis jetzt in Rückstand verbliebenen rubrizierten Vorschüsse beschäftigt...“ - Am 5. Oktober verlangt der Landrat: „Die Beträge, die eingegangen sind, sofort (unterstrichen!) an die Steuerkasse abzuliefern... Die Restbestände müssen mit gehörigen Gründen (wieder unterstrichen!) dargestellt werden.“ Die kann der Landrat dann weiterleiten (an die nächst höhere Behörde). - Die Zahlungsunfähigkeit bis hinein in den – aktenkundigen - Oktober 1850 zeigt die Armut. (AA 1079; zu dieser Akte: sie reicht noch bis zum Oktober 1850 mit den Unterlagen anderer Gemeinden im Amt Freienohl.)
Weiter Not
Am 6. November 1849 bittet die unverheiratete Brigitta Jürgens die Armen-Kasse um die Bezahlung ihrer Miete (Alte Haus-Nr. 21 b). Ihre Tochter habe ihr bisher etwas gezahlt. Aber sie heiratet in der nächsten Woche in Sundern einen Mann mit 6 Kindern und kann dann ihr nichts mehr geben. Ihr Sohn habe für sich und seine Familie zu sorgen und kann ihr auch nichts geben. Sie „bittet um die Hilfe, um nicht später auf der Straße zu liegen“. Sie unterschreibt unter Zeugen mit 3 Kreuzen. - Der Antrag wird abgelehnt: „Die Tochter sei eine gesunde und kräftige Person und treibt sich in Sundern nur umher.“ Sie hat also wohl doch nicht geheiratet. Und „der Sohn kann doch für seine Mutter mit sorgen“.
(AA 1045)
Daten aus den Einwohnerlisten: Vom 4. Dezember 1846 (AA 2170): Alte Haus-Nr.21 b: Brigitta Jürgens, Spinnerin, 69 J. (!?); Tochter Elisabeth Jürgens, 21 J.; Alte Haus-Nr. 21 c: Ehefrau Franz Jürgens geb. Regine Mund, Tagelöhnerin, 31 J.; Elisabeth Linhof, ihre nichteheliche Tochter, 6 J. - Vom 3. Dezember 1849 (AA 2172):: Brigitta Jürgens, Spinnerin, 57 J. (!?); ihr Sohn Franz Jürgens, Tagelöhner, 31 J.; seine Ehefrau Regine Jürgens geb. Mund, 36 J.; die nichteheliche Tochter von Regine Mund: Elisabeth Linhof, 10 J.. (AA 2172) – Hier kann deutlich sein: Heutige wissen nur, was aktenkundig ist, was da geschrieben steht.
Am 10. Dezember 1850 erhalten Brennholz mittels der Armen-Kasse: Wilhelm Lardon, Philipp Trompetter, Franz Lardon, Wilhelm Schirp, Witwe Caspar Flinkerbusch, Witwe Korte (s.o.), Witwe Spindeldreher. (AA 1045) Auch wenn da nur der Nachname steht: die Verantwortlichen der Armen-Kasse kannten die Genannten und die Genannten waren Familien-Väter und die Einwohnerlisten nennen auch die Kinder…
Plötzlich ganz arm dran – Ein Hagelschlag-Gewitter – Eine Akte mit 116 Blättern
Am 8. Juli 1853 ein blitzschnelles Hagelschlag-Gewitter über Freienohl und Bockum. Amtmann und Bürgermeister vön Devivere bitten die anderen Gemeinden im Amt mit einem „Collekten-Brief um Geld-Spenden und milde Gaben“, das sind vor allem; Roggen und anderes Getreide, Kartoffeln.
Auch auf die gekürzte Wiedergabe des behördlichen Schrift-Verkehrs nach diesem Unwetter wird hier verzichtet. Denn das vorgelegte Material bietet gewiss ein unausgesprochenes Zusammenleben.
Den Umfang dieses Gewitters und die Größe der Not zeigt die Liste „Nachweisung des nachträglich in Vorschlag gebrachten Grundsteuer-Nachlasses für die am 8. Juli 1853 durch Hagelschlag beschädigten Grundsteuerpflichtigen“. Mithilfe einer Flur-Namen-Karte von Freienohl wird das Ausmaß gut einsehbar. Auf die Tabellen-Form wird hier verzichtet. Also: Laufende Nummer, Name, Wohnort des Beschädigten, Nummer der Flur und Parzelle (vom Jahr 1853!), Bezeichnung der Gebäude oder der Kulturart; auf die Geldbeträge wird hier verzichtet:
1. Ferdinand Erlmann (I 39; Acker: Bettenhelle) - 2. Georg Trompetter (Neuer Weg, II 63, Acker: Kartoffeln; Rosenbrache, II 95/2,Hafer). - 3. Franz Göckeler (Krähkamp, I 28, Acker: Kartoffeln, Roggen). - 4. Kaspar Schröer (Blastenberg, I 67, Acker: Kartoffeln, Bettenhelle, I 994/41, Acker: Hafer). - 5. Cohsmann gnt. Vohshane (Neuer Weg, II 42, Acker: Hafer, Roggen; Rosenbrache, II 72, Acker: Kartoffeln; Mühlenberg, II 23, Acker: Roggen; Mühlenberg, II 25, Acker: Kartoffeln). - 6. Schwefer gnt. Vohshane (Mühlenberg, II 24, Acker: Korn; II 81/a, Acker: Hafer). - 7. Georg Schwefer (Neuer Weg, II 44, Acker: Roggen). - 8 Arnold Raulf (Hohe Fohr, I 436, Acker: Kartoffeln). - 9. Cohsmann gnt. Cordel (Rosenbrache, II 99, Acker: Hafer; II 98, Acker: Korn; II 100, Acker : Hafer; II 101, Acker: Roggen; II 103, Acker: Hafer; Blastenberg, II 86, Acker: Roggen; Neuer Weg, II 47, Wiese: Gras). - 10. Kaspar Höhmann (Neuer Weg, II 56/1, Acker: Korn). - 11. Ferdinand Schwefer (Rosenbrache, II 81 b, Acker: Roggen). - 12. Bernard Klute (Neuer Weg, II 48/2, Acker: Roggen). - 13. Ferdinand Gahse (Neuer Weg, II 50, Acker: Hafer; II 61, Acker: Hafer; Rosenbrache, II 75/1, Acker: Hafer). - 14. Wirt Kaspar Neise (Bettenhelle, I 52, Acker: Korn; Blastenberg, I 71, Acker: Roggen). - 15. Anton Lenze (Bettenhelle, I 44, Acker: Hafer; Schlade, I 609, Acker: Roggen; Neuer Weg, II 65, Acker:: Roggen; Rümcke, II 12, Wiese: Gras; Alte Ruhr, I 23, Wiese: Gras). - 16. Haane, Olpe (Mühlenberg, II 16, Acker: Roggen; II 19, Acker: Korn). - 17. Franke, Ludwig, Olpe (Mühlenberg, II 17, Acker: Kartoffeln).
Am 11. März 1854 legt Bürgermeister Devivere mit den Gemeinde-Verordneten (von ihnen unterschrieben) eine Liste vor der vom Hagelschlag Geschädigten mit dem angegebenen „angeblichen Schadensbetrag und dem Unterstützungsvorschlag“ in Mark (auf die Nummerierung wurde verzichtet; in der Klammer die beiden Beträge): Heinrich Albers (50/2), Kaspar Stirnberg sen. (60/4), Witwe Johann Vogt (45/3), Heinrich Zacharias (30/2), Bernard Tönne (120/4), Kaspar Leineweber (90/5), Kaspar Kaulmann (63/4), Ferdinand Kerstholt (100/5), Franz Trompetter gnt. Schröer (72/5), Sattler Franz Pöttgen (120/5), Franz Korte sen. (40/4), Hermann Krick (40/4), Franz Trompetter sen. (20/1), Johann Rocholl jun. (5/-), Heinrich Cohsmann gnt. Klaren (63/6), Anton Spieler (20/1), Johann Lichte (200/20), Johann Altenwerth ( 240/13), Adam Heckmann (130/9), Joseph Trompetter (32/3), Anton Stirnberg (20/2), Heinrich Weber (35/2), Heinrich Molitor (20/2), Matthias Krick (30/3), Fritz Lenze (12/1), Kaspar Neise jun. (50/3), Anton Trompetter (80/5), Lorenz Bruder (30/2), Witwe Johann Trompetter (10/1), Georg Siepe (60/3), Kaspar Lenze gnt Oels (108/6), Siepe gnt. Willecke (20/2), Witwe Heinrich Vohs (25/2), Heinrich Lenze gnt. Penschröer (80/5), Witwe Kaspar Düring (30/2), Kaspar Kehsler (24/2), Theodor Bracht (-/-), Franz Korte jun. (50/2), Fritz Düring (20/1), Fritz Schwefer ( 60/4). Joseph Helnerus (25/2), Fritz Miehse (12/2), Georg Geihsler ( 28/2), Engelhard Spieler (50/3), Adam Kehsler (400/17), Kaspar Nöke (40/3), Matthias Schramm (120/10), Engelhard Düring (130/10), Neise gnt. Jürgens (90/6), Franz Schwarzferber (100/6), Bernard Schwefer ( 40/4), Fritz Göckeler (60/5), Franz Kerstholt (25/3), Fritz Schmitz (30/2), Witwe Kaspar Flinkerbusch (50/3), Franz Geihsler ( 50/2), Johann Rocholl sen. (60/4), Gaudenz Kerstholt (130/12), Anton Neise sen. (60/4), Levi Löwenbach (100/6), Heinrich Stirnberg (50/3), Johann Cohsmann (Alte Wiese) (-/2), Anton Hömberg (100/7), Franz Kaspar Cohsmann (90/4), Johann Cohsmann gnt. Klaren (40/3), Heinrich Schwarzferber ( 30/2), Bernard Becker (100/8), Kaspar Vogt (120/10), Cohsmann gnt. Cordel (160/9), Franz Göckeler (50/2), Georg Schwefer (60/4), Witwe Franz Göckeler (40/3), Kaspar Schröer (70/5), Heinrich Neise (12/1), Kaspar Höhmann (15/3), Franz Schwarze (20/4), Witwe Johann Korte (10/2), Bernard Klute (40/3), Ludwig Feldmann (10/1), Witwe Franz Vogt (40/3), Witwe Ferdinand Stirnberg (-/1), Ferdinand Gahse (-/3).
Noch zwei weitere Listen befinden sich in der Akte 1080: Zum einen eine Spende von 100 Talern (wohl Mark), 80 Taler sollen aufgeteilt werden unter den „Haupt-Hagel-Geschädigten“ und 20 Taler für die Gemeinde-Kasse; 41 Namen + Spenden-Zuteilung werden aufgelistet; die werden hier nicht aufgeführt; es sind Wiederholungen. Zum anderen eine auch nicht übernommene Liste von 107 Freienohlern mit der „Spende: milde Gabe“; zumeist eine mit genannte Menge „Scheffel Roggen“
Das Zusammenleben der Freienohler untereinander und die gerade hierbei notwendige (Not wendende) Ehrlichkeit miteinander und gemeinsam mit den Behörden und den umliegenden Gemeinden im Amt Freienohl mit ihren Spenden nach diesem Hagelschlag-Gewitter wird noch nachfühlbarer beim Parallel-Lesen der hier genannten Namen mit der Einwohnerliste von 1849, geordnet in der Reihenfolge der Alten Haus-Nummern mit allen Familien-Mitgliedern (Vater, Mutter / Mann, Frau, Kinder) und anderen Bewohnern und mit allen Alters-Angaben (AA 2142).
Leider steht nicht in der Akte, wie lange genau das Hagel-Gewitter gedauert hat. (AA 1080)
Das Zusammenleben der Gemeinden in dem einen Amt kann auch dadurch deutlich werden: Manche Frauen haben nach Freienohl eingeheiratet und auch Männer. So ist man / frau mit anderen Gemeinden auch verwandtschaftlich miteinander verbunden. Mithilfe des Trauungsregisters ist das nachlesbar. Siehe auch: „Frau, Frauen, Freienohlerinnen“.
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„Hausarme“
Eine eigenartige Liste: „Hausarme“; in der Akte AA 1045 zwischen 4. August 1850 und 15. August 1853 stehen 27 Namen, die sind nicht genau zu zu ordnen: nur die Standes-Angabe „Witwe“ lässt das nicht zu, auch nicht immer der Vorname, weil der Vater oder Sohn meinen kann. Das alte Lexikon „Adelung“ bei www.zeno.org informiert: „Hausarrme sind Personen, welche sich schämen zu betteln und Almosen im Haus oder aus gut tätigen Häusern zu bekommen, zum Unterschied von Bettlern.“ Auf das Abschreiben muss verzichtet werden, weil die Namen damals wohl genau bekannt waren, heutzutage aber kaum zu entziffern sind; auffällig ist: bei den 27 Hausarmen sind 7 Witwen. (AA 1045)
Am 15. August 1853 beantragt Fritz Lenze bei der Armen-Kasse eine „angemessene, regelmäßige Unterstützung, da er ganz arbeitsunfähig und daher von allem entblößt, unfähig sei, seine Frau und 5 kleine Kinder zu ernähren“. (AA 1045)
Im Einwohnerverzeichnis von 1849 steht: Alte Haus-Nr. 98: Tagelöhner Fritz Lenze (es werden 4 Jahre addiert: 1853) 40 J., Ehefrau Theresa Lenze geb. Funke, 35 J., Tochter Katharina 12 J., Tochter Alwine. 9 J., Tochter Franziska 7 J., Sohn Joseph 5 J., das 5. Kind war 1849 noch nicht aktenkundig. Heirat von Friedrich Lenze mit Theresa Funke am 18. Februar 1841.
Am 29. November 1853 bewilligt die Armen-Kasse für 9 Freienohler Wohnungsmiete.
Am 29. November 1853: Die 4 unmündigen Kinder des verstorbenen Franz Georg Pöttgen werden verpflegt vom Sattler Franz Pöttgen. Der Armen-Vorstand bemüht sich, die Kinder woanders zu einem billigeren Beitrag unterzubringen.
Was aus den Bemühungen geworden ist und welche wirklichen Gründe dahinter stecken, ist nicht aktenkundig (Die gesagten Gründe sind nicht immer die wahren Gründe.).
Die Familien-Hintergründe:
Franz Pöttgen war am 14. November 1839 verheiratet mit Theresia geb. Molitor. 1849 wohnte das Ehepaar Alte-Haus-Nr. 16 b, er war Holzhauer und (1849) 40 Jahre alt, sie 35; ihre Kinder: Kaspar LA 9, Joseph LA 2 (oder 3). In Alte-Haus-Nr. 16 a lebten: Schuster Heinrich Molitor, LA 29, verheiratet mit Friederica geb. Geihsler, LA 27; Elisabeth Molitor geb. Hirnstein, LA 65.
Franz Georg Pöttgen war am 26. November 1835 verheiratet mit Anna-Gertrud Schemme. Nicht unbedeutende Trauzeugen: Heinrich Sahse und Frau Wiesehöfer aus Olpe. 1849 (!) wohnte das Ehepaar Alte-Haus-Nr. 19 a: er mit dem Beinamen Riedesel war Ackersmann, LA 42; sie LA 35; ihre Kinder: Fritz LA 13, Anton LA 11, Franz LA 9,Heinrich LA 5, Joseph LA 3, Kaspar LA ¾ J. - Ehefrau Gertrud geb. Schemme stirbt am 6. Juni 1850, LA 36, hinterlässt Ehemann Franz-Georg Pöttgen mit 6 minderjährigen Kindern. - Am 7. November 1853 stirbt Franz-Georg Pöttgen, LA 45, er hinterlässt 6 minderjährige Kinder. Warum, woran das Ehepaar gestorben ist, - nicht zusammen; mit 36 und 45 Jahren – ist nicht aktenkundig. (AA 1034)
Schul-Kasse auch arm
Die Listen „Nachweisung der unbeibringlichen Einnahme-Reste bei der Schul-Kasse zu Freienohl“ besagen nicht, dass die aufgeführten Eltern das noch fehlende Schulgeld nicht bezahlen wollten, sondern, dass sie es nicht konnten. Die Beträge werden hier nicht aufgeschrieben; ihr Wert ist heutzutage nicht zu ermessen. Für das 1. und, oder 2. Semester (Schuljahr) betrifft das 24 Freienohler Familien: Georg Becker, Ludwig Feldmann, Ferdinand Funke, Franz Hehse, Ferdinand Hirnstein, Anton Kaulmann, Kaspar Lenze gnt. Penschröer, Franz Hirnstein, Witwe Adam Kehsler, Witwe Anton Kehsler, Witwe Lardon, Franz Leineweber, Johann Schirp, Witwe Ferdinand Stirnberg, Heinrich Vohs, Ferdinand Wrede, Fritz Lenze, Witwe Bernhard Humpert, Margaretha Hömberg, Ehefrau Loren Plugge, Elisabeth Krick, Heinrich Karneil, Marianna Schramm.
Am 11. Juli 1854: 29 Familien; am 15. Juni 1855: 16 Familien; am 21. April 1856: 18 Familien; am 14. August 1857: 25 Familien; am 11. Oktober 1858: 19 Familien (AA 1045)
Kind unterbringen
Am 9. Mai 1856 steht im Protokoll des Armen-Vorstands: „Die kleinere Tochter der Plugge soll auf Kosten der Gemeinde-Kasse unterhalten und vorläufig bei dem Fritz Düring hier untergebracht werden.“ - Kein Name der Tochter, weil der dem Vorstand wohl bekannt war. Ausdrücklich: kleinere; dabei ist eine größere, ältere nicht bekannt.
Aus der Sitzung am 22. Juli 1856: „Die Ehefrau Heinrich Kohsmann hat sich erboten, die Tochter Karoline der Witwe Plugge in Pflege und Kost zu nehmen.“ Das wurde genehmigt, auch mit den Kosten aus der Armen-Kasse.
Am 24. Dezember 1859 – Heiligabend! - wurde im Armen-Vorstand „beschlossen mit Rücksicht auf die moralische und physische Verwahrlosung der Caroline, der 12-jährigen Tochter Catharina Plugge, die Caroline dem Johann Spielmann in Pflege und Erziehung zu übergeben und dem Mädchen die erforderliche Kleidung aus der Armen-Kasse verabreichen zu lassen. Das Vorstandsmitglied Sahse wurde sodann mit der sofortigen Beschaffung eines neuen Kleides, Tücher und zweier Schürzen für Carolina beauftragt.“
Am 31. Mai 1861: Johann Spielmann wird bezahlt für die Verpflegung von Carolina Plugge bis zu dem Tag, wo sie aus der Schule entlassen wird. Spielmann wird auch bezahlt für neue Kleidungsstücke für Carolina Plugge.
Heutzutage sind unbekannt die Gründe für den Wechsel der Pflege-Familien: Fritz Düring, dann Heinrich Kohsmann, dann Johann Spielmann; keine Berichte sind aktenkundig über Caroline…
Die Familien-Zusammenhänge:
Karoline Plugge ist 1849 (Einwohnerverzeichnis) 2 Jahre; 1856: etwa 9 Jahre alt. Alte Haus-Nr. 156 a. LA hier 1849. Ihre Eltern: Florenz / auch: Lorenz Plugge, Schuster, LA 33; seine Ehefrau Katharina geb. Schnapp, LA 32; Sohn August, LA 6; Tochter Karoline, LA 2, geboren wohl 1852. Alte Haus-Nr. 156 b: Tagelöhner Ferdinand Schnapp, Vater zu Katharina, LA 56; Joseph, Sohn zu Ferdinand, LA 29, Sattler. - Florenz + Katharina Plugge stehen nicht im Freienohler Trauungsregister, sind also wohl Zugezogene. - Aus dem Sterberegister: am 4. Januar 1854 stirbt das Kind Heinrich Plugge, 2 Jahre, 5 Monate, Sohn des Schusters Florenz Plugge und Ehefrau Katharina geb. Schnapp; geboren wohl 1853. Im Freienohler Sterberegister steht von 1853 bis zum 22. Juli 1856 kein Florenz Plugge.(Witwe Plugge!). Bis Ende 1890 einschließlich steht im Freienohler Sterberegister keine Katharina Plugge geb. Schnapp, auch kein August und keine Karoline Plugge; auch nicht im Trauungsregister.
Vielleicht taucht Caroline Plugge später, wenn sie kein Kind mehr ist, wieder auf. Diese Akte 1034 sammelt nur Daten von Waisenkindern. (AA 1034)
Am 20. September 1856 bezahlt die Armen-Kasse Mieten für 7 Personen; am 26. Oktober 1857 Mieten für 10 Personen; am 11. Oktober 1858 Mieten für 11 Personen. (AA 1045)
Am 26. Oktober 1857 erhalten je 1 Klafter Reiser-Holz 18 Personen aus der Armen-Kasse. (AA 1045)
Wohnhaus-Schaden bei einem Hagel-Schaden 1854. Die Eingesessenen August Lichte und Heinrich Lenze hatten hatten finanzielle Hilfe erhalten. Jetzt am 21. Februar 1858 wird ihnen aufgrund ihres Antrags bewilligt, die letzte Tilgungs-Rate – erst – am 1. Oktober 1858 zahlen zu müssen. (AA 1079) – Siehe oben: „Plötzlich ganz arm dran“.
Eine Mutter stirbt
Zum 26. Mai 1858 ein paar Daten vor dem Antrag: Am 1. Mai 1858 stirbt Maria Theresia (oder Franziska) Tegethoff geb. Klute, geb. am 23. Dezember 1827, verheiratet mit dem Tagelöhner Friedrich Tegethoff (kein Datum im Trauungsregister), sie hinterlässt ihren Ehemann und 1 Kind: Caspar, geb. am7. März 1858.
Am 26. Mai 1858 unterschreibt Amtmann Boese dieses Protokoll: „Erschien der Georg Neise von hier und erklärte: Ich bin bereit, das bei mir seit dem 6. Mai untergebrachte 10 Wochen alte Kind des Fritz Tegethoff, solange es der Armen-Vorstand für richtig hält, bei mir zu behalten, wenn mir dafür eine monatliche Vergütung von 4 / 20 gezahlt wird... gez. Georg Neise.“ - Auf dem Blatt steht am Rand – zeitüblich - : „Für ¼ Jahr zur Zahlung angewiesen.“
Weitere Angaben zum Baby Caspar Tegethoff sind nicht aktenkundig. Aus dem Trauungsregister freilich dies: Heirat am 13. Januar 1859: Friedrich Tegethoff aus Welda, Wwr. von Theresia Klute mit Elisabeth Wengeler aus Altenhellefeld, Pfarrei Hellefeld.
Die Freienohler Armen-Kasse zahlt am 1. Januar 1859 für die Kranke Marianne Mester in der Geisteskranken-Anstalt in Marsberg für das Jahr 1858: 32 Reichstaler, 45 Silbergroschen. (AA 1039)
Fleißiger Armen-Vorstand
Eine ziemlich fleißige Sitzung des Freienohler Armen-Vorstands fand statt am 5. August 1859: Geld aus der Armen-Kasse: Schulgeld-Beträge an 13 Personen. - An das Marien-Hospital in Arnsberg für Franz Korte. - An Schuster Lorenz Bruder für neue Schuhe an die Tochter von Frau Plugge und für den Sohn des Ferdinand Wrede gnt. Kückenhoff. - An Schuster Fritz Becker für die Ausbesserung der Schuhe an den Sohn von Anna-Maria Koester. - An Johann Schnapp für die Anfertigung eines Sargs für den verstorbenen Adam Schwinne. - An den Tagelöhner Adam Mester für Verpflegungskosten des bei ihm untergebrachten Bernard Kaulmann, Sohn des Anton Kaulmann. - Für das Stiefkind des Heinrich Carneil für ein Paar neue Schuhe, für Kleid, Wäsche, Hemdchen. - An den Zimmermann Kaspar Noecker für die Anfertigung eines Sargs für die verstorbene Agatha Sommer. - Monatliche Unterstützung bis auf Widerruf an Anna-Maria Koester. - An Mieten von Martini 1858 bis Martini 1859 wurden bewilligt für 9 Personen (zumeist Witwen oder Vermieter an Witwen; „Martini“ = 11. November, ein fester Termin auch für Arbeits-Verträge). (AA 1048)
Auch die Auflistung der Sitzungstermine des Freienohler Armen-Vorstands zeigt die Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens auch in schwierigen Situationen und Verhältnissen: 18. November 1859, 24. Dezember 1859 (heutzutage ein „unmöglicher“ Termin), 1860: 10. Februar, 9. März, 27. April, 22. Mai, 22. Juni. 20. Juli, 18. September, 20. November (je 1 Klafter Reiser-Holz an 8 Personen, Mieten an 9 Personen), 28. Dezember: also monatlich 1 Sitzung. (AA 1048)
In den Jahren 1860 bis 1865 wird der jüdische Kaufmann Levy Löwenbach, bzw. seine Witwe siebenmal aus der Armen-Kasse bezahlt für Kleidung und Stoffe an u.a. Caroline Plugge, Dina Flinkerbusch, Ferdinand Wrede (s.o.), Kinder der Witwe Vielhaber, „für den alten Schnapp“, für ein Totenhemd für Georg Krick. (AA 1048) – Siehe auch: „Freienohler Zusammenleben mit jüdischen Familien“.
Keine Kartoffeln fördern das Zusammenleben! Oder: Alleine wird’s zu teuer; gemeinsam wird’s preiswerter: das Kartoffeln-Kaufen
Am 10. Oktober 1861schreibt aus Berlin das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten auf behördlichem Wege bis zum Freienohler Amtsverweser Gerichts-Assessor Boese: „Euer Hochwohlgeboren benachrichtige ich auf den Bericht vom 29. vorigen Monats, dass ich zur tunlichsten Abhilfe der übermächtigen Kartoffel-Teuerung, welche in Folge des Misswuchses dieses notwendigsten Lebensmittels der arbeitenden Klasse in der dortigen Provinz eingetreten ist, Veranlassung genommen habe, auf sämtliche Staats-Eisenbahnen, sowohl der östlichen als westlichen Provinzen, und auch auf der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorten.Eisenbahn und – die anderen privaten Linien werden aufgezählt – für Kartoffeln in Wagenladungen … eine Expeditionsgebühr von … zu ermäßigen. Die betreffenden Königlichen Direktionen sind angewiesen, diese Fracht-Ermäßigung sofort in Kraft treten zu lassen...“ (AA 1081)
Am 20. Oktober 1861 werden aus Hamm von der Firma Cosack und aus Soest der Gemeinde Freienohl Angebote zur Kartoffel-Lieferung gemacht....
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 25. Februar 1862
TOP 842: Wurde zum Vortrag gebracht, dass die in Folge der auf Grund des Beschlusses vom 21. d.M. erlassenen Bekanntmachung bis jetzt von der hiesigen größtenteils der arbeitenden Klassen-Angehörigen Eingesessenen (ungewohnte Wortwahl für die Jetztzeit) pp. 260 Zentner Kartoffeln unter den seitens der Gemeinde gestellten Bedingungen angemeldet sein und mit Rücksicht hierauf und weiteren Anforderungen genügen zu können, beschlossen, in Mengen 3 Waggons oder 300 Zentner Kartoffeln für Rechnung der hiesigen Gemeinde anzuschaffen, und dieselben denjenigen der hiesigen Eingesessenen, welchen die zur sofortigen Bezahlung derselben nötigen Geldmittel fehlen, unter sicherer Bürgschaft und halbjährigen Rendite gegen Zahlung des Einkaufspreises zu überlassen. Mit Rücksicht hierauf und da die Gemeindekasse die erforderliche Vorlage für den Einkaufspreis der Kartoffeln nicht leisten kann, wurde dann weiter beschlossen, bei Königlicher Regierung die Genehmigung zur Aufnahme eines 5-prozentigen Darlehens bei der Sparkasse oder bei einer Privaten auf 6 resp. 9 Monaten bis zum Betrag von 450 RT nachzusuchen. - Gemeint sind wohl auch Saatkartoffeln. Mit Waggon ist im Jahr 1862 hier nicht die Eisenbahn gemeint, sondern eine bestimmte Art von Fuhrwerk. (AA402)
Einen Tag später, am 26. Februar 1862 macht Kaufmann A. Rosenthal aus Arnsberg Angebote für einen Kartoffel-Handel aus Soest nach Freienohl...
Am 23. Oktober 1862 beteiligt sich beim Kartoffel-Handel der Freienohler Kaufmann Bendix Ransenberg (Siehe Kapitel: Jüdische Familien).
Weitere Einzelheiten über den Vertrieb werden hier ausgespart. - In der Akte 1081 liegen 2 Listen vor über den Ankauf von Kartoffeln; einmal über 63, dann über 71 Freienohler: Name, Vorname, erhaltene Kartoffel-Menge, Kaufpreis, Unterschrift des Käufers und eines Bürgen; wer nicht schreiben konnte, hat 3 Kreuze gemacht; bei den Witwen steht – zeitüblich – der Name und Vorname des verstorbenen Ehemanns, die Witwe unterschreibt auch mit „Frau“ und Vorname und Name des Ehemanns. Bei Ransenberg steht: „gleich bezahlt“. Bei 5 Freienohlern steht kein Geldbetrag, dafür: „arm“. (AA 1081)
Eine zusammenfassende Schlussbemerkung über das mögliche Ende des „Kartoffel-Misswuchses“ enthält die Akte nicht.
Akten-Einblick: Protokoll der Gemeindeversammlung am 21. Februar 1862
TOP 841: Wurde von dem Vorsitzenden eine Zusammenstellung der sämtlichen Rückstände bei der hiesigen Gemeindekasse zur Kenntnis vorgelegt und auf wiederholten Antrag des Vorsitzenden wegen Niederschlagung einiger unbeibringlicher Einnahmen nach allseitiger Erwägung und Beratung beschlossen, nachfolgende Posten niederzuschlagen: (1.) Die Rückstände des Kaspar Humpert, nämlich (1.) für eine Eiche pro 1849: 3 RT 10 Sgr, (2.) desgleichen...desgleichen: 9 RT 5 Sgr, (3.) desgleichen … desgleichen: 7 RT 20 Sgr, (4.) für Reiserholz pro 1857: 1 RT, (5.) Kosten in Hypotheken-Sachen: 1 RT 13 Sgr 3 Pf, (6.) desgleichen: 1 RT 13 Sgr, (7.) desgleichen: 1 RT 7 Sgr; Summa 25 RT 8 Sgr 3 Pf, indem derselbe jetzt ganz besitzlos und zur Zahlung des Rückstandes nicht im Stande sei und den für die Posten Nr. 1 – 3 eingetretenen Bürgen August Lichte zur Zahlung nicht angehalten werden könne. - (2.) Der Rückstand des Franz Humpert aus dem Jahr 1853: Rest für eine Eiche nämlich: 2 Sgr; Summa 2 Sgr. - (3.) Die Rückstände des Johann Jürgens für 1 Buchen-Klafter ausdem Jahr 1860 ad 1 RT 5 Sgr; Summa 1 RT 5 Sgr; da derselbe ganz verarmt und zur Ernährung seiner Familie kaum im Stande sei. - (4.) Der Rückstand der Witwe Johann Korte für 1 Reiser-Klafter pro 1860 ad 6 Sgr; Summa 6 Sgr aus demselben Grunde. - ( 5.) Der Rückstand des Fritz Lenze, nämlich (1.) für Zeitpacht aus dem Jahr 1851, Rest ad 4 RT 2 Sgr, (2.) desgleichen ad 9 RT 2 Sgr, Summa 13 RT 4 Sgr, indem Lenze fast fortwährend kränklich und ihm jeglicher Verdienst und Vermögen sei, der früher für Lenze eingetretene Bürge auch nicht mehr ermittelt werden könne. - (6.) Der Rückstand des Johann Lichte für 1 Reiser-Klafter aus dem Jahr 1860 ad 2 RT 5 Sgr, Summa 2 RT 5 Sgr, und zwar wegen der großen Armut und Verdienstlosigkeit des Lichte und der Nicht-Sicherstellung des Postens durch Bürgschaft. - (7.) Der Rückstand des Sekretärs Oberdick an Pacht der Fischerei pro 1859 und 1860 zusammen an 20 Sgr, Summa 20 Sgr; aus dem Grund, weil Oberdick in den angegebenen Jahren nicht mehr hier gewesen und daher die Fischerei nicht benutzt habe. - (8.) Den Rückstand der Franziska Pöttgen an Umlage pro 1859 zum Betrag von 2 Pf: wegen der Geringfügigkeit des Postens. - (9.) Von den Gerichtskosten des Georg Siepe ad 12 RT 4 Sgr soll mit Rücksicht darauf, dass derselbe durch den Prozess Schaden genug erlitten, er auch durch den Ausbau des Alten Triftweges sehr billig übernommen habe, der Betrag von 6 RT, Summa 6 RT niedergeschlagen werden. - (10.) Den Rückstand des Fritz Ernst Spiehs für 1 Reiser-Klafter pro 1860 ad 11 Sgr, Summa 11 Sgr, indem derselbe Armen-Unterstützung beziehe und zur Zahlung unfähig sei. - (11.) Den Rückstand des Fritz Tegethoff an Einzugsgeld ad 10 RT, Summa 10 RT, weil in dem ersten Jahr nach seiner Niederlassung das Einzugsgeld auf 20 RT ermäßigt und dieser Betrag bereits vom Tegethoff gezahlt sei. - (12.) Den Rückstand des Fritz Weber, nämlich: (1.) für 1 Eiche pro 1844 ad 22 RT 7 Sgr, (2.) Exekutionskosten (?) ad 28 Sgr, (3.) Personal-Arrest ad 5 RT 28 Sgr, (4.) für Porto und Auslagen ad 21 Sgr, Summa 28 RT 26 Sgr; indem Weber nach den im vorigen Jahr neuerdings gegen ihn bei der Königlichen Kreis-Gerichts-Commission zu Warstein extrahierten Exekutions-Verhandlungen umpfankar ist (nicht korrekt lesbar, bzw. verständlich), auch durch Verbüßung von Personal-Arrest zur Zahlung nicht geneigt werden machen konnte. - Kein Grund zum Löschen dieses TOP: zur Erinnerung auch für die Jetztzeit: im Christentum ist das Vater-unser-Gebet bekannt: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. - (13.) Der Rückstand des August Wrede gnt. Kückenhoff zu Bockum von Gerichtskosten ad 7 RT 16 Sgr, Summa 7 RT 16 Sgr; weil Kückenhoff behauptet, diese Kosten selbst an an Sommer gezahlt zu haben, nur auch wohl anzunehmen, da Sommer sich nicht wegen Zahlung dieses Betrages gemeldet hat (Justiz-Rat Sommer in Arnsberg). - (14.) Einen weiteren Rückstand des Johann Jürgens für 2 Reiser-Klafter pro 1861 ad 21 Sgr, Summa 21 Sgr. - (15.) Desgleichen des Johann Lichte für 2 Reiser-Klafter pro 1861 von 2 RT 21 Sgr, Summa 2 RT 21 Sgr (ein Grund für den Preis-Unterschied ist nicht aktenkundig). - (16.) Den Rückstand der Elisabeth Karneil für 1 Reiser-Klafter pro 1861 ad 17 Sgr, Summa 17 Sgr; da dieselbe ganz verarmt ist. - (17.) Einen weiteren Rückstand der Witwe Korte für 1 Reiser-Klafter pro 1861 ad 15 Sgr, Summa 15 Sgr. - Hiernach betragen demnächst (danach) die niedergeschlagenen Rückstande (in der Akte werden hier die oben genannten Beträge wiederholt für die End-Summe): (1.) des Kaspar Humpert: 25 RT 8 Sgr 3 Pf; (2.) des Franz Humpert: 2 Sgr; (3.) des Johann Jürgens: 1 RT 5 Sgr; (4.) der Witwe Korte: 6 Sgr; (5.) des Fritz Lenze: 13 RT 4 Sgr; (6.) des Johann Lichte: 2 RT 5 Sgr; (7.) des Sekretärs Oberdick: 20 Sgr; (8.) der Franziska Pöttgen: 2 Pf; (9.) des Georg Siepe: 6 RT; (10.) des Fritz Ernst Spiehs: 11 Sgr; (11.) des Fritz Tegethoff: 10 RT; (12.) des Fritz Weber: 28 RT 26 Sgr; (13.) des August Wrede gnt Kückenhoff: 7 RT 16 Sgr; (14.) des Johann Jürgens: 21 Sgr; (16.) der Elisabeth Karneil: 17 Sgr; (17.) der Witwe Korte: 15 Sgr; Summa 99 RT 27 Sgr 5 Pf. (AA 402)
Einige Nöte einer Familie bringen Einiges durcheinander: 1861 - 1862
Statistisch gesehen ein ganz normales Familienleben in Freienohl in jenen Jahren. Kein Grund, darüber die Nase zu rümpfen!
Erste Einblicke
Anna Maria Neise, 23 Jahre jung, war mit ihrem nichtehelichen Kind Heinrich, das Baby war gerade 3 Monate alt, von auswärts in die heimatliche Familie zurückgekehrt. Aber sehr krank. Nach 14 Tagen zu Hause starb sie.
Ihr älterer Bruder, ihr Halbbruder Georg Neise soll und will sich mit seiner Frau um das Baby kümmern und tut das auch. Aber er ist ziemlich arm.
Bei der Armenkasse in Freienohl und beim Amtmann Boese beantragt Vormund Georg Neise finanzielle Unterstützung. Die wird ihm zugesagt.
Das ist in aller Straffheit der mehr als 12 Seiten lange Aktenbefund (AA 1060).
Die familiären Zusammenhänge, die im Amt bestimmt bekannt waren aber nicht für heutige Außenstehende, werden also ergänzt mit Hilfe kirchlicher und anderer Register (Pfarr-Archiv, Stadt-Archiv, Genwiki / Mormonen).
Die Herkunftsfamilie
Franz Neise, Tagelöhner, geb. ca. 1797, gest. 1. November 1854 (im Totenbuch ist notiert: 4 Kinder aus 1. Ehe, 6 minderjährige Kinder, 1854!). Verheiratet in 1. Ehe mit Brigitte Bräutigam am 15. Januar 1826; sie kommt wahrscheinlich aus Arnsberg, das ist nicht aktenkundig; ihr Tod ist auch nicht aktenkundig, ob ihr Tod mit dem Sterben von Christina (s.u.) zusammenhängt?, ihre Bestattung in Freienohl ist nicht aktenkundig. - Verheiratet ist Franz Neise in 2. Ehe mit Gertrud Weber am 22. September 1833; sie ist geboren am 4. Februar 1804, gestorben am 4, Mai 1882.
Die Familie des Franz Neise aus dem Jahr 1846 mit der Alten Haus-Nr. 104; mit Lebensalter-Angaben, mit ihren die vorliegende Umrechnung (AA 2170).
Franz Neise (LA 49) verheiratet mit Gertrud Weber (LA 37). Ihre Kinder:
Anton Neise, geb. 1826/27; Holzhauer, vielleicht der zweit Älteste.
Christina Neise geb. (März) 1831, gest. 27. März 1833.
Einschub: zweite Heirat, s.o.!
Caspar Neise, geb. ca. 1834. - Anna Maria / Marianne Neise: geb. 8. Februar 1838, gest. 27. August 1861. - Johann Neise geb. ca. 1841. - Fritz Neise, geb. ca. 1845. - Georg Neise, der Vormund des Heinrich Neise, weil er vielleicht der älteste Sohn des Franz Neise ist; er steht nicht in der Liste von 1846 (s.o.). Vielleicht lebt er 1846 nicht in Freienohl. Er wird der Halbbruder von Anna Maria genannt, ist also aus 1. Ehe, geb. ca. 1826, gest. 25. Juni 1886 (Friedhofsliste). Beruf: Holzhändler. Georg Neise steht nicht in diesen Listen: 1879: Gebäudesteuer (AA 143); 1880: Volkszählung (AA 2178); 1885: Hufeberechtigte und Kötter (AA 2242). - Seit dem Sterbetag seiner Schwester Anna Maria versorgt Georg als Vormund das Kind Heinrich. Das ist aktenkundig und deutet auch an, dass er verheiratet ist, falls sich nicht seine Stiefmutter intensiv um das Baby kümmert.. Von seiner Heirat ist in den Freienohler und Arnsberger (Mormonen-Register) nichts zu finden. Aktenkundig aus dem Freienohler Friedhofsregister: Holzhändler Georg Neise ist verheiratet mit Theresia Bösen (Daten fehlen); ihr Sohn Bernhard Neise ist geboren am 10. Januar 1865 und gestorben als Kind am 5. August 1879. An Masern. An dieser Krankheit starben 1879 vom 6. Januar bis 28. Oktober in Freienohl 24 Kinder; und in diesem Zeitraum nur 5 Erwachsene, wahrscheinlich „wie üblich“. Im Kapitel „Zeitungsberichte“ steht mehr über diese Kinder-Epidemie in Freienohl.
Zurück in die Jahre 1861, 1862.
Die Nöte, Probleme, Sorgen, Fürsorge: zur Familie, zu den Behörden: Anna Maria Neise; geboren am 8. Februar 1838 in Freienohl von ihren Eltern Franz Neise und Ehefrau Gertrud Weber; ihre beiden älteren Halbbrüder sind Georg und Anton (s.o), ihr sogen. leiblicher Bruder ist Caspar; von der kurzen Lebenszeit ihrer Halb-Schwester Christina (wenn sie es denn war; s.o.) wird sie gehört haben.
Nun ziemlich wortgetreu aus den Akten in AA 1060 von Seiten des Freienohler Amtmanns Boese: Anna Maria Neise ist seit dem 14. Lebensjahr, - also sofort nach der Schulzeit -, von hier abwesend gewesen. 1 Jahr in Obereimer beim Landwirt Klauke, als Magd. Bei dem in Freienohl sehr vertrauten Namen Klauke kann es sich um Nachbarschaft, Bekanntschaft gehandelt haben. - Es folgten 2 Jahre in Müschede (bei Neheim) „bei verschiedenen Herrschaften“; ob der Wechsel für oder gegen das 17-jährige Mädchen spricht, bleibt offen. - Von 1857 bis Martini 1860 (der St. Martins-Tag, der 11. November, war damals ein üblicher Anstellungswechsel) bei Witwe Schöhser in Arnsberg, Königsstraße; „dort ist sie auch geschwängert worden. Von da in Elberfeld gedient“ (Gründe sind nicht aktenkundig). Dann war sie bei einer Verwandten in Neuengeseke bei Soest, bei der Näherin Maria Grewe, „wo sie das Kind geboren hat“ am 25. Mai 1861, Heinrich. Dieser Vorname kommt in der Gesamt-Familie damals wahrscheinlich nur einmal vor. „Angeblicher Vater ist der Oberpost...(?) Didde.“
Ihre Mutter Gertrud Neise geb. Weber „holt ihre Tochter nach dem Wochenbett krank nach Freienohl“. Wochenbett hießen damals die ersten Tage nach der Geburt des Kindes; das Wochenbett galt, gilt nicht als Krankheit; also war Anna Maria wohl unabhängig von der Geburt ihres Kindes krank. „Nach 14 Tagen Kranksein starb sie hier am 27. August 1861“ (bestätigt durch das Freienohler Sterberegister).
Als etwas rätselhaft erscheint die Notiz vom Amtmann Boese aufgrund des Antrags um finanzielle Unterstützung des Georg Neise für das Baby Heinrich Neise: „Die Geschwister des Georg Neise kümmern sich nicht um das Baby.“ - Wenn die Stiefmutter Gertrud Neise geb. Weber und die Ehefrau Theresia Böse im Haus sind! Wo ist das Problem? Alles von früher ist nicht bekannt, - auch nicht aktenkundig.
Georg Neise hat bei seinem Antrag den Amtmann informiert, dass er die Beerdigungs-Kosten seiner Schwester übernommen hat. Die Einzelposten sind: Material und Anfertigung des Sargs, die Stolgebühren, das dem Pfarrer zustehende Geld für die Beerdigung und die Toten-Messe, Toten-Geläut: Betrag für den Küster, Kaffee und Weinbrand für die Trauergäste und Sargträger, Betrag für den Pfarrer: Jahresgedenken, Jahresmesse, Sechs-Wochen-Amt. Die Geld-Beträge werden hier ausgelassen.
In den Akten steht selbstverständlich kein Bericht, wie die wohl sterbenskranke Anna Maria Neise mit ihrem Baby Heinrich von Neuengeseke nach Freienohl gekommen ist. Allein sind die Beiden gewiss nicht gereist.
Die Stiefmutter von Georg Neise holt von Neuengeseke die von Anna Maria Neise dort zurückgelassenen Kleidungsstücke: 1 Mantel, 7 Kleider, 3 Unterröcke, 3 Tücher, 4 Schürzen, 4 Paar Strümpfe, 2 Paar Schuhe, 3 Kragen,, 2 Paar Handschuhe, 10 Hemden, 2 Taschentücher, 3 Nachtmützen, 12 Ellen Bettzeug. - Das ist alles. Aber auch das hat dem Georg Neise Geld gekostet.
Der folgende Abschnitt ist eine Zusammenfassung des Amtmanns. Die einzelnen Aussagen sind datenmäßig aus den Akten nicht festzulegen.
Die Rechte des Kindes Heinrich sollen mit Hilfe des Rechtsanwalts Scheele, Arnsberg, festgestellt werden. Die Gemeinde Freienohl sorgt für das Kind mit einer finanziellen Unterstützung bis zur Klärung.
Georg Neise ist kurz darauf, um auswärtige Arbeit zu suchen, von Freienohl weggegangen und hat sich seitdem nicht mehr (beim Amtmann) sehen lassen und auch keine Erklärung abgegeben, nur, dass er für das Kind nicht weiter sorgen wolle, weil er von hier abwesend ist. Seine Frau kümmert sich um das Kind. Es ist „dort unzweifelhaft am besten aufgehoben“, weil die Stiefmutter des Georg Neise, bzw. die Großmutter des Kindes bei ersterer lebt und für das Kind weiter sorgt.
Am 22. Februar 1862: Georg Neise bittet Amtmann Boese um Unterstützung für die Verpflegung des Kindes von seiner Schwester.
Am 25. Februar 1862 gibt der Amtmann die Unterstützung an: Die Gemeinde zahlt 5 Taler monatlich im 1. Lebensjahr; dann weiter bis zum 14. Lebensjahr.
Am 14. Februar 1863 (!) schreibt das Vormundschaftsgericht Arnsberg dem Amtmann in Freienohl: Das Kind Heinrich Neise ist inzwischen gestorben. Damit haben weitere Verhandlungen nicht stattgefunden.
Aus dem Freienohler Sterberegister: Das Kind Heinrich Neise verstarb am 9. März 1862 um 9 Uhr morgens.
Was sich in der Familie Georg Neise und in der größeren Familie Franz Neise alles ereignet hat vom Todestag der Mutter Anna Maria Neise am 27. August 1861 bis zum Todestag des Kindes Heinrich Neise am 9. März 1862, ist nicht aktenkundig.
Keine Kleinigkeit: Leben aus der Armenkasse – Sterben im Krankenhaus
Kein leichtes Schicksal: Korbflechten als Fabrikarbeit – dauernd im Krankenhaus – komplizierte Amputation – Sterben im Krankenhaus ohne Eltern, ohne Angehörige – nicht in Freienohl beerdigt: Fritz Kaulmann (AA 1060)
In den Akten Seiten lange Korrespondenz: Arbeitgeber – Krankenhaus – Arzt - Amtmann mit Armen-Vorstand: vom 10. Oktober 1862 bis kurz nach dem 12. Februar 1867.
Nicht einmal das Lebensalter von Fritz Kaulmann geht aus den Akten ganz genau hervor. Mit Hilfe einer Einwohnerliste von Freienohl vom 3. Dezember 1849 lässt sich dieses als zutreffend annehmen: Seine Eltern sind der Holzhauer Anton Kaulmann (im Jahr 1849 = Lebensalter 33 Jahre), Ehefrau Anna Maria Lardon (1849 = LA 36 J.), Sohn Fritz Kaulmann (1849 = LA 7 J.), Tochter Elisabeth (1849 = LA 5 J.); Sohn Johann (1849 = LA 1); Alte Haus-Nr. 15 b, Parz. 691; Bergstr. 9 (im Jahr 2010); hier ist der Name Kaulmann aktenkundig bereits 1533, 1687, 1827.
Über die Eltern von Fritz Kaulmann steht im Freienohler Sterbe-Register: Anna Maria Kaulmann geb. Lardon, gestorben: 25. November 1852 (mit 38 Jahren), hinterlässt Ehemann Anton Kaulmann – Heirat (1.) am 1. Februar 1842 – und 4 unmündige Kinder (1849 sind es erst drei). Anton Kaulmann, Tagelöhner, Witwer, geboren 13. 3 (?).1817, Heirat (2.) am 27.10.1859 mit Gertrud Hense aus Hirschberg, Witwe von Ferdinand Feldmann; gestorben 7. Februar 1873; Sohn von Heinrich Kaulmann.
Im Haus Bergstr. 9 wohnt ab 1855 die jüdische Familie Meyer Jacob, Handelsmann (siehe Kapitel über die jüdischen Familien in Freienohl).
Für Fritz Kaulmann beginnt auf Grund der Akten seine schwere Lebenszeit mit 15, 16 Jahren im Jahr 1862. Er lebt und arbeitet als Knecht und als Fabrikarbeiter auf Gut Stemel bei Sundern.
Eingefügt seien Informationen von Hubert Wienecke, Heimatpfleger in Stemel (von 2010): Der Fabrikbesitzer Clemens Severin hatte in die Gutsbesitzer-Familie Jürgen Dürefeld eingeheiratet. Die Familie Dürefeld vererbt ihm das Gut Stemel im Jahr 1836. Das bewirtschaften dessen Söhne bis zum Jahr 1909. Clemens Severin könnte 1836 etwa 30 Jahre alt gewesen sein, in den für Fritz Kaulmann beginnenden leidvollen Jahren wohl zwischen 55 und 60. Am 10. Februar 1864 erhält der Fabrikbesitzer Clemens Stemel ein Darlehen von 14 000 Talern. Es erfolgt eine Umstellung der Feuerversicherung der Fabrikgebäude. Das zeigt sich als richtig, als die Fabrik Severins 1867 abbrannte.
Am 7. Oktober 1862 schreibt Guts- und Fabrikbesitzer Clemens Severin über den Amtmann Brahe in Hüsten an den Freienohler Amtmann Boese: „Der aus Freienohl gebürtige 2 ¼ Jahre alte Knecht bei mir dienende Fritz Kaulmann (d.h.: seit 2 ¼ Jahre im Dienst) ist seit ca. 5 Wochen erkrankt, so dass er Tag und Nacht eine Wärterin haben muss. Ich halte mich nicht für verpflichtet, die Kosten zu tragen und wollte ihn heute auch nach dem Arnsberger Krankenhaus schaffen. Ich bitte den Amtmann zu Freienohl, Herrn Boese, Anzeige davon zu machen, damit von dort die Kosten bestritten werden.“
Clemens Severin informiert Amtmann Boese am 8. Oktober 1862, dass er Fritz Kaulmann ins Arnsberger Krankenhaus „hat transportieren lassen. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn dort übernehmen.“ - Der für Aktensprache ungewohnt freundliche, wohlwollende Ton ist bemerkenswert.
Amtmann Boese antwortet am 10. Oktober 1862: Wegen des festen Dienstverhältnisses mit den (zitierten, hier ausgelassenen) gesetzlichen Verbindlichkeiten ist Clemens Severin noch „verpflegungsverbindlich. Möchte die Krankheit sich vermutlich über einen dreimonatlichen Zeitraum hinausziehen, bitte ich um rechtzeitige Mitteilung.“
Inzwischen übernimmt die Gemeinde Freienohl die Kosten für Fritz Kaulmann im Krankenhaus.
Am 27. Januar 1863: Amtmann Boese möchte vom Krankenhaus Einzelheiten über die Behandlung und den Heilungsverlauf wissen. Der Arzt Dr. Freusberg vom Arnsberger Krankenhaus kann am 7. Februar 1863 über eine Heilung „nichts mit Bestimmtheit angeben, da die lediglich von dem Kräftezustand abhängt , ob noch (!) eine Amputation (!) mit Erfolg gemacht werden kann.“ - Das Kuratorium gibt seine Krankenhauskosten an: pro Tag 10 Sgr. Zwischenbemerkung: es fehlen Informationen über eine Amputation und über die Bedeutung des Wortes „noch“.
Am 13. Februar 1863 beantragt Fritz Kaulmann (etwa 19 Jahre alt) Unterstützung durch die Armenkasse. Er wird „von einem nicht unbedeutenden und sehr schmerzlichen Unterleibsleiden andauernd heimgesucht.“ Dahinter notiert der Sekretär Toenne: „In fidem“ (d.h.: glaubwürdig) – Ob Toenne den Antrag im Arnsberger Krankenhaus aufgeschrieben hat, oder ob Fritz Kaulmann in Freienohl war, ist nicht aktenkundig.
Arnsberg, am 5. April 1863: Dr. .. (?) .mann bescheinigt: „ Fritz Kaulmann ist wohl noch nicht so weit genesen, dass er sein Brot durch Taglöhnern verdienen kann.“
Amtmann Boese weist die Freienohler Armenkasse zur sofortigen (Geld-)Überweisung an am 24. Juli 1863.
Ein gutes halbes Jahr nichts Aktenkundiges.
Am 22. Februar 1864 ist Fritz Kaulmann immer noch im Arnsberger Marienhospital; „seine Genesung nimmt voraussichtlich noch längere Zeit in Anspruch“. Die Freienohler Armenkasse zahlt; die Beträge werden hier ausgelassen.
In den Akten steht nichts über die Eltern. Die Zeit, wieder gut ein Jahr, geht dahin.
Am 4. Mai 1865 schreibt Clemens Severin an den Amtmann Boese: „Auf Ihren Brief vom gestrigen Tag erwidere ich ergebenst, dass ich den Fritz Kaulmann gegen einen Tageslohn von 6 Sgr beschäftigen kann, aber nicht in der Lage bin, denselben zugleich auch in Kost und Logis (Essen und Wohnen) zu nehmen, weil kein Platz dafür da ist und mein Haus mit Leuten überfüllt ist. Sollte es möglich sein für den armen Schelm (im Sinn von 1865, nicht von 2010!) hier ein Unterkommen zu finden und die dortige (Freienohler) Gemeinde etwas zum Unterhalt beitrage, ließe sich die Sache vielleicht einrichten. Ich will mich erkundigen, ob jemand hier im Dorf die Beköstigung übernehmen will und Ihnen das Ergebnis gleich mitteilen. Für Ihre Bemühungen wegen des Knechts sage ich hiermit meinen verbindlichsten Dank.“
Der nächste Brief von Clemens Severin an den Freienohler Amtmann ist vom 24. Main1865: In der verflossenen Woche habe er Dr. Freusberg in Arnsberg mitgeteilt, dass sich kein Logis für Fritz Kaulmann bei sich habe ausfindig machen lassen. In seinem eigenen Haus habe er außer 2 Knechte, 1 Schuljungen, 3 Mägde noch 2 bis 3 Schmiede, Schreiner oder Maurerleute in Kost und Logis. Er bedauert, nichts weiter tun zu können.
Am 26. Mai 1865 notiert Amtmann Boese auf der Rückseite von Clemens Severins Brief, - wie damals üblich -, dass die Freienohler Armen-Sitzung beschlossen hat, dass Fritz Kaulmann „vorläufig noch im Marienhospital verbleiben solle, weil hier keine Aussicht vorhanden sei, ihn unterzubringen.“
Ein gutes Jahr weiter. Am 27. August 1866 erscheint Fritz Kaulmann auf dem Amt beim – inzwischen neuen - Amtmann Ley: Er möchte wieder gern bei Severin „in Dienst treten“; er habe sich bereits an Severin gewandt und „die Aufnahme-Zusicherung für den Fall erhalten, dass mit Beendigung des Krieges die eingetretene Geschäftsstörung aufhöre“. Fritz Kaulmann bittet den Amtmann, er möge bei Severin nachfragen, „ob und wann seine Aufnahme erfolgen könne“.
Aus der Zeittafel: 1864: Krieg Preußen mit Österreich gegen Dänemark. - 1866: Krieg Österreich mit dem Deutschen Bund gegen Preußen und Italien; Preußen gründet den Norddeutschen Bund.
Am 28. August schreibt der Amtmann an Clemens Severin, Fritz Kaulmann „hat sich während seines Hierseins recht gut geführt und seinen Unterhalt durch Korbflechten zu erwerben versucht (gewiss nicht negativ zu gewichten), seine traurigen familiären Verhältnisse lassen indessen eine ...(nicht lesbar) baldige Unterbringung desselben äußerst wünschenswert erscheinen. Über diese familiären Verhältnisse gibt es nichts Aktenkundiges. Die oben einleitende Familien-Daten-Auflistung lässt keine eindeutigen Interpretationen zu.
Am 30. August 1866 antwortet Clemens Severin, dass er sich „mit der Beköstigung des Fritz Kaulmann nicht befassen kann, sondern nur passende Beschäftigung für den täglichen Lohn versprechen kann; bei gute Aufführung (Führung) solle es dem Kaulmann nur (sicher) gelingen, ein passendes Haus hier zu finden; so kann es jeden Tag in Arbeit treten.“ Amtmann Ley notiert: „Fritz Kaulmann ist hiermit zu beauftragen.“
Einen Monat später, am 20. September 1866 informiert Clemens Severin den Amtmann Ley: „Der Fritz Kaulmann ist hier und wird hier gegen 7 – 8 Sgr täglich Lohn und Arbeit finden. Die Gemeinde Stemel beansprucht indes in Ansehung, dass derselbe noch nicht geheilt ist, die bedingungslose Aufnahme, weshalb Sie bitte erklären, dass das dortige Amt (Freienohl) bzw. die Gemeinde im Falle, dass derselbe erkrankt und sich aus eigenen Mitteln nicht verpflegen kann, dessen Kosten auf sich nimmt.“
Am 22. September 1866 erklärt der Armen-Vorstand Freienohl sich bereit zur Kostenübernahme, falls Fritz Kaulmann erkrankt.
Das geschieht. Denn am 11. Dezember 1866 erklärt der Arzt Dr. Freusberg: „Der Fabrik-Arbeiter Fritz Kaulmann in Stemel, laufend lange Zeit auf dem hiesigen Marien-Hospital an Knochenfraß des Unterschenkels behandelt, soll abermals an dem Übel erkrankt sein. Eine Behandlung am Knie ...(nicht lesbar) würde ohne Erfolg sein; es ist deshalb die abermalige Aufnahme auf das Hospital wünschenswert.“
Am 12. Dezember 1866 teilt Vorsteher Clemens Severin, Stemel, dem Freienohler Amtmann mit, „dass der Fritz Kaulmann leider seit 4 Tagen wieder bedenklich am Fuß krank liegt“.
Am 18. Dezember 1866 antwortet der Amtmann, „dass der Fritz Kaulmann erforderlichen Falls hier verpflegt werden soll“.
Vorsteher Clemens Severin schreibt am 19. Dezember 1866 dem Freienohler Amtmann: „Der Zustand des Fritz Kaulmann ist sehr schlimm und schnelle Hilfe ist nötig. Falls Sie nicht umgehend Ihren Entschluss mitteilen, werden wir erlauben, denselben auf Ihre dortigen Amtskosten auf das Hospital in Arnsberg zu transportieren.“
Am 12. Februar 1867 teilt das Curatorium des Marienhospitals Arnsberg dem Amtmann Ley mit, „dass der Fritz Kaulmann heute Nacht verstorben ist. Wir werden die Beerdigung modu pauperum (wie bei Armen üblich) besorgen, wenn nicht anders gewünscht; und die Rechnung dorthin (Freienohl) vorlegen.“
Fritz Kaulmann wurde also etwa 25 Jahre alt.
Seine Mutter, Anna Maria Kaulmann geb. Lardon, war vor 15 Jahren gestorben, am 25.11.1852, ein Grund ist nicht aktenkundig; da war Fritz ungefähr 10 Jahre alt.
Einige behördliche Schreiben gingen hin und her: Arnsberg – Stemel – Freienohl; hier ausgespart.
Am 21. Januar 1868 schickt Clemens Severin den „vorfindlichen Nachlass des verstorbenen Fritz Kaulmann zurück zum Amtmann Ley, bestehend aus: 1 Rock (Jacke),Hose, Kittel“. Die sind am 15. Februar 1868 „durch Sahse (aus dem Armen-Vorstand) den hiesigen Armen zuzuführen“.
Zwischenbemerkung: Die immer mit festgehaltene rasche Daten-Abfolge soll belegen das selbstverständliche fürsorgliche Zusammenleben der Freienohler, zumal manche pastorale Buiterlinge das kaum wahrnehmen und mehr die auch negativen Verhaltensweisen in den Vordergrund rücken.
Diese Familie Anton Kaulmann, - der Vater von Fritz Kaulmann -, leidet weiter. Geradezu selbstverständlich für damaliges Zusammenleben war für Anton Kaulmann und die Kinder eine zweite Ehe notwendig geworden: am 27.10.1859 mit Gertrud Hense aus Hirschberg, Witwe von Ferdinand Feldmann.
Über die Geschwister von Fritz Kaulmann ist dies aktenkundig und sei hier eingefügt: Am 28. Oktober 1864 (da war Fritz etwa 18 Jahre alt) fragt Amtmann Boese den Lehrer Lutter nach dem Schul- und Kirch-Besuch der Kinder Anton Kaulmann. Lehrer Lutter antwortet, dass „der bisher ein regelmäßiger war“. Der Grund dieser Anfrage ist nicht aktenkundig. - Damals war verpflichtend werktags vor dem Schulbesuch die Schul-Messe; sonntags gingen die Mütter in die Früh-Messe, die Männer, Väter ins Hochamt, die Schulkinder in die Kindermesse, beaufsichtigt vom Lehrer.
Nun, am 21. Oktober 1868 erscheint die Ehefrau des Anton Kaulmann Gertrud geb. Hense auf dem Amt und bittet „dringend um Unterstützung für sich und ihren erblindeten Mann, welcher schon seit mehreren Wochen die Stube nicht habe verlassen können, während sie selber nicht allein (= nur) ebenfalls beinahe blind sondern auch kränklich sei. Ihre 3 Stiefkinder (Fritz war ja vor 1 Jahr gestorben, und aufgrund des Wortes „Stiefkinder“ hat sie wohl keine Kinder mit in ihre zweite Ehe gebracht, oder die waren schon „groß“) hätten schon nach Möglichkeiten zu ihrem Unterhalt beigetragen. Dieselben seien aber faktisch außerstande, für die Kosten des ganzen Unterhalts aufzukommen. Sie hoffe, dass bei ihrem Mann eine baldige Besserung eintreten werde und die Notwendigkeit der Unterstützung aus Armenmitteln in Wegfall komme.“
Toenne notiert bei seiner Unterschrift des Protokolls: „In fidem“: Der berichtete Sachverhalt ist glaubwürdig.
Weitere Berichte zu dieser Familie Anton Kaulmann, verheir. 1. mit Anna Maria geb. Lardon und 2. mit Gertrud geb. Hense, Witwe von Ferdinand Feldmann sind nicht aktenkundig.
Geschwister halten zusammen
Am 19. Juli 1863 beantragt Bernard Gahse finanzielle Unterstützung: Er pflegt mit seiner Familie das jetzt zweijährige Kind Anna seiner kurz nach der Geburt des Kindes Anna verstorbenen Schwester Christina. Zwar hat er von seiner Schwester Christina ein paar Kleidungsstücke für Anna und zwei kleine Gartenstückchen am Mühlenberg geerbt, auch „abgeschätzt vom Gerichtstaxator Goeckeler“. Aber die Mittel für das Kind und seine Kinder reichen nicht. - Bernard Gahse erhält finanzielle Unterstützung.
Einige Familien-Daten, um die Situation der Einzelnen einfühlsamer wahrzunehmen:
Bernard Gahse ist am 20. Oktober 1853 verheiratet mit Clara Schröer-Bräutigam.
Der Vater von Bernard Gahse ist Ferdinand Gahse, er ist am 28. Januar 1827 verheiratet mit Elisabeth Heckmann, seine 1. Ehe; Elisabeth Heckmann stirbt am 14. April 1837. Die 2. Ehe von Ferdinand Gahse: am 15. Juli 1837 mit Agatha Schulte.
Eine Tochter von Ferdinand Gahse ist Christina Gahse, geb. am 12. Februar 1836 (also noch von der 1. Frau: Elisabeth Heckmann).
Anna Gahse ist die nichteheliche Tochter der ledigen Christina Gahse, geb. 17. Juli 1862, gest. am 3. Januar 1864.
Im Einwohnerverzeichnis vom 1. Dezember 1846 steht bei der Alten- Haus -Nr.30, Parzelle 882 (Kerstholtsgasse): Ferdinand Gahse, Leineweber; Ehefrau Agatha geb. Schulte, LA 38; Sohn Bernard Gahse, LA 18, Holzhauer; Sohn Fritz Gahse, LA 14; Tochter Christina Gahse, LA 10; Tochter Klara Gahse, Tochter, LA 8; Tochter Maria Gahse, LA ¾. (AA 1060)
Schulgeld, Armen-Holz
Vom 12. September 1863 bis 18. Mai 1866: Ausgaben aus der Armen-Kasse (unvollständige Auflistung): 12. September 1863: Schulgeld für 14 Personen; 26. Mai 1865: Schulgeld für 17 Personen; 18. November 1865: „Armen-Holz“: „1 Haufen (= 2 Klafter) Schlagholz und noch 2 Haufen anderer Dispositionen (Brennholz-Sorten) erhalten 6 Personen. Am 15. Januar 1866 erhalten „zur Bestreitung der Wohnungsmiete“ Geld: 7 Personen. Am 18. Mai 1866 wird aus der Armen-Kasse für 10 Personen Geld in die Schul-Kasse gezahlt. (AA 1048)
Geld muss auch in die Armen-Kasse hinein kommen.
Wie da ziemlich alt gewordene Freienohler, die keine Erben hatten, dafür sorgten, oder wie ziemlich alte Verstorbene, die keine Erben hatten, bewusst oder unbewusst für das zukünftige Zusammenleben Freienohler sorgten, zeigt diese öffentliche Bekanntmachung im Auftrag des Amtmanns vom 27. Februar 1864: „Anschlag und Ausruf (letzterer wird mit einer Hand geschwungenen Glocke unterstützt): Am Montag, den 29. des Monats, mittags 1 Uhr, soll in der Behausung des Joseph Spindeldreher hierselbst (hier in Freienohl) der Nachlass des verstorbenen Theodor Hirnstein hier bestehend in einem Ofen, Kleidungsstücken, Bettenwerk und so fort öffentlich meistbietend verkauft werden, wozu Kauflustige sich einfügen wollen.“
Vom 1. März 1864 ist die Liste der 31 Gegenstände und der Käufer und Käuferinnen aufgeführt. Hier die unvollständige Auflistung der Gegenstände: 2 Schränke, Kittel, Weste, Tücher, Kaffeemühle, Lampe, Töpfe und Tassen, Hammer und Zange, Spiegel, Kreuz, Rasiermesser, Rasiersachen, Tisch, Schloss, Tiegel, Hosen, Pfühl (Bett-Ober-Kissen),
Beutel, Decke, Eimer, Mehl, Topf...
Geld-Ausgaben aus der Armen-Kasse der Gemeinde Freienohl und des Amts Freienohl
Jahr für Jahr – hier - an die Provinzial-Irren-Anstalt in Marsberg und an das Land-Armenhaus in Benninghausen bei Lippstadt als „Unterhaltungs-Kosten“ (heutzutage sagt man: Unterhalts-Kosten). Die Höhe richtet sich nach der Seelenzahl (Einwohnerzahl). Hier aus der Akte AA 1092; auch wenn der heutige Wert der damaligen Beträge hier nicht einzuschätzen ist; festgesetzt wurden die Beträge von der Königlichen Regierung, dem Landrat in Arnsberg. - Rth=Reichsthaler, Sgr= Silbergroschen, Pf= Pfennig.
Jahr 1854: am beide Anstalten zusammen: Gemeinde Freienohl: 36 / 26 / 11.
Jahr 1856: Amt Freienohl: an Benninghausen: 199 / 23 / 8; an Mars.: 111 / 2 / 9.
Jahr 1859: Gemeinde Freienohl. 1094 Seelen, an beide zus.: 48 / 1 / 5.
Jahr 1865: Gemeinde Freienohl: 1069 Seelen: an beide zus.: 32 / 14 / 7.
Jahr 1869: Gemeinde Freienohl: 1079 Seelen: an beide zus.: 46 / 18 / 9.
Auch Geld gehört zum Zusammenleben.
Blinde in Freienohl, Blinden-Anstalten für Kinder
Am 6. November 1845 fragt aus Arnsberg Landrat von Lilien auf behördlichem Wege bei den Ämtern nach, ob es in den Gemeinden blinde Kinder im Alter von 5 bis 13 Jahren gibt. Amtmann Devivere: In der Gemeinde Freienohl gibt es keine blinden Kinder.
Im jährlichen Verzeichnis für Blinde im Amt Freienohl, - zum ersten Mal für diesen Termin in den Amts-Akten entdeckt: am 20. Januar 1863 in der Gemeinde Freienohl: Christine Geihsler, 31 Jahre, „lebt bei ihrem Bruder, welcher sich ebenfalls in günstigen Vermögensverhältnissen befindet“. Das bedeutet: die Gemeinde-Kasse, die Armen-Kasse wird nicht belastet. Wie sehr das Zusammenleben für und mit Christine Geihsler belastet ist, das steht nicht in den Akten. Christine Geihsler steht weiter in den Verzeichnissen von: 1864, 1865, 1866, 1867, 1868, 1869, 1870, 1871, nun alle 2 Jahre.
Im Jahr 1871 kommt neu hinzu: Ursula Kehsler, 50 Jahre, „der Ackersmann Bernhard Ahsmann, ihr Schwager, ist zur Alimentierung verpflichtet“. Was diese auch finanzielle Sorge genau bedeutet, ist nicht aktenkundig. - 1875 und 1877 stehen beide Frauen im Verzeichnis. Leider gibt es in dieser Akte kein weiteres Verzeichnis.
Zum 10. Februar 1863: Amtmann Boese hatte bei den Schulen nachgefragt, ob da blinde Kinder sind. Lehrer Linkamp verneint das für die Jungen-Schule; ebenfalls Lehrerin A. Bause für die Mädchen-Schule.
Für das Zusammenleben mit Blinden ist es an dieser Stelle sinnvoll, darauf näher einzugehen.
Am 22. Januar 1842 veröffentlicht die Königliche Regierung in Arnsberg: „ Das Fräulein Pauline von Mallinkrodt und der Direktor Dr. Schmidt haben sich menschenfreundlich zur Errichtung einer Blinden-Unterrichts-Anstalt in Paderborn vereinigt (heutzutage sagt man wohl: zusammen getan), deren erste Eröffnung allein noch auf Überweisung von 6 armen (unterstrichen) Kindern zunächst beruht...“
Pauline von Mallinkrodt wurde geboren am 3. August 1817 (1842 war sie also 24 Jahre jung) in Minden, sie starb am 30. April 1881 in Paderborn; sie lebte seit 1839 in Paderborn, gründete hier einen Frauenverein zur Pflege armer Kranken, eine Kleinkinder-Bewahrschule, die Blindenanstalt und 1849 die „Genossenschaft der Schwestern der christlichen Liebe, Töchter der allerseligsten Jungfrau Maria von der Unbefleckten Empfängnis“. Als Generaloberin festigte sie ihre Kongregation innerlich so stark, dass diese alle Stürme und Drangsale des Kulturkampfes glücklich überstand und beim Tod ihrer Stifterin bereits 45 Häuser in Europa, Nord- und Südamerika mit 492 Schwestern zählte. Eine Heldin der Liebe von Kindheit an, vorbildlich fromm, klug und ohne Menschenfurcht. (LThK, Lexikon für Theologie und Kirche, 1961, 6. Bd.)
Für die Blinden-Anstalt schickte am 6. November 1845 der Arnsberger Landrat Freiherr von Lilien ein Schreiben an die Ämter und Gemeinden: „Zum ehrenden Gedächtnis des verewigten (verstorbenen) Oberpräsidenten von Vincke wird eine nach demselben zu benennende Blindenanstalt errichtet werden...“ - Die Von Vincke`sche Provinzial-Blinden-Anstalt für blinde Kinder wurde am 15. März 1847 in Soest mit der evangelischen Abteilung eröffnet, am 6. Dezember 1847 in Paderborn mit der katholischen Abteilung. Aus dem Statut vom vom 31. Januar 1852 in Münster, dem Sitz der Königlichen Regierung Provinz Westfalen sei der § 10 zitiert: „Der Unterricht besteht: 1. im Religionsunterricht, welcher von einem Geistlichen zu leiten, 2. in dem gewöhnlichen Elementar-Unterricht, namentlich dem Lesen, Schreiben, der Rechenkunst, Geographie, Naturgeschichte, biblische und Weltgeschichte, 3. in der Musik und im Gesang, 4. in Handarbeiten, namentlich solchen, deren Erlernung die Subsistenz (des möglichst selbstständigen Lebens) der Blinden nach ihrer Entlassung aus der Anstalt zu sichern geeignet sind. Bei der Wahl eines von den Knaben zu erlernenden Handwerks, sind die Wünsche der Angehörigen tunlichst zu berücksichtigen. Auch auf die körperliche Ausbildung und Kräftigung der Kinder soll Bedacht genommen werden.“
Am 5. Mai 1880 findet in Freienohl eine Geldsammlung für die Heilanstalt für mittellose Augenkranke Hagen statt, Beiträge, - Zeichen für Zusammenleben -, leisten diese Freienohler (die Vornamen sind nicht oder nur mit einem Buchstaben angegeben): C. Kehsler, Löbert, Kampschulte, Funke, Kerstholt, Geihsler, Korte, Kückenhoff, F. Trumpetter, Fr. Spindeldreher, Düring, Siepe, Dr. med. Marten, Schmied F. Schwefer, Schmied C. Düring, C, Schröer, A. Neise, A. Linneborn, J. Berens, J. Kramer. (AA 1095)
Geisteskrankes Kind stirbt nicht zu Hause
Am 1. April 1864 wurde vom Armen-Vorstand beschlossen „mit Rücksicht auf den bedauerlichen Zustand und die mangelhafte Pflege des an Epilepsie leidenden Knaben Franz Georg Krick, bei den dürftigen Verhältnissen seiner Eltern, dessen bald möglichste Aufnahme in die Provinzial-Pflege-Anstalt zu Geseke für Rechnung der hiesigen Armen-Kasse zu veranlassen.“ - Am 11. Dezember 1868 die Akten-Notiz: „Der Junge ist in der Pflege-Anstalt zu Geseke vor einigen Wochen gestorben.“ Eigenartig: sonst findet sich in den Akten immer die „sofortige“ Todesnachricht. (AA 1048)
Schnelle erste und zweite Heirat: wohl notwendend
Aus dem Sterberegister und Trauungsregister (die Vornamen-Überlieferung scheint nicht immer ganz genau zu sein): Johann Theodor Hirnstein starb am 24. Februar 1864 im Alter von 73 Jahren; er war Witwer, zweimal verheiratet: 1. Am 7. September 1824: Heirat: Joes-Christopher Hirnstein mit Friederica geb. Wigge / Lenze. Sie starb am 16. Februar 1833. 1831 litt Freienohl an einer schweren Epidemie; zu den Söhnen in erster Ehe: Am 4. Juni 1831 starb Adam Hirnstein, LA 2 Jahre, am 24. September 1831 starb Caspar Hirnstein, LA 8 J. 9 M.; am 4. Dezember 1831 starb Joes Hirnstein, ohne LA-Angabe. - 2. Heirat am 21. Mai 1833: Theodor Hirnstein Wwr, mit Anna Elisabeth Stracke aus Lenneplätze; im Freienohler Sterberegister ist von ihr kein Datum gefunden. (AA 1060)
Bernardine Flinkerbusch. Kind geblieben auch als Erwachsene und Mutter
Vielleicht auch versäumtes, vielleicht auch überfordertes Zusammenleben von Seiten Erwachsener mit einem Kind.
Und Freienohler lassen sie nicht im Stich.
Oder die Problematik, wenn Eltern sterben und ihr Kind, damals noch ein Mädchen, allein zurück lassen.
Oder: Akten sind nur Akten. So oder anders interpretierbar.
Im Amts-Archiv Nr. 1460: Rund 140 durchnummerierte Akten, manchmal 3 bis 5 Seiten zusammengehörig, manchmal früheres wiederholend. Für die Behörden ein ziemlicher Zeitaufwand. Für die Freienohler Amtsbehörde, bestehend aus den Eingesessenen und den eingezogenen, eingesetzten Beamten immer wieder Zeichen des Zusammenlebens.
Und für alle ein glückliches Ende? Die letzte bekannte Akte enthält das Gerichtsurteil der Königlichen Amts-Anwaltschaft Meschede vom 18. Dezember 1880: das Urteil zu einer Haft von 14 Tagen. Eben vor Weihnachten. Ob Bernardine Flinkerbusch da gestorben ist? Wo war sie in Haft? In Meschede? In Freienohl, in dem beim Vorbeigehen sichtbaren Keller unter der Alten Schule, unter dem Salon von Frau Friseur-Meisterin Brigitte Bornemann? (Im Jahr 2009) - In Freienohl ist Bernardine Flinkerbusch nicht gestorben. Sie steht nicht im Freienohler Kirchhofs-Register. Kirchhofs-Register anderer Gemeinden und Einrichtungen wurden nicht ausgewertet.
Die Eltern und Geschwister von Bernardine Flinkerbusch:
Ihr Vater ist der Köhler und Ackerer Georg Flinkerbusch, gestorben am 8. September 1840 mit 53 Jahren. Tochter Bernardine war da 11 Jahre jung und Schulkind. Wer weiß, wo und wie und wann ein Köhler arbeitet, weiß, dass Bernardine vom Vater wohl kaum etwas „gehabt“ hat.
Ihre Mutter ist Elisabeth Flinkerbusch geb. Goebel, gestorben am 10. Januar 1845 mit 56 Jahren. Tochter Bernardine war da 16 Jahre jung und „aus“ der Schule. Ihre Mutter war 40 Jahre alt, als sie Bernardine geboren hatte.
Geheiratet hatten Johann Georg Flinkerbusch und Maria Elisabeth Goebel am 5. November 1816; Trauzeugen waren Caspar Flinkerbusch und Agatha Lenze
Alte Haus-Nr. 25, Parzelle 900; Bergstr. 26, Im Jahr 2009 Heike Flechtner.
Die Kinder dieses Ehepaars Georg und Elisabeth Flinkerbusch aufgrund der Einwohnerliste von 1846 (AA 2170) und mit dem dort angegebenen Lebensalter von 1846; danach die hier genannten Geburtsjahre (die also um 1 Jahr verschoben sein können):
Caspar Flinkerbusch, geb. 1821;
Gertrud Flinkerbusch, Magd, geb. 1825;
Bernardine, auch genannt: Dina Flinkerbusch, geb. 1. Februar 1829;
Heinrich Flinkerbusch, geb. 1833.
Vielleicht der oben angegebene Sohn Franz Caspar Flinkerbusch hat geheiratet Franziska
Köster am 20.12.1856.
In der Einwohnerliste von 1849, Alte Haus-Nr. 25 werden Caspar und Bernardine Flinkerbusch genannt, aber nicht Heinrich Flinkerbusch. Dieser Heinrich Flinkerbusch taucht auch bei den anderen Familien Flinkerbusch in Freineohl nicht auf; auch nicht im Freienohler Kirchhofs-Register bis 1850, auch nicht bis 1908; vielleicht ist er aus Freienohl weggezogen.
Dinas Leben: draußen, betteln, vagabundieren, freilich nicht skandalieren.
„Mama, ich bin mal eben draußen!“ - „Aber nicht so lange!“ - Als auch ihre Mutter gestorben war, sagte sie vielleicht keinem mehr Bescheid. Oder ihr Bruder hat gesagt: „Dina ist ja alt genug.“ Freunde? Wohl kaum. Oder hat sie draußen welche gesucht? - Wir wissen es nicht.
Aus einer späteren Akte „Personal-Nachrichten der Bernardine Flinkerbusch aus Freienohl behufs der Aufnahme in das Arbeitshaus Benninghausen“. Aus der Spalte über Schul- und Religionsunterricht: „Hat die katholische Elementarschule ihres Heimatortes besucht; wegen ihre Trägheit und Nachlässigkeit jedoch mit nur mit geringen Erfolgen des Schreibens ist sie auffallender Weise gänzlich unkundig und Gedrucktes liest sie dürftig.“ (9. Juli 1868, AA 1460)
Mit 21 Jahren wird Bernardine Flinkerbusch wohl zum ersten Mal aktenkundig:
Am 21. März 1851 erhält sie vom Königlichen Kreisgericht in Arnsberg den Bescheid, sie muss zur Verbüßung ihrer Strafe in die Corrections-Anstalt zu Benninghausen (Besserungs-Anstalt, Arbeitshaus, „fast ein Gefängnis“, bei Geseke): „Ihrem eigenen Geständnis zufolge hat sie in Hellefeld gebettelt, trotz der Vorhaltungen und Ermahnungen ihres Vormunds Heinrich Lenze aus Freienohl (sie hatte ja keine Eltern mehr), die sie ebenfalls einräumte (zugab) dennoch hat sie sich keiner ernsten Tätigkeit zugewandt. Die ihr besorgte Anstellung als Magd bei Holing in Körbecke hat sie im September verlassen. Bei ihrer Verhaftung am 30. Januar 1851 hat sie sich ohne bestimmte Beschäftigung an verschiedenen Orten aufgehalten... 4 Monate ohne Unterkommen gewesen... früher nicht bestraft... das Betteln auch nicht als Gewerbe betrieben, sonder nur Flachs zum Spinnen gebettelt... dafür aber auch wieder als arbeitsscheues Mädchen bekannt...dass die Angeklagte wegen Vagabundierens und Bettelns mit 7 Wochen Gefängnisstrafe belegt, nach ausgestandener Strafe in eine Corrections-Anstalt zu bringen, der Angeklagten sind die Untersuchungs-Kosten zur Last zu legen.“
Der Freienohler Amtmann von Devivere notiert zur Information an ihre Brüder (ausdrücklich!) (Caspar wohnt 1849 mit ihr zusammen; aber ihre Schwester Gertrud und Bruder Heinrich nicht?) und an Heinrich Sasse, Gemeinde-Verordneter, am 5. April 1851 u.a.: „Um jedoch diesen Keim zum Vagabundieren in der Bernardine Flinkerbusch zu ersticken, dürfte es angemessen sein, dieselbe auch wenigstens ein halbes Jahr in die Besserungs-Anstalt zu Benninghausen zu befördern... Sie hat über ein Jahr bei dem Gutsbesitzer Linneborn zu Schnellenhaus gearbeitet... Ihr fehlten nicht Gelegenheiten zur Arbeit... Ihr Bruder Caspar: Sie war zu faul, sich selbst das Nötige zu verschaffen... keine Verwandten noch sonst jemanden besitzt, die sich ihrer gehörig annehmen...“
Am 5. Mai 1851 wird sie aus dem Gefängnis in Arnsberg entlassen und soll sich bei der Polizei-Behörde in Freienohl melden mit dem „Entlassungsschein“. Auf dem steht u.a. dieses „Signalement: Alter: 21 Jahre; Religion: katholisch; Größe 5,3 (etwa 1,65 m); Haar: schwarz; Stirn: breit; Augenbrauen: schwarz; Augen: braun; Nase: spitz; Mund: ordinär (1851 nicht negativ gewichtet, sondern: normal); Kinn: rund; Bart: / ; Gesichtsausdruck: rund; Gesichtsfarbe: blass (7 Wochen im Gefängnis!); Gestalt: stark.“ - Amtmann Devivere notiert noch, dass Bernardine Flinkerbusch ihren Wohnsitz bei ihrer Schwester (Gertrud, verheiratet mit Fritz Schwingenheuer) in Hüsten nehmen wird und dass die dazu bereit ist (ihre Schwester aufzunehmen).
Am 15. Mai 1851 empfiehlt Landrat von Lilien dem Amtmann Devivere für die Bernardine Flinkerbusch eine „Unterbrechung zwischen dem Gefängnis und dem Aufenthalt in der Besserungs-Anstalt in Benninghausen bis zum 12. September... auch wegen Mangel an Raum daselbst... bis dahin soll die Schwester verheiratete Schwingenheuer berichten...“
Aus Hüsten teilt der Amtsverweser Kuhlmann am 20. Mai 1852 mit, dass die „hergebrachte Bernardine Flinkerbusch sich nur eine Nacht in Hüsten aufgehalten hat und sich wieder entfernt hat, wohin ist unbekannt.“
Der Freienohler Polizeidiener Kaulmann informiert den Amtmann, dass die Bernardine Flinkerbusch seit 2 Tagen wieder hier ist.
Am 28. Mai 1852 erklärt sich der Polizeidiener Hölter bereit, die Bernardine Flinkerbusch bei sich als Magd arbeiten zu lassen.
Fast ein Jahr lang schweigen die Akten (AA 1460).
Am 7. März 1852 wird Bernardine Flinkerbusch aus dem Arnsberger Gefängnis entlassen nach Hüsten zu Fritz Wulf.
Die Leitung in Benninghausen benachrichtigt Amtmann Devivere, dass sie mit einer Begründung des Landrats von Lilien die Bernardine Flinkerbusch nicht aufnehmen kann. Die wird aber nicht genannt; nur: nach Hölter in Hellefeld war sie beim Landwirt Anton Schlüter in Stockum.; wahrscheinlich war kein Platz in Benninghausen, Oder hatte die Leitung von Benninghausen die Erfahrung gemacht, dass das Leben in Benninghausen keine Hilfe für Bernardine Flinkerbusch ist? So etwas steht selbstverständlich nicht in den Akten.
Im Mai 1852 ist Bernardine Flinkerbusch in Freienohl auf Gemeindekosten „neu bekleidet“ worden. Sie berichtet dem Amtmann Devivere, dass „ich mich hier in Freienohl und Umgegend herumgetrieben habe, Nachtquartiere in Scheunen und Ställen gewonnen, habe die Nacht im Walde unter freiem Himmel zugebracht, Nahrung habe ich von mildtätigen Menschen erhalten.“
Amtmann Devivere informiert den Landrat von Lilien, dass der Polizeidiener Hölter die Bernardine Flinkerbusch nach Benninghausen gebracht habe. Sie habe sich von da aber wieder entfernt und sei in Lippstadt aufgegriffen und in Arnsberg wieder abgeliefert worden.
Der Staatsanwalt Plassmann in Arnsberg teilt am 28. Mai 1852 dem Amtmann Devivere mit: „Ich bin der Ansicht, dass ein Vergehen gleicher Art nicht zur gerichtlichen Verfolgung gelangen kann. Euer Hochwohlgeboren (heutzutage: Sehr geehrter Herr...) muss ich daher überlassen, für Unterbringung der Bernardine Flinkerbusch solange Sorge zu tragen, bis deren Aufnahme in der Besserungsanstalt (Benninghausen) erfolgen kann.“
Aus der Akte ist nicht ersichtlich, ob der Transport – so hieß das damals – durch den Polizeidiener Hölter in der zeitlichen Abfolge jetzt erst erfolgen müsste.
Ratlosigkeit, Hilflosigkeit in Freienohl?
Amtmann Devivere fragt den Vormund von Bernardine Flinkerbusch: Gastwirt Heinrich Lenze gnt. Lichte, ob er anstelle der Unterbringung der Bernardine Flinkerbusch beim Franz Georg Schwefer und mit der offen gelegten Bezahlung eine bessere Lösung wüsste bis zur Unterbringung in Benninghausen? Heinrich Lenze gnt. Lichte (Alte Haus-Nr. 155; Gastwirt, Krämer, Bäcker; 56 Jahre) ist mit Franz Georg Schwefer (Alte Haus-Nr. 54; Ackermann, 58 Jahre) einverstanden, „er habe nichts gegen ihn zu erinnern“ (einzuwenden).
Zur Bekleidung von Bernardine Flinkerbusch überweist Arnsberg am 19. Juni 1852 Geld als „Vormundschaftssache“ an die Freienohler Gemeindekasse.
Am 14. Juli 1852 schreibt der Lamdrat von Lilien an den Amtmann Devivere, die Aufnahme von Bernardine Flinkerbusch in Benninghausen könne erst am 30. August erfolgen: „alle Räume der Anstalt sind besetzt“.
Vormund Heinrich Lenze teilt dem Amtmann Devivere mit, dass Franz Georg Schwefer die Bernardine Flinkerbusch nicht mehr anstellen kann. Aber der Polizeidiener Hölter in Hellefeld ist bereit, sie aufzunehmen. Er schickt dem Amtmann im September 1852 eine Rechnung für neue Bekleidung für Bernardine Flinkerbusch: 2 Hemden, 1 wollenes Kleid, Wolle für 1 Kleid, 1 Tuch für 1 Schürze, 1 Schürze, Garn für Strümpfe, „neue Sachen“ (?).
Der Schuster Harmann von Altenhellefeld braucht sein Geld für die Schuhe von Bernardine Flinkerbusch; am 24. Oktober 1852.
Benninghausen kann erst im Februar 1853 die Bernardine Flinkerbusch aufnehmen; eine Nachricht vom 24. Dezember 1852.
„Am 23. August 1853 kann Bernardine Flinkerbusch aus der hiesigen Anstalt wieder entlassen werden. Die Führung war befriedigend. Ihr Fleiß hingegen nur mittelmäßig, indem sie öfters zur Arbeit angehalten werden musste.“ Es gab drei „Zeugnis-Noten“, „befriedigend“ ist die mittlere. Auf dem amtlichen Entlassungs-Formular steht: „Reise-Route für Bernardine Flinkerbusch nach Freienohl von Benninghausen über Soest, Arnsberg zum Amtmann Devivere, - beiliegend Reisegeld: 10 Sgr.“
Polizeidiener Kaulmann berichtet am 29. Oktober 1853: Bisher hat sich Bernardine Flinkerbusch bei Anton Lenze aufgehalten. Jetzt ist Küster (auch Lehrer, Organist) Leismann bereit, sie aufzunehmen als Magd bei Bezahlung an ihn seitens der Gemeinde. Er bittet auch um Geld für Bekleidung der Bernardine Flinkerbusch. Seine Frau kümmet sich um sie.
Am 26. November 1853 berichtet Polizeidiener Kaulmann auf dem Amt im Auftrag von Frau Leismann, dass Bernardine Flinkerbusch zwar 3 Hemden besitzt, die seien aber sehr schlecht. Kaulmann erhält Geld, um neue zu besorgen. - Das Freienohler Amt erhält das Geld von der Arnsberger Behörde zur „Vormundschaftssache Flinkerbusch“.
Am 27. Dezember 1853 notiert Amtmann Devivere den Bericht von Lehrer Leismann, dass Bernadine Flinkerbusch das Haus Leismann verlassen hat am 21. Dezember, als Leismann einen Tag mit seiner Frau abwesend war, die Gertrud Becker (wohl die Magd im Haus Leismann) hatte ihm – Leismann – berichtet, dass die Bernardine Flinkerbusch „zum Frühstück Fleisch gefordert habe, den ganzen Tag aber nicht die geringste Arbeit verrichtet und sich am Abend aus seinem Haus unter Mitnehme ihrer sämtlichen Kleidungsstücke mit Ausschluss des Leinens entfernt habe, ohne wieder zurück zu kehren. Einen Grund vermag Leismann nicht anzugeben. Am Abend habe sie noch seine 2 Eimer zur Hand genommen, um Wasser zu holen; die Eimer habe er später bei dem Notbrunnen (?) in der Nähe des Hauses von Kaspar Düring wieder gefunden. Der Aufenthalt der Bernardine Flinkerbusch sei ihm nicht bekannt, vielleicht im Kirchspiel Hellefeld in der Gemeinde Visbeck. - Ein „Steckbrief“ wird bekannt gegeben: 22. Februar 1854 berichtet der Polizeidiener Hölter dem Amt, dass er den Aufenthaltsort der Bernardine Flinkerbusch bis jetzt nicht habe ermitteln können.
In einem Schreiben an den Amtmann Devivere am 14. Februar 1854 wird Bernardine Flinkerbusch in den Akten zum ersten Mal als „schwachsinnig“ bezeichnet – von Lehrer Leismann.
Am 28. Februar 1854 informiert Amtmann Devivere das „Amtsblatt“ in Arnsberg; am 11. März 1854 erscheint dann in „Öffentlicher Anzeiger als Beilage zum 10. Stück des Amtsblattes“ der „Steckbrief“ von Bernardine Flinkerbusch. In der „Person-Beschreibung“ steht u.a. „22 Jahre; 5 Fuß, 2 Zoll groß (etwa 1.65 m); gewöhnlicher Mund, gute Zähne; rundes Kinn und Gesicht; gesunde Gesichtsfarbe und ist gesetzter Statur“.
Am 28. April 1854 informiert der Polizeidiener Hölter den Freienohler Bürgermeister Thüsing, dass sich Bernardine Flinkerbusch „ in der Nacht vom 22. auf den 23. April heimlich von mir entfernt hat und habe ich bis jetzt ihren Aufenthalt nicht ermitteln können; wahrscheinlich bekleidet gewesen mit: baumwollenes Kleid, neuer Unterrock, blauwollene Strümpfe, Schuhe mit Riemen, schwarzwollenes Tuch“.
Bürgermeister Thüsing veranlasst einen weiteren Steckbrief im Amtsblatt, im Öffentlichen Anzeiger vom 5. Mai 1855.
Im August 1855 wird Bernardine Flinkerbusch in Endorf „aufgegriffen“ (Polizei-Sprache). Bürgermeister Thüsing überweist an den Allendorfer Bürgermeister Riedel die Unkosten.
Am 4. September 1855 verurteilt das Königliche Kreisgericht zu Arnsberg Bernardine Flinkerbusch wegen Vagabundieren und Betteln zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe und anschließend zum Unterbringen in ein Arbeitshaus (gemeint ist Benninghausen, ohne Zeitangabe) und legt ihr zur Last die Kosten des Verfahrens. - Teilnehmer des Gerichts: Kreisgerichtsdirektor Rocholl, Kreisgerichtsrat Seiberts, Kreisrichter Lentze. Bekannte, geläufige Namen.
„Am 4. September 1855 hat Bernardine Flinkerbusch die Strafhaft in Arnsberg angetreten“ (angefangen).
In einer Information des Kreisgerichts Arnsberg vom 5. Oktober 1855 steht noch u.a., dass sie – bevor die beim Polizeidiener Hölter aufgenommen worden war, bei ihrer Schwester Witwe Theile in Uentrop gelebt hat (aktenmäßig – AA 2170 für 1846 - hat sie nur 1 Schwester: Gertrud Flinkerbusch).
Der Aufenthalt in Benninghausen ist „für 1 Jahr bestimmt“, so der Landrat in Arnsberg von Lilien am 19. November 1855. „Die Entlassung soll nur dann erfolgen, wenn die Führung der Bernardine Flinkerbusch für ihre Besserung spricht, andernfalls ist wegen Verlängerung der Haft zu berichten.“
Zwischen der Gefängniszeit und Benninghausen besteht eine Wartezeit von 2 Monaten. Die Schwester Witwe Theile ist nicht bereit, ihre Schwester zwischenzeitlich aufzunehmen. Der Freienohler Wirt Schwefer ist bereit bei einer Bezahlung von 6 Sgr täglich; das geschieht so. Die „Aufnahme der gedachten Condemnatin Bernardine Flinkerbusch kann erst am 11. Juni k.J. erfolgen“ (der eingeplanten Angeklagten; kommenden Jahres = 1856), teilt der Oberdirektor von Benninghausen dem Bürgermeister Thüsing mit am 27. November 1855.
Daraufhin kein Befund in den Akten. Also kümmert sich Wirt Schwefer und mit ihm die Freienohler Gemeindekasse und mit ihr die Freienohler Gemeinde-Verordneten mit dem Rendanten, dem Kassen-Verwalter, um Bernardine Flinkerbusch, inzwischen 26 Jahre alt.
Nach ihrer Entlassung aus Benninghausen am 9. Juni 1857 „überbringt“ Polizeidiener Hölter die Bernardine Flinkerbusch zum Gutsbesitzer Linneborn zu Schnellenhaus, der bereit ist, sie im Dienst aufzunehmen. Sie unterzeichnet den Vertrag mit 3 Kreuzchen beim neuen Amtsverweser Boese. Die „Reise-Route“ geht wieder über Soest, Arnsberg nach Freienohl. „Von Linneborn entfernt sie sich gleich wieder.“
Zum 9. Juni 1857 steht in der Polizei-Akte AA 1475: In einer Liste vom 28. Dezember 1858 über entlassene Sträflinge aus Gefängnissen und Correktions-Häusern: „Dina Flinkerbusch, entlassen am 9. Juni 1857, Betteln und Vagabundieren als Grund für Correktions-Anstalt; Dauer: 1 Jahr; für sie ist eine Herrschaft (vorhanden, Linneborn), für ihre Unterhaltung zahlt (heutzutage: Unterhalt) die Orts-Armenkasse monatlich 3 Taler; Betragen: zweifelhaft“ (schlechteste der 3 Zeugnis-Noten).
Am 29. Mai 1858 ist sie wieder bei ihrer Schwester Witwe Theile in Uentrop (33 Jahre alt). Sie aber kann und will ihre Schwester Bernardine nicht bei sich behalten; Gründe sind nicht aktenkundig; am 14. Juni 1858.
Gemeindeversammlung mit Amtmann Boese, den Gemeinde-Verordneten Johann Kückenhoff, Franz Tönne, Heinrich Sahse, Fritz Ernst Kerstholt, Joseph Funke, Friedrich Schwefer: Protokoll vom 14. Juni 1858, TOP 614; hier ungekürzt: „Wurde zum Vortrag gebracht, dass die seit vorigen Sommer verschollene Dina Flinkerbusch von hier sich am 29. v. M. (vorigen Monats, also Mai) bei ihrer Schwester, der Witwe Theile zu Uentrop darin gefunden und vom Vorsteher Schulte im Auftrag des Herrn Landrats bei dieser einstweilen untergebracht sei. Es wurde beschlossen, die Flinkerbusch vorsichtsweise bei dem hiesigen Gemeinde-Verordneten Johann Kückenhoff gegen eine mit diesem noch zu vereinbarende Vergütung und Aufsicht in Pflege zu geben und der Witwe Theile an Verpflegungskosten täglich 5 Silbergroschen zahlen, derselben auch ihre Auslagen für die der Flinkerbusch angeschafften Kleidungs-Stücke (Hemden und Strümpfe) mit 2 Taler, 5 Silbergroschen, 9 Pfennig durch die Gemeindekasse erstatten zu lassen und zwar das für sie beim Kaufmann Mues zu Arnsberg eingekaufte Kleid und Tuch mit 2 Taler, 2 Silbergroschen, 3 Pfennig auf die Gemeindekasse zu übernehmen.“
Sie ist wieder in Freienohl, untergebracht bei Johann Kückenhoff. Bezahlt werden für sie Kleidung und 1 Paar Schuhe bei Helnerus; am 18. Juni 1858.
Gemeindeversammlung am 31. Dezember 1858, TOP 644: „Wurde zum Vortrag gebracht, dass mit dem anwesenden Gemeinde-Verordneten Kückenhoff, bei welchem die aus der Benninghausener Corrections-Anstalt entlassene Bernardine Flinkerbusch aufgrund des Beschlusses vom 14. Juni d.J versuchsweise untergebracht worden sei, und deshalb diese Vergütung auf den der Billigkeit angemessenen Satz von monatlich 3 RT festgestellt, mit dem sich Kückenhoff zufrieden erklärte. Demnächst (Danach) beschloss die Versammlung, diese Vergütung vom 18. Juni d.J. ab bis auf weiteres aus der Gemeindekasse zahlen zu lassen.“
Am 25. Februar 1859 gibt Johann Kückenhoff auf dem Amt bekannt, „Bernardine Flinkerbusch hat sich vom 18. Dezember 1858 bis zum 24. Februar 1859 aus seinem Haus entfernt, ohne nur mir oder meinen Angehörigen Meldung davon gemacht zu haben, unter Mitnahme ihrer zum größten Teil auf Rechnung der hiesigen Gemeinde-Kasse beschafften Effekten (Kleidung usw.) und es ist bis jetzt über ihr Verbleiben nichts bekannt geworden...“ - Seltsam: 2 Monate, mitten im Winter, ohne Information ans Amt oder: Vielleicht ist sie ja morgen wieder da. Dann ist sie wohl doch wieder aufgetaucht oder aufgefunden worden. Denn: Arnsberg, am 10. März 1859: „Cito! (Eilig!) Nach Lage der Sache scheint die Festsetzung einer Nachhaft in der Arbeits-Anstalt Benninghausen gerechtfertigt.“ Benninghausen am 13. März 1859: „Die Aufnahme kann sofort erfolgen.“
Gemeindeversammlung: 22. März 1859, TOP 669: „Wurde beschlossen, dem Johann Kückenhoff hierselbst die ihm hier seit dem 18. Dezember bis zum 27. v.M. noch zustehende Vergütung für die Verpflegung der Bernardine Flinkerbusch im Betrag von 6 RT 18 Sgr 7 Pf aus der Gemeindekasse zahlen zu lassen.“ - Siehe oben TOP 644, 31. Dezember 1858.
Am 10. Mai 1860 wird Bernardine Flinkerbusch aus Benninghausen entlassen. „Die Führung war gut.“ Das ist von den drei Zeugnis-Noten die beste.
Durch Polizeidiener Hölter (manchmal mit dem Vornamen Franz, manchmal Anton, urkundlich: Anton) am 12. Mai 1860 hingebracht zum Vorsteher Friedrich Wiegenstein in Meinkenbracht. Noch zweimal so: am 15. April 1861 und am 21. Juli 1861.
Gemeinde-Protokoll 30. Oktober 1860, TOP 766: „Auf Vortrag des Vorsitzenden (Boese) wurde beschlossen, dem Vorsteher Wiegenstein zu Meinkenbracht für die Verpflegung der geistesschwachen Dina Flinkerbusch vom 1. Oktober ab die tägliche Vergütung von 2 ½ Silbergroschen zu gewähren und erkannte man diesen Satz (Geldsumme) noch für sehr niedrig an.“
Gemeinde-Versammlung am 5. April 1861,TOP 799: „Wurde beschlossen, dem Vorsteher Wiegenstein zu Meinkenbracht für die Verpflegung der Flinkerbusch (gemeint ist Dina F.) statt der durch Beschluss vom 30. Oktober v.J. zu 2 ½ RT monatlich festgesetzten Kostgelder für die Flinkerbusch vom 1. Januar ab monatlich 4 RT zahlen zu lassen.“ - Dina ist 32 Jahre alt.
Als sie „wieder von der Stelle von Friedrich Wiegenstein fortgelaufen ist, kommt sie nach Warstein bei Franz Gerke“, dann nach Obersalwey (kein Datum aktenkundig).
Vom 23. Dezember 1861 bis zum 26. August 1862 ist Bernardine Flinerbusch beim Polizeidiener Hölter in Hellefeld untergebracht.
Protokoll der Gemeindeversammlung am 11. April 1862, TOP 854: „Auf Vortrag des Vorsitzenden und des früher gefassten Beschlusses wurde heute weiter beschlossen, dem Polizeidiener Hölter für die Verpflegung der Dina Flinkerbusch vom 23. Dezember v.J. bis zum 1. d.M. eine tägliche Vergütung von 5 Sgr und vom 1. April d.J. aber nur eine solche von 4 Sgr zu bewilligen und die hiesige Gemeindekasse mit Weisung versehen zu lassen. Zugleich beschloss der Vorstand, die Flinkerbusch einstweilen bei Hölter noch zu belassen, da dieselbe voraussichtlich nicht billiger unterzubringen sei.“ - „Billiger“ konnte bedeuten: preiswerter und unabhängig vom Geld: „gerechter“; ihr Lebensalter 1862 etwa 33 Jahre.
Unentgeltlich untergebracht ist sie am 29. August 1862 beim Landwirt Johann Hachmann in Oeventrop.
Am 22. ...(nicht lesbar) „nochmals beim Polizeidiener Hölter“. Auch am 12. Dezember 1862. Hölter wird für Bernardine Flinkerbusch aus der Freienohler Gemeindekasse bezahlt am 23. Dezember 1862, am 27. Dezember 1862, am 22. Februar 1863 und am 10. April 1863.
Ab dem 22. März 1863 ist Bernardine Flinkerbusch zu ihrer Schwester Witwe Theile nach Uentrop gezogen; die wird für ihre Hilfe bezahlt.
Am 27. März 1863: Protokoll der Gemeinde-Versammlung: TOP 905: „Die Rechnung des Wilhelm Schneider in Hellefeld über gelieferte Kleidungsstoffe für die beim Polizeidiener Hölter untergebrachte Dina Flinkerbusch wurde im Betrag von 1 Taler, 20 Silbergroschen zur Zahlung auf die Gemeindekasse übernommen.“
Am 15. Juni 1863 erscheint Frau Göckeler gnt. Hirschberger auf dem Amt. Sie erklärt sich im Namen ihres Mannes Wirt Caspar Göckeler bereit, die zur Zeit bei Johann Kückenhoff untergebrachte Bernardine Flinkerbusch in ihrem Haus aufzunehmen mit der entsprechenden Vergütung. „Natürlich muss es dann gestattet sein, das Mädchen (34 Jahre) in ordnungsmäßiger Weise zur Arbeit gebrauchen zu dürfen. Eine ordentliche Haltung und Behandlung und Kontrollierung des Mädchens kann ich zusichern...“ Einverstanden sind die Gemeinde-Versammlung und Johann Kückenhoff.
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 18. Juni 1863, TOP 921: „Mit Rücksicht auf den von der Frau Göckeler gnt. Hirschberger gestellten Antrag wurde beschlossen, die seit ihrem Entlaufen von dem Polizeidiener Hölter zu Hellefeld einstweilen bei Johann Kückenhoff hierselbst gegen eine tägliche Vergütung von 4 Sgr untergebrachte Bernardine Flinkerbusch vom 20. d.M. ab anderweit dem Wirt Kaspar Göckeler hierselbst gegen Gewährung der von demselben geforderten Verpflegungskosten zum monatlichen Betrag von 2 RT zu übergeben und die dem Johann Kückenhoff bis dahin zustehende Vergütung vom 12. v.M. anfänglich mit überhaupt 5 RT 2 Sgr seitens der Gemeindekasse zahlen zu lassen.“ - Aus dem Trauungsregister: Wirt Caspar Göckeler ist verheiratet am 31.7.1860 mit Sophia Justina Franziska Wiedemann aus Göttingen, acatholica (zumeist: evangelisch). - Aus dem Sterberegister: Ihr Kind Ernst Göckeler von Hirschberg (ausdrücklich dabeistehend): geb. 17.6.1862; gest. 30.5.1863. - Anmerkung: Vielleicht kommt Frau Göckeler wohnmäßig aus Hirschberg, gebürtig aus Göttingen; darum ihr Beiname und die Anmerkung beim Kind.
Am 13. Oktober 1863 ist Bernardine Flinkerbusch vom Polizeidiener Kaulmann von Uentrop zum Wirt Caspar Göckeler gebracht worden. - Am 2. November 1863 diese Amts-Notiz: „Göckeler hat heute die Verpflegung der Flinkerbusch gekündigt, weil es mit ihr nicht zum Aushalten sei.“ - Am 4. November 1863: „Die Dina Flinkerbusch hat sich am 3. November abends wieder entfernt, nachdem sie ihre Kleidungsstücke zum Teil bei ihrem Vetter Georg Flinkerbusch niedergelegt hat.“
Am 6. November 1863, TOP 932: „Wurde beschlossen, dem Caspar Göckeler-Hirschberger hierselbst für die aus seinem Haus wieder entlaufene Bernardine Flinkerbusch die vereinbarten Verpflegungskosten für die Zeit vom 13. v.M. bis zum 3. d.M. mit überhaupt 1 Rt 12 Sgr durch die Gemeindekasse zahlen zu lassen und weitere Beschlussfassung über ihre Zukunft bis zur Rückkunft derselben vorzubehalten.“
Gemeindeversammlung am 20. November 1863, TOP 943: „Die Versammlung erklärte sich damit einverstanden, dass die dem Kaspar Göckeler hierselbst wieder entlaufene Dina Flinkerbusch dem Polizeidiener Hölter zu Hellefeld gegen die geforderte Vergütung von täglich 3 Silbergroschen wieder in Pflege gegeben werde.“
Bernardine Flinkerbusch ist schwanger. 36 Jahre alt. Noch ist nicht aktenkundig, dass Hölter der Vater des Kindes ist.
Am 26. März 1866 tagt die Gemeinde-Versammlung von Herblinghausen, dem Wohnort von Anton Hölter und Bernardine Flinkerbusch; Herblinghausen gehört zu Hellefeld. Aus dem Protokoll: Die Gemeinde Freienohl bezahlt dem Hölter zwar die Unterkunft und Verpflegung der Bernardine Flinkerbusch, aber „die Flinkerbusch soll aus der hiesigen Gemeinde entfernt werden und alle Nachteile, die durch die Flinkerbusch entstehen, der hiesigen Gemeinde abzunehmen. Weiter war nichts zu verhandeln...“ Unterschriften.
Randnotizen vom Amtmann Ley am 27. März 1866: „Einen Arzt herbeizuführen und durch das Attest eines solchen die Zeit der Niederkunft nachzuweisen!“
„Am 3. April 1866 in der Hebammen-Lehr-Anstalt in Paderborn angefragt, ob die Flinkerbusch in der dortigen Entbundungs-Anstalt aufgenommen werden kann.“ So eine Notiz vom Amtmann Ley.
Am 7. April 1866 antwortet der Anstalts-Direktor Dr. Evercen u.a.: „Die Flinkerbusch kann kommen, wenn sie sich in den letzten drei Wochen der Schwangerschaft befindet.“
Am 17. April 1866 erhält Polizeidiener Hölter für sich und Bernardine Flinkebusch das Reisegeld von der Freienohler Amtskasse. „Er soll auch das Schreiben, das Attest des Dr. Freusberg aus Arnsberg mitnehmen, und zeitig die Fähigkeit der Flinkerbusch behufs derer Abholung hierher Nachricht geben.“ So Amtmann Ley. Auf dieselbe Seite schreibt Hölter: „Fünf Taler Reisekosten Vorschuss für meine Mutter habe ich heute empfangen.“ Also reisen nach Paderborn: Bernardine Flinkerbusch in Begleitung von Mutter und Sohn Hölter und diese beiden reisen wohl auch sogleich wieder zurück.
Für den Akten-Leser ist hier zum ersten Mal die Mutter vom Schäfer und Polizeidiener Hölter erwähnt; später die „Witwe Hölter; der Polizeidiener lebt also mit seiner Mutter zusammen; sein Vater ist verstorben. Die wahren Gründe für das Leben der Bernardine Flinkerbusch bei den beiden Hölters bleiben sicher unbekannt.
Am 3. Mai 1866 informiert Dr. Evercen aus Paderborn die „Amtsverwaltung“ in Freienohl, „dass die Bernardine Flinkerbusch entbunden hat und am Montag, den 7. abgeholt werden kann“. Den Geburtstag gibt der Arzt nicht an, auch nicht, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen ist. Später wird aktenkundig: am 20. April 1866, ein Junge: Friedrich.
Am 8. Mai 1866: Johann Lange gnt. Kleinschmied in Freienohl holt Bernardine Flinkerbusch mit ihrem Kind nach Freienohl. Er ist auch bereit – und das wird vom Armenvorstand genehmigt und bezahlt – die Beiden bei sich „in Kost und Logis zu nehmen. Die Beiden sind heute Vormittag durch die Witwe Hölter hierher zurückgebracht worden.“ Die ganz genaue Route bleibt wohl etwas rätselhaft.
Amtmann Ley notiert: „Am 26. Mai 1866 ist die Flinkerbusch abermals abwesend und wurde dieselbe früh abends dem Lange wieder zwänglich (zwangsweise) zugeführt.“
Aus dem Protokollbuch der Gemeindeversammlung vom 20. Oktober 1866, TOP 1160:
„Dem Tagelöhner Adam Pöttgen hierselbst wurde mit Rücksicht darauf, dass er als Vormund des unehelichen Kindes der Bernardine Flinkerbusch drei Gänge nach Arnsberg getan, wofür er eine Vergütung aus der Vormundschafts...(nicht korrekt lesbar) zu erwarten hat, sowie in Erwägung, dass er zur Erlangung einer Alimentations-Abgabe für das von hiesiger Gemeinde mit der Mutter zu unterhaltende Kind beigetragen, auf seinen Antrag eine Renumeration von 10 Sgr für jede Tour, mithin im Ganzen 1 RT bewilligt.“ (AA 402)
Der nächste Akten-Befund am 25. Januar 1867 vom Königlichen Kreisgericht Arnsberg: „Die Witwe Theile in Uentrop, ältere Schwester von Bernardine Flinkerbusch, bittet um Auskunft über den Aufenthalt ihrer Schwester mit ihrem neun Monate alten Kind. Seit 3 Monaten ist sie aus Freienohl verschwunden. Bei dieser Jahreszeit ist für das Leben des Kindes zu fürchten.“
Am 9. Februar 1867 lässt Amtmann Ley Suchanzeigen bekannt geben in Meschede, Eslohe, Allendorf und Hüsten.
Am 28. Februar 1867 „bringt dringend in Erinnerung“ Arnsberg die „Vormundschaftssache“ nach der Suche. Amtmann Ley bestätigt, dass er die Bekanntmachungen wiederholt hat.
Vormund des Kindes ist Adam Pöttgen in Freienohl..
Am 20. März 1867 informiert Amtmann Ley das Gericht in Arnsberg: „Heute ist das Kind und seine Mutter hierher aus dem Amt Hüsten zurück und einstweilen bei dem Vormund Pöttgen auf Kosten der hiesigen Gemeinde untergebracht worden.“
Gemeinde-Versammlung am 8. April 1867: TOP 1204: „Das mit dem Adam Pöttgen von hier hinsichtlich der Verpflegung der Dina Flinkerbusch und ihres 6 Monate alten Kindes getroffene Abkommen, worauf diese Beiden unterm 20. v.M. dem Pöttgen gegen eine tägliche Vergütung von 7 Sgr in Pflege übergeben worden sind, wurde genehmigt.“
Protokoll am 28. Juni 1867, TOP 1212: „Es wurde beschlossen, dem Adam Pöttgen hierselbst an Verpflegungskosten für die bei ihm mit ihrem Kind untergebrachte Bernardine Flinkerbusch vom 1. Juli d.J. ab statt der bisherigen 7 Sgr: 8 Sgr pro Tag zu gewähren.“ (AA 402)
Am 11. Juli 1867 ist Bernardine mit ihrem Kind „wieder entwichen“, zeigt Pöttgen im Amt an. Amtmann Ley startet sofort die Such-Bekanntmachungen durch die Polizei in Eslohe, Hüsten, Meschede; die Transport-Kosten werden durch die Gemeinde-Kasse bezahlt.
Was sich zwischenzeitlich ereignet hat, ist nicht aktenkundig.
Am 2. April 1868 schreibt die Königliche Regierung in Arnsberg, Abteilung des Inneren (zuständig wegen der „Vormundschaftssache“): „Nach Lage der Sache erscheint die Festsetzung einer Nach-Haft in der Arbeits-Anstalt zu Benninghausen gegen die Bernardine Flinkerbusch aus Freienohl gerechtfertigt.“ Amtmann Ley soll eine Charakteristik der Bernardine Flinkerbusch innerhalb von 5 Tagen einreichen. Darin wird „eine Detention („Haft“) von mindestens 2 Jahren beantragt, da die früheren kürzeren Fristen ihren Zweck gänzlich verfehlt haben.“
Anmerkungen aus der Jetztzeit: Aktenkundig sind nicht mögliche Überlegungen, Fragen, Gründe, Ursachen, warum eine solche „Haft“ nicht geholfen hat, auch nicht helfen wird...
Also folgt am 17. April 1868 der „Transport-Zettel“ für Bernardine Flinkerbusch. Gendarm Maahsen ist der „Transport-Führer“. Angefügt ist noch die Rechnung vom Schuster Grünberg, Arnsberg, für 1 Paar Schuhe: „Beglaubigt mit dem Bemerken, dass die Flinkerbusch ohne Beschaffung der Schuhe nicht gut zu transportieren wäre, weil die vorhandenen total unbenutzbar waren.“
Über das Kind, ob sie es bei sich gehabt hat, ist nichts aktenkundig.
Am 17. August 1868 war der Amtmann von Eslohe um „Requisition“ gebeten worden, um eine Information: „Der Schäfer Anton Hölter zu Nieder-Eslohe besitzt aufgrund hiesiger Ermittlungen gar kein Vermögen. Hölter ist bei einigen hiesigen Landwirten in Diensten und hat seinen Lohn gänzlich und sogar im voraus erhalten; auch hat er einige Schafe, die er besessen haben soll, verkauft. Ob Hölter verklagt und vom Eigentum für unpfändbar befunden ist, kann ich keine Auskunft geben.“ So der Amtmann von Eslohe nach Freienohl.
In den „Personal-Nachrichten der Bernardine Flinkerbusch aus Freienohl behufs der Aufnahme in das Arbeitshaus zu Benninghausen“ schreibt Amtmann Ley am Schluss: „Bei ihrer Unterbringung ist stets darauf Bedacht genommen worden, ein Haus für sie zu ermitteln, in welchem sie nicht allein die ordnungsmäßige Beköstigung und entsprechende Beschäftigung findet, sondern ihr auch eine angemessene Behandlung und Kontrolle zuteil wurde und so entbehrt ihr durchgängiges stets heimliches Entlaufen jeglicher rechtlichen Begründung,“
Fast ein Jahr später die nächste Akten-Notiz: vom 17. Mai 1869: Der Freienohler Armen-Vorstand wendet sich an die Armen Franziskanerinnen in Olpe, an deren Correktions-Anstalt in Olpe: „Seit etwa einem Jahr befindet sich die Bernardine Flinkerbusch in der Correktions-Anstalt in Benninghausen. Ihr uneheliches Kind befindet sich hier in Pflege und Erziehung. Es ist zwar ganz gut aufgehoben und fällt auch hinsichtlich des Kostenpunkts der Gemeinde nicht zu schwer. Allein sobald die Mutter wieder in Freiheit gesetzt sein wird, steht zu befürchten, dass diese sich wieder des Kindes bemächtige, mit diesem ihrer früheren Gewohnheit gemäß, sich bettelnd und vagabundierend im Land herumtreiben und die guten Absichten der hiesigen Armen-Pflege, das Kind zu einem ordentlichen Menschen zu erziehen, vereiteln werde.“
Die Antwort vom 21. Mai 1869: Die Franziskanerinnen sind bereit, das Kind aufzunehmen.
Am 26. Mai 1869 beschließt und ergänzt der Armen-Vorstand einstimmig: „...das 3 Jahre alte Kind baldmöglichst im Waisenhaus der Armen Franziskanerinnen zu Olpe unterzubringen und demselben zu dem Ende (= dafür, dazu) 2 Paar Schuhe, 6 Paar Strümpfe und 6 Hemden zu beschaffen. Die jährlich … betragenden Verpflegungskosten würden auf die Armen-Kasse zur fortlaufenden Zahlung übernommen.“ Am selben Tag: Frau Stirnberg wird gekündigt. Sie bringt am 8. Juni 1869 das Kind Friedrich Flinkerbusch nach Olpe – und wird dafür bezahlt. - Auch die nächsten Jahre zahlt die Freienohler Armen-Kasse nach Olpe; aktenkundig bis 1878.
Am 18. Juni 1869 wird Bernardine Flinkerbusch aus Benninghausen entlassen. „Die Führung während des hiesigen Aufenthalts war befriedigend“ (die mittlere „Zeugnis-Note“) Sie unterzeichnet - wie sonst auch – das Entlassungs-Formular „Reise-Route“ mit 3 Kreuzen. - Keine Notiz über das Kind.
Mit Hilfe des Armen-Vorstands, genannt wird Heinrich Sasse, und des Amtmanns Ley kommt Bernardine Flinkerbusch bei Ehefrau Fritz Stirnberg unter, bezahlt aus der Armenkasse. (Aus dem Heiratsregister: am 20.12.1856 heiraten Friedrich Stirnberg und Florentine Weber; am selben Tag: 20.12.1856 hatten geheiratet Franz Caspar Flinkerbusch und Franziska Köster.)
Gleichzeitig, am 2. Juli 1869, bittet Amtmann Ley die Direktion der Franziskanessen-Anstalt St. Mauritz bei Münster um Aufnahme der Bernardine Flinkerbusch. Ihr „Lebenslauf“ wird gestrafft, genau und korrekt geschildert. Am Schluss: „Um dem Umhertreiben der Bernardine Flinkerbusch nach ihrer Entlassung aus der Arbeitsanstalt endlich ein Ziel zu setzen und sie gegen fernere Vergehen gegen die Sittlichkeit zu schützen, hat der hiesige Armen-Vorstand beschlossen, dieselbe in irgendeiner öffentlichen Anstalt, wo sie in allem gut aufgehoben ist, unterzubringen. Dem Vernehmen nach kann solches in der dortigen Anstalt geschehen und ersuche die Direktion ich (zeitübliche höfliche Wortstellung) daher ergebenst um gefällige Benachrichtigung...“
Fast die gleiche Textfassung wie vorher bei der Bitte um Aufnahme in Benninghausen. Die Direktorin Rosi von St. Mauritz lehnt die Bitte ab: hier werden nur jugendliche Bürger oder Geisteskranke aufgenommen. Diese Direktorin hat auch schon beim Kloster Zum Guten Hirten in Münster nachgefragt, „vergeblich, weil ihr Alter zu hoch ist“. - 45 Jahre.
Frau Fritz Stirnberg kümmert sich beim Amtmann Ley, bei der Armenkasse , regelmäßig um die Bezahlung ihrer Unkosten für Bernardine Flinkerbusch. Die Bezahlung erfolgt immer; u.a. am 29. Januar 1870.
Am 12. August 1871 beschließt die Gemeindeversammlung bei ihrem TOP 1296 die Armen-Unterstützung im Laufe des Jahres; 12 Namen werden genannt, auch: Franz Korte (Gemeinde-Beigeordneter) erhält die Verpflegungskosten für Dina Flinkerbusch 50 RT. Und ein Beitrag geht an die Waisen-Erziehungs-Anstalt in Olpe (Stadt) für das Kind Friedrich der Dina Flinkerbusch 36 RT. (AA 402)
Auch die Rechnung von Olpe für Friedrich Flinkerbusch vom 19. Januar 1874 wird von Freienohl bezahlt.
Harmlos? Peinlich? Ärgerlich? Am 14. Dezember 1875 beschwert sich Vorsteher Gördes aus Herblinghausen beim Freienohler Amtmann Ley: „Ihm, Gördes, wurde gestern Abend mitgeteilt, dass die Bernardine Flinkerbusch ihr Nachtquartier beim Hausierer Bauhoff genommen habe. So hat er sich am frühen Morgen gegen 6 Uhr in Begleitung des Johannes Wilhelm Vogtmann und Joseph Greitemann zur Wohnung des Bauhoff auf den Weg gemacht, um zu rekogniszieren (um nachzusehen), ob die Flinkerbusch wirklich da sei. Sie weckten den Bauhoff. Der sagte, er habe nur seine Tochter im Hause. Und: Ihr könnt jetzt nicht in meine Kammer, wo meine Tochter liegt; am anderen Fall nehme ich die Axt hier und schlage euch vor die Köpfe! Und er ergriff bereits die Axt. Die Tür war verschlossen. Die darin befindliche Tochter des Bauhoff schreckte und raisonierte (schimpfte) fürchterlich in der Kammer. Und es steht nicht fest, dass sich auch die Flinkerbusch in der Kammer aufhielt. Dass sich die Flinkerbusch gestern Abend im Dunkel nach Bauhoff begeben hat, kann die Ehefrau Michael Jürgens bekunden: Die Frau Bauhoff hat auch selbst mir erklärt, dass hier die Flinkerbusch früher schon 2 Nächte logiert hätte. - Dass Bauhoff ein sehr verkehrter Mensch ist...“ Unterschrieben: Gördes. - Am 30. Dezember 1875 erklärt der ins Amt zitierte Bauhoff, es sei unwahr, dass die Flinkerbusch bei ihm im Haus war und dass er Gördes mit der Axt bedroht habe, er habe ihnen ausdrücklich gestattet, das ganze Haus zu durchsuchen...“ - Was war wahr?
Am 24. Februar 1876 erhält der Freienohler Bürgermeister von den Olper Armen Franziskanerinnen einen Brief: Die Regierung habe verfügt, dass sie bis Ostern ihre Waisen-Schule aufgeben und alle Schüler entlassen müssen, auch Friedrich Flinkerbusch. Er muss also bis Ostern abgeholt werden. - Ähnlich schreibt am selben Tag der Bürgermeister der Stadt Olpe. - Friedrich ist dann 10 Jahre alt.
Der Freienohler Amtmann informiert am 1. April 1875 die Gemeinde-Versammlung über den Brief aus Olpe und teilt mit, dass die Witwe Agatha Theile geb. Flinkerbusch in Arnsberg sich bemüht, dass Verwandte in Köln das Kind aufnehmen könnten. Damit ist die Versammlung einverstanden, - vielleicht mit einem Aufatmen. - Anmerkung: Bisher hatte die Witwe Theile geb. Flinkerbusch in Uentrop den Vornamen Gertrud; im Einwohner-Verzeichnis von 1845 ist Gertrud (21 J.) die ältere Schwester von Bernardine (17 J.); im Verzeichnis von 1849 steht Gertrud schon nicht mehr, sie kann inzwischen geheiratet haben, nach Uentrop; also kann mit „Agatha“ ein Schreibfehler vorliegen; in Freienohl gab es damals 2 fast gleichaltrige Agatha Flinkerbusch. Oder Agatha war der Zweit-Vorname von Gertrud Flinkerbusch.
Im Protokoll jener Gemeinde-Versammlung am 1. April 1875 ist auch notiert, was bisher aus der Akte Bernardine Flinkerbusch: AA 1460 nicht zu ersehen ist, dass „die Mutter Bernardine Flinkerbusch sich schon seit mehreren Jahren von hier entfernt hat“ und den Unterstützungs-Wohnsitz im hiesigen Ort Freienohl verloren hat.
Agatha Theile geb. Flinkerbusch (wieder Agatha) teilt die Kölner Anschrift mit: Kohlenhändler Joseph Heller, Köln, Hühnergasse 25.
Auch die folgenden Angaben über Friedrich Flinkerbusch stehen in AA 1460.
Am 18. April 1876 fragt der Freienohler Amtmann Ley den Joseph Heller, ob er bereit ist, das Kind Friedrich Flinkerbusch aufzunehmen.
Joseph Heller antwortet schnell, am 24. April 1876: „Ich bin bereit, zu jeder Stunde das Kind aufzunehmen, ihm alles Mögliche auf meine Kosten herum (?) zu tun. Ich möchte aber bitten...“ Jetzt geht es um die juristischen Klärungen bezüglich des Vaters und des Vormunds, - die werden hier ausgelassen -, er bittet um den Taufschein und Geburtsschein... „So Gott will, sind unsere Gedanken, das Kind für unser eigenes zu betrachten.“
Der Freienohler Amtmann klärt im Brief am 3. Mai 1876 die rechtlichen Belange. Dabei stellt sich heraus, dass „die Mutter Bernardine Flinkerbusch und der Vater (Hölter) unauffindbar“ sind.
An dieser Stelle in AA 1460 werden erst diese Daten von Friedrich Flinkerbusch aktenkundig: Geburts-Datum: 20. April 1866, außerehelich geboren; Tauf-Datum: 12. Juli 1866 in Arnsberg (wohl bei Familie Theile / Flinkerbusch). Zum Tauf-Datum hat der Freienohler Pfarrer Adams bemerkt: weil Friedrich Flinkerbusch nicht in Freienohl geboren und hier nicht getauft ist, gibt es darüber in Freienohl auch keine Akte.
Joseph Heller holt den Jungen zu sich und schreibt dem Amtmann: „Ich will ihn alles Mögliche lernen lassen, woran er alles Freude hat. - Achtungsvoll! Joseph Heller“
Über Friedrich Flinkerbusch war das die wohl letzte Information im Freienohler Archiv.
Doch Aufatmen! Der Ahnenforscher der Familie Flinkerbusch: Horst Flinkerbusch, schickte am 8. Oktober 2010 ganz glücklich diesen Beitrag: „Der Sohn von Bernardine: Friedrich hat den Namen Flinkerbusch in die Welt getragen. Mit 20 Jahren hat er in Indonesien einen 4-jährigen Jungen adoptiert. Die Nachkommen in USA und in den Niederlanden sind sehr stolz auf ihren Adoptiv-Stammvater.“
Zu Bernardine: Akten-Schweigen. Dann:
Am 17. Dezember 1880 schreibt das Amtsgericht Meschede: „In der Strafsache gegen Bernardine Flinkerbusch aus Freienohl senden wir dem Amt die hierher gesendeten Akten ergebenst zurück.“ Freienohl notiert am Rand: „Nachdem der Wieder-Eingang der Personalakten vermerkt ist: ad acta. 22. Dezember 1880.“
Am 18. Dezember 1880 schickte die Königliche Amts-Anwaltschaft Meschede dem Freienohler Amtmann von Lilien den Bescheid für Dina Flinkerbusch aus Freienohl: „Nach Erkenntnis des Gerichts zu Meschede vom 3. Dezember 1880: 14 Tage Haft wegen Bettelns.“ (Ende der Akte AA 1460)
Wahrscheinlich ist Bernardine Flinkerbusch im Jahr 1880 oder 1881 gestorben. Nicht in Freienohl. Im Sterberegister und in Archiv-Akten steht kein Befund.
Das gewiss erschütternde Leben der Bernardine Flinkerbusch macht auch das eigentliche Thema dieser Textfassung deutlich: das Zusammenleben in Freienohl.
Das Erschütternde: Das elfjährige Mädchen Dina, die siebzehnjährige Bernardine hat seit dem frühen Tod ihrer Eltern ein Leben lang vermutliche in ihrer kindlichen Entwicklungsphase weiter gelebt. Freienohler haben sie nicht aufgegeben. Freienohler Männer mit ihren Familien hinter sich und mit den politisch und kirchlich Beauftragten haben mit Hilfe der Gelder aus der Armen-Kasse der Gemeinde Freienohl das Leben dieser Frau immer begleitet. Um dieses Zusammenleben deutlich zu machen, seien hier die Namen aufgelistet (ohne historisch korrekte Reihenfolge, ohne Jahreszahlen ihrer Amtszeit, nicht immer mit Vornamen, gewiss auch nicht vollständig):
Die Mitglieder der Gemeinde-Versammlung oder des Gemeinde-Rates, die Beigeordneten, Eingesessenen usw.: Heinrich Sasse, Joseph Funke, Franz Georg Pöttgen, Heinrich Düring, Bernard Becker, Friedrich Schwefer, Heinrich Flinkerbusch gnt. Schwert, Ferdinand Becker gnt. Kaiser, Adam Kehsler, Franz Cohsmann, Fritz Ernst Kerstholt, Franz Tönne, Johann Kückenhoff, Franz Göckeler, Vogt, Franz Korte, Franz Trumpetter, Johann Röther, Heinrich Albers, Caspar Tönne, Caspar Humpert, Georg Geihsler, Anton Trompetter, Joseph Noeke; und die Polizeidiener Hölter, Tönne und Kaulmann.
Die politisch eingesetzten Offiziellen, Schultheiße, Bürgermeister, Gemeindevorsteher, Amtmänner, - eben Buiterlinge: Franz Feldmann, Thüsing, Alberts, Koffler, Devivere, von Lilien, Boese, Ley, Keiser, Enser.
Auch die Pfarrer und Priester der St. Nikolaus-Pfarrei gehörten als „geborene Mitglieder“ zum Armen-Vorstand: Franz Anton Sporkmann, Anton Kaiser, Franz Habbel, Franz Joseph Brand, Johann Heinrich Adams, Pfarrer Berens aus Rumbeck, Julius Falter wohl nicht.
Immer wieder sind im Text genannt die Frauen, Mütter und ihre Männer, die irgendwie mit Bernardine Flinkerbusch zusammen gelebt haben; namenlos freilich das Personal in der Correktions-Anstalt Benninghausen und in der Hebammen-Schule und Geburtsstation in Paderborn und die Franziskanerinnen in Stadt Olpe.
„Wandernder Geselle“ stirbt nicht zu Hause
Am 8. September 1865 informiert der Königliche Polizei-Präsident in Köln den Freienohler Bürgermeister, Amtmann Ley, in Arnsberg den Landrat von Lilien: Der Schneidergeselle August Vohs aus Freienohl, 21 Jahre, legitimiert durch Wanderpass vom 24. Mai 1862 in Arnsberg (Wanderpass hieß das behördlich korrekte „Ausweis-Buch“, in dem die handwerklichen Arbeitsaufenthalte für „wandernde Gesellen“ eingetragen waren),ist wegen der Krankheit Syphilis am 7. September 1865 aufgrund ärztlicher Bescheinigung in das hiesige (Kölner) Bürger-Hospital „überwiesen“ worden. - Nach gesetzlicher Grundlagen hat die Freienohler Gemeinde-Kasse die Kosten zu tragen: Arzt-Rechnungen, Kur- und Verpflegungs-Kosten. - Am 24. November 1865 wird im Brief nach Freienohl als Krankheit eingetragen: Brustentzündung.
In der Freienohler Einwohner-Liste vom 3. Dezember 1849 steht: Alte Haus-Nr. 101 b: Johann Vohs, Tagelöhner, LA 38 (1865 LA etwa 54); Sohn August Vohs, LA 5. - In späteren Einwohnerlisten, Trauungs- und Sterberegistern ist August Vohs nicht eingetragen. - Vielleicht ist er nicht mehr nach Freienohl zurück gekommen. (AA 1060)
Mutter eines Babys stirbt
Am 6. August 1866: „Wurde vom Vorsitzenden mitgeteilt, dass seitens des Leinewebers Johann Jürgens hierselbst aus Anlass des am 1. des Monats erfolgten Absterbens seiner Frau die Fürsorge der Armen-Pflege zu Gunsten seines jüngsten Kindes dessen anderweitige Unterbringung auf Kosten der Armen-Kasse beantragt worden sei. Es wurde hierauf in Hinsicht auf die unverkennbare Dürftigkeit des Jürgens und wegen dessen offenbarer Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Verpflegung und Erziehung seines kaum 1 Jahr alten und sehr leidenden Zustandes sich befindlichen Kindes beschlossen, dem Jürgens bis auf Widerruf eine monatliche Beihilfe von 2 RT aus der Armen-Kasse zu gewähren, um denselben hierdurch in den Stand zu setzen, das gedachte Kind ordentlichen Leuten in Pflege, zur Erziehung übergeben zu können. - Auf den Antrag der Hebamme Ehefrau F.H. Kerstholt wurde beschlossen, derselben (Hebamme) an Entbindungs-Gebühren für die verstorbene Ehefrau Johann Jürgens den Betrag von 23 Sgr durch die Armen-Kasse zahlen zu lassen.“ (AA 1048)
Aus dem Sterberegister: Am 19. Juli 1866 starb Elisabeth Bengestrath, 47 J., Ehefrau des Johannes Jürgens. - Am 31. August 1866 starb Franziska Jürgens, geb. 12. August 1865, Tochter des Leinewebers Johannes Jürgens und der Ehefrau Elisabeth geb. Bengestrath.
Aus der Einwohner-Liste vom 3. Dezember 1849 (AA 3172): Alte Haus-Nr. 62 c: Johann Jürgens, Leineweber, LA (von 1849 auf 1866 mit 17 addiert) 51; Ehefrau Elisabeth geb. Bengestrath, LA 46; Sohn Johann, LA 21; Sohn Heinrich, LA 18;?,Tochter Franziska, s.o.
Winter 1866 / 1867: aus Armut : Holzdiebstahl, - wegen oberflächlichen Managements seitens der Regierung
Gemeinde-Versammlung am 4. Februar 1867:TOP 1182: (stilistisch nicht immer leicht lesbar) „Die Versammlung mit der Landrätlichen Marginal-Verfügung vom 29. v.M. Nr. 522 und dem damit überfertigten (angefertigten) an den Herrn Landrat gerichteten Antrag des Oberförsters Harbert bekanntgemacht, erklärte nach vorgängiger Beratung einhellig, dass im letzt verflossenen Monat während die zum überwiegenden Teil aus Handwerkern bestehende hiesige Einwohnerschaft durch den Schnee an der gewöhnlichen Beschäftigung behindert gewesen, der hiesige Communal-Wald allerdings durch auffällig häufige Holz-Diebstähle nicht unmerklich gelitten habe, dass indes sofort bei Wahrnehmung dieses Übelstandes seitens der Gemeinde-Vertretung dem hiesigen Förster in der Person des Cultur-Vorstehers und Flurschützen Düring eine Aushilfe überwiesen worden sei, welche insofern vorzuziehen sein dürfte, als Düring in Bezug auf die einzelnen Walddistrikte und deren Grenzen, sowie auch gegenüber den Holz-Frevlern vollständige Local-Kenntnis (Ortskenntnis) besitze. Die ungewöhnliche Ausdehnung des Holzdiebstahls, der übrigens mit dem Abgang des Schnees bereits auf das gewöhnliche Maß zurückgeführt worden, könne nicht auffallen, da es der nicht Wald besitzenden Klasse der hiesigen Einwohnerschaft an Gelegenheit gemangelt habe, den Brennholzbedarf sich rechtzeitig auf gesetzlichem Wege zu beschaffen. Wäre seitens des Oberförsters mit den Hauungen, wie dies füglich geschehen könne, gleich nach erfolgter Entlaubung des Holzes und dem gemäß mit den Verkäufen spätestens im Monat Dezember, statt im Januar vorgegangen worden, so habe die Abfuhr nach Bedürfnis bewerkstelligt werden können. Nun aber seien viele der hiesigen ärmeren Leute, obgleich sie anfangs Januar Ankäufe gemacht hätten, durch den stellenweise der Verkauf im Wald gänzlich unterbrochenen Schnee gewissermaßen zum Stehlen des Holzes aus gelegenen Distrikten gezwungen gewesen und wurden keine verschärften Maßregeln derselben zu verhindern vermerkt haben. Nicht wieder sei dem Holzdiebstahl auch dadurch Vorschub geleistet worden, dass im laufenden Winter von dem zum Einschlag kommenden Schlagholz, welches wegen seines geringen Preises vorzugsweise von solchen Käufern in Aussicht genommen werde, denen es zu schwer falle, den dem harten Holz entsprechenden höheren Preis anzulegen, bis jetzt auch gar nichts zur Abgabe resp. Versteigerung gelangt sei. Mit Rücksicht hierauf und in Erwägung, dass der Holzdiebstahl tatsächlich nachgelassen, dieserhalb auch der Förster Heidfeld die Versicherung abgegeben habe, er fühle sich sehr wohl im Stande, mit Hilfe des Düring nunmehr den Forstschutz zur Genüge wahrzunehmen, beauftragte die Versammlung den Vorsitzenden (Amtmann Ley) bei dem Herrn Landrat den Antrag zu stellen, dass von der durch den Herrn Oberförster Harbert vorgeschlagenen Anordnung eines verstärkten Waldschutzes Abstand genommen werde. Die zu 14 bis 15 Silbergroschen täglich veranschlagte Renumeration (Bezahlung) für den zu requirierenden (bezahlenden) Forstjäger hält die Versammlung als angemessen.“
Am 31. Dezember 1867, TOP 1214: „Wurde zum Vortrag gebracht, dass sowohl zur Steigerung der Gemeinde-Einkünfte für das nächste Jahr und der sich dadurch ermöglichenden Herabsetzung des Communal-Steuer-Defizits als auch um, wenn auch nur einem Teil, der meistens aus gewöhnlichen Handarbeitern bestehenden hiesigen Bevölkerung für einige Zeit Arbeit und Verdienst zuwenden zu können, wünschenswert erscheinen, wenn außerdem im Hauungs-Plan pro (für das) Wirtschaftsjahr 1867/68 vorgesehenen Einschlags-Quantum noch eine angetroffene Partie Brennholz zum Einschlagen und Verkauf gestellt würde. Die Arbeits- und Verdienstlosigkeit unter der zahlreich vertretenen ärmeren Klasse sei so groß, dass sich bei der herrschenden Teuerung fast sämtlicher Lebensbedürfnisse das Schlimmste befürchten lasse und, wenn das Einschlagen einiger hundert Klafter Holz auch keine wesentliche Erleichterung gewähre, so biete diese Arbeit doch schon manchen der hiesigen Holzhauer wegen der dem Vernehmen nach im laufenden Winter in den fiskalischen (staatlichen) Forsten fast gänzlich ausfallenden Hauungen Gelegenheit zu einigem Erwerb während der jetzigen strengsten Winterzeit, bei welcher keine weiten Märsche, wie sich solche die Leute sonst wohl gefallen lassen, gemacht werden könnten. In Rücksicht hierauf wurde einhellig beschlossen, höheren Orts den Antrag zu stellen, dass der hiesigen Gemeinde das Einschlagen von etwa 300 Klaftern Schlagholz als Extraordinarium (außerhalb der üblichen Ordnung) gestattet werde, welches Quantum nach dem Ermessen der Versammlung nicht allein unzweifelhaft zu durchaus entsprechenden Preisen sich verwerten lasse, sondern tatsächlich noch zur Bestreitung des vorliegenden Bedürfnisses und somit zur Verhütung überhandnehmender Forstfrevel erforderlich sei. In Erwägung, dass nach Vollendung des nahe bevorstehenden Eisenbahn-Baus der Kohlen-Brand in hiesiger Gegend allgemein mehr Eingang finden werde und dadurch sich für das Brennholz ein dem Waldbesitzer nachteiliges Sinken der Preise erwarten lasse, sowie in fernerer Erwägung, dass der hiesige Communal-Wald offenbar eine das seit Jahren übliche Maß bei weitem übersteigende Masse Brennholz unbeschadet des wirtschaftlichen Zustandes abzugeben vermöge, glaubte die Versammlung der Willfährigkeit seitens der Communal-Forst- resp. Aufsichtsbehörde versichert sein zu dürfen und bat dieselbe schließlich noch um möglichste Beschleunigung der Resolution.“
Zusammenleben unter Nachbarn
Am 12. Februar 1867 wenden sich mit einem Brief an den Bürgermeister Ley diese Freienohler: Heinrich Klute, Johann Korte, Franz Wilhelm Hahse: „Wir Unterzeichnete halten uns als Nachbarn und als Christen verpflichtet, Nachstehendes hierdurch anzeichnen zu müssen.“ Ihre Bitte, ihr Antrag betrifft Heinrich Molitor.
Vor dem Antrag einige Daten für 1867:
Schuster Heinrich Molitor, Alte Haus-Nr. 16 a, verheiratet mit Friederica geb. Geihsler, LA etwa er: 47, sie 45. Mit im Haus wohnt die Mutter von Heinrich Molitor: Elisabeth geb. Hirnstein, 83 Jahre alt.
Schneider Heinrich Klute, Alte Haus-Nr. 112, LA etwa 40.
Holzhauer Johann Korte, Alte Haus-Nr. 111, LA etwa 46.
Schuster, Fuhrmann, Musikus Franz Wilhelm Hahse, LA etwa 52.
Der Antrag ist ziemlich wörtlich übernommen: „Heinrich Molitor ist Vater von 5 Kindern; von ihnen sind 3 schulpflichtig (also zwischen 6 und 14 Jahren); 1 Kind ist noch schulpflichtig; 1 Kind hat die Schuljahre gerade zurückgelegt (Namen und Daten sind nicht aktenkundig),jetzt (12. Februar 1867) ist die Ehefrau in gesegneten Umständen (schwanger) und mit mehreren bedeutenden Wunden am Fuß belastet, in der Art, dass dieselbe einer besonderen Pflege bedarf, da nun (nämlich) dieselbe bei ihrem Hausbrand nackend und barfüßig mit unter jedem Arm eines ihrer Kinder das brennende Haus verließ, so ist leicht begreiflich bei dieser Winterzeit, in welch einem kläglichen und erbärmlichen Zustand die arme Frau sich befindet. - Der zweite Ruin des Heinrich Molitor ist dessen Mutter, schon hoch in den achtziger Jahren (LA 83) und schon seit Jahrzehnten einen Krätze-Schaden am Mund und nun seit den jüngsten zwei Jahren das Bett nicht mehr hat verlassen können, der Geschwulst an ihrem Mund ist mitunter 6 – 8 Zoll (etwa 10–12 cm) Durchmesser, eitert und blutet stets; kurz gesagt, eine schauderhafte Krankheit inklusive des Geruchs; außer diesem tritt noch hinzu, dass die kranke Frau von des Morgens bis des Abends an einem Essen und Trinken bleiben kann, ohne noch einmal satt zu werden, und nimmt, ohne für die Sache zu übertreiben, mindestens so viel Speisen täglich zu sich, womit sich zwei starke, gesunde Arbeits-Männer mit begnügten. - Unter vorstehenden (diesen genannten) Umständen reicht Molitor sein unveränderter Fleiß und seine Arbeitsamkeit nicht hin; derselbe war also gezwungen,...Schulden zu häufen, um den notdürftigsten Unterhalt für seine Familie zu erzielen. Endlich sind die Prüfungen dieses Mannes durch das bis in den Grund abgebrannte Haus derart gestiegen, dass es nicht geringe Mühen bedurfte, denselben seinen von Gott zugedachten Leiden wieder unter Dach zu bringen. - Wir hoffen daher auf die Güte und rechtliche (rechtmäßige) Verwaltung des Gemeinde-Vermögens durch unseren Herrn Bürgermeister und den sämtlichen hiesigen Vorstande, dem Heinrich Molitor aus der Gemeindekasse für seine so schwer leidende Mutter eine kleine Unterstützung bald möglichst zukommen zu lassen. - Schließlich möchten wir noch bemerken, diese sehr dringende Sache (d.h. die Unterstützung) nicht in die Länge zu ziehen.. . Wie gewiss aber ist die wirkliche Armut bei der vorstehenden Familie gestiegen ist, können wir nur unter Verschwiegenheit andeuten; denn wo unter einer Familie von 8 Personen durchaus nicht das geringste Leinwand vorfindlich ist, so liegen die natürlichen Folgen auf flacher Hand.“ - Der Schluss des Antrags wurde als Einleitung benutzt.
Am 12. März 1867 unterschreibt Amtmann Ley: „Mittels Gemeindebeschluss ist der alten Mutter des Molitor bis auf Widerruf eine wöchentliche Unterstützung von 20 Sg anzuweisen.“
„Die Jüngste war die Allerschönste“ oder
das – wahrscheinlich – jüngste Kind einer Großfamilie hat es am schwersten, dazu noch ein Mädchen! Gemeint ist Clara Cohsmann. Geboren am 31. August 1843 in Freienohl; gestorben am 18. April 1870 in Soest, mit 27 Jahren; 1 Tag nach der Geburt und Taufe ihrer Tochter Maria Cohsmann vom 17. April 1870 in Soest. Die Todes-Ursache ist nicht aktenkundig.
Die Eltern von Clara Cohsmann leben in Freienohl Alte Haus-Nr. 148. Ihr Vater ist Johann Heinrich Cohsmann, geboren am 2. Oktober 1792; gestorben am 13. September 1867; im Sterbe-Register steht noch: Schüsseldreher, Handelsmann, Glashändler, Tagelöhner; seine Eltern sind Gaudenz Cohsmann gnt. Claren aus Glösingen, verheiratet am 17. Januar 1775 mit Anna Margarita Riesen. Die Mutter von Clara Cohsmann und Ehefrau von Johann Cohsmann ist Theresia Besse aus Wallen, Pfarrei Calle; Heirat am 24. November 1827; geboren am 7. Februar 1803, gestorben am 18. Mai 1868; sie ist die Tochter von Joseph Besse und Ehefrau Elisabeth geb. Balkenhol. - Zunächst die Familie Johann Cohsmann in Freienohl aus der Einwohnerliste von 1849 (mit den umgerechneten Lebensalter-Daten!): Johann Cohsmann LA 75, Theresia geb. Besse LA 65; ihre Kinder umgerechnet auf 1870: Sohn Johann LA 42, Sohn Franz LA 42, Sohn Heinrich LA 32, Tochter Dorothea LA 30, Tochter Clara LA 27; ob zwischen 1849 und 1867 noch mehr Kinder lebten, ist nicht untersucht worden, auch nicht deren möglicher Familienstand -
Nun zum gekürzten Akten-Befund (AA 1063): Clara Cohsmann befindet sich bei ihrem Schwager Steinmetz Theodor Zumbrink in Soest (also hat wohl ihre Schwester Dorothea dahin geheiratet). Hier bringt sie ihr außereheliches Kind zur Welt, hier wird Maria getauft, hier stirbt tags darauf seine Mutter Clara. Die Familie ihres Schwagers Theodor Zumbrink übernimmt die Vormundschaft, Pflege und Erziehung des Kindes Maria Cohsmann. „Der Schwängerer kann nicht mehr ermittelt werden.“ Die Eltern von Clara Cohsmann waren auch schon gestorben. Die Eheleute Zumbrink haben „eine Liste der Nachlass-Gegenstände mit ungefährem Wert derselben aufgestellt (der Geldwert ist hier ausgelassen): 1 schwarzes Kleid, 1 lila Kleid, 1 wollenes Kleid, 1 Tuch-Mantel, 1 weißer Unterrock, 1 wollener Unterrock, 1 buntwollenes Kleid, 1 gewöhnliches Kleid, 1 Sommer-Mantel, 1 Paar lederne Schuhe, 1 seidenes Tüchelchen, 1 seidenes Hütchen, 1 weiß geblümtes Kleid, 1 Kattun-Schürze, 1 wollenes Umschlag-Tuch, 1 Paar Stoffschuhe.“ Wo sich die „Nachlass-Gegenstände“ befanden, ob in Freienohl oder in Soest, ist nicht aktenkundig. Wenn in Soest, dann könnte das bedeuten, dass die schwangere Clara vielleicht länger bleiben wollte... - „Am 11. Oktober 1878 übernimmt der Steinhauer Johann Behrens in Soest die Vormundschaft für das Kind Maria Cohsmann“, - das ist jetzt 8 Jahre alt. - Der Armen-Vorstand Freienohl kümmert sich mit der Armen-Kasse um das Kind. Wie lange, das ist nicht aktenkundig. Auch konnte nicht festgestellt werden, ob diese Maria Cohsmann Freienohl kennen gelernt hat, hierher umgezogen ist.
Hier sei wiederholt und eine neue Ordnung
Eine vollständige Berichterstattung über die Arbeit des Freienohler Armen-Vorstands, über die Leistungen der Freienohler Armen-Kasse und über die sehr unterschiedlichen Hintergrund-Nöte in Freienohl ist nicht leistbar, nicht sinnvoll. Deutlich werden soll vor allem das Zusammenleben Freienohler. Also eine Art Einschub sehr gestrafft zusammengefasstes Aktenmaterial, das freilich leicht einfühlsam gelesen werden kann: Und: wer mit Empathie liest, rümpft bei keinem „Fall“ seine Nase. (AA 1063)
Protokoll der Gemeinde-Versammlung vom 28. Juni 1871: TOP 1289: „Nachdem die Versammlung durch den Vorsitzenden von dem Bundesgesetz über den Unterstützungs-Wohnsitz vom 6. Juli 1870 und dem Preußischen Ausführungs-Gesetz vom 8. März 1871 nebst der zu dem letzteren ergangenen Instruktion des Ministers des Innern vom 19. April 1871 Kenntnis gegeben war, erklärte dieselbe einstimmig vom 1. Juli d.J. ab, die Fürsorge für die Armen der Gemeinde Freienohl selbst übernehmen zu wollen, sodass also hier von dem gedachten Tage ab die Verwaltung der örtlichen Armen-Pflege auf die Gemeinde-Vertretung übergeht wie eine im Sinn des § 3 des Ausführungs-Gesetzes vom 8. März d.J. dem Gemeinde-Vorstand untergeordnete Deputation nicht gebildet werden soll. Wir sind ferner damit einverstanden, dass die von dem Armen-Vorstand bis auf Widerruf bewilligten Unterstützungen resp. übernommenen contractlichen Verpflichtungen aus der früheren Armen-Kasse bis zum 1. Januar k.J. (kommenden Jahres) gezahlt werden, die Zahlung der Mieten aber bereits Martini d.J.“ (St. Martins-Tag: 11. November) aufhört. (AA 402)
Gemeinde-Versammlung Protokoll am 12. August 1871, TOP 1296: TOP 1296: „An Armen-Unterstützung, resp. Armen-Miete wurden vom 11. November d.J. resp. vom 1. Januar k.J. folgende Beträge bewilligt, nämlich: 1. dem Franz Leineweber an Miete für seine Schwester 4 RT; 2. der Witwe Düring für die Witwe Bohne 4 RT; 3. dem Fritz Schwefer für die Franziska Hirnstein 4 RT; 4. dem Heinrich Miehse für Georg Flinkerbusch 4 RT(siehe TOP 1277); 5. der Witwe Bohne an Unterstützung 8 RT; 6. der Franziska Hirnstein zur Unterstützung 12 RT; 7. der Elisabeth Leineweber 8 RT (vielleicht: s.o. 1.); 8. dem Franz Korte Verpflegungskosten für Dina Flinkerbusch 50 RT; 9. dem Bernhard Tönne für Antonette Wrede 24 RT; 10. der Waisen-Erziehungsanstalt zu Olpe (Stadt) für das Kind der Dina Flinkerbusch 36 RT; und zwar ad 1 bis 4 für die Zeit von Martini d.J. bis dahin 1872 und ad 5 – 10 vom 1. Januar k.J. ab bis auf Widerruf.“ (AA 402)
Freienohl zahlt nach Neheim für einen Kranken, der mehrere Jahre in Freienohl gelebt hat
Gemeinde-Protokoll am 27. September 1871, TOP 1300: „Wurde das Schreiben des Bürgermeisters Duislage zu Neheim vom 6. v.M. betreffend Übernahme der durch die Erkrankung des Wilhelm Schmale von hier erwachsenden Verpflegungs- und Arznei-Kosten vorgelegt und beschlossen, die bezeichneten Kosten aus hiesiger Gemeindekasse erstatten zu lassen, da der Schmale infolge mehrjährigen ununterbrochenen Aufenthalts in hiesiger Gemeinde Unterstützungs-Wohnsitz erworben habe.“ (AA 402)
Schul-Geld, Schul-Steuer nicht möglich
Am 3. Juni 1871 hat der Freienohler Amtmann Ley beim Landrat Freiherrn von Lilien in Arnsberg für den Freienohler Tagelöhner Ferdinand Mester um Ausstand (Nachlass) der Schulsteuer gebeten. Die Bitte wird genehmigt. (AA 1126)
Lehrer Lutter informiert am 18. Mai 1872 den Amtmann Ley: „Der Schulknabe Johannes Kohsmann, Sohn des Johannes Kohsmann in der Lake hierselbst, hat seit dem 19. Oktober 1870 die hiesige Schule wegen schwerer Krankheit nicht besuchen können, was hiermit bescheinigt wird.“ Am 27. Mai 1872 antwortet der Amtmann: „Die Schul-Kasse Freienohl ist nunmehr behufs Niederschlagung des Schulgeldes auf 20 Sgr (Silbergroschen) mit Ordre zu versehen.“ Das heißt, der Vater braucht das Schulgeld nicht zu bezahlen; alle im Dorf wussten wohl von der langen Krankheit – und den damit verbundenen Kosten. (AA 1126) In der Lake: die Flur vom Schützenplatz der 3. Kompanie bis hinauf zur Einfahrt Konrad-Adenauer-Straße.
Taubstummes Kind, noch zu jung für die Taubstummen-Anstalt
Aufgrund der Anfrage des Landrats von Lilien in Arnsberg vom 19. Oktober 1874 antwortet der Freienohler Amtmann Ley am 6. November 1874, dass sich zur Zeit keine Freienohler Kinder in der - in Frage kommenden – Taubstummen-Anstalt in Büren befinden. In seinem Verzeichnis stehen 2 Kinder; das an zweiter Stelle genannte Kind Anton Köster, 9 Jahre alt, lebt in Glösingen, soll erst mit 12 Jahren in die Anstalt kommen (und gehört nicht zur Gemeinde Freienohl). Das zuerst genannte Kind ist Franz Hirnstein, 4 Jahre alt, Vater ist der Strohdecker Kaspar Hirnstein (Dächer mit Stroh decken können heutzutage nur speziell ausgebildete Dachdecker).
Ein Informations-Einschub über die Taubstummen-Anstalt ist hier sinnvoll. Auch eine solche Einrichtung ist Not wendend für das Zusammenleben in der Familie, im Ort mit seinen anderen Einrichtungen, Gewichtig ist die Akte AA 1094.
Auszüge aus den „Aufnahme-Bedingungen für die Taubstummen-Anstalten der Provinz Westfalen“, veröffentlicht vom 22. Westfälischen Provinzial-Landtag in Münster am 28. Oktober 1875. „§ 1. Die Taubstummen-Anstalten – zur Zeit die Anstalten zu Büren, Langenhorst, Soest und Petershagen – haben den Zweck, die bildungsfähigen taubstummen Kinder der Provinz Westfalen zu erziehen und zu unterrichten. Die beiden ersteren sind für die Taubstummen der katholischen, die beiden letzteren für die der evangelischen Konfession bestimmt. Jüdische Taubstumme werden einer solchen Anstalt überwiesen, deren Örtlichkeit die Unterbringung bei jüdischen Pflegeeltern gestattet, dabei aber die Wünsche der Eltern möglichst berücksichtigt... § 3. In der Regel werden nur Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren aufgenommen. … § 5. Sämtliche Zöglinge (das Wort ist nicht negativ zu gewichten) stehen während ihres Aufenthalts in der Anstalt unter der unmittelbaren Aufsicht des Hauptlehrers, welchem die Handhabung seiner taubstummen Kindern angemessenen Disziplin, die Ermittlung eines entsprechenden Unterkommens, sowie die Sorge für ihre körperliche Pflege und Wartung übertragen ist... § 12. Die Dauer des zur vollständigen Ausbildung eines taubstummen Kindes erforderlichen Aufenthalts in der Anstalt richtet sich vorzüglich (vor allem) nach den Fähigkeiten, dem Fleiß und der künftigen Bestimmung desselben; bei mäßigen Anlagen und angemessenem Fleiß kann ein Aufenthalt von 6 bis 8 Jahren als hinreichend angenommen werden...
Vom 10. September 1838 vom Landrat von Lilien in Arnsberg liegt ein Fragebogen mit 29 Fragen vor, den die Eltern des taubstummen Kindes mit Hilfe eines Mitglieds des Armen-Vorstands auszufüllen haben. Hier ein Auszug: „1. Ist das Kind taub geboren oder ist die Taubheit erst nach seiner Geburt entstanden?. 2. Wenn das Kind taub geboren ist: welche auffallende Umstände sind die Begleitung oder in Folge seiner Geburt vorgefallen? War die Geburt eine regelmäßige oder nicht? Wurden dabei Instrumente angelegt? War die Geburt zu frühzeitig? Hat früher oder später eine solche stattgefunden? Hat die Mutter vor oder nach dem tauben Kind mit oder ohne Gebrechen behaftete oder tote Kinder geboren? Unter welchen auffallenden Umständen? Welche auffallenden Umstände begleiteten die Schwangerschaft mit dem Tauben Kind? Welcher Krankheit war die Mutter während derselben unterworfen? Hatte sie einen besonderen Widerwillen vor einem ihr etwa öfter begegnenden Taubstummen? Hatte die Mutter während ihrer Schwangerschaft etwa andere heftige Aversionen oder besondere Gelüste? Ist die Mutter überhaupt sehr reizbar oder nur während der Schwangerschaft? ...“ Die weiteren 27 Fragen werden hier ausgelassen. Schon dieser Hintergrund macht deutlich ein intensives Bemühen um ein gutes zukunftsoffenes Zusammenleben.
Aus dem Sterberegister: Der taubstumme vierjährige Franz Hirnstein, geb. am 20. August 1870 ist gestorben am 22. Januar 1877, seine Eltern: Kaspar Hirnstein und Franziska geb. Burg aus Callenhardt, Heirat am 30. November 1867.
Für´s Überleben müssen zwei Waisen-Geschwister getrennt werden
Am 29. Januar 1875 bittet die „kränkelnde“ (so die Akte) Witwe Joseph Mester um Geld für ihre Kinder. Der Armen-Vorstand kennt die Situation und gibt das Geld. Der Tagelöhner Joseph Mester, geb. 20. Juli 1826, gest. am 5. November 1873 war verheiratet am 8. Februar 1854 mit der Hutmacherin, Putzmacherin (vielleicht waren viele Freienohler nicht wohlhabend genug, damit dieser achtbare Beruf hier im Dorf existieren konnte) Maria Susanna Gerlach aus Bödefeld, geb. 31. Januar 1830, gest. 20. August 1875. Die wenn auch „kränkelnde“ Mutter stirbt knapp zwei Jahre nach dem Tod des Vaters. Wie das Leben der Kinder weiter geht, ist nicht bekannt. Gut ein Jahr später, am 15. Dezember 1876, steht im Armen-Vorstands-Protokoll und im Protokoll der Gemeinde-Versammlung, TOP 9: „Die beiden Waisenknaben Joseph und Kaspar Mester werden in Pflege gegeben bis zur Beendigung der Schulzeit (14-, 15-jährig). Kaspar Mester kommt unter bei Johann Kückenhoff (Alte Haus-Nr. 59) und Joseph Mester bei Caspar Flinkerbusch gnt. Schwert“ (Alte Haus-Nr. 65). Beworben hatten sich auch: Frau Anton Stirnberg, der Häusler Joseph Figge, Ehefrau Johann Humpert, Ehefrau Franz Stirnberg. - Am 20. März 1878 erhalten Kückenhoff und Flinkerbusch Geld aus der Armen-Kasse auf ihren Antrag hin „Geld für ganz neue – größere – Bekleidung für die Knaben“. - Am 7. Januar 1880 „übergibt Caspar Flinkerbusch einvernehmlich mit dem Amt den Knaben Joseph Mester dem Zimmermeister Joseph Trompetter“. Wohl in die Lehre.
Mehr ist nicht aktenkundig. (AA 1063)
Fünfzehnjährige muss allein weiterleben
Am 2. Mai 1875 steht kurz und knapp, doch auch irritierend und eigenartig im Protokoll des Armen-Vorstands, für die 15-Jährige „die Verpflegungskosten ausfallen zu lassen, da die Antonette Wrede nunmehr aus der Schule entlassen sei und für sich selbst sorgen könne“.
Zusammengefasst steht zwischen 1860 – 1875 in den Akten (AA 1063) dieses: „Verhandlungen betr. der Unterhaltung (des Unterhalts) der im Jahr 1860 geborenen Waise Antonette Wrede, Tochter des verstorbenen Ferdinand Wrede. Antonette lebt seit 1865 bei Caspar Schleifstein in Niederberge zur Pflege. Caspar Schleifstein beantragt wiederholt für die Freienohlerin Antonette mehr Pflegegeld. Das wird abgelehnt; Niederberge gehört nicht zu Freienohl. - Die „Pflegestelle wird neu ausgeschrieben“. Aus Freienohl gibt es 20 verschiedene Angebote.. Bernward Tönne erhält die Zusage. - Am 4.Mai 1874 lebt das Kind bei Gottfried Becker gnt. Kaiser. - Wie das Leben von Antonette Wrede nach dem 2. Mai 1875 weiter verlief, ist unbekannt im Freienohler Trauungs-Register (bis 1899) und Sterbe-Register (bis 1908).
Aus den Jahren vorher ist dieses aktenkundig: Alte Haus-Nr. 22: Der Tagelöhner und Maurer Ferdinand Wrede gnt. Kückenhoff aus Bockum, Pfarrei Calle, war verheiratet 1. mit Florentine geb. Pöttgen am 21. November 1843 und 2. mit Adolphine geb. Schröer (kein Datum im Freienohler Trauungs-Register), geb. 16. August 1822, gest. 26. März 1864. In der Einwohner-Liste von 1849: (mit den LA-Daten von 1849!) Ferdinand W. LA 37; Florentine geb. Pöttgen, LA 27; Sohn Anton LA 7; Sohn Heinrich LA 4; Sohn Franz, LA 1; aus dem Sterberegister ist noch bekannt: Sohn Adam, geb. 28. Februar 1858, gest. 30. März 1859; Tochter Antonette geb. 1860 steht – selbstverständlich – auch nicht in dieser Einwohner-Liste.
Freienohler spenden für die Armen
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 23. August 1875, TOP 1372 a: Wurde das von dem verstorbenen Heinrich Lenze den Armen der hiesigen Gemeinde zugewendete Geschenk von 60 Mark dankbar akzeptiert und beschlossen, „dasselbe wertbar anzulegen und die Zinsen desselben zur Unterstützung der Armen zu verwenden.“ Aus dem Sterberegister: Johann Heinrich Lenze, geb. 29.11.1820, gest. 12.5.1875, mit 55 Jahren, ledig. (AA 402)
Am 15. Dezember 1876, TOP 1: „Von der seitens des verstorbenen Kaspar Neise der hiesigen Gemeinde für Armen-Zwecke testamentsmäßig zugewendeten Schenkung zum Betrag von 150 Mark hat die Versammlung dankend Kenntnis genommen.“ - Aus dem Sterberegister: Johann Caspar Neise, getauft (!) 1.12.1803, Witwer der Carolin Böhmer, Sohn des Caspar Neise und Margarethe Spindeldreher, gest. 25.3.1876; Trauungsregister: Heirat am 2.6.1842 Caspar Neise mit Caroline Böhmer aus Eslohe, Trauzeugen Ehepaar Adolph Feldmann. Sterberegister: am 17.6.1843 stirbt, notgetauft von der Hebamme, das Kind Caroline der Eltern: Schmied Johann Caspar Neise und Ehefrau Caroline; am 9.7.1843 stirbt auch die Ehefrau Caroline geb. Böhmer. - Johann Caspar Neise hatte nicht wieder geheiratet.
Die Gemeinde hilft
Gemeinde-Versammlung am 7. Juli 1877,TOP 5: „Nachfolgende Rechnungen werden auf hiesige Gemeindekasse zur Zahlung übernommen: a) diejenige des Schneiders Franz Korte über extraordinaire (besondere) Verpflegung der erkrankten Elisabeth Leineweber zum Betrag von 15 Mark; b) des Lorenz Düring über geleistete Fuhre nach Neheim behufs Überbringung der erkrankten Elisabeth Leineweber ins Krankenhaus zu dem ermäßigten Betrag für 9 Mark; c) der Ehefrau Georg Flinkerbusch über geleistete Aushilfe bei der Bewachung (!) und Pflege derselben Kranken einschließlich der Vergütung für ihre Begleitung nach Neheim mit überhaupt 6 Mark. Ferner wurde beschlossen, dem Vorsitzenden die zufolge vorgelegter Quittungen an Franz Korte und Frau Flinkerbusch geleistete Vorschüsse mit zusammen 4 Mark zu erstatten und den durch Unterbringung der Elisabeth Leineweber ins Krankenhaus zu Neheim erwachsenden Verpflegungskosten zum Betrag von 1 Mark pro Tag vom Tag ihrer ...(1 Wort nicht korrekt lesbar) (15.v.M.) ab fortlaufend auf hiesige Gemeindekasse zu übernehmen.“ - Weitere Einzelheiten sind nicht aktenkundig. - Sterbeliste: gest. 21.11.1879 Elisabeth geb. Toenne, Ehefrau des Georg Flinkerbusch, LA 40 J. - Eigenartig: im Sterberegister bis 1902 findet sich kein Eintrag: Leineweber; auch nicht in der Volkszählung von 1871 und 1880.
TOP 6: „In Erwägung, dass seitens der hiesigen Gemeinde für die Verpflegung der geisteskranken Witwe Franz Schwarzfärber die namhafte Summe von über 400 Taler verauslagt (!) worden ist, wurde beschlossen, durch Vermittlung der hiesigen Amtsverwaltung der Verkauf des der Schwarzfärber zugehörigen Grundstücks am Markt (Kaiserwiese) zu beantragen und dessen Erlös als teilweisen Ersatz zu verwenden.“
Mit Empathie die Daten wahrnehmen
Gemeindeversammlung am 26. April 1878,TOP 3: „Der Versammlung wurde von dem Antrag des Caspar Weber um Unterbringung seiner Schwester, der Witwe Spindeldreher in einer Irrenanstalt sowie um Verpflegung und Unterbringung derer Kinder vorgelegt und war dieselbe einstimmig der Ansicht, dass der Zustand der Spindeldreher die Aufnahme derselben in eine Irrenanstalt erforderlich mache und baten den Vorsitzenden, das hierzu Erforderliche des ...(?) veranlassen zu wollen. Die Kinder, von denen noch drei kleine vorhanden sind, sollen demnächst auf geeignete Weise in der Gemeinde untergebracht werden und wurde hierbei der Wunsch ausgesprochen, zunächst mit dem Caspar Weber Rücksprache zu nehmen, ob dieser die Kinder etwa gegen eine angemessene Entschädigung bei sich behalten kann.“ -Sterberegister: gest. 18.4.181878 Josef Spindeldreher aus Wildshausen, geb. 20.4.1827, Witwer der Clara Schwefer (= 1. Ehe); Heiratsregister: (1.) am 3.6.1851 Josef Spindeldreher aus Wildshausen mit Adolphine-Clara Schwefer; (2.) am 4.9.1875 Josef Spindeldreher aus Wildshausen, Wwr von Clara Schwefer mit Maria-Christina Weber; Sterberegister: (1.) gest. 27.3.1865 Adolphine Clara Schwefer, geb. 11.12.1828 (LA 37), Ehefrau des Beiliegers (Mieter) und Schüsseldrehers Josef Spindeldreher, Tochter des Ferdinand Schwefer und Ehefrau Margaretha Hallmann, gnt. Wächter; ihre Kinder (aktenkundig nur erste Buchstaben): Joh. geb. 3.9.1851, gest. 4.8.1861; F. geb. 13.5.1853; Jos. geb. 15.9.1855, gest. 11.6.1857; Fr. geb. 15.2.1858; Elisabeth geb. 17.8.1860, gest. 19.3.1871; Ant. geb. 18.2.1863.
TOP 5: „Die Kosten für die Beerdigung des Joseph Spindeldreher werden von der Gemeindekasse übernommen.“
Gemeinde-Versammlung am 26. Mai 1878, TOP 6: „Wurde die Versammlung nochmals über den Zustand der Witwe Spindeldreher befragt und erklärte dieselbe darauf, dass sie die Aufnahme derselben in die Irrenanstalt doch für sehr wünschenswert hält. Der Vorsitzende teilte sodann mit, dass die Aufnahme deshalb bisher unterblieben sei, weil die Witwe Spindeldreher im …(nicht zu entziffern) nicht fortzubewegen war, der Zustand derselben sich aber damals sich auch gebessert haben sollte. Die Aufnahme sollte jedoch nun in nächster Zeit erfolgen. - Sodann wurden die eingegangenen Meldungen wegen Übernahme der Spindeldreher´schen Kinder durchgenommen und beschloss die Versammlung, den ältesten Knaben bei dem Caspar Weber gegen eine Entschädigung von 50 Pf täglich für Pflege und Kleidung und Schuhwerk, den zweitältesten bei dem Franz Kerstholt gegen jährlich 90 Mark Entschädigung für Pflege und Kleidung, und den jüngsten Knaben bei der Ehefrau Peetz gegen eine Entschädigung von 55 Pf für Pflege, Kleidung unterzubringen.“ - Siehe oben: 26. April 1878, TOP 3. Ehefrau Peetz: möglich: Heirat 27.1.1853 Heinrich Peetz mit Gertrud Becker gnt. Kaiser; alte Haus-Nr. 55 (1871), Parzelle 829, Krumme Straße 2.
Gemeinde-Versammlung am 18. Juli 1878, TOP 4: „Bezüglich der geisteskranken Witwe Spindeldreher wurde sodann vom dem Vorsitzenden die Mitteilung gemacht, dass es wegen Überfüllung der Irrenanstalt zu Marsberg noch nicht möglich gewesen sei, dieselbe dortselbst unterzubringen. Bis zur Überführung nach Marsberg ermächtigte die Versammlung den Vorsitzenden, das Nötige an Lebensmitteln und Bekleidung der Spindeldreher auf Rechnung der Gemeinde verabfolgen zu lassen.“
Am 21. Juni 1879, TOP 1: „Der Witwe Spindeldreher wurde, nachdem dieselbe aus der Provinzial-Irrenanstalt zu Marsberg als geheilt entlassen worden, auf ihr Gesuch bis auf weiteres eine monatliche Unterstützung von 25 Mark bewilligt. Hiermit soll dieselbe aber auch gehalten sein, ihre drei jüngsten Kinder zu unterhalten und ist desfalls die mittelst Beschlusses vom 25. Mai v.J. bewilligten Verpflegungsgelder für Übernahme dieser Kinder an die betreffenden Personen nicht mehr zu zahlen.“
Am 7. Juli 1879, TOP 1: „Der Vorsitzende brachte zum Vortrag, dass die Witwe Spindeldreher infolge eines Schreibens des Franz Toenne dahier in dessen Haus nicht mehr geduldet werde und dass deshalb die anderweite Unterbringung derselben auf Gemeindekosten erforderlich sei. Die Versammlung erkannte solches an und ersuchte den Vorsitzenden, womöglich mit dem Ackersmann Flinkerbusch dahier ein Abkommen dahin zu treffen, dass dieselbe Witwe Spindeldreher daher in seinem alten Wohnhaus gegen eine billige (positiv gewichten: korrekte) aus der Gemeindekasse zu zahlende Entschädigung aufnehme.“ - Weitere Inhalte sind nicht aktenkundig.
Am 3. Oktober 1879, TOP 5: „Schließlich wurde das Gesuch der Witwe Spindeldreher vom 16. v.M. um Übernahme der Kosten für den von ihr eigenmächtig beschafften Ofen zum Betrag von 25 Mark 70 Pfennige vorgelegt; desgleichen der Betrag der Spindeldreher um Beschaffung von 2 Bettstellen und dem für sie und ihre 3 Kinder notwendigen Bettzeug. Bezüglich des Ofens trat die Versammlung der Ansicht des Vorsitzenden bei, wie (dass) es von der Spindeldreher durchaus ungehörig gewesen, auf Rechnung der Gemeinde, ohne vorher dazu ermächtigt worden zu sein, den Ofen beschafft zu haben. Sodann erklärte die Versammlung, wie (dass) sie eine Verpflichtung zur Zahlung dieses Betrages demnach nicht anerkennen könne. Sie sei gern bereit, derselben einen Ofen zu beschaffen, aber es erscheine doch der Betrag von 25 Mark 70 Pfennig zu hoch. Es wurde demnächst (danach) der Gemeinde-Verordnete Zimmerermeister Korte beauftragt, sich an Ort und Stelle über die Zweckmäßigkeit und Preiswürdigkeit des fraglichen Ofens zu informieren und auch über die Notwendigkeit der Bettstellen pp. (usw.) Erkundigungen einzuziehen.“ - Ob diese Frau und Witwe der Gemeinde-Versammlung zu selbstständig erschien?
Not wendend: erste und dann zweite Heirat
Am 3. Juli 1879 teilt Vermieter Caspar Flinkerbusch gnt. Schwert dem Armen-Vorstand mit: „Es gibt Wohn-Probleme und Lebens-Probleme für die Witwe des Schüsseldrehers Joseph Spindeldreher und ihren 3 kleinen Kindern nach ihrer (der Witwe) Entlassung aus dem Irrenhaus.“ - Joseph Spindeldreher aus Wildshausen: geb. 20. April 1827, gest. 18. April 1878; 1. Heirat mit Adolphine Clara Schwefer am 3. Juni 1851; geb. 11. Dezember 1828, gest. 27. März 1865; sie ist eine Tochter des Ferdinand Schwefer und der Ehefrau Margaretha Hallmann (?) gnt. Wächter. Im Sterberegister sind von Adolphine Clara ihre Kinder angegeben (dabei sind deren Vornamen leider nicht ausgeschrieben): Joh. geb. 3.9.1851, gest. 4.8.1861; F. geb. 13.5.1853; Jos. geb.15.9.1855, gest. 11.6.1857; Fr. geb. 15.2.1858; El. geb. 17.8.1860, gest. 19.3. (?); Ant. geb. 18.2.1863. - 2. Heirat mit Maria Christina Weber am 4. September 1875. Mit den „3 kleinen Kindern“ können nicht die von Adolphine Clara gemeint sein, die sind 26,21,16 Jahre alt. - Mehr ist nicht aktenkundig, leider.
Herbergsverbot
Etwas Ungewohntes für den Armen-Vorstand vom April 1879: „Die Herberge werden von der hiesigen Polizei-Behörde verboten dem Herbergsgast Franz Zothe aus Breslau, den zwei männlichen Jugendlichen Albert Stolzenberg aus Memel, 16 Jahre, und Schreiner Carl Benke aus Glatz, 18 Jahre.“ Gründe usw. sind nicht aktenkundig. (AA 1063)
Vater beim Militär, Mutter kein Geld
Am 16. Mai 1879 bitte die Ehefrau des Tagelöhners Joseph Nolte die Armen-Kasse um „Geld-Unterstützung für sich und ihre beiden Kinder. Sie habe keine Barmittel. Ein Kind sei krank, habe Scharlach. Ihr Mann sei zum Militär eingezogen.“ Der Antrag geht zum Landrat nach Arnsberg. Der teilt ihr noch am selben Tag mit, „ihr Mann komme morgen wieder zurück“. Für ihr krankes Kind erhält sie 3 Mark Unterstützung. (AA 1063)
Am 8. und 11. November 1876 informiert die Ehefrau Venhaus den Armen-Vorstand: Wegen völliger Mittellosigkeit muss sie ihre beiden schulpflichtigen Knaben in Pflege geben. - Vielleicht – wohl – nicht ihre anderen Kinder oder ihr anderes Kind.
Armen-Arzt, auch zur Revision der Schulen, zur ärztlichen Untersuchung der Schulkinder
Protokollbuch der Gemeinde-Versammlung am 14. Januar 1880, TOP 2: „Demnächst (danach) teilte der Vorsitzende der Versammlung mit, dass Königliche Regierung die Anstellung eines Armen-Arztes verfügt habe und dass sich der Dr. von Schleinitz, mit dem er dieserhalb in Unterhandlung getreten, zur Übernahme des Postens bereit erklärt und gleichzeitig sich verpflichtet habe: (1.) für eine Consultation in seiner Wohnung für eine mit einem Armen-Attest versehene Person nichts zu fordern; (2.) für einen Gelegenheits-Besuch, der längstens innerhalb 5 Tagen nach erfolgter Bestellung gemacht: 1 Mark; (3.) für jeden Exgreßbesuch die niedrigste Taxe (Preis) zu berechnen. Falls ihm die fragliche Stelle hier in den Gemeinden Freienohl, Dinschede, Rumbeck, Uentrop und Breitenbruch übertragen würde, und wolle er auch dann die von der Königl. Regierung vorgeschriebene halbjährliche Revision der Schulen dieser 5 Gemeinden für eine jährliche Renumeration (Bezahlung) von 100 Mark mit übernehmen. Nachdem der Vorsitzende der Versammlung sodann noch mitteilte, dass sich bisher die Kosten für Revision der Schulen oder 5 Gemeinden auf circa 170 Mark belaufen, und dass die Gemeinde dem anzustellenden Armen-Arzt nur dann zu honorieren habe, wenn wirklich Fälle vorkommen, wo notorische Arme der ärztlichen Hilfe bedürftig wären und dass in jedem Fall der Armen-Arzt mit einem vom Amtmann ausgestellten Armen-Attest versehen werden würde, erklärte dieselbe sich vorbehaltlich der Zustimmung der übrigen Gemeinden damit einverstanden, unter den vorstehenden Bedingungen dem Dr. von Schleinitz als Armen-Arzt zu engagieren und bat den Vorsitzenden, ein dieserhalb bindendes Abkommen mit demselben zu treffen.
Unterbringung von Waisenkindern
Für den 17. November 1879 sind zu den Akten des Freienohler Armen-Vorstandes bei seiner „Unterbringung verwaister Kinder“ einige Vor-Informationen sinnvoll.
Hier werden die Lebensabschnitte zweier Geschwisterkinder im Zusammenhang berichtet.
Zunächst die aktenkundigen Familien-Daten:
Maurer Franz Hesse aus Sundern heiratet am13. Juni 1840 (1. Heirat) Maria Elisabeth Cohsmann aus Freienohl mit kirchlicher Erlaubnis in Sundern (in der Akte steht die übliche Abkürzung dafür: dimm.). Maria Elisabeth Hesse geb. Cohsmann stirbt am 14. Juli 1863, LA 52. Franz Hesse heiratet (2. Heirat) am 5. April 1864 Anna-Maria Kaiser (Kayser) gnt. Püttmann aus Oberberge, sie: geb. 16. September 1832, gest. 10. August 1872.
Nur nebenbei: Ein Franz-Ferdinand Hesse aus Niederberge, Pfarrei Calle, heiratet in Freienohl am 29. Januar 1850 Catharina Spindeldreher aus Freienohl.
Erste Heirat: Freienohler Einwohnerliste vom 3. Dezember 1849: Alte-Haus-Nr. 151 a: Franz Hesse, LA 39, verheiratet mit Elisabeth Hesse geb. Cohsmann, LA 39; Sohn Kaspar, LA 8; Louisa Hesse, Nichte zu Franz Hesse, LA 12; Alte-Haus-Nr. 151 b: Georg Cohsmann, Tagelöhner, LA 70.
Zweite Heirat: Franz Hesse verheiratet mit Anna Maria Kaiser: 4 Kinder: Tochter Theresia geb. 3. Mai 1865, gest. 14. Januar 1873; Sohn Johannes geb. 31. März 1867; Tochter Anna Clara geb. 23. September 1869, gest. 23. Januar 1873 (stirbt an der Kinder-Krankheit-Epidemie in Freienohl „mit“ ihrer Schwester Theresia); Sohn Franz geb. 31. Mai 1872, gest. 20. November 1880 (s.u.).
Franz Hesse, Maurer, LA 69, gest. 19. November 1879.
Als Pflegemutter wird im Oktober 1880 eine Frau Jürgens genannt; ohne weitere Daten von ihr.
Zur Tätigkeit des Armen-Vorstands:
Am 17. November 1879 wendet sich der Freienohler Amtmann Keiser an den Vorsteher F. J. Benoit der „Anstalt zur Erziehung verwaister und sittlich verwahrloster Knaben“ in Mülheim an der Möhne, bei Belecke, mit der Bitte um Aufnahme des Kindes Johannes Hesse.
Von diesem Haus, - früher sagte man: Anstalt – gibt es ein Prospekt. Daraus einige Auszüge: „Die Erziehung soll sich in allem durchaus nach katholischen Grundsätzen richten. Es wird in leiblicher wie in geistiger Hinsicht bestens für die Kinder gesorgt werden... Der Oberpräsident von Westfalen (mit dem Sitz in Münster; heute vergleichbar mit einem Landes-Ministerpräsidenten) … hat … die Protektion für die Anstalt übernommen (die „Schutzherrschaft“). Aufgenommen werden nur Kinder vom 4. bis 14. Lebensjahr... Erforderlich zur Aufnahme sind...das Zeugnis des Lehrers von der zuletzt besuchten schule, ferner Tauf- und Impfschein... Der Religionsunterricht wird von einem der Herren Pfarrgeistlichen erteilt. Die Kinder erhalten nur Elementar-Unterricht. Derselbe wird im Haus selbst von einer geprüften Persönlichkeit erteilt. Die Kinder werden an bestimmten Tagen in die Pfarrkirche zur Heiligen Messe und an den Sonntagen ins Hochamt und in die Nachmittags-Andacht vom Vorsteher geführt. Außer den Schul- und Spiel-Stunden werden die Kinder zu Haus- und Gartenarbeit angeleitet. Diejenigen, welche das schulpflichtige Alter überschritten haben, werden auf Verlangen bei guten Meistern und Ackerwirten untergebracht. Während der Lehrzeit können sie im Erziehungshaus wohnen bleiben... Wenn ein Kind krank wird, erhält dasselbe gute Pflege, ärztliche Behandlung und Medizin auf Kosten des Hauses...“
Am 19. November 1879: Der Leiter F. J. Benoit sagt zu: „Der Junge Johannes Hesse kann umgehend geschickt werden.“ Das geschieht mit den Kleidungsstücken usw. und mit den behördlichen Unterlagen.
Am 24. November 1879 schreibt der Freienohler Amtmann Keiser an den Leiter Benoit u.a.: „Der Knabe ist in seiner Erziehung sehr vernachlässigt... Der Vater hat sich hier nicht des besten Rufes erfreut gehabt, er ist vor ein paar Tagen gestorben, die Mutter ist bereits seit mehreren Jahren tot. Der Verlust des Vaters scheint dem Jungen aber nur wenig nahe gegangen zu sein. Er scheint überhaupt die besten Anlagen zu haben, ein schlechter Mensch zu werden. Den Lehrer hat er wiederholt in der frechsten Weise betrogen. Hiernach kann ich also nur recht dringend bitten, dass die Erziehung des Knaben recht angelegen sein zu lassen...“
Am 17. Januar 1880 bittet Amtmann Keiser den Leiter Benoit um Aufnahme des Franz Hesse, Bruder von Johannes Hesse.
Am 21. Januar 1880: F. J. Benoit sagt zu und über Johannes Hesse gibt er „ein gutes Resultat. Der Knabe hat Verstand und ist auch jetzt aufmerksam in der Schule. Überhaupt ist sein Betragen jetzt derart, dass man hoffen darf, aus demselben einen braven Arbeiter und guten Menschen zu erziehen.“
Am 19. Februar 1880 bestätigt F.J. Benoit dem Armen-Vorstand die Ankunft von Franz Hesse am 18. Februar 1880. Bei den Papieren von Franz Hesse steht, dass er am 31. Mai 1872 geimpft worden ist.
Am 12. Juli 1880 schreibt F. J. Benoit an den Armen-Vorstand, „dass der Knabe Franz Hesse (jetzt 8 Jahre alt) bald immer kränkelt. Derselbe hatte schon einen chronischen Husten, als er kam und ist derselbe meinem Urteil nach schwindsüchtig; alle Mittel, die wir angewendet haben, bleiben fruchtlos. Wie ich gehört habe, hat sich derselbe (Franz) dem Wärter gegenüber beklagt, dass er hier keinen Branntwein bekäme, er sei gewöhnt, täglich sein Schnäpschen zu trinken. Ich möchte deshalb wohl behaupten, dass dieses für Kinder sehr schädliche Getränk die Gesundheit dieses Kindes zerrüttet hat. Ich finde es für meine Pflicht, Euer Hochwohlgeboren (Zeit üblicher Schreibstil; heute würde man sagen: Ihnen) in Kenntnis zu setzen. Der Bruder desselben (Johannes) hatte auch etwas am Bein, jetzt ist derselbe jedoch wieder ganz gut.“
Am 24. Oktober 1880 schreibt F. J. Benoit dem Amtmann Keiser in Freienohl: „... in Betreff Franz Hesse nochmal an Sie wende... Da nun in der vorigen Woche der Beigeordnete Kerstholt und die Tante und Pflegemutter des kleinen Hesse hier war, erfuhr ich zu meinem Schrecken, dass das Kind epileptisch sei und auf dem Wege hierher dreimal einen Anfall bekommen habe. Obschon derselbe bis Datum (24.10.1880) nichts davon verspürt hat, so gebietet mir doch die Pflicht, Euer Hochwohlgeboren zu bitten, das Kind sobald als möglich wieder nach Freienohl zurück zu nehmen. Dann hat meinem Dafürhalten der Knabe auch das Heimweh, daher nimmt derselbe von Tag zu Tag mehr ab und vertrocknet gleichsam wie eine abgepflückte Blume. Seit dem Besuch vergönnt er sich gar nicht mehr...noch im Laufe dieser Woche abzuholen... Johannes Hesse wird wahrscheinlich nächsten Ostern mit zur Ersten Hl. Kommunion gehen.“ (Damals gingen die Kinder mit 14 Jahren zur Ersten Hl. Kommunion.)
Am 26. Oktober 1880 antwortet Amtmann Keiser bezüglich der epileptischen Anfalle: „Der Polizeidiener, der das Kind nach Mülheim gebracht hatte, bekundet, die dreimaligen Anfälle seien unwahr und im Ort seien sie auch unbekannt. Die Witwe Jürgens, die in den dürftigsten Verhältnissen lebt, hofft dann, mit dem Kind zusammen (und dem Geld), besser leben zu können.“
Am 20. November 1880 schreibt F. J. Benoit an Amtmann Keiser, „dass heute morgen vor 7 Uhr Franz Hesse nach längerem Leiden an der Abnehmungskrankheit im Herrn entschlafen ist.“ Weil die Beerdigungskosten an die Anstalt überwiesen werden, wird Franz Hesse in Mülheim bestattet worden sein.
Am 10. Februar 1881 aus dem Brief von F. J. Benoit: „Weil Johannes Hesse Ende April mit zur Ersten Hl. Kommunion geht, benötigt er 1 neuen Anzug und 1 Paar Schuhe; die Gemeinde Freienohl wird um die Kostenübernahme gebeten. - Nach Entlassung aus der Schule möchte Johannes gern Bäcker werden und er, Benoit, soll und wird ihm eine Lehrstelle besorgen. Sein Betragen ist sehr fleißig, der Herr Pfarrer ist mit seinem religiösen Wissen sehr zufrieden.“
Gemeinde-Versammlung am 22. Februar 1881, TOP 3: „Der Vorsteher des Erziehungsheims zu Mülheim / Möhne beantragt die Kosten für einen neuen Anzug und ein Paar neue Schuhe für den Johann Hesse zu übernehmen. Dem wurde keine Folge gegeben, dahingegen beschlossen, für den besagten Zweck 20 Mark als Beihilfe zu bewilligen.“
Am 23. Februar 1881 schreibt F. J. Benoit,, dass er „mit dem überwiesenen Geld nicht auskommt, er benötigt mindestens 30 Mark, der Johannes ist außerordentlich groß für 1 neuen Anzug, Rock (= Jacke) Hose, Weste, Hemd, Schuhe, Mütze, Strümpfe, Halsbinde (= Schlips). Er (Benoit) werde sich um eine Lehrstelle kümmern.“ - Nachträglich werden die 10 Mark überwiesen. - Die Besorgung einer Lehrstelle als Bäcker gelingt Benoit nicht.
Gemeinde-Versammlung am 3. März 1881, TOP 2: „Der Vorstand der Erziehungsanstalt in Mülheim / Möhne teilte mit, dass er für die erhaltenen 20 Mark nicht den Anzug und das Paar Schuhe für den Johannes Hesse besorgen könne. 30 Mark seien schon notwendig. Die Versammlung gewährte fernere 10 Mark.“
Gemeinde-Versammlung am 31. März 1881, TOP 3: S.o. 3. März 1881, TOP 2: „Bezüglich des Waisenknaben Johann Hesse beschloss die Versammlung auf Vorschlag des Vorsitzenden (Amtmann von Keiser) denselben einstweilen noch in der Erziehungsanstalt zu Mülheim / Möhne zu belassen, sprach dabei die Hoffnung aus, dass es demnächst recht bald gelingen möge, denselben bei einem tüchtigen Bäckermeister unterzubringen.“
Am 20. September 1881 informiert F. J. Benoit den Armen-Vorstand, dass er am 28. September 1881 seine Anstalt nach Hamm verlegt und er fragt nach, ob er Johannes Hesse mitnehmen oder nach Freienohl zurückschicken soll.
Am 29. September 1881: der Freienohler Armen-Vorstand wünscht die Rückkehr nach Freienohl. Eine Begründung wird nicht angegeben.
Am 1. Oktober 1881 schreibt F. J. Benoit aus Hamm: „Ihr Schreiben erhielt ich erst heute morgen und schicke daher sofort den Knaben Johannes Hesse mit dem 4-Uhr-Zug nach Soest; von dort geht er dann zu Fuß über Drüggelte nach Arnsberg; bei Arnsberg hat er eine Tante, wo er dann übernachtet, und kann erst am 2. (Oktober in Freienohl) eintreffen. Die noch in Mülheim befindlichen Kleidungsstücke werden in ein paar Tagen nachgeschickt.“ Dieser Rückweg zu Fuß ist gewiss nicht negativ, nicht verärgert von Seiten von Benoit zu gewichten.
Weitere Informationen über Johannes Hesse befinden sich nicht in der Akte 1034.
Siehe auch „Protokollbücher der Gemeinde-Versammlung vom 14. Januar 1880, TOP 4.
Hilfe im St. Johannes-Hospital in Niedermarsberg, in der Provinzial-Irren-Anstalt.
Am 6. Juni 1877 beantragt der Schneider Franz Korte für die 80 Jahre alte unverehelichte Elisabeth Schröer gnt. Leineweber, für deren Verpflegung er seit längerer Zeit aus der Gemeinde-Kasse bezahlt werde (die Beträge werden hier ausgelassen, weil ihr Wert inzwischen kaum gerecht einzuschätzen ist), woanders unterzubringen. Sie ist nicht mehr imstande, das Haus zu verlassen. - Wegen ihres kränklichen Zustandes soll sie im Karolinen-Hospital in Hüsten untergebracht werden, beantragt dann der Freienohler Amtmann Keiser am 8. Juni 1877. Das ist geschehen. Doch am 5. Dezember 1877 empfiehlt Hüsten die Aufnahme von Elisabeth Schröer gnt. Leineweber in die Provinzial-Anstalt des St. Johannes-Hospitals in Niedermarsberg. Dort wird sie als Geisteskranke aufgenommen auf Kosten der Freienohler Gemeinde-Kasse. Weitere Daten sind nicht aktenkundig, auch nicht im Freienohler Sterberegister; also wird sie wohl in Marsberg gestorben und bestattet worden sein. (AA 1034)
Überfülltes St. Johannes-Hospital für Geisteskranke in Marsberg.
Zum ersten Einfühlen die Familien-Daten: Joseph Spindeldreher aus Wildshausen: geb. 20. April 1827, gest. 18. April 1878. Seine erste Heirat: mit Adolphine Clara Schwefer am 3. Juni 1851; geb. 11. Dezember 1828, gest. 27. März 1865; sie ist eine Tochter des Ferdinand Schwefer und der Ehefrau Margaretha Hallmann (?) gnt. Wächter. Im Sterberegister sind von Adolphine Clara ihre Kinder angegeben (dabei sind deren Vornamen leider nicht ausgeschrieben): Joh. geb. 3.9.1851, gest. 4.8.1861; F. geb. 13.5.1853; Jos. geb.15.9.1855, gest. 11.6.1857; Fr. geb. 15.2.1858; El. geb. 17.8.1860, gest. 19.3. (?); Ant. geb. 18.2.1863. - Zehn Jahre später: seine zweite Heirat: mit Maria Christina Weber am 4. September 1875. Mit den „3 kleinen Kindern“ können nicht die von Adolphine Clara gemeint sein, die sind 26,21,16 Jahre alt. -
Nun die Familien-Situation:
Am 25. April 1878 schreibt Kaspar Weber, der Bruder der Witwe Maria Christina Weber an den Amtmann Keiser und bittet um Unterstützung seiner Schwester in Folge des Unglücksfalls des verstorbenen Joseph Spindeldreher (der Unglücksfall wird leider nicht erklärt, der war wohl allgemein bekannt): „Sie befindet sich in einer höchst traurigen und hilflosen Lage. Dieselbe besitzt nichts allein (heutzutage sagt man: sie besitzt überhaupt nichts), durchaus kein Vermögen, sei es beweglich oder unbeweglich. Noch nicht ist sie imstande , sich den Lebensunterhalt ganz oder teilweise zu erwerben. Sie leidet nämlich an ungewöhnlicher Schwäche und Entkräftung, sowie auch seit Jahren bereits an Geistesstörung. Dieser ihr Zustand hat sich anlässlich des Todes ihres Mannes insbesondere aber durch die denselben begleiteten traurigen Umstände derartig verschlimmert, dass ihre Entsendung in die Irren-Anstalt dringend geboten erscheint. Bereits einige Wochen vor der Verunglückung eines verstorbenen Schwagers war meine Schwester sehr aufgeregt und erschreckt. Sie versicherte mehrfach, zu Hause in der Stube einen Kerl liegen gesehen zu haben, dem der Kopf abgehauen gewesen, es hätte Hauklotz und Axt dabei gestanden. Wir schenkten diesem Geschwätz weiter kein Gehör, sondern brachten es mit der längst zu Tage getretenen Geistesstörung in Verbindung. Nachdem nun ihrem Mann das bekannte Unglück (!?) zugestoßen war, war sie von der Leiche lange nicht wegzubringen und erst nach langem Zureden zu bewegen, mit ihren Kindern vorläufig bei uns zu wohnen. Hier gebärdet sie sich ganz eigentümlich, bekümmert sich wenig oder gar nicht um ihre Kinder, sitzt tiefsinnig vor sich hin, gerät häufig ohne besondere Veranlassung in heftigen Zorn, arbeitet gar nicht und hat sogar wiederholt gedroht, uns das Haus anzustecken. Mutter (seine Mutter ist wohl gemeint) und Kinder bedürfen hierauf gänzlicher Verpflegung. Diese zu gewähren, bin ich rsp. (bzw.) mein Haushalt bei eigener dürftiger Lage umso weniger imstande, als meine Mutter bei der unter der Einwirkung solcher trauriger Ereignisse selbst in ihrem früheren Zustand von Geistesverwirrung zurück verfallen ist. Dieselbe war nämlich bereits zu zwei verschiedenen Malen im Irrenhaus in Marsberg, weil ich dieselbe unbedingt mit der geisteskranken Schwester nicht zusammen lassen konnte, habe ich die Mutter beredet, auf einige Tage zu meiner Schwester nach Arnsberg zu gehen, um bis zu ihrer Rückkunft die unglückliche Witwe Spindeldreher anderweitig unter zu bringen. Selbstverständlich kann ich bis dahin nicht ausgehen und meinen Tagelohn wahrnehmen, demnach erlaube ich mit dem so dringenden als ergebensten Antrag zu stellen, geneigtest erwirken zu wollen (wohl nicht ganz korrekt formuliert), dass die Witwe Spindeldreher in der Provinzial-Irren-Anstalt untergebracht und die beiden Kinder anderweitig in Pflege gegeben werden und zwar für die Rechnung hiesiger Gemeinde rsp. (bzw.) Armenkasse. Ich bitte aber vor allem um Beschleunigung dieser Maßregel, da es mir tatsächlich unmöglich ist, der Schwester mit ihren beiden Kindern die richtige Pflege zu bieten, sowie ich auch die möglichen Folgen nicht übernehmen kann. - Gehorsamst: Kaspar Weber“
In der Akte 1099 folgt der Briefwechsel zwischen dem Amtmann Keiser und dem St. Johannes-Hospital in Marsberg für die Aufnahme von Christine Spindeldreher geb. Weber. Am 27. Juli 1878 kommt dann aus Marsberg diese Information, „dass die Witwe Joseph Spindeldreher von dort (= Freienohl) wegen Überfüllung hiesiger Anstalt vorläufig noch nicht aufgenommen werden kann. Ich stelle anheim, nach 4 Wochen wieder anzufragen.“
Am 6. August 1878 ist dann doch die Aufnahme möglich. Wie in der Zwischenzeit das Zusammenleben in der Familie Spindeldreher gelingt oder nicht so gelingt, welche nachbarliche Hilfe kommt oder nicht kommt, das wird etwas deutlich am 7., 8. Mai 1878.
Am 13. August 1878 teilt Amtmann Keiser dem Direktor in Marsberg mit, „dass die Witwe Spindeldreher am 14. August gegen Mittag durch den Polizeidiener Schröer von hier dort abgeliefert werden wird. In der Begleitung würden sich außerdem der Polizeidiener Hölter und die Witwe Lisetta Düring von hier befinden. Das Verzeichnis über die Kleidungsstücke usw. wird bei der Einlieferung übergeben werden...“
Weil Freienohl noch keinen Bahnhof hat, beginnt in Wennemen die Eisenbahnfahrt. Wie die Gruppe von Freienohl nach Wennemen gekommen ist, ob zu Fuß oder mit einem Fuhrwerk, auch das steht selbstverständlich nicht in den Akten.Nur dies: „Mit Beköstigung für alle vier: 25 Mark 60 Pfennig.“
Am 7. 8. Mai 1878 erhält Amtmann Keiser unterschiedliche Angebote zur Aufnahme und Pflege der Kinder; dabei werden hier die beantragten Geld-Beträge ausgelassen; es ist auch nicht bekannt, ob sich die Antragsteller über ihre eigene Betrags-Höhe informiert haben und warum dieser und nicht jener die Pflege-Aufgabe erhalten hat. Interessant: Manchmal wird an erster Stelle der Ehemann, manchmal die Ehefrau genannt; im Originaltext steht, wenn zuerst das Wort „Ehefrau“ genannt wird, sofort dahinter der Vorname und Nachname des Ehemanns.
1. Den ältesten Sohn Gerhard möchte der Ackerer Franz Trompetter, verheiratet am 13. Juni 1867 mit Theresa Schöne aus Nuttlar, in Pflege nehmen. - 2. Auch den ältesten Sohn möchte der Ackerer Gottfried Becker gnt. Kaiser, verheiratet am 18. April 1861 mit Maria Gertrud Peetz, in Pflege nehmen. - 3. Um den zweitältesten Sohn (ohne Vornamen zu nennen; Johann) bewirbt sich der Ackersmann Adam Pöttgen, verheiratet am 27. November 1856 mit Maria Anna Schröer. - 4. Die Ehefrau Maria Elisabeth Tönne aus Olpe, Pfarrei Calle, Heirat am 16. Januar 1864 mit Georg Flinkerbusch gnt. Grüggels möchte das jüngste Kind aufnehmen. - 5. Die Ehefrau Clara Schröer-Bräutigam, Heirat am 20. Oktober 1853 mit Bernard Gahse bewirbt sich um das zweitälteste Kind. - 6. Die Ehefrau Anna Maria Gertrud Mester, Heirat am 8. Januar 1876 mit Christoph Venhaus aus Bokel bei Rietberg bewirbt sich um das zweitälteste Kind. - 7 Die Witwe von Franz Jürgens: Regina Hund aus Elleringhausen, Heirat am 1. Februar 1845, möchte die beiden jüngeren Kinder aufnehmen. - 8. Die Ehefrau Anna Maria Winkelmann aus Bruchhausen, Pfarrei Hüsten, Heirat mit Friedrich Miese am 27. August 1874, bewirbt sich um das zweite Kind. - 9. Der Ackerer Franz Kerstholt gnt. Kossmann, verheiratet mit Elisabeth Lenze gnt. Oels am 11. Oktober 1859 , möchte den 2 ½ jährigen Sohn Johann aufnehmen. - 10. Die Ehefrau Christina Catharina Becker, verheiratet mit August Geihsler am 20. September 1860, bewirbt sich um den ältesten Sohn Gerhard. - 11. Die Ehefrau Gertrud Becker gnt. Kuser (?), verheiratet mit Heinrich Peetz am 27. Januar 1853, möchte das jüngste Kind bei sich aufnehmen. - 12. Der Tagelöhner Caspar Weber, verheiratet mit Franziska Henrichs aus Oberbremscheid, Pfarrei Eslohe, am 29. November 1862, bewirbt sich um den ältesten Sohn Gerhard. - 13. Der Ackerer Franz Kerstholt bewirbt sich um das zweitälteste Kind (s.o. Nr. 9).
Frau Gertrud Peetz geb. Becker bestätigt am 15. August 1878, dass sie das jüngste Kind bei sich aufgenommen hat. Der Tagelöhner Caspar Weber hat am 17. August 1878 das älteste Kind bei sich aufgenommen. So sind beide Kinder untergebracht.
Gewiss, die Aufnahme und Pflege eines Kindes in der eigenen Familie wird bezahlt, bringt Geld, aber das wird auch für dieses Kind auszugeben sein. Gewiss, auch wichtig ist die Arbeitshilfe durch den ältesten Sohn. Aber beim jüngsten Sohn gilt das nicht. Gerade diese Aufnahme könnte zeigen, dass die Kinder gekannt werden. Die Eltern sowieso. Und da öffnet sich die Bereitschaft und Fähigkeit zum Zusammenleben. Zudem sollen die Trauungsdaten andeuten, dass die Ehepaare wohl einige Lebenserfahrungen auch mit eigenen, vielleicht gleichaltrigen Kindern haben.
Am 15. Januar 1879 bittet der Direktor und leitende Sanitäts-Rat des St. Johannes-Hospitals den Amtmann Keiser, dass „der Witwe Spindeldreher baldigst ein Brief über die häuslichen und familiären Verhältnisse geschrieben werde. Die Patientin ist nämlich sehr auf Nachrichten von Hause gespannt.“ - Das wird wohl geschehen sein.
Am 17. Juni 1879 wird Witwe Christine Spindeldreher als geheilt entlassen.
Am 3. Juli 1879 teilt Vermieter Caspar Flinkerbusch gnt. Schwert dem Freienohler Armen-Vorstand mit: „Es gibt Wohn-Probleme und Lebens-Probleme für die Witwe des Schüsseldrehers Joseph Spindeldreher und ihren 3 kleinen Kindern nach ihrer (der Witwe) Entlassung aus dem Irrenhaus.“
Am 25. Januar 1883 schreibt der Freienohler Amtmann Enser an das St. Johannes-Hospital in Nieder-Marsberg über die Witwe Spindeldreher: „Sie leidet schon seit einigen Monaten wieder an Geistesstörung und wird ihren Kindern (die sind also wieder bei ihr) gefährlich. Dieselbe schüttet ihren Kindern des Nachts glühend heißes Wasser in den Mund, tobt im Haus und stört öfters in in skandalöser Weise im Gottesdienst...Wann sie dort wieder aufgenommen werden kann.“
Die Antwort: „Das kann sofort geschehen. Am 9. Februar 1883.“ - Amtmann Enser: „Sie wird dort am 9. Februar mit dem Zug 11 Uhr 24 Minuten eintreffen.“ Die Gemeindekasse übernimmt die Kosten.
Auch am 10. Februar 1885 aufgrund der Rechnung von Marsberg an Freienohl.
Am 17. Juli 1886 informiert der Direktor des St. Johannes-Hospitals das Amt Freienohl, „dass die Witwe Spindeldreher an Verwirrtheit mit zeitweisen Aufregungen an Epilepsien mit Seelenstörung und öfteren tobsüchtigen Aufregungen leidet; (noch ein Patient aus Visbeck wird genannt) beide Kranken bieten keine Aussicht auf Heilung mehr.“
Am 11. April 1887 informiert das St. Johannes-Hospital das Amt Freienohl, „dass die Witwe Spindeldreher sich gestern heimlich von hier zu entfernen gewusst hat und sind alle diesseits angestellten Recherchen erfolglos geblieben, weshalb angenommen werden muss, dass sie sich auf dem Weg dorthin befindet...“
Das Amt Freienohl informiert am 16. April 1887: sie „ist der Irren-Anstalt wieder zugeführt.“ Was sich in diesen Tagen bei der Witwe Spindeldreher und in Freienohl in ihrer Familie bei ihren Kindern ereignet hat, steht nicht in den Akten.
Die Rechnung vom 28. Februar 1893 vom St. Johannes-Hospital wird aus der Gemeinde-Kasse Freienohl bezahlt. (AA 1099, bis zum Jahr 1897)
In der nächsten, der Jahreszahl entsprechenden Akte AA 1102 (1897 – 1932) steht vom St. Johannes-Hospital Marsberg die Mitteilung, „dass die Witwe Christine Spindeldreher geb. Weber am 20. November 1902 vormittags um 6 ½ Uhr verstorben ist.“ Im Freienohler Sterberegister steht nichts, also wird sie auch in Marsberg auf dem Friedhof des Hospitals bestattet sein.
Siehe auch: Protokollbücher der Gemeinde-Versammlung : 25.5.1878 TOP 6; 18.7.1878 TOP 4; 21.6.1879 TOP 1; 7.7.1879 TOP 1; 3.10.1879 TOP 5.
Etwas Zusammenleben, einige Fürsorge wird deutlich.
Am 19. November 1879 ist der Knabe Caspar Heinemann 13 Jahre alt; er ist der Sohn der verstorbenen Friederike Heinemann (so ist ihr Vorname in der Akte AA 1063; aber im Sterbe-Register steht auch weit zurück keine verstorbene Friederike Heinemann. In der Akte 402 - siehe Protokollbücher 1875, 1876 der Gemeinde-Versammlung; Friederika Heinemann ist einmal als ehelos, unverheiratet angegeben. Siehe auch Protokollbücher: 17. November 1879 TOP 6. - Zum 19. November 1879 gehören diese Angaben: „Die Verstorbene hat diese Gegenstände hinterlassen: 1 Ziege, etwa 5 Scheffel Kartoffeln, 5 Fässer, 3 Körbe, 1 Bettstelle mit dürftigem Bettwerk, 2 alte Tische, 4 Stühle, 1 Lampe (1879!), 3 Teller, 2 Löffel, 2 Gabeln, 2 Eimer, 1 Backtrog, 1 alter Koffer, 2 alte Kleider, 1 alter Mantel, 2 alte Handtücher.“ dahinter steht: „Am 12. Dezember 1879 wurde alles für 44,55 Mark verkauft.“ - Die Zwei-Zahl einiger Gegenstände lässt den Schluss zu, dass nur Mutter und Sohn zusammen lebten. Aus dem Sterberegister ist nichts Aufklärendes über einen Ehemann, Vater zu entnehmen.
Informativ für das Zusammenleben ist dies: Am 24. November 1879 liegt im Amt ein Aufnahmegesuch für den Sohn Caspar Heinemann der verstorbenen Friederike Heinemann vor. „Gleichzeitig meldet sich der Vormund, der Tagelöhner Caspar Heckmann, der aber nicht die Pflege leisten kann, und er erhebt Bedenken gegen den Höhmann in Olpe: Gegen den Ackerer Johann Höhmann habe er in keiner Weise etwas zu erinnern (er hat nichts gegen ihn persönlich vorzubringen), er befürchte nur, wenn der Knabe von diesem übernommen werde, dass er dann besonders im Winter des schlechten Wetters und tiefen Schnees wegen die Schule und Kirche nicht regelmäßig besuchen könne.“ - Mehr ist nicht aktenkundig. (AA 1063)
Eine kurze Akten-Notiz vom 3. Februar 1880: „Das Waisenkind (21 Jahre alt) Polykarpus Hömberg, geb. am 22. Januar 1859 in Freienohl, von Beruf Ackerknecht, der mehrere Lebens- und Arbeits-Stationen hinter sich hat, hat jetzt die Krätze, möchte ins Krankenhaus zur Heilung und beantragt die Kosten-Übernahme.“ Der Armen-Vorstand genehmigt den Antrag; die Mitglieder kennen den jungen Mann und brauchen ihr Wissen nicht aktenkundig zu machen.
Am 26. Juli 1880 bittet der Totengräber Johann Trompetter den Amts-Armen-Vorstand um einen Zuschuss zum Lebensunterhalt. „Er ist jetzt über 75 Jahre alt, seit 42 Jahren Totengräber in Freienohl. Für 1 kleines Grab (Kindergrab) erhält er 50 Pfennig, für 1 großes Grab 1 Mark, im Jahr durchschnittlich 30 Mark. Das ist zu wenig.“ Ihm wird mitgeteilt, dass „es ihm überlassen bleibt, vom Kirchenvorstand einen höheren Betrag zu beantragen.“ - Kulturkampf-Verhältnisse nicht unbedingt; für den „Kirchhof“, für den „Totenhof“, den Friedhof in Freienohl ist die Kirchengemeinde zuständig. (Genaueres im Kulturkampf-Kapitel)
Freienohler helfen auswärts
Am 8. September 1880: Der Regierungspräsident in Arnsberg veranstaltet eine Collekte zur Hilfe der durch Brand vernichteten Ortschaft Dahle im Kreis Altena. Von 117 Wohnhäusern waren 74 verbrannt. Freienohler helfen mit einem Betrag von 15 Mark 30 Pfennig (Dinschede 20 Mark, Rumbeck 5,30 Mark, Uentrop 3,50 Mark, Hellefeld 12, 50 Mark, Frenkhausen 2,30 Mark, Schulte-Frenkhausen legt noch 1 Mark dazu). (AA 1075)
Die Typhus-Epidemie 1882 – 1883: noch immer fehllt eine Apotheke!
Die Gemeinde-Leitung: Amtmann Gustav Enser (1882 - 1895), Gemeinde-Vorsteher Ziegelei-Besitzer Johann Düring, ab Juni 1882 Postexpediteur Caspar Toenne, Gemeinde-Verordnete Schreinermeister Carl Feldmann, Heinrich Albers, Maurermeister Franz Göckeler, Wirt Franz Kerstholt, Zimmerermeister Franz Korte, Schneidermeister Arnold Schröder.
Spezial-Akte AA 1794.
Am 28. Februar 1882 schreibt Amtmann Enser an Dr. Frhr. v. Schleinitz: „Der Gymnasiast Kerstholt, Sohn des Wirts Joseph Kerstholt, hierselbst, der vor mehreren Tagen von dort (Arnsberg, Gymnasium Laurentianum?) hierher gekommen ist, soll dem Vernehmen nach an Typhus erkrankt sein. Euer Hochwohlgeboren ersuche ich deshalb ergebenst, sich am morgenden (!) Tag nach hier zu bemühen, und die ganze Familie Kerstholt einer genauen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Über das Resultat bitte ich, mir sodann umgehend Mitteilung zu machen...“
Am 7. März 1882 berichtet der Amtmann, dass eine Sanitäts-Commission gegründet worden ist: Amtmann Enser, Gem.-Vorsteher Johann Düring, Gem.Verordnete Carl Feldmann und Heinrich Albers: „Dieselbe wird mit unbeschränkter Vollmacht versehen und ihr wird ein Bondit (Guthaben) von 200 Mark bewilligt... So erscheint es doch angezeigt, außerordentliche Maßnahmen zu treffen, um die Krankheit bereits im Entstehen zu unterbinden.“
Eigenartig die Akten-Lücke.
Am 11. September 1882 sind als Typhus-Erkrankte beim Amtmann aktenkundig diese 6 Kinder:
Franz Schwefer, 16 Jahre, Vater Tagelöhner, zahlreiche Familie, dürftige Verhältnisse, Krumme Straße. - Theresia Eickelmann, 6 Jahre, Vater Fabrikarbeiter auf der Chemischen Fabrik in Oeventrop, mittelmäßige Verhältnisse, Mittlere Straße. - Adolf Linke, 11 Jahre, Vater Küfer, sehr dürftige Verhältnisse, Krumme Straße. - Auguste Mester, 19 Jahre, Vater Tagelöhner, mittelmäßige Verhältnisse, Mittlere Straße. - Nicolaus Schmitz, 9 Jahre, Vater Maurer, sehr ärmliche Verhältnisse, Krumme Straße. - Bernward Heckmann, 19 Jahre, Vater tot, Stiefvater Ackerer, ziemlich gute Verhältnisse, Mittlere Straße.
Auch am 11. September 1882: „Die Sanitäts-Commission besichtigt heute mit dem Amtmann die Düngergruben, Abtrittsanlagen (Toiletten), Brunnen und Abzugsverhältnisse (Abflussgräben) des hiesigen Orts und es wurde beschlossen, dass sämtliche Besitzer aufgefordert werden sollen, ihre Dünger- und Abtritts-Anlagen binnen 14 Tagen zu reinigen, zu desinfizieren, Wassertrift (Abfluss in den Gräben) herzustellen und die Düngergruben mit einer Mauer von mindestens 1 Fuß Höhe anzufertigen, ferner soll festgestellt werden, wo jeder Hauseigentümer seinen Bedarf an Frisch- und Koch-Wasser hernimmt.“
Am 12. September 1882 folgt die Liste mit den Namen der Besitzer einer Düngergrube oder Abtrittsanlage und „von wem erhält derselbe sein Trinkwasser“. In der Spalte rechts steht: „selbst“ oder Name des „Spenders“ oder „Gemeinde-Brunnen“; 174 Namen „links“ und 41 Namen „rechts“. Die Abschrift ist hier ausgelassen.
Wahrscheinlich nach dem 22. Oktober 1882: „Nachweisung der Typhus-Krankheit in der Gemeinde Freienohl: Name, Lebensalter, Familie / Vater, Verhältnisse, Wohnung; hinter allen steht das Datum und „genesen“ (letzteres hier ausgelassen): Die ersten 6 Namen siehe oben 11. September 1882, dann Fortsetzung:
...(?)...Köster, 12 Jahre, Vater Tagelöhner, mittelmäßige Verhältnisse, Krumme Straße. -
Theodor Nolte, 12 Jahre, Vater Tagelöhner, mittelmäßige Verhältnisse, Krumme Straße. -
Elisabeth Helnerus, 3 Jahre, Vater Tagelöhner, ärmliche Verhältnisse, Mittlere Straße. -
Joseph Siepe, 16 Jahre, Vater verstorben, Mutter Tagelöhnerin, sehr ärmliche Verhältnisse, Vordere Straße (Bergstraße).- Gertrud Schmitte, ohne Angaben. - Adam Schmitz, ohne Angaben. - In den „Volkszählungslisten“ fehlen die Kinder-Namen.
Am 25. September 1882: Aus dem Schreiben an den Landrat von Lilien in Arnsberg:
„Die anwesenden Ärzte Dr. Droste und Dr. Schleinitz bestätigen dem Amtmann Enser und dem Ortsvorsteher Düring die Krankheit Typhus. - Die Reinigung der Gräben und Gossen (Straßen, ursprünglich: Gassen) ist ausgeführt, die Untersuchung der Düngerstätten, Einfriedigung derselben durch dichte Mauern. Zur Verhütung des Abflusses auf die Straßen, die Untersuchung der öffentlichen Brunnen. - Die Wasserverhältnisse von Freienohl sind bekanntlich durch den Eisenbahn-Tunnelbau sehr beträchtlich. Gegenwärtig ist Hochstand des Wassers in den Brunnen, weder Mangel noch Versumpfung vorhanden. So muss dennoch ein aufmerksames Auge auf diesen Punkt zu richten sein und voraussichtlich wird die Lösung der Wasserversorgung für den Ort Freienohl für die Zukunft in den Vordergrund treten.“ - Gezeichnet vom Kreisphysikus Dr. Liese, Arnsberg.
Am 16. Oktober 1882 erhält die Barmherzige Schwester Maria Isidora 15 Mark für Reisekosten vom Ortsvorsteher Caspar Toenne.
Am 30. Oktober 1882 erhält C. Toenne aus der Gemeinde-Kasse: 1.) 73,68 Mark für die Beköstigung der Barmherzigen Schwester Maria Isidora; 2.) für Suppen-Lieferung, zur Bereitung der Kranken-Suppe mit 86,60 Pfund Rindfleisch von Teipel zu Arnsberg mit dem Betrag 51,60 Mark; die kranken Kinder (s.o.) werden genannt, auch wie viel und wie oft sie Suppe erhalten; Zeitraum: vom 13. September bis 12. Oktober 1882. - Die Kranken-Suppe mit Rindfleisch ist wohl im Geschmack sicher recht kräftig gewesen.
Am 20. April 1883: Aus einer Information vom Amtmann Enser an den Landrat in Arnsberg: Weil das Pastorat zur Zeit unbenutzt war, waren die Typhus-Kranken und auch die Barmherzige Schwester Maria Isidora im Pastorat untergebracht. - Pfarrer Johann Heinrich Adams war am 11. August 1881 gestorben. Pfarrer Julius Falter kam im September 1884 nach Freienohl, zunächst als Hilfsseelsorger. Zwischendurch übernahm die Vertretung für Gottesdienste und Seelsorge (Sakramenten-Spendung, Beerdigungen, Religionsunterricht) aus Rumbeck Pfarrer Berens. - Ende Akte AA 1794. - Ausführlicher ist berichtet über Schwester Isidora im Text „Frau, Frauen, Freienohlerinnenl“.
Am 18. August 1884 TOP 2: Mit der Errichtung einer Orts-Krankenkasse ist der Gemeinde-Rat einverstanden. - AA 407
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 22. Januar 1885, TOP 5: „Die Rechnung des Cremer in Arnsberg über 6 Mark für geliefertes Gummituch für die Typhus kranke Familie Trompetter soll angewiesen werden.“ Auf die Gemeindekasse.
Gemeinde-Versammlung am 27. März 1885, TOP 2: Die Apothekerrechnung für Franz Trompetter im Betrag von 149,38 Mark soll von der Gemeindekasse gezahlt werden; falls Trompetter den Betrag für die Gemeinde auf sein Hausgrundstück eintragen lässt und das Kapital mit 4 % verzinst. Die Eintragungskosten soll die Gemeindekasse tragen. AA 407
Schnelle Hilfe
Am 27. August 1883, TOP 1: „Dem Handlanger Caspar Schmitz wurden von heute an wöchentlich 3 Mark Unterstützung bewilligt. Außerdem erhält derselbe Arzt und Apotheke frei.“ - Sterberegister: Caspar Schmitz, Maurer, gest. 5.9.1883; Trauungsregister: Heirat am 25.11.1858 Caspar Schmitz gnt. Busenbergs mit Maria-Anna Heinrichs aus Wennemen, Pfr. Calle. Dez. 1880: Alte Haus-Nr. 28, St. Nikolaus Str., ohne Vornamen 1 männl., 4 weibl.; 1895: Alte Haus-Nr. 213, Hauptstraße, Schmitz, Witwe, 1 weibl., 2 männl., ohne Vornamen.
Am 20. September 1883, TOP 4: „Das Gesuch der Witwe Caspar Schmitz auf Bewilligung der rückständigen Miete von 60,50 Mark ist durch Zahlung seitens des Schwiegersohns der Witwe Schmitz gegenstandslos geworden.“ (AA 404)
„Collekte“ für die Insel Ischia in Italien
Im August 1883: „Eine riesige Katastrophe auf der Insel Ischia in Italien! Die Opfer zählen nach Tausenden.“ Einzelheiten über die Katastrophe stehen nicht im Aufruf zur Collekte durch das Staatsministerium in Berlin auf dem Behördenweg über Münster, Arnsberg zum Amt Freienohl. Gemeinde-Ergebnisse: Freienohl 6,30 Mark (Amtmann Enser 3 Mark, 20 Freienohler 10 oder 20 Pfennig, Grevenstein 9,45 Mark, Meinkenbracht 3,02 Mark, Rumbeck 0,50, Uentrop 4,00 Mark, Visbeck 1,20 Mark. - Ob alle Spender wussten, wo Ischia liegt? Vielleicht wurde ja auch nicht von Haus zu Haus kollektiert. (AA 1075)
Eine Ortskrankenkasse im Amtsbezirk Freienohl
Gemeinde-Versammlung am 18. August 1884, TOP 2: „Mit der Errichtung einer gemeinsamen Orts-Krankenkasse für den ganzen Amtsbezirk Freienohl sind wir einverstanden und wir treten dem von der Amts-Versammlung Freienohl dieserhalb unterm 5. d.M. gefassten Beschluss in allen Teilen bei.“
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 10. Februar 1885, TOP 6: „Die Apothekerrechnung für Heinrich Trompetter im Betrag von 149,38 Mark soll von der Gemeindekasse berichtigt werden, falls Trompetter den Betrag für die Gemeinde auf seine Besitzung eintragen lässt und vom 1. April 1885 an mit jährlich 4 % verzinst. Verneinendenfalls soll die Rechnung dem Apotheker Fischer zur direkten Einziehung vom Trompetter zurückgegeben werden.“
TOP 7: „Die Arzneirechnung im Betrag von 72,33 Mark wurde auf die Gemeindekasse übernommen.“ - Der Patient ist nicht aktenkundig.
TOP 8: „Der Armenarzt soll angewiesen werden, neue wirkliche Medikamente (gemeint sind wohl: wirksame) für Ortsarme bei den Apotheken in Arnsberg in Bestellung zu geben, dagegen sollen die übrigen Krankenbedürfnisse als W...(nicht korrekt lesbar) durch den Gemeinde-Vorsteher beschafft werden.“
Wohl wirklich arm dran
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 5. September 1885, TOP 5: „Infolge Antrags des Ackerers Franz Kerstholt wurde für den Ortsarmen Johann Spindeldreher ein Anzug bewilligt.“ - Einwohnerliste Dezember 1880: Franz Kerstholt, Alte Haus-Nr. 14, Bergstraße 7; 2 männl., 4 weibl. Bewohner.- Johann Spindeldreher: Wohnung nicht aktenkundig. Auch nicht aktenkundig im Sterberegister, nicht im Trauungsregister; das kann an zwei Vornamen liegen, die in Akten manchmal unterschiedlich verwendet werden.
Keine serofulösen Kinder
aus Freienohl bei den Kuren in der Heilanstalt für an Tuberkulose erkrankte Kinder in Sassendorf im Bericht vom 1. Oktober 1885.
Offizieller Bericht der Idioten-Anstalt in Marsberg
Für das Jahr 1886 ist der 12. Bericht der Idioten-Anstalt des Johannes-Vereins Nieder-Marsberg in der Akte AA 1093; zitiert sei: „Die Zunahme der Kinder ist eine verhältnismäßig starke. 109 Kinder wurden in 7 Abteilungen unterrichtet bzw. verpflegt und zu den Arbeiten angeleitet.“ Es folgt ein fünfseitiger Bericht über die Betreuung der Kinder im Vorschul- und Schulbereich mit vielen konkreten Angaben aus der Fröbel-Pädagogik. - Freienohler Kinder sind nicht aktenkundig. - Ähnlich über 8 Seiten im Jahr 1889.
Kind und Eltern hatten es sehr schwer.
Die Eltern Franz Stirnberg und Elisabeth geb. Hehse aus Dinschede waren seit dem 26. November 1881 verheiratet. Dann das Jahr 1886. Ob das Ehepaar schon Kinder hatte, ist unbekannt, vielleicht ein, zwei Töchter, denn im April kam Sohn Franz zur Welt, wegen des gleichen Vornamens mit dem Vater vielleicht der erste Sohn. Jedoch: am 19. April 1886 teilt Dr. med Höynck aus Arnsberg dem Freienohler Amt mit: „Die Ehefrau des Tagelöhners Franz Stirnberg, Freienohl, hat ein Kind mit doppeltem Wolfsrachen geboren. Das Kind muss sofort operiert werden. Das kann aber nur die Klinik in Hagen leisten. Finanzielle Unterstützung dafür ist unbedingt nötig.“ Der Freienohler Amtmann am 21. April 1886: „Dem unglücklichen Kind muss sofort geholfen werden.“ Die Kosten werden genehmigt. Am 30. Juni 1886: „Jetzt nach 11 Wochen kann, muss das Kind nach Hagen gebracht werden. Die Behandlung, der Aufenthalt dauert 10 bis 14 Tage. Die Mutter Elisabeth Stirnberg geb. Hehse ist bereit mit zu fahren (wohl selbstverständlich). Eine Wärterin (= ausgebildete Krankenschwester) muss begleiten, die ganze Zeit.“ Die Eisenbahn gab es schon; einsteigen aber in Oeventrop; Freienohl erhielt erst 1894 einen Bahnhof. Also mit einer Kutsche oder einem ähnlichen Fuhrwagen nach Oeventrop. Wer kann sich diese Fahrt vorstellen? Junge Mütter. Dabei war eine Eisenbahnfahrt etwas Ungewohntes... - Die Freienohler Armen-Kasse zahlt alles.
Am Akten-Rand steht ganz knapp: „10. August 1886: Franz Stirnberg ist am gestrigen Tag verstorben.“ Gemeint ist das 3 Monate alte Baby. (AA 1065) Siehe auch das Kapitel: „Frau, Frauen in Freienohl“.
Vater: Berufsunfall – Tochter dauernd krank
Am 31. Januar 1888: Die Witwe Wilhelmine Tebbe bittet den Armen-Vorstand um das jährliche Mietgeld von 48 Mark. Weil dieser Betrag abgelehnt worden war, schildert Witwe Tebbe ihre Situation: „Sie ist 42 Jahre alt, verheiratet mit Franz Tebbe, er ist 77 Jahre alt. (Im Freienohler Trauungsregister ist eine Heirat nicht angegeben; also haben sie wohl nicht in Freienohl geheiratet.) Er arbeitete bis November 1887 beim Guts-Pächter Albers in Rumbeck und erhielt jährlich 90 Mark Lohn. Anfang November 1887 ist er von einer 12 Fuß hohen Treppe gefallen und ist 6 Wochen lang im Arnsberger Krankenhaus gewesen, entlassen worden, aber noch nicht geheilt. Von Albers erhält er nur Pflege, jedoch keinen Lohn, weil er nicht arbeiten kann, wofür ja auch das Alter von 77 Jahren spricht. Mein einziges Kind, Tochter von 14 Jahren, leidet an innerlichen Drüsen und ist stets krank, sodass sie wenig, in diesem letzten Jahr fast gar keine Schule besuchen konnte. Den nötigen Lebensunterhalt für mich und meine kranke Tochter verdiene ich durch Säcke-Flicken... Die Miete, früher 30 Mark, habe ich dieses letzte halbe Jahr schon nicht mehr zahlen können...“
Nach einigem Hin und Her behördlichen Schreibens zwischen dem Freienohler Amtmann Enser und dem Arnsberger Kreis-Amtmann Freusberg: von ihm werden 36 Mark bewilligt. Denn, so hat sich herausgestellt: Witwe Tebbe hatte zwischenzeitlich in eine größere Wohnung gewechselt für 48 Mark; darum konnte ihr der höhere Betrag nicht genehmigt werden. Dabei ist unbekannt, wie groß oder klein die alte und die neue Wohnung war. Und
„übrigens hat der Mann bei Albers in Rumbeck einen Jahreslohn von 75 Mark“. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus. - Am 22. Juni 1889 erhält Franz Tebbe für den Juni 2 Mark und ab Juli monatlich 6 Mark Unterstützung aus der Armen-Kasse. - Am 26. Juni 1891 ist der Antrag von Franz Tebbe für 1 Paar Schuhe für 20 Mark abgelehnt worden; eine Begründung ist nicht notiert.
Aus dem Friedhofs-Register vom Alten Friedhof: Franz Tebbe, Bettler (!), geb. 1819, gest. 26. Februar 1891. Wilhelmine Tebbe, Witwe, geb. 1848, gest. 25. Mai 1891.
Eineinhalb Jahre später, am 14. November 1892 wendet sich Franz Korte, der Vormund der verwaisten Mina (Wilhelmine) Tebbe, an die Gemeinde-Vertretung: Im August 1892 wurde Mina Tebbe von Ratingen hierher zurückgeschickt. Warum, wie, von wem sie nach Ratingen gekommen ist und wieder zurückgeschickt worden war, ist nicht bekannt. Weil sich nicht sofort ein Unterkommen für sie fand, hat Franz Korte das junge Mädchen bei sich aufgenommen. Dann fand sich eine leichte Stelle bei Schreinermeister Krick in Meschede. - Nach drei Tagen musste Mina Tebbe wegen einer Lungenentzündung ins Mescheder Krankenhaus. Danach darf Krick sie nicht wieder aufnehmen, da sie hauptsächlich zum Kinderverwahren gehalten wird.. Franz Korte beantragt den Krankenhaus-Aufenthalt bis zu einer neuen Lösung. Die Kosten genehmigt die Gemeinde-Vertretung. Am 21. Februar 1893 wird der Krankenhaus-Aufenthalt weiter genehmigt. - Weitere Informationen über die inzwischen 19-jährige Mina Tebbe wurden in Freienohler Akten nicht gefunden, auch nicht im Friedhofsregister. Vielleicht ist sie in Meschede geblieben.
Viel zu kurze Akten-Notizen
Josef Schwarzfärber, geb. 4.11.1891 in Freienohl, Fürsorgezögling, vom St. Martins-Stift nach Freienohl, angemeldet am 2.12.1907. - Offene Fragen: Warum Fürsorgezögling? Was, wo ist das St. Martins-Stift! Warum zurück mit 16 Jahren? - Notiz aus der An- und Abmelde-Liste. - Einwohnerverzeichnis von 1900: Heinrich Schwarzfärber, Mittelstraße Alte Haus-Nr. 154; Jetztzeit: St. Nikolausstraße Nr. 6.
Karoline Abels, Kind, geb. 17.10.1900 in Köln, kath., von Köln nach Freienohl nach Neise am 16.11.1913. - Anmelde-Liste. Mehr nicht.
Josef Wilhelm Pflug, Kind, geb. 2.3.1906 in Warstein, keth., von Warstein nach Freienohl, angemeldet: 15.12.1906. - Baby, 9. Monate. Zu wem? In der Freienohler Einwohnerliste von 1905 gibt es Pflug nicht.
„Satt bekommt sie.“ Die Schwiegermutter. Aber.
Am 1. Juli 1893 erscheint die Witwe Elisabeth Krick geb. Ullrich auf dem Amt: „Bei meinem Alter von 69 Jahren bin ich nicht in der Lage, mir meinen Unterhalt selbst bestreiten zu können. Mein Schwiegersohn sorgt aber in solch schlechter Weise für mich, dass ich gezwungen bin, mir mein Essen und meine Kleidung von mildtätigen Eingesessenen zu erbitten. So wie ich gehört habe, soll er in früheren Fällen oft geäußert haben, ich bekäme soviel, dass ich gut leben könnte. Dieses begreife ich als eine Unwahrheit. Ich bitte um Bewilligung einer Unterstützung aus Armenmitteln. Mein Schwiegersohn kann den mir gezahlten Betrag zurück erstatten.“ - Der Amtmann merkt an: „Die Gemeindeversammlung hat die Unterstützung abgelehnt, weil ihr Schwiegersohn Hahne erklärt hat, er könne sie vollständig und angemessen unterstützen. Am 8. Juli 1893 erklärt der Schaufelmacher Christian Hahne: „Ich unterstütze meine Schwiegermutter so, wie es in meinen Kräften steht. Satt bekommt sie stets. Sie muss das Essen so nehmen, so wie ich es mit der Familie auch kriege. Mehr kann ich nicht geben. Freie Wohnung habe ich ihr auch gewährt.“ - Kochen wird ja wohl ihre Tochter, beigebracht von der Mutter. (AA 1065)
Mit 1 Mark Tageslohn können 3 Personen nicht leben.
Am 12. April 1894 bittet die Witwe Eickhoff die Armen-Kasse um die Übernahme der Hausmiete. Wegen eines Augenleidens kann sie selbst nichts verdienen. Ihr „Sohn verdient täglich nur 1 Mark, welches kaum zum Lebensunterhalt für 3 Personen ausreicht (unbekannt ist, wer die 3 Personen außer Mutter + Sohn sind.). Auch hat mir der Dr. Droste zur Kräftigung meiner Augen gute, nahrhafte Speisen zu essen, angeraten...“ Die Gemeinde-Vertretung genehmigt 15 Mark Miete.
Der Fabrikarbeiter Franz Eickhoff aus Wenholthausen und Maria Theresia Kaulmann hatten am 8. August 1876 in Freienohl geheiratet. Franz Eickhoff war am 7. November 1881 – schon – gestorben.
Der Arzt in Arnsberg empfiehlt in seinem Schreiben an die Freienohler Behörde eine „Augen-Kur, damit die Witwe Eickhoff nicht ihr ganzes Sehvermögen verliert“. - Am 18. Mai 1894 bittet Witwe Eickhoff um noch mehr Hilfe, „weil der Dr. Droste die größte Schonung empfohlen hat“. Am 7. Juni 1894 antwortet Dr. Droste der Gemeinde-Vertretung: „Witwe Eickhoff ist in der Lage, die gewöhnliche Hausarbeit zu leisten, nur sie soll sich der Teilnahme an größeren Wäschereien enthalten, überhaupt Arbeiten, die den Gebrauch von viel Wasser erfordern (schmutziges, in die Augen spritzendes Seifenwasser?). Nach meinem Erachten liegt keine Veranlassung vor, dass die Gemeinde Unterstützung gibt.“ Am 8. Juni 1894 lehnt die Gemeinde Unterstützung ab. (AA 1065)
Er kann nicht alle Weichen stellen
Am 27. Februar 1895 beantragt der Weichensteller Johann Kessler Hilfe: „Da mein Sohn im Alter von 10 Jahren seit dem 20. Februar vorigen Jahres in der Irren-Anstalt zu Marsberg weilt, und zu meinem großen Leidwesen nun meine liebe Frau auch seit dem dem 30. August vorigen Jahres in der Irrenanstalt ebenfalls untergebracht werden musste, so war ich gezwungen, Verpflichtungen zu übernehmen, welche zu erfüllen ich nicht in der Lage bin. So bitte ich den Herrn Amtmann, doch dahin wirken zu wollen, dass ich von Seiten der Gemeinde in dieser schrecklichen Lage unterstützt werde.“ - Die Gemeinde-Versammlung beschließt, auch die Kosten für die Unterbringung der Frau in Marsberg zu übernehmen. Unterschrieben von Amtmann Köckritz, Gemeinde-Vorsteher Kessler, Gemeinde-Beigeordnete Funke, Kerstholt, Toenne, Siepe, Schröder, Noeke. (AA 1065)
Alte Haus-Nr. 125; Hauptstraße; Volkszählung 1895: 3 männlich, 2 weiblich (also schon ohne Sohn und Ehefrau).
65 Jahre alter Rotten-Arbeiter kann für seine Tochter die Irren-Anstalt nicht bezahlen
Die Gemeinde-Versammlung erklärt am 18. November 1894, TOP 2, den Rotten-Arbeiter Arnold Feldmann als ortsarm, und es soll dessen Tochter in der Irrenanstalt zu Marsberg untergebracht werden. (AA 413)
Am 13. Juli 1897 schreibt Arnold Feldmann dem Freienohler Gemeindevorsteher Kehsler einen 3 ½ Seiten langen Brief, bzw. lässt den im Amt schreiben. Arnold Feldmann beantragt, dass die Gemeindekasse auch weiterhin die Kosten für seine Tochter übernimmt. Er selbst kann das nicht, er selbst lebt in ziemlich ärmlichen Verhältnissen.
Seine Familien-Situation:
Arnold Feldmann ist Rotten-Arbeiter (beim Eisenbahn-Gleisbau), 65 Jahre alt, seine „Kräfte, und damit seine Arbeitsfähigkeit lassen von Tag zu Tag nach“. Er ist verheiratet am 28. Februar 1867 mit Maria Franziska Gerhard aus Bremke, Pfarrei Reiste; über 30 Jahre. Ihre Tochter (er schreibt: seine Tochter; ohne ihren Vornamen zu nennen, alle kennen den wohl), 23 Jahre alt, lebt in der Provinzial-Irren-Anstalt in Marsberg. Für die kann der Vater das Unterhaltsgeld nicht zahlen. Darum beantragt er die Kosten-Übernahme aus der Freienohler Armen-Kasse.“
Ihre „20-jährige Tochter, welche jetzt schon krankheitshalber etwa ein Jahr zu Hause gewesen ist, dieselbe ist aber wieder soweit genesen, dass sie sich wieder vermieten kann (als Tagelöhnerin) und wenn nötig, die ebenfalls zum größten Teil zurückstehenden Kurkosten (Behandlungskosten beim Arzt) nach und nach abtragen will.“
Ihre „18-jährige Tochter ist Näherin, verdient kaum ihren eigenen Unterhalt.“
Ihre „einzige Stütze ist ein 27-jähriger Sohn, welcher Steine klopft (für den Straßen-Bau größere Steine verkleinert). Dessen Verdienst ist auch nur gering, zudem meistens nur für die Sommermonate.“ (Die Handarbeit mit einem Hammer findet draußen an, auf der Straße statt.)
„Meinen 12-jährigen kranken Sohn habe ich vor 3 Jahren in der Klinik in Hagen untergebracht. … Ich bin genötigt, mein kleines Eigentum, ein kleines Haus mit 2 ½ Morgen Acker, mit Schulden zu überlasten bei der Sparkasse Arnsberg.“
Die im Antrags-Brief immer wieder aufgeführten Geldbeträge werden hier nicht übernommen, weil wohl kein Vergleich mit heutiger Zeit, mit heutigen Lebensverhältnissen möglich ist.
Der Gemeindevorsteher Kehsler gibt den Antrag weiter an den Amtmann Köckeritz. Verwaltungs-Termine des Antrags sind der 29. und 30. August 1897. Arnold Feldmann und seiner Familie wird finanziell geholfen. (AA 1099)
Mitleid. Einerseits ja. Andererseits?
Am 20. Februar 1905 wendet sich der Handelsmann August Rönner (geb. 11.6.1853 in Fretter, kath.. Anmeldung von Meschede her in Freienohl am 13.10.1904; Abmeldung von Freienohl nach Olpe am 14.4.1905; gilt für die Familie; im An- und Abmelde-Register steht: Arbeiter) an das Amt Freienohl: „Ich beantrage Unterstützung aus den öffentlichen Armenmitteln, weil ich meinem Erwerb nicht mehr nachgehen kann. Schon seit dem Jahre 1886 leide ich an Rheumatismus. Auch meine Frau ist nicht im Stande, etwas zu erwerben, denn sie leidet an Geistesschwäche und war schon ¾ Jahr in der Irrenanstalt in Marsberg. (Ehefrau Anna, geb. Junk, geb. 16.8.1859 in Bilstein) An Kindern besitze ich. 1. Franz, 23 Jahre alt, von Beruf Tagelöhner, wohnhaft in Düsseldorf; sein Verdienst ist mir nicht bekannt. - 2. Anna, 22 Jahre alt, Dienstmädchen in Düsseldorf; ihr Verdienst ist mir nicht bekannt. - 3. Lena, 21 Jahre alt, verheiratet mit dem Fuhrmann Kladäcki in Düsseldorf, haben 1 Kind. - 4. August, 19 Jahre alt, Fabrikarbeiter in Schwerte; Gehalt ist mir nicht bekannt. - 5. Ferdinand, 16 Jahre alt, Gelb-Gießer (?) in Meschede; verdient täglich 1 Mark. - 6. Johann, 9 Jahre alt (geb. 11.6.1897 in Gierschlach). - 7. Fritz, 8 Jahre alt (geb. 2.9.1895 in Gierschlach). - 8. Auguste, ¾ Jahr alt. - (Zwischenbemerkung: Die eingefügten Angaben in Klammern stammen aus dem An- und Abmelde-Register 1904 – 1908) – Ich habe 1 ½ Jahre in Meschede, 2 Jahre in Wennemen gearbeitet. Anfang November 1904 bin ich nach Freienohl verzogen. Von meinen erwachsenen Kindern beziehe ich keinerlei Unterstützung. Auch besitze ich kein Vermögen.“ Dann folgen drei Kreuzzeichen für die Unterschrift von August Rönner, dem Handelsmann! - Der Amtmann von Meschede schreibt am 16. März 1905: „Rönner hat sich im hiesigen Amt auf keiner Stelle ununterbrochen 2 Jahre aufgehalten. Vorher hat Rönner mehrere Jahre in Nuttlar gewohnt.“ - Der Freienohler Amtmann Göpfert notiert am 18. März 1905: „Rönner ist verzogen nach Olpe, daher gegenstandslos und z.d.A.“ (z.d.A. : zu den Akten) Dorf Olpe oder Stadt Olpe; jedenfalls nicht mehr Amt Freienohl. (AA 1070)
Wie ein Kranken-Transport mit der Bahn funktionierte.
Am 28. August 1897 kümmert sich – Aufgaben entsprechend - der Freienohler Amtmann Köckeritz darum, dass die geisteskranke Witwe Theresia Pöttgen aus dem Krankenhaus in Meschede der Provinzial-Anstalt Eickelborn, Station Benninghausen, zugeführt wird. Beim Briefwechsel mit dem Eisenbahn-Stationsvorstand in Meschede geht es um das Billet (um den Fahrschein), um die staatlich-genehmigte Fahrpreis-Ermäßigung auch für die Begleitperson; das ist eine „Militairfahrkarte nach Kriegsstand“ (keine Rückfahrkarte; die Rückfahrkarte kostet 7,80 Mark, (es gab wohl für das Militär keine Rückfahrkarte? eher ging die leicht verloren); die Begleitperson war die Ehefrau des Schuhmachers Franz Pöttgen; der Reise-Termin der 23. September 1897 mit dem Frühzug um 6.45 Uhr. Am Schluss fragt die Leitung von Eickelborn nach, „ob ein Wagen (Pferde-Fuhrwerk, Kutsche) zur Abholung von dem 4 km entfernten Bahnhof gewünscht wird“. - Auch ein Zusammenleben. Mehr ist zu diesem Kranken-Transport nicht aktenkundig. (AA 1102)
Witwe traut sich nicht zur Armen-Kasse
Am 2. Mai 1899 haben wohl andere Freienohler ihr gesagt: „Nun geh schon endlich aufs Amt!“ - Aus dem Protokoll des Armen-Vorstands ist nur dies zu erfahren: Witwe Maurer Heinrich Rocholl reinigt die Alte Schule. Sie lebt in 2 Bodenkammern; hat 2 kleine Kinder: 2 ½ Jahre und 3 ½ Jahre; erhält als Armen-Unterstützung 36 Mark Jahres-Rente in monatlichen Raten zu je 3 Mark; 5 Mark monatliche Armen-Unterstützung. „Sie kann nebenbei nur sehr wenig arbeiten und verdienen.“ Bei 2 ganz kleinen Kindern. - Heinrich Rocholl: geb. 1867; gest. 12. November 1897 , mit 30 Jahren; geheiratet haben Heinrich Rocholl und Christine geb. Kramer aus Grevenstein am 3. November 1894. Woran der Maurer im November gestorben ist, das steht nicht in der Akte. (AA 1070)
Ehemann erblindet – Ehefrau gestorben – danach Baby gestorben
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 3. August 1899: TOP 4: Auf den mündlich gestellten Antrag des Fabrikarbeiters Nikolaus Frank auf Unterbringung seines Kindes im Wege der Ortsarmenpflege beschließt die Gemeinde, den Antrag abzulehnen, weil Frank zur Zeit noch nicht ortsansässig ist. - Alte Haus-Nr. 205 / Provinzialstraße / Hauptstraße. - Trauungsregister Freienohl: am 29.4.1871 Heirat Nikolaus Frank aus Neuendorf / Trier mit Christina Spies. - Sterberegister: gest. 10.1.1890 Ehefrau Christina Frank geb. Spies. Zweite Heirat am 18.11.1893 Nikolaus Frank aus Neuendorf mit Elisabeth Sahse aus Remblinghausen. Sterberegister: gest.11.06.1899 Elisabeth Frank geb. Sahse.
Ihr Kind Theresia Frank „kommt in Pflege“ bei Frau Johann Mester. Das Kind Theresia Frank stirbt am 16.09.1899. Ergänzung aus dem Sterberegister: vom 11.08, 1899 bis zum 23.05.1900 starben in Freienohl 15 Kinder im Alter bis zu 6 Jahren und – nur – 6 – Erwachsene,
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 30. September 1899 TOP 4: „Der Communal-Steuer-Rückstand des Nikolaus Frank im Betrag von 3,60 Mark soll niedergeschlagen werden.“ - Siehe Gemeinde-Protokolle: 3. August 1899 TOP 4.
TOP 5: „Der Invalide Nikolaus Frank soll als Ortsarmer in eine Provinzial-Blinden-Anstalt gebracht werden.“
TOP 6: „Der Frau Johann Mester soll für die Verpflegung des verstorbenen Kindes von Nikolaus Frank eine Vergütung von 30 Mark gewährt werden.“ Johann Mester, Alte Haus-Nr. 220 / Krumme Straße oder St. Nikolaus Straße – neu – 20. Trauungsregister: Heirat 16.1.1886: Johann Mester mit Christina Pöttgen.
Gemeinde-Versammlung am 28. Oktober 1899 TOP 1: „Bevor die Gemeinde die Kosten für den in der Augen-Heilanstalt zu Hagen befindlichen Nikolaus Frank übernimmt, soll festgestellt werden, ob eine rechtliche Verpflichtung dazu vorliegt und ob die früher beschlossene Anfrage bei der Provinzial-Blinden-Anstalt stattgefunden hat.“
TOP 8: „Unter Aufhebung des Beschlusses von TOP Nr. 1 (s.o.) erklärt sich die Gemeinde-Vertretung bereit, die Kosten der Behandlung des Frank in der Augen-Heilanstalt zu Hagen zu +übernehmen, falls der Verwalter Borse die Inusion (?) derselben der Gemeinde solange auszahlt, bis die entstandenen Kosten gedeckt sind.“
Mutter und Sohn in verschiedenen Geisteskranken-Anstalten
Einige Not. Am 12. Oktober 1902 geht es für den Freienohler Amtmann Göpfert darum: Der Freienohler Arzt Dr. Gruhs empfiehlt, die geisteskranke Frau des Haltestellen-Aufsehers Johann Kehsler in einer Irren-Anstalt unter zu bringen (manchmal wird auch schon der Ausdruck „Geisteskranken-Anstalt“ gebraucht). Sie soll in der Anstalt in Münster untergebracht werden. Dabei war sie 1893 schon einmal im St. Johannes-Hospital in Marsberg. Die Frau ist Maria Kehsler geb. Hehse, geb. am31. März 1857 in Oeventrop; also jetzt – 1902 – 45 Jahre alt. Eine Tochter führt zu Hause den Haushalt. Ein Sohn ist in der Irren-Anstalt in Amelsbüren; das bedeutet: als Kranker. Über das Alter dieser beiden Familienangehörigen ist nichts aktenkundig. - Am 26. November 1902 teilt die Provinzial-Irren-Anstalt in Marsberg mit, dass sie „und Münster z. Zt. beide überfüllt sind“. Doch schon am 9. Dezember 1902 ist Münster wieder aufnahmebereit. Am 7. Januar 1903 ist sie dann auch in Münster untergebracht. Wie in der Zwischenzeit – noch vor 1902 – diese Familie mit ihren beiden Kranken lebte, ist nicht bekannt. Am 28. Februar 1912, nach 9 langen Jahren ist sie in Münster gestorben; damit ist sie auch nicht in Freienohl bestattet. Und über den kranken Sohn in Amelsbüren ist nichts bekannt. (AA 1102)
„Mein Mann ist tobsüchtig!“
Am 15. Mai 1903: Die Ehefrau des Handelsmanns Josef Raulf bittet die Gemeinde um Unterstützung. Ohne Umschweife beginnt der Sekretär mitzuschreiben: „Mein Mann ist seit einigen Tagen tobsüchtig. Schon längere Zeit hat er nicht gearbeitet und nicht gehandelt, weil er krank war. In meinem Haushalt fehlt es zur Zeit an den notwendigsten Lebensmitteln, sodass ich die öffentliche Armen-Pflege in Anspruch nehmen muss.“
Stop! Bitte! Zur Erinnerung: Das sagt die Ehefrau; warum? Entspricht ihre Interpretation des Verhaltens ihres Mannes der tatsächlichen Wirklichkeit? Der Sekretär schreibt – hoffentlich, selbstverständlich – nur das Gehörte mit. Warum hat ihr Mann, der Handelsmann, den Kopf verloren, - wie die Ehefrau sagt? Hat er das wirklich? Oder sind das Verhaltensweisen übergroßer Sorgen? Oder Zeichen beruflichen Unvermögens? Usw. Oder – wieder zurück zur Ehefrau: hat sie das Verhalten ihres Mannes nicht korrekt interpretiert? Und heutzutage wird Gelesenes als wirklichkeitsgerecht angesehen? Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Psychoanalyse, Tiefenpsychologie. Die sprach von einer Pusillitas feminalis: übersetzt mit weiblicher Hartnäckigkeit, Starrheit, „Herrschafts-Lust“, Engstirnigkeit, Rechthaberei...Worauf es mit diesem Kursiv-Einschiebsel ankommen soll: Vor-sichtig (!) interpretieren! Gewichtig ist eine Bitte der Haupt-Überschrift dieses Kapitels: Nicht die Nase rümpfen! -
Der Sekretär schreibt weiter das Gehörte: „Da mein Mann, wie gesagt, seit einigen Tagen den Verstand verloren hat, kann er nicht den Antrag stellen... Mein Mann ist 56 Jahre alt; ich bin 44 Jahre alt. Wir haben 5 Kinder, nämlich:“ Ergänzt mithilfe der üblichen Register: 1. Theodor, LA 15, Arbeiter Tageslohn 1,40 (wohl gerade aus der Schule entlassen); 2. Wilhelm, LA 10, Schüler; 3. Hubert, LA 9, Schüler; 4. Franz LA 4, Kind; 5. Heinrich, LA 1 ½ (Aufgrund der Friedhofsliste ist ein Heinrich Raulf geb. 3. Januar 1902, gest. 5. Dezember 1936; diese beiden Heinrich Raulf müssen nicht dieselben sein.). - „Am 20. Oktober 1902 sind wir in Freienohl zugezogen, aus Hochlermark, Stadtbezirk Recklinghausen, 11 Monate lang. Vordem wohnten wir ununterbrochen mehr wie 10 Jahre lang in Neheim, wo wir unseren Unterstützungswohnsitz hatten und heute noch haben.“ - Frau Raulf ergänzte, „dass sie noch zwei weitere Söhne habe und zwar den Fabrikarbeiter Joseph Raulf, LA 25, verheiratet, wohnhaft zu Neheim, und den Fabrikarbeiter Fritz Raulf, LA 20, ledig, wohnhaft in Hochlermark. Beide Söhne bekümmerten sich um die Eltern nicht und geben auch nicht irgendwelche Unterstützung an sie ab.“ Das Amt Neheim bestätigt diese Angaben.
Am 22. Mai 1903 ergänzt der Freienohler Amtmann: „Raulf ist inzwischen in einen Zustand geraten, dass seine Bewahrung des Nachts notwendig ist“. - Am 25. Mai 1903 erkennt die Stadt Neheim den Unterstützungswohnsitz an und die Kostenerstattungspflicht und sie empfiehlt „die Unterbringung in eine Irrenanstalt baldmöglichst herbeizuführen“. - Am 29. Mai 1903 „wird die Polizei Freienohl von der Polizei Arnsberg an den Fernsprecher gerufen, dass Joseph Raulf gegen Abend in Arnsberg wegen Verübung dummer Streiche festgenommen sei und auch zur Zeit noch festgehalten werde“. - Am 2. Juni 1903 bittet das Amt Freienohl die Stadt Neheim, „den Joseph Raulf vorerst im dortigen Krankenhaus aufzunehmen; er ist in der letzten Nacht wiederum entlaufen und heute Nachmittag durch zwei Transporteure von Bestwig hierher gebracht worden“. - Am 4. Juni 1903 antwortet das Neheimer Krankenhaus, dass es Joseph Raulf nicht aufnehmen kann, „da es an einem für Tobsüchtige passenden Raum mangelt“.
Nun folgt ein gewiss ganz besonderes, unerwartetes Freienohler Zusammenleben: Am 9. Juni 1903 liegt vom Amt Freienohl, vom Armen-Vorstand ein Verzeichnis derjenigen Personen vor, die bei dem geisteskranken Joseph Raulf die Tag-Wache, bzw. die Nacht-Wache gehalten haben. Vom 22. Mai bis einschließlich 31. Mai; für 1 Schicht gab es 3 Mark: Theodor Zacharias 3 Tage, Christian Hahne 1 Nacht, Joseph Siepe 1 Tag + 1 Nacht, Johann Kohsmann 1 Nacht. Vom 31. Mai bis einschließlich 6. Juni: Wilhelm Bräutigam 1 Tag + 1 Nacht, Theodor Zacharias 1 Tag + 1 Nacht, Johann Siepe 2 Tage + 1 Nacht, Joseph Siepe 1 Nacht, Christian Hahne ½ Tag + 1 Nacht, Beckmann 1 ½ Tage. -
Am 10. Juni 1903 schreibt der Neheimer Bürgermeister, „dass der Ehefrau Raulf eröffnet werden soll, dass wir die Familie in eigene Fürsorge nehmen; weigert sich Frau Raulf, werden ihr weitere Unterstützungen nicht mehr gewährt“. Letzteres geschieht vom Amt Freienohl am 22. Juni 1903.
Vom 26. Juni 1903 liegt eine Transport-Rechnung vor von der Provinzial-Geisteskranken-Anstalt in Marsberg vor; also ist Joseph Raulf inzwischen im sinnvollen Schutz. Aufgrund des Freienohler Friedhofsregisters ist ein Arbeiter Joseph Raulf am 8. Dezember 1903 verstorben, LA 57; eine solche Eintragung bedeutet, dass er jedenfalls in Freienohl auf dem Alten Friedhof bestattet worden ist; möglicherweise ist er in Marsberg gestorben oder er hat schon wieder zuhause in Freienohl gelebt.
Diese Armen-Geschichte geht leider weiter.
Vom 7. Januar 1904 gibt es eine Akten-Notiz vom Freienohler Amtmann an einen seiner Gemeinde-Verordneten, ob ihm „eine Bestimmung bekannt ist, aufgrund welcher die Familie Raulf hier nicht länger geduldet werden braucht.“ Die Antwort ist nicht bekannt.
Am 25. April 1904 liegt ein ärztliches Attest vor für den Schüler Wilhelm Raulf; „Geschwüre“, zur Unterbringung in ein Krankenhaus.
Am 2. Juli 1904: Der Sohn Wilhelm Raulf ist jetzt 11 Jahre alt; er soll nach Neheim ins Krankenhaus überführt werden; wohl wegen der Unterstützungsgelder von Neheim.
Am 3. August 1904 informiert der Neheimer Bürgermeister das Freienohler Amt: „Weil die Witwe Raulf sich weigert, ihren Sohn nach hier zu überführen und einen Grund dafür nicht angegeben hat, wird ihr mitgeteilt, dass die Sache als erledigt betrachtet wird.“ Für eine Mutter ist Arnsberg dichter als Neheim; vor allem 1904.
Ab dem 14. September 1904 folgt ein reger Schriftverkehr zwischen beiden Ämtern darüber, welches Amt, welche Kasse die Unterstützungsgelder zahlen soll, zahlt. Auch der Land-Armen-Verband der Provinz Westfalen gehört dazu. Beschlüsse sind nicht aktenkundig. Einige Jahre kein Akten-Befund. Dann:
Am 27. März 1907 gibt die Witwe Joseph Raulf dem Freienohler Amtmann zu Protokoll: Ihre „Verhältnisse haben sich nicht geändert. Der älteste Sohn Theodor verdient durchschnittlich 2,80 Mark am Tag. Hiervon muss die ganze Familie leben. Der zweite Sohn Wilhelm ist zwar jetzt aus der Schule entlassen, kann jedoch wegen der Verkrüppelung der rechten Hand nicht arbeiten und auch nicht verdienen. Die anderen 3 Kinder sind unter 14 Jahre alt. Sie selbst ist seit längerer Zeit kränklich und bedarf einer besonderen Pflege, wozu die bewilligte Unterstützung nicht ausreicht.“
Im Schriftverkehr vom 24. und 25. Februar 1908 zwischen den Ämtern Neheim und Freienohl wird gefragt nach den Verdiensten der Söhne. Dazu: „Sohn Hubert Raulf arbeitet in der Zellstoff-Fabrik Wildshausen, verdient täglich 1,40 Mark. - Witwe Raulf erhält weiter die Miet-Unterstützung von 110 Mark jährlich und 110 Mark Armen-Unterstützung jährlich. -
Am 20. Februar 1909: Witwe Raulf erhält jährlich 220 Mark Unterstützung. Am 10. März 1909: Sohn Hubert verdient täglich 1,80 Mark; am 14. Oktober 1909: 2,00 Mark.“ - In der Freienohler Armen-Unterstützungs-Liste vom 18. Februar 1910 ist Frau Raulf nicht eingetragen; auch nicht am 13. Februar 1911, und auch nicht am 21. Februar 1912. - Vielleicht ist sie woanders, vielleicht in Neheim, gestorben; in der Freienohler Friedhofsliste steht sie nicht. (AA 1070)
Der Amtmann bekommt einiges mit
Der Freienohler Amtmann bekommt viel mit von den Nöten in Freienohl und hilft mit seinen Freienohler Mitarbeitern beim Zusammenleben.
Zwischenbemerkung: Kreis-Arzt in Arnsberg ist Dr. Röper. Arzt in Freienohl zwischen 1895 bis 1904ist Dr. med. Wilhelm Gruhs. Dann folgt bis 1908 der unten genannte Dr. Steimann. Auf ihn folgt Dr. med. René Ransoné; er baut 1910 das Wohnhaus Alte Haus-Nr. 186, Hauptstraße neue Haus Nr. 52, bis 1913. Ihm folgt in diesem Haus Dr. med. Dehen. Er verkauft dieses Haus an Konstantin Bracht, bekannt als „Haus Daheim“..
Am 12. Februar 1906 schreibt Frau Fritz Neise an den Amtmann; dieser Brief ist im Amt gestempelt mit dem Datum: 13. März 1906: „Sehr geehrter Herr Amtmann! Weil mein Mann sich noch immer mit dem Handel beschäftigt, was für ihn und auch für Frau und Kinder zum Nachteil ist, denk ich am besten, mich an Sie zu wenden, ob Sie vielleicht so freundlich sind und stellen ihn morgen früh zur Rede, dass der Handel seiner Krankheit halber ihm untersagt sei, denn Herr Dr. Steimann hat ihm das Trinken verboten, was bei dieser Gelegenheit jeden Tag vorkommt, dass es für uns im Hause sehr unangenehm ist, ferner hat ihm Dr. Steimann geraten, am besten ging er 3 – 4 Wochen ins Krankenhaus, was meiner Meinung nach am besten ist, dann kommt er vom Handel und infolge dessen auch vom Trinken. Ich hätte diesen Brief auch an Sie geschrieben, wenn er sich von mir nicht raten lässt. Ich habe schon Angst, dass er schon mal wieder nach Aurig (?) fährt. Nun möchte ich Sie bitten, von diesem Brief ihm nichts zu sagen, weil ich sonst Unannehmliches von ihm habe. Ich hoffe, dass Sie meinem Wunsche nachkommen werden. - Achtungsvoll! Frau Fritz Neise“
Am Schluss dieses Briefes steht von Amtmann Göpfert am 19. März 1906 diese Notiz: „Die Ehefrau Neise weigert sich, einen Antrag auf Entmündigung stellen zu lassen.“ -
Aus dem Trauungsregister: Am 25. Mai 1886 hatte Friedrich Neise: Anna Trumpetter geheiratet. - Ob diese Daten auf Anna Trumpetter zutreffen, ist nicht sicher: Aus dem Sterberegister: Anna Neise, Witwe, geb. 23.9.1861, gest. 2.7.1941.
Am 10. Mai 1906 erhält Amtmann Göpfert diesen Brief: „Sehr geehrter Herr Amtmann! Da es mir wegen meinem wehen Bein nicht möglich ist, nach dem Amt zu kommen, so muss ich Sie hierdurch ersuchen, mir doch in dieser Weise behilflich zu sein, denn es ist jetzt nicht mehr zum Aushalten mit meinem Mann. Er ist schon wieder 2 Nächte in anderen Häusern, kam diese Nacht 2 Uhr ins Haus und lief bis 3 Uhr im Haus umher und ging wieder. Das Kaufen und Verkaufen nimmt kein Ende. Kurz, wir können die Schuld nicht alle bezahlen, die er macht. Herr Dr. Röper war nämlich vor wenigen Wochen hier und wollte meinen Mann untersuchen wegen Aurig (?), nun war er nicht zu Haus. Da sagte Herr Dr. Röper, ich solle mit ihm nach Arnsberg kommen. Da ist mein Mann am anderen Tag bei nach ihm gewesen (nicht über den Stil stolpern!) und des folgenden Tages bin ich allein nach ihm gegangen. Da musste Herr Dr. Röper auch erst das Attest, wie Dr. Steimann nach Aurig schicken. Da war erst die Sache erledigt. Nun sagte mir Herr Dr. Röper, wenn die Sache mit meinem Mann sich nicht ändert, dann sollte ich nach dem Amt in Freienohl gehen und nehme Sie, Herr Amtmann, in Anspruch, dass Sie mir doch behilflich wären. Sie sollten dann nach Herrn Dr. Röper berichten, dann wollte er schon bestimmen, wo er am besten angebracht (untergebracht) würde. Vielleicht kann er nach Meschede ins Krankenhaus oder in Warstein unterkommen, Jetzt bitte ich Sie, so schnell wie möglich zu helfen, denn es wird sich sonst nicht ändern. - Hochachtungsvoll! - Frau Fritz Neise.“
Am selben Tag, am 10. Mai 1906, wohl nach Erhalt des Briefes von Frau Neise notiert sich Amtmann Göpfert: „3 Punkte für eine Unterbringung des Arbeiters Fritz Neise in eine Irren-Anstalt: 1. Bescheinigung über die persönlichen Verhältnisse ausstellen; 2. Frage-Bogen an den Kreisarzt zu Arnsberg zur Ausfüllung zusenden; 3. Anfrage an die Heilanstalt Warstein, ob die Aufnahme möglich ist.“ Antworten zu 1. und 2. liegen nicht vor. Zu 3.: Die Aufnahme ist möglich „erst nach Inbetriebnahme weiterer Kranken-Abteilungen in etwa 3 Wochen“. -
In der Akte sind 3 kleine Zettel eingeheftet.
Der 1. Zettel ist mit Bleistift geschrieben und nicht immer ganz verständlich: „Herrn Amtmann Göpfert! Wohlgeboren hier! Seit heute Mittag nicht zu Essen. Meine Frau hat dieselbe Krankheit wie Pius Bönner, der Anstreicher wollte auch wieder hinter der Gurgel fassen. War dann leider ...(?)... heute Abend nach (?) der Ruhe gebettet worden... (eine ganze Zeile nicht lesbar)... Welchen ich schon Freitag gekündigt und heute Abend nochmal Der muss jetzt dieses Haus...(?)... Freienohl, 28. Mai 1906, F. Neise sen.“
Der 2. und 3. Zettel – mit Tinte geschrieben - sind inhaltsgleich: „Freienohl, den 29. Mai 1906: Teile dir mit, dass du am 29. Mai 1906 mein Haus zu verlassen hast, wo nicht, ich sofort Petitions-Klage erheben werde, wobei der Gerichtsvollzieher bedienen tut. Fritz Neise sen.“
Am 15. Juni 1906 eine Antwort aus Warstein: „Aufnahme ist möglich.“ Randnotiz: Schreiben an die Landes-Versicherungsanstalt in Münster zur Bewilligung der Invalidenrente. - „Seit dem 15. Juni 1906 in Warstein untergebracht.“ - Am 4. August 1906 „als geheilt entlassen“.
Am 13. September 1906 fragt Amtmann Göpfert bei der Staatsanwaltschaft in Arnsberg und in der Heilanstalt Warstein nach, ob Fritz Neise entmündigt ist. Am 18. September 1906: beiden „ist nichts bekannt“.
Auch nicht über das Familienleben in Freienohl . Ein durchhaltendes Geheiltsein wurde wohl doch nicht erlebt.
Vier Jahre später: Am 21. Oktober 1910 wird das Amt Freienohl informiert, dass der Geisteskranke Friedrich Neise in den nächsten 14 Tagen in der Provinzial-Heilanstalt Warstein aufgenommen werden kann. Das Wort „Irren-Anstalt“ wurde nicht mehr verwendet; es wird inzwischen negativ gewichtet sein. Die Aufnahme ist am 25. Oktober 1910 geschehen. Bald darauf diese Nachricht aus Warstein: „Der Arbeiter Friedrich Neise ist heute am 9. Februar 1911 gestorben.“ (AA 1102)
Wer nachträglich, jetzt, mitleiden kann, sich diese Qualität Empathie zutraut: Bitte!
Für die neue Provinzial-Irren-Anstalt sehr zügige Freienohler Zusammenarbeit
Diese Bekanntmachung steht im Arnsberger „Central Volksblatt“: „Die Errichtung der vom Provinzial-Landtage beschlossenen 5. Irren-Anstalt stößt in Eickelborn auf Schwierigkeiten, sodass anderweitig gelegene, geeignete Besitzungen in Frage kommen können. - Bedingungen: Größe des Grundbesitzes etwa 300 – 400 Morgen, in ruhiger, gesunder Lage, möglichst mit Waldbestand; Bahnanschluss in der Nähe; Versorgung mit reichlichem guten Trinkwasser leicht ausführbar. - Angebote mit Angabe des Kaufpreises sind bis zum 1. Juni an mich einzureichen. - Münster, den 14. Mai 1902, - Der Landeshauptmann der Provinz Westfalen, Holle“
(Alle Daten dieses Kapitels: AA 1105)
Der Freienohler Amtmann Göpfert und – aufgrund schneller Information – die Freienohler, Bockumer und Wennemer Grundbesitzer und Pächter des sofort einsichtigen Geländes reagieren schnell. Als Platz wird ausgesucht der östliche Teil des Plastenbergs (auch der westliche Teil war vor allem bebaut mit der Ziegelei der Gebrüder Rocholl, der Wennemer Flur, Bremke (nördlich von Gut Bockum).
Die eine Arbeits- und Planungsrichtung, nach innen:
Ähnlich wie Landwirt Joseph Noeke verhalten sich die anderen Grundbesitzer und Pächter dieser Flur. Landwirt Noeke gibt am 26. Mai 1902 beim Amtmann Göpfert zu Protokoll: „In dem Plan habe ich ungefähr 40 Morgen Grundbesitz, davon sind 3 – 4 Morgen Wald; das Übrige ist Acker. Wenn an dieser Stelle eine Provinzial-Irrenanstalt errichtet werden soll, gebe ich den Grund her (die damals angegebenen Preise werden ausgelassen, weil kaum vergleichbar). In dem Preise für den Wald ist das aufstehende Holz nicht mit inbegriffen. Es ist lediglich der Preis für den Grund allein.“ - Entsprechend verhalten sich diese Freienohler: Caspar Becker gnt. Kaiser, Heinrich Geihsler, Wwe. Franz Schwefer, Fritz Düring, Heinrich Funke, Bruchhagen, Wwe Joh. Trumpetter, Necker-Siepe, Anton Siepe, Trompetter gnt. Peters, Wwe Rocholl, Korte, Neise, Veltmann Olpe, Gut Bockum (möglicherweise ist diese Auflistung nicht vollständig).
Die andere Arbeits- und Planungsrichtung, nach außen:
Weil so eine Einrichtung, so ein Bau, so ein Unternehmen „Provinzial-Irren-Anstalt“für Freienohl völliges Neuland ist, schickt Amtmann Göpfert am 9. Juni 1902 an die anderen Irren-Anstalten in Westfalen einen Fragebogen, um gut informiert zu sein: „1. Wie viele Kranke sind dort? 2. Wie viele Beamte, Angestellte, Arbeiter usw.? 3. Wie viele Köpfe zählen die Familien der unter 2 Genannten? 4. Wie viel Staatseinkommensteuer wird bezahlt? a) von den Beamten usw. insgesamt? b) von den Kranken? 5. Wie viel Staatseinkommensteuer zahlt a) der höchst besteuerte Beamte? b) der höchst besteuerte Kranke? 6. Wie hoch ist die Grund- und Gebäudesteuer der Anstalt? 7. Wie viel schulpflichtige Kinder sind in den Familien der Beamten usw. vorhanden? - Ungefähre Angaben genügen.“
Der Direktor von Lengerich antwortet am 19. Juni 1902: Zu 1.:285 Männer und 255 Frauen. Zu 2.: 15 Beamte, 78 Pflegepersonen und 30 sonstige Angestellte. Zu 3.: „8 Familien mit 121 Köpfen, einschließlich Dienstboten. Zu 4 a: Von den Beamten und sonstigen Angestellten werden circa 862 Mark Staatseinkommensteuer bezahlt. Zu 4 b: Ist hier nicht bekannt. Zu 5 a: Der höchst besteuerte Beamte zahlt 232 Mark Staatseinkommensteuer. Zu 5 b: Hier unbekannt. Zu 6: (hier ausgelassen) Zu 7: In den Familien der Beamten sind 20 schulpflichtige Kinder.
Es antworten die Einrichtungen: Telgte, Eickelborn, Münster, Aplerbeck (schickt außerdem etwas später einen 29 Seiten umfassenden gedruckten Haushaltsplan; aus ihm wird hier nichts übernommen, obgleich die Textfassung wesentlich umfassender ist als die 7 Freienohler Fragen).
Mit der Überschrift „Stimmen aus dem Publikum“, mit der Stimmung von der Basis –sagt man wohl heutzutage, veröffentlicht die „Westdeutsche Volkszeitung“ (Nr. 230, 10. Jahrgang; ungekürzt AA 1105) diesen Beitrag: „Zu diesen Mitteilungen unter dieser Rubrik übernimmt die Redaktion nur die pressegesetzliche Verantwortlichkeit. - Bei der Errichtung der 5. Irrenanstalt der Provinz Westfalen kommt als eine der ersten Stellen F mit in Frage. Die Gemeinde F (= Freienohl) hat sich zur Hergabe des Waldbodens nur schwer entschlossen, wozu sie auch ihre guten Gründe hatte. Die Gemeinde besteht zum größten Teil aus sogenannten kleinen Leuten und Fabrikarbeitern. Fast jede Familie derselben hat einige Morgen Land nötig zu Gärten, Kartoffeln, Korn und dem nötigsten Futter. Dieses ist meistens Pachtland. Die Gemeinde hat nur eine verhältnismäßig kleine Feldmark. Durch Erwerbung als Gelände für die Anstalt gehen der Gemeinde-Feldmark ca. 400 Morgen Ackerland und Wiesen verloren. Es wird also in Zukunft für die Leute schwer, wenn nicht unmöglich sein, das nötige Pachtland zu erhalten. Man verschlechtert also die soziale Lage der kleinen Leute, welche weitaus die Mehrheit in F bilden, statt danach zu streben, sie zu bessern. Die Kommunalabgaben dürften mit der Zeit durch die Anstalt auch wohl eine Steigerung erfahren durch Wegebau, neuen Schulbau...Der Verkehr, den die Anstalt mit sich bringt, wird sich zweifelsohne... Der Lärm der verkehrenden Züge...Außerdem ist die Thalmulde ein Fangschirm für die rauhen Weststürme im Winter mit ihrem starken Schneetreiben... Die Wahl des Terrains wird wohl schon in diesem Monate stattfinden und werden wir nach derselben noch auf diese Angelegenheit zurückkommen.
In den Akten ist ein reger Brief-, Informations- und Telegramm-Verkehr (!) aufbewahrt zwischen dem Amtmann Göpfert von Freienohl und dem Landrat Schmedding in Arnsberg und den Freienohler Gemeinde-Verordneten, Flur-Pächtern und Grundbesitzern; zu letzteren gehören auch Graf Wedel auf Gut Sandfort und Familie Emilie Wrede auf Gut Bockum.
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 1. Juli 1902 TOP 10: „Die Anlage der 5. Provinzial-Irren-Anstalt muss als gescheitert betrachtet werden, da trotz aller angewandten Bemühungen es nicht möglich war, das von der zuständigen Behörde ausgesuchte Terrain zu erwerben. Es soll versucht werden, ein anderes Gelände ausfindig zu machen.“
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 8. Juli 1902 TOP 3: „Zur Errichtung der 5. Provinzial-Irren-Anstalt: Nachdem gestern und heute über die Gestellung des erforderlichen Grundes von Seiten der Gemeinde Freienohl an die Provinz verhandelt worden und die mit den Grundbesitzern geführten schriftlichen Verhandlungen verlesen waren, erklärt die Gemeinde-Versammlung, dass nunmehr die Erwartung eines zusammen...(?) Komplexes von etwa 280 Morgen (+ / -) absolut sicher sei. Der Preis beträgt etwa 120.000 Mark. Es wird einstimmig beschlossen, den angebotenen Komplex sofort anzukaufen, nachdem seitens der Provinz die Übernahme zu den Ankaufskosten gesichert ist und die Grenzen des Komplexes genau bestimmt sind. Von den Gemeindegrundstücken muss eine Fläche von circa 20 Morgen derart herangezogen werden, dass sie in das Eigentum der Provinz übergeht. Hierfür wird nur der einfache Bonit-Wert gefordert, welcher über die Zusammenstellung der vorgenommenen Summe von 120.000 Mark schon in Ansatz gebracht ist. Das auf dieser Fläche aufstehende Holz wird zur Taxe der Forstverwaltung seitens der Provinz angekauft. Ferner wird der anschließende große Gemeindewald (mehrere 100 Morgen) der Anstalt zum Spazierengehen zur Verfügung gestellt, mit der Berechtigung Spazierwege, soweit solche noch nicht vorhanden sind, anzulegen. Die ganze Holznutzung und Bewirtschaftung verbleibt der Gemeinde. Über die näheren Modalitäten der Eigentumsübertragung bleibt besonderer Vertragsabschluss mit der Provinz vorbehalten, jedoch erklärt die Gemeinde schon jetzt, dass sie zunächst den ganzen Besitz erwerben und sich als Eigentümerin eintragen lassen wird., sodass die Provinz nur allein mit der Gemeinde Freienohl allein zu verhandeln hat.“
Der Landeshauptmann der Provinz Westfalen aus Münster schickt eine Kommission. Die hat auch „die Besichtigung verschiedener zum Ankauf angebotener Besitzungen beschlossen, u.a. auch die in der Nähe des Bahnhofs gelegenen...“ Münster bestellt auch Flur-Zeichnungen durch das Arnsberger Katasteramt; die liegen inzwischen wieder in der Akte 1105. Und der Amtmann: „Dann trifft man sich morgen Mittwoch, am 23. Juli nachmittags auf dem Amtshaus... Es handelt sich um den Grundankauf für die Irrenanstalt.“
Die Gebrüder Rocholl informieren seitens ihres Baugeschäfts, ihrer Ziegelei den Amtmann Göpfert, „dass wir in den nächsten drei Jahren jährlich 1 ¼ bis ! ½ Millionen Ziegelsteine zu liefern im Stande sind“.
Für die Gespräche hat sich Amtmann Göpfert einige Notizen gemacht, u.a.: „Lage: in gesundheitlicher Beziehung geschützt, nebelfrei, Höhe. Landschaftlich schön; im Gegensatz zu Warstein, seine Eisenwerke! - Allerdings die Kirche! Aber! (gemeint ist wohl: zu Fuß etwas zu weit entfernt: die St. Nikolaus-Pfarrkirche). Gelände in Freienohl billiger als in Warstein; allein an Ziegelsteinen 100.000 bis 150.000 Mark billiger. Wasser: hier sicher genug; wenn nicht aus dem Gebirge, dann aus der Ruhr, das ist auch sicher und für alle Zeit genug, vor allen Dingen gut. Kiesgrund, wunderbar schöne Filter, dagegen Warstein. Messungen allerdings unbekannt – Gelände: Ausdehnungsfähigkeit, hier genug. - Fabriken: Die Ziegelei gibt wenig Dampf ab – gegen die drei Eisenwerke in Warstein betrachtet...“
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 24. Juli 1902 TOP 1: „Errichtung einer Provinzial-Irren-Anstalt bei Freienohl: Die Gemeinde verpflichtet sich, von ihrem Grundbesitz circa 25 Morgen dem Provinzialverband gegen den Kaufpreis von 30 Mark für den Morgen eigentumlich (im Original: eigenthümlich) zu überlassen und lasten- und schuldenfrei aufzulassen. - Falls sich auf dem betreffenden, von dem Käufer auszuwählenden Gelände Holzbestände befinden, so ist für den Provinzial-Verband das aufzukaufende Holz nach Schätzung eines vom Landeshauptmann zu bestimmenden Königl. Oberförster besonders zu vergüten. - Sollte sich im Laufe der nächsten 10 Jahre ergeben noch weiteren Grundbesitzes bedarf, worüber allein der Provinzial-Ausschuss entscheidet, so verpflichtet sich die Gemeinde, einen auch dann weiter noch in Anspruch genommenen Grundbesitz bis zu 100 Morgen zum Preis von 30 Mark für den Morgen zur Verfügung zu stellen. - Wegen der etwa darauf befindlichen Holzbestände gilt das oben Gesagte. - Die Gemeinde verpflichtet sich, von dem in ihrem Eigentum verbleibenden Wald von circa 200 Morgen nach Auswahl der Provinzial-Verwaltung unentgeltlich zur Herstellung von Parkanlagen, behufs deren Benutzung durch Anstalts-Pfleglinge und Anstalts-Bedienstete zu Spaziergängen dauernd zur Verfügung zu stellen und zu halten und die Holznutzung und Aufforstung der in Anspruch genommenen Fläche nur im Einverständnis mit der Provinzial-Verwaltung vorzunehmen. Auch soll die letztere befugt sein, diese Fläche mit einer ihr geeigneten Einfriedigung zu versehen. - Außerdem verpflichtet sich die Gemeinde zu den Grunderwerbskosten zu obiger Anstalt einen namhaften Geldbetrag, dessen Höhe einer späteren Beschlussfassung vorbehalten bleibt, zu leisten. - Vorstehende Beschlüsse haben nur Geltung unter der Bedingung, dass der ganze außerhalb der Gemeinde Freienohl liegende zu erwerbende Grund in die Gemeinde Freienohl eingemeindet wird.“
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 23. August 1902, nur TOP 1: „Im Fall, dass die 5. Provinzial-Irren-Anstalt in Freienohl erbaut wird, erklärt sich die Gemeinde-Versammlung bereit, in Hinsicht der Einschulung der schulpflichtigen Kinder der Anstalts-Verwaltung so weit wie irgend möglich entgegen zu kommen.“
Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 27. September TOP 2: „In Ergänzung des Beschlusses vom 24. Juli d. J. beschließt die Gemeinde-Versammlung, die am genannten Tage gemachten Angebote betreff. Errichtung einer Irren-Anstalt sollen auch dann gültig sein, wenn die Eingemeindung der Grundstücke nur bis zum Bremke-Bach als Gemeindegrenze erfolgt.“
Am 10. Oktober 1902 schreibt der Landeshauptmann der Provinz Westfalen in Münster an den Amtmann in Freienohl: „Euer Wohlgeboren teile ich hierdurch ergebenst mit, dass die Kommission für den Neubau einer 5. Provinzial-Irren-Anstalt in ihrer Sitzung vom 4. Oktober für die Errichtung einer solchen Anstalt das Gelände bei Warstein bestimmt hat. Ich ersuche ergebenst, den Interessenten hiervon gefälligst (damals sehr positiv gewichtet!) Mitteilung machen zu wollen... 3 Karten, 1 Grundsteuerfortschreibung, 1 Auszug aus der Grundsteuer Mutterrolle – Besitz Wrede – liegen bei. Für die in dieser Angelegenheit aufgewendeten Bemühungen verfehle ich nicht, Ihnen den verbindlichsten Dank ergebenst auszusprechen.“ - Am Rand notiert: „An Emilie Wrede geschrieben. Den anderen Bescheid sagen lassen. Zu den Akten, 14. Oktober 1902“
Graf Wedel in Sandfort schreibt am 3. Januar 1903 an den Amtmann: „Ich bedauere sehr, mehr für Freienohl als für mich, dass der Vertrag mit der Provinz nicht zustande gekommen ist... Aus hiesiger Quelle weiß ich aber, dass die Entscheidung für Warstein gefallen ist, weil dort für den Unterricht der Familienglieder der zahlreichen Beamten besser gesorgt werden könne. Auch soll die Provinzial-Eisenbahn, die dort vorbei führt, mit den Ausschlag gegeben haben.“ Aus der Sicht von 2010: nicht gründliche Gründe von Graf Wedel; Freienohler Gemeinde-Vertretung und vielleicht auch der Amtmann hätten diese Gründe widerlegen können; die gesagten Gründe sind nicht immer die wahren Gründe; Psychopolitik?
„Armen-Unterstützungen“ über die Jahre
Nur aufgelistet. Name und Stand. Ohne die Geldbeträge, die sind von Person zu Person unterschiedlich; deren Wert kann heutzutage doch nicht eingeschätzt werden.
Am 26. Februar 1909. Im Jahr 1908 erhielten Armen-Unterstützung: Witwe Louis Storm (der weibliche Vorname der Witwe wurde nicht ermittelt); Witwe Franz Theune; Invalide Wilhelm Bräutigam; Invalide Anton Stirnberg; Witwe Engelhard Spieler; Witwe Josef Raulf; Invalide Kaspar Pöttgen; Witwe Heinrich Düring. Die Frage, ob diese Genannten im laufenden Jahr – 1909 – aus der Armen-Kasse Geld erhalten sollen, wird von der Gemeinde-Versammlung bejaht.
Unterstützung erhalten am 18. Februar 1910: Witwe Louis Stirnberg; Invalide Wilhelm Bräutigam; Invalide Anton Stirnberg (Randnotiz: entfallt, weil verstorben); Invalide Kaspar Pöttgen; Witwe G. Düring; Fritz Butz gnt. Schulte. Gez. Gem.Vorsteher Kehsler, Ehren-Amtmann Schulte. - Die Beträge sind aktenkundig, hier ausgelassen. (AA 1070)
Am 4. Juni 1910 hat der Gemeinde-Versammlung diesen Antrag vorgelegt Adolf Göckeler, Bahnhofstraße Alte Haus-Nr. 188: „Durch Verfügung des Königlichen Amtsgerichts zu Arnsberg vom 30. Dezember 1909 bin ich zum Pfleger für meine geistesschwache Schwester Margaretha bestellt worden. Ich habe schon wiederholt früher versucht, - wie Ihnen schon bekannt -, sie in einer geeigneten Stellung als Dienstmagd unterzubringen. Es hat sich jedoch stets gezeigt, dass dieselbe eine solche Stellung nicht vornehmen kann. Es fehlen ihr zwar nicht die körperlichen Kräfte, aber bei ihrem Geisteszustand können die Herrschaften nichts mit ihr anfangen. Zudem ist sie, wenn die Herrschaft nicht stets auf sie achthat, sittlichen Gefahren ausgesetzt. Seit einem Vierteljahr ist meine Schwester jetzt schon bei mir. Es liegt aber auf der Hand, dass ich auf die Dauer dieselbe nicht unterhalten (pflegen, umsorgen) kann. Ich bitte deshalb, die Gemeinde möge sie in einer geeigneten Anstalt unterbringen lassen und erlaube mir zu diesem Zweck, auf die Provinzial-Pflege-Anstalt in Geseke hinzuweisen. Auf jeden Fall muss für meine geistesschwache Schwester bald (unterstrichen) etwas geschehen. - Hochachtend – Adolf Göckeler“ - Aktenkundig ist die Behandlung durch Dr. Ransoné und die Überweisung in die Heilanstalt Eickelborn. (AA 1070) – Siehe Fortsetzung bis zum traurigen Ende: Kapitel „Seelsorge+Fürsorge : Margaretha Göckeler“ in „Keine Pogromnacht und kein Grauer Bus in Freienohl“: „Zweites Gedenkkapitel: Kein Grauer Bus“.
Am 6. September 1910 beantragt Witwe Köhne beim Gemeinde-Vorsteher Armen-Unterstützung; sie schreibt: „Am 28. August dieses Jahr ist mein Mann gestorben und hat mich mit 3 Kindern und einer fast blinden Mutter allein zurückgelassen. Die lange Krankheit meines Mannes hat sehr viel Geld gekostet, sodass ich jetzt noch eine Menge Schulden habe. Bei der Arnsberger Sparkasse muss ich jährlich 118 Mark Zinsen bezahlen. Wenn mir gutwillige Leute nichts borgten, so hätte ich für mich und meine Kinder nichts zu essen. Ich bitte deshalb ganz gehorsamst um eine Armenunterstützung.“
Am 3. November 1910: „Auf der Amtsstube erschien freiwillig die Ehefrau Karl Winterhoff aus Freienohl und gibt Folgendes zu Protokoll“ : „Mein Mann ist seit April d. Js. krank und erwerbsunfähig. Der Krankengeldbezug hat bereits anfangs August d. Js. aufgehört. Nach einem vierzehntägigen Versuch zu arbeiten hat er wegen Blutbrechens die Arbeit wieder niederlegen müssen. Unsere Familie, bestehend aus meinem Mann, 8 Kindern und mir, befindet sich in großer Not. Von den Kindern sind erst zwei (aus) der Schule entlassen, von denen der Sohn Paul, 16 Jahre alt, seinen ganzen Verdienst von 1,70 Mark pro Tag zum Unterhalt der Familie abgibt; die 15-jährige Tochter Maria verdienst monatlich 10 Mark, welchen Betrag sie nach Abzug ihrer eigenen Bedürfnisse zum Unterhalt der Familie beisteuert. Ich selbst kann, - besonders im Winter -, selten Arbeit bekommen. Die Krankheit meines Mannes erfordert besondere Anforderungen an Arzt- und Apotheken-Kosten, welche wir aus eigenen Mitteln nicht mehr bezahlen können. Ich bitte, die Gemeinde Freienohl zu veranlassen, ns eine Unterstützung – mindestens die Jahres-Miete mit 90 Mark – zu gewähren.“ - „Zur Anhörung der Gemeinde-Vertretung: gez. Ehrenamtmann Schulte“ - Die 90 Mark werden gewährt. (AA1070)
Keine Statistik! Hier nur ganz wenig aus dem Ersten Weltkrieg.
Februar 1914: Unterstützungen: Witwe Josef Köhne; Ehefrau Caspar Storm für Elisabeth Winterhoff (geb. 9.11.1910; seit der Geburt hilfsbedürftig; die Mutter war gleich nach der Geburt gestorben); Franz Becker für Wilhelm Winterhoff, geb. 13.3.1905; Theodor Schwefer; Witwe Arnold Geihsler; Franziska Schwefer; Invalide Anton Mündelein (August M.?)
Februar 1915: Unterstützungen erhalten: Witwer Caspar Pöttgen; Witwe Josef Köhne; Ehefrau Caspar Storm: s.o. Für Elisabeth Winterhoff; Franz Becker: s.o. Für Wilhelm Winterhoff; Theodor Schwefer; Witwe Arnold Geihsler; Josef Becker: erhält Miete für Witwe Arnold Geihsler; Franziska Schwefer; Invalide Anton Mündelein (August M.?).
(AA 1070)
Im Januar 1916 wird Witwe Köhne darauf hingewiesen, dass sie bei ihren Anträgen unterlassen habe (sagt die Behörde! - Oder nur vergessen?), ihren jährlichen Verdienst von 220 Mark durch das Reinigen der Schule anzugeben. (AA 1070) – Mitten im Ersten Weltkrieg. Den hat Deutschland verloren, 1918. Die Not wurde noch größer.
Wiederholt wird zum Schluss die Einleitung:
Nichts für Neugierige! Nichts zum Naserümpfen!
Nur kühle Akten bei Selbstverständlichkeiten für zukunftsoffenes Zusammenleben!
Wer sich beim Lesen dieses Kapitels bei diesem oder jenem Namen doch dem Naserümpfen nähert, denke knapp 2000 Jahre zurück, da sagt und praktiziert Jesus von Nazareth: „Selig die Barmherzigen!“
Heinrich Pasternak
September 2010, 67 Seiten