- Details
Der Hüne vom Küppel und Schwester Hildegard von Bingen grüßen mit ihrer Viriditas den Hünen vom Wilzenberg
Im Sauerland geht’s wieder laut und lustig zu! Ist ja auch Frühling! Sauerländer hören sie ganz gut: die Hollen aus Velmede und Hellern, aus Bödefeld und Oedingen und aus der Esenbeck die tanzenden Elfen und wieselflinken Zwerge; dann das Schwatern des Riesen vom Wallenstein mit dem Hünen vom Wilzenberg und hinüber zum Hünen vom Küppel; die Drei zusammen mit den Hexen vom Osterwald beim Hilgenborn, vom Hexenstein bei Marpe und von Winkhausen. Und fast zu sehen sind mit einem Arm voll Lilien vom Grab des Pfarrers Montanus der Weiße Mönch in der Rellmecke, der sagenhafte Pilger von Silbach, der Unheimliche mit dem lang wallenden Bart vom Klusenstein, die Weiße Frau von Herdringen, die hutzelige Reiterin auf ihrem Esel aus Winkhausen, der wilde Reiter von Oelinghausen, und ohne Lilien der Knüppelhund zu Arnsberg.
Die ehrwürdige Schwester Hildegard von Bingen ist mit ihrer Viriditas unterwegs nach Köln.
Da ist einiges los! Da läuten die Glocken! Ganz außer der Zeit. Noch ohne den „Dicken Pitter“. Denn den jetzigen Kölner Dom gab es damals noch nicht: 1164: Der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel hatte die Reliquien der Heiligen Drei Könige mit nach Köln gebracht. Die Grafschaft Arnsberg kam in die Lehnsherrschaft nach Köln, fast eine Weltstadt, wenigstens für die Kirche. Alles war vielversprechend für die aktive Nonne Hildegard von Bingen. Freilich: ihre Begleiterin Viriditas machte einen Ausflug ins Sauerland.
Also: Ganz einfache Christen hatten es damals – so um 1150 - nicht leicht zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa, Papst Alexander III. Da war ein Schisma. Es gab Gegenpäpste. Und der Erzbischof von Köln, Rainald von Dassel hatte kirchen-politisch raffiniert und clever die Gebeine der Hl. Drei Könige in seinem Dom untergebracht. Dahin war die Ordens-Oberin Hildgard von Bingen unterwegs. Natürlich zu Pferde. Ab und zu ein Stopp mit ihren energischen Predigten an Klerus und Gemeinde.
In Köln kreuzten sich auch gewichtige Kaufmanns-Verbindungen: die Heiden-Straße in Richtung Osten und gen Westen und Süden Jakobus-Wege. Vielleicht hat Hildegard da etwas von den Wäldern Westfalens gehört. Weil sie ja im Volk so wie eine Heilige war, mag sie eine Ahnung gehabt haben von dem unmöglichen, friedlosen Benehmen der Hollen und Riesen. Bis ins Sauerland ritt Hildegard nicht, doch ihre Viriditas, die sang dort das Lied über die Berge hinweg, in die grünen Wälder hinein. Ursprünglich auf Latein. Aber das konnten nicht alle Sauerländer, vor allem nicht die Hollen und Hünen. Darum abwechselnd: erst Latein, dann Deutsch:
„O nobilissima viriditas, quae radicas in sole
O edelstes Grün, in der Sonne du wurzelst, -
et quae in candida serenitate luces in rota,
du leuchtest in strahlender Helle im Kreise, -
quam nulla terrena excellentia comprehendit,
den irdisches Sinnen und Sein noch so hoch kann niemals erfassen. -
Tu circumdata es amplexibus,
Umfangen wirst du von den Armen -
divinorum mysterium.
der Geheimnisse Gottes. -
Tu rubes ut aurora
Du schimmerst wie Morgenrot, -
et ardes ut solis flamma,
brennst wie die Sonnenglut!
O Viriditas – o Grünkraft!“
Voller Erfolg! Vorher ging´s drunter und drüber. Jetzt kommen alle gut mit einander aus, jedenfalls die Hollen und Hexen. Die Grünkraft der Sauerländer Wälder fließt ein in die zahllosen Siepen, Goldsiepen, Mondsiepen, Sundersiepen und so weiter. Und die Angler haben festgestellt: einige Fische in der Ruhr beißen sich nicht mehr, nämlich die Äsche. Sie brauchen zum Leben keine Zähne.
Hildegard von Bingen freut sich – mit Viriditas!
Heinrich Pasternak, 2 Seiten